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Virologe Streeck über Vogelgrippe: „Ein Erreger, den man ernst nehmen muss“

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Droht die Vogelgrippe-Pandemie? Die Fachwelt zeigt sich aktuell alarmiert. Im Interview mit IPPEN.MEDIA ordnet Virologe Hendrik Streeck die Lage ein.

Frankfurt – Die Vogelgrippe geht um. In den USA häufen sich Infektionen bei Kühen, Erreger werden in Milch nachgewiesen. Wenn das Virus mutiert, hat H5N1 das Potenzial, eine neue Pandemie auszulösen, warnen zahlreiche Fachleute. Es könne auch schon ein Anlauf zu einer nächsten Pandemie sein, mahnte beispielsweise Christian Drosten von der Berliner Charité. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt das Risiko für die Bevölkerung aktuell allerdings als gering ein. Darauf verweist auch das Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach auf Anfrage von IPPEN.MEDIA.

Wie besorgniserregend ist die Lage nun? Droht wirklich eine neue Pandemie? Bei IPPEN.MEDIA spricht Virologe Hendrik Streeck über Gefahren, Vorsichtsmaßnahmen und Vorbereitungen auf einen möglichen Ausbruch der Vogelgrippe. Außerdem über den Vorwurf, die USA hätten einen entscheidenden Moment bereits verpasst.

Hendrik Streeck sieht die Weltgemeinschaft gut auf einen etwaigen Vogelgrippe-Ausbruch vorbereitet.
Hendrik Streeck spricht bei IPPEN.MEDIA über Vogelgrippe und ordnet die Pandemie-Warnungen ein. © BeckerBredel/Imago

Herr Streeck, aktuell bereitet die Vogelgrippe der Fachwelt große Sorge. Christian Drosten spricht von einer Entwicklung, die es „vorher noch nicht gegeben“ habe. Droht eine neue Pandemie?

Was jetzt neu ist, ist, dass das Virus Rinder infizieren kann. Es rückt also näher an Menschen. Zum einen sind Säugetiere betroffen, zum anderen handelt es sich um Tiere, zu denen Menschen häufiger Kontakt haben – beispielsweise auf Farmen. Und je näher ein Virus dem Menschen kommt, desto wahrscheinlicher kann bei so einem Virus auch der Übertritt auf den Menschen passieren.

Sie wirken nicht nervös …

Das Wichtige: Bisher gab es keine leichten Übertragungen von Mensch zu Mensch. Dazu wären Mutationen notwendig, die das ermöglichen. Die gibt es bisher aber nicht. Erst dann gäbe es auch die Möglichkeit einer Pandemie.

Mögliche Vogelgrippe-Pandemie? Virus seit über 20 Jahren bekannt – Mutation fand nicht statt

Das heißt, auch Sie schließen ein mögliches Pandemie-Szenario nicht aus?

Man muss dies hier im Kontext betrachten: Die Vogelgrippe beobachten wir schon seit 2003. Seitdem fanden diese Mutationen noch nicht statt.

Dennoch infizieren sich immer wieder Menschen mit H5N1, zudem gilt die Vogelgrippe als besonders gefährlich. Ist die Sorge auch wegen der hohen Sterblichkeitsrate so hoch?

Seit 2003 sind fast 900 Fälle bei Menschen aufgetreten, mit einer Sterblichkeit von über 50 Prozent. Das ist ein Erreger, den man sehr ernst nehmen muss. Zum Vergleich: Bei Corona liegt die Sterblichkeit bei rund 0,5 Prozent. Vogelgrippe ist nach aktuellen Daten also hundertmal tödlicher. Das sind Schätzwerte, die wahrscheinlich viel zu hoch liegen, da zum Beispiel auch die Dunkelziffer nicht bekannt ist.

Impfstoff schon da: Virologe Streeck sieht Weltgemeinschaft gut auf etwaige Vogelgrippe-Pandemie vorbereitet

Die Corona-Pandemie hatte die Welt in eine jahrelange Ausnahmesituation gebracht. Droht bei einer Vogelgrippe-Mutation ein ähnliches Szenario?

Nein. Wir befinden uns in einer ganz anderen Situation als bei Corona. Es gibt bereits wirksame Impfstoffe. Die Europäische Union hat bereits Impfdosen bestellt. Und in den USA werden Menschen mit viel Kontakt zu Rindern geimpft. Wenn es jetzt zu einem Ausbruch kommen würde, also zu einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung, würde man sofort diesen Ausbruch über Impfungen aller Kontaktpersonen eindämmen. Man sollte die Lage ernst nehmen, aber wir sind besser vorbereitet.

Wie würde die Eindämmung mit Impfungen ablaufen?

Sollte die Übertragung von Mensch zu Mensch auftreten, werden wir mit einer sogenannten Ringimpfung beginnen. Das bedeutet eine breitflächige Impfung im Umkreis betroffener Orte. Sobald sich das Virus weltweit verbreitet, würde man auch gezielt mit Impfungen arbeiten. Auch antivirale Medikamente sprechen bei der Vogelgrippe an.

Vogelgrippe grassiert in den USA: Streeck sieht mögliche Eindämmungsmaßnahmen kritisch

Der amerikanische Epidemiologe Michael Mina beklagt, die USA hätten die Übertragung schon vor Monaten eindämmen können. Er sagt: „Wir spielen mit dem Feuer.“ Wurde ein wichtiger Moment in der Pandemie-Vorsorge verpasst?

Nein. Was gerade passiert, ist richtig. Wir schauen ganz genau auf die Vogelgrippe. Ja, man hätte versuchen können, das Virus früher einzudämmen. Aber hier muss man auch den Kosten-Nutzen-Faktor betrachten. Es ist die Frage, ob man dadurch etwas erreicht hätte.

Wie meinen Sie das?

H5N1 ist weltweit in Vögeln und es ist schwer möglich, Vögel von Rindern fernzuhalten. Hier zu versuchen, Infektionen und Verbreitung unter Kühen zu vermeiden, ist richtig, aber man hätte jetzt unmöglich deswegen Rinder keulen sollen. Auch Massenscreenings hätten hier nicht zum Erfolg geführt. Beobachten: Ja, Gegensteuern: Ja – aber es ist nicht alles falsch gelaufen.

Der Stanford-Epidemiologe Abraar Karan meint, „die Uhr tickt“. Er spricht vom Risiko einer Durchmischung, wenn die nächste menschliche Grippe-Saison beginnt.

Das kann ich nicht nachvollziehen. Die saisonalen Grippeviren, mit denen wir im Herbst und Winter rechnen, sind ganz andere Subtypen. Höchstens wenn sich eine Person gleichzeitig etwa mit H1N1 und H5N1 infiziert, könnte dies zu einer Durchmischung führen. Das ist jedoch recht unwahrscheinlich.

Wir können also unbesorgt in den Herbst gehen und Milch trinken?

Das Allerwichtigste ist, dass die Entwicklung in den USA ganz genau beobachtet wird. Aus deutscher Sicht können wir sagen: Das H5N1 Virus kommt bei uns bisher nicht in Rindern vor. Und Milch wird in Deutschland pasteurisiert, was das Virus abtötet.

Aktuell greift über die Sozialen Medien allerdings auch ein Trend zur Rohmilch um sich.

Rohmilch zu trinken, ist überhaupt keine gute Idee. Eine sehr blöde Idee sogar. Neben Viren sind in der Rohmilch Bakterien enthalten, die krank machen können und für ungeborene Babies sogar tödlich sein können.

Das Gespräch führte Moritz Bletzinger.

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