60 Jahre Stiftung Warentest – Die rettende Hand
Die Stiftung Warentest begleitete den Gang der Bundesrepublik in die Konsumgesellschaft. Vor sechzig Jahren wurde sie gegründet.
Am 16. September 1964 beschloss die Bundesregierung die Einrichtung der Stiftung Warentest. Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte sie schon im Oktober 1962 angekündigt. Gegründet wurde sie am 4. Dezember 1964 von der Bundesrepublik Deutschland als selbstständige rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts. Es hatte bis Mitte der fünfziger Jahre gedauert, bis die Politik begriff, dass der Wettbewerb der Produzenten den Verbraucher nicht davor schützt, über den Tisch gezogen zu werden.
Wettbewerbspolitik ist, so hatte man zu begreifen begonnen, nicht die beste Verbraucherpolitik. Die Vorstellung allerdings, dass der Staat, die Regierung gar, sich ins Marktgeschehen einmischen sollte, widersprach dem Verständnis von freier Marktwirtschaft, wie es damals viele pflegten. Im Dezember 1964 aber erklärte der damalige Bundeswirtschaftsminister Kurt Schmücker im Bundestag: „Bei der Fülle und Vielfalt des Angebots an Waren und Dienstleistungen und dem verwirrenden Ausmaß der Werbung ist der Verbraucher allerdings überfordert, wenn man von ihm verlangt, seine Rolle im Wettbewerb perfekt zu spielen.“ Schon im März 1963 hatte Ludwig Erhard vor dem Verbraucherausschuss des Wirtschaftsministeriums erklärt: „Bei immer neuen Gütern und immer neuen Werkstoffen, bei der Unübersichtlichkeit des technischen Fortschritts ist es klar, dass der Verbraucher sich in die Irre bewegen muß, wenn er nicht sozusagen die leitende oder vielleicht sogar die rettende Hand neben sich weiß, die ihn durch manches Gestrüpp, was gar nicht negativ bewertet sein soll, hindurch hilft. Es sind eben die Erscheinungsformen der modernen Wirtschaft, mit denen wir zu rechnen haben.“ Die Marktwirtschaft als ein Dschungel, in dem man ohne Machete verloren ist. Auch so sah Ludwig Erhard die Welt.
Allerdings erst zu diesem Zeitpunkt. Als die 1953 gegründete Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände nach dem Vorbild der amerikanischen Consumer Unions und Consumer’s Research vergleichende Warentests forderte, hatte er sich noch ganz auf die Seite der Industriellen gestellt, die „die Untersuchungen von Konsumgütern mit dem Hinweis auf ihren systemdestruierenden Charakter“ ablehnten (Kevin Rick: „Verbraucherpolitik in der Bundesrepublik Deutschland – Eine Geschichte des westdeutschen Konsumtionsregimes, 1945-1975“). In einem Gespräch erklärte er einem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft, er selbst sei „ex officio der beste Vertreter der Verbraucherinteressen“ und kritisierte, dass „die Arbeitsgemeinschaft sich berechtigt fühlte, sich in aller Öffentlichkeit zum Zensor der Wirtschaft und insbesondere der Wirtschaftspolitik zu machen“.
Die Gründung der Stiftung Warentest ging also nicht aus von den bereits vorhandenen zivilgesellschaftlichen Institutionen – auch Gewerkschaften und Frauenverbände hatten bereits Verbraucherzentralen gegründet, sondern sie geschah an ihnen vorbei. Womöglich in der Hoffnung, die Stiftung werde einen industriefreundlicheren Kurs fahren. Die Zeitschrift „DM“ erschien schon seit 1961. Sie veröffentlichte in jeder Ausgabe Warentests. Auch sie wurde als Gegner betrachtet und man setzte ihr die Stiftung Warentest vor die Nase.
Man darf das als eine Verschwörungstheorie zur Gründung der Stiftung Warentest ansehen. Man kann darin aber auch erkennen, dass selbst siegreiche Verschwörungen ganz andere Ergebnisse hervorbringen können, als die Verschwörer sie sich dachten.
Ich bin 78 Jahre alt. Als kleines Kind sah ich meine Mutter in der Küche stehen und in einem Riesenbottich mit einem großen Holzstock die Wäsche im heißen Wasser bewegen. Später hatten wir eine Wohnung in einem Haus, in dessen Keller eine Waschküche war und in dem man auch die Wäsche zum Trocknen aufhängen konnte. Ich weiß nicht mehr, ab wann wir eine eigene Waschmaschine mit Wäscheschleuder besaßen. Es wird wohl Ende der 50er Jahre gewesen sein. Anfang der sechziger Jahre hatten wir dann: Kühlschrank, Waschmaschine und Fernsehapparat. Die elektrische Grundausstattung eines bundesrepublikanischen Haushaltes. Wir waren in der Konsumgesellschaft gelandet. Ein Auto hatten wir schon, als meine Mutter noch die Wäsche im Bottich rührte. Die großen Anschaffungen jener Jahre veränderten radikal die Frauenarbeit. Die Frauen aber bedürfen noch lange der Genehmigung ihres Ehemannes, wenn sie sich zum Beispiel eine Waschmaschine kaufen wollten. Und sei es vom eigenen Geld.
Die Stiftung Warentest begleitete den Gang der Bundesrepublik in die Konsumgesellschaft. Wirtschaftlich war es so vielen in Deutschland noch nie so gut gegangen. Die markanten Unterschiede einer Klassengesellschaft schienen zu verschwinden. Arbeiter und Bürger schienen sich beide in Verbraucher zu verwandeln.
Die Soziologie antwortete darauf mit der Behauptung, es habe sich eine „Mittelstandsgesellschaft“ herausgebildet. Ihr half die Stiftung Warentest. Die erste Ausgabe der Zeitschrift „Test“ der Stiftung erschien im März 1966. Die Leserinnen und Leser – dieses erste Heft verkaufte sich mehr als 200 000-mal – erfuhren die Testergebnisse von 24 Zickzack-Nähmaschinen und 10 Stabmixern. In den ersten zehn Jahren lag der Schwerpunkt auf „weißer Ware“ wie Waschmaschinen und anderen großen und kleinen Haushaltsgeräten. Es war die große Zeit der Aufrüstung der bundesrepublikanischen Haushalte mit der Grundausstattung der neuen Zeit.
Dazu kamen Statussymbole: im Wohnzimmer zum Beispiel ein Einbauschrank mit kleiner beleuchteter Bar, handgeknüpfte Teppiche. Zur Konsumgesellschaft gehörte auch, dass jeder Gegenstand ein Verfallsdatum hatte. Ein reales und ein gesellschaftliches. Den Möbeln war ihr Geburtsdatum anzusehen.
Wer Mitte der siebziger Jahre noch einen Nierentisch im Zimmer stehen hatte, dem fehlte offensichtlich das Geld für etwas Neues. Damit hatte die Stiftung Warentest nichts im Sinn. Sie unterzog die von ihr untersuchten Artikel einer materiellen Prüfung. Wie gut, wie effizient taten sie das, wofür sie gekauft wurden? Wie war das Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Stiftung Warentest arbeitete für die Verbraucher und Verbraucherinnen. Sie erschuf sie aber auch. Meine Mutter fragte sich zum Beispiel, ob ihr der Qualitätsvorsprung der einen Waschmaschine auch die Preisdifferenz zur nicht ganz so guten wert war. So genau hinzuschauen, das begannen damals Millionen Menschen zu lernen.
Der Bundesbürger (und die Bundesbürgerin) war ein Produkt dieser Entwicklungen. Er war auch Verbraucher und Konsument. Er wollte und musste auch als solcher angesprochen werden. Daran führte auch für die Politik kein Weg mehr vorbei. Die Erleichterung der Hausarbeit veränderte radikal das Verhältnis der Geschlechter. Die Konsumgesellschaft hatte ein weibliches Gesicht.