Rücktritte bei den Grünen : Ist das der Befreiungsschlag?
In der tiefsten Krise seit einer Dekade sieht Omid Nouripour seine Partei und begründet damit seinen und den Rücktritt Ricarda Langs. Er hat recht. Vor zehn Jahren waren die Grünen in einen linksorientierten Wahlkampf gezogen, hatten einen Pädophilieskandal am Hals und mit Jürgen Trittin einen Spitzenkandidaten, der für weite Teile des bürgerlichen Lagers unwählbar war. Wer damals noch sein Kreuz bei den Grünen machte – es waren gut acht Prozent –, darf wohl als Stammwähler gelten. Von diesen acht Prozent sind die Grünen nicht mehr weit entfernt. Damals machten sie Tabula rasa. Trittin trat ab, Claudia Roth trat ab, Renate Künast ebenfalls.
Und jetzt? Tritt die gesamte Parteispitze zurück.
Jungwähler verloren
Es ist ein bemerkenswerter Schritt, der zunächst den Druck von der Partei nimmt, der seit der Europawahl immer weiter gestiegen war. Dennoch stellt sich die Frage: Kann dieser Schritt das Ruder herumreißen? Die Probleme der Grünen sind massiv: Sie sind Teil der dauerstreitenden Ampel, ihr Kernthema, die Klimapolitik, ist nicht mehr en vogue und – was möglicherweise am schwersten wiegt – sie haben die Jungwähler verloren. Die gehörten über Jahre zu ihrer Kernklientel.
In dieser Situation treten mit Nouripour und Lang, anders als vor zehn Jahren, mitnichten die Politiker zurück, die allein Verantwortung für den grünen Abschwung tragen und als Gesichter der Partei gelten. Das sind nach wie vor Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Letzterer gilt als wahrscheinlicher Spitzenkandidat für die Bundestagswahl im kommenden Jahr.
Für ihn bieten die Rücktritte die Chance, die Parteispitze ganz auf sich auszurichten. Wer auch immer Nouripour und Lang nachfolgt, dürfte das nicht ohne Habecks Zustimmung tun. Habeck würde damit endgültig zum wichtigsten Mann der Partei – und zu dem, der ihre Probleme lösen muss.
Es wird sich zeigen, ob die Partei – insbesondere der linke Flügel – das mitmacht. Der geschlossene Parteiaustritt der Grünen Jugend jedenfalls dürfte ein Hinweis darauf sein, dass der Parteitag im November alles andere als kuschelig wird. Auch dank der Arbeit von Nouripour und Lang war es lange relativ still um die Flügel. Selbst den europäischen Asylkompromiss trug die Partei im vergangenen Jahr trotz Unmuts mit. Nun könnte es auf einen Richtungsstreit hinauslaufen.
Diesem werden sich die neue Parteispitze und das verbliebene Spitzenpersonal stellen müssen. Allen voran Habeck, will er mit einer geschlossenen Partei in den Wahlkampf ziehen.