Absenkung des Schutzstatus : Die Jagd auf Wölfe rückt näher
Es klingt wie eine Erfolgsgeschichte: Eine Tierart, die laut Berner Konvention bislang „streng geschützt“ war, gilt künftig nur noch als „geschützt“. Offenbar hat sich der Bestand so gut erholt, dass die höchste Schutzkategorie, laut der Exemplare einer Art nicht gestört, gefangen oder getötet werden dürfen, nicht mehr nötig ist.
Wäre dies die Faktenlage, die Entscheidung des Ständigen Ausschusses der Berner Konvention am Dienstag, den Wolf von Anhang 2 („streng geschützt“) des völkerrechtlichen Vertrags zum Erhalt der Natur in Anhang 3 („geschützt“) zu verschieben, wäre nicht vom Protest von Wissenschaftlern begleitet worden – genau jenen Wissenschaftlern, die auf EU-Ebene sonst hinzugezogen werden, wenn es um die Koexistenz mit Beutegreifern wie Wolf, Bär und Luchs geht.
Die beste verfügbare Wissenschaft?
Die Large Carnivore Initiative for Europe (LCIE), der führende Wolfsforscher wie Luigi Boitani angehören, Herausgeber des Standardwerks zur Biologie des Wolfs, warnte das Leitungsgremium der Berner Konvention vor der Entscheidung in einer Stellungnahme davor, die eigenen Standards zu verletzen, nach denen Umlistungen von Arten auf Grundlage „der besten verfügbaren Wissenschaft“ vorgenommen werden sollen.
Die Initiative verweist darauf, dass eine von ihr vorgenommene Analyse zu Populationsgrößen des Wolfs in Europa vor zwei Jahren noch Anlass war, den Vorschlag der Schweiz für eine Abschwächung des Schutzstatus abzulehnen. Nun war dieselbe Analyse Teil des Papiers, mit dem die EU die Herabstufung dieses Status bei der Berner Konvention beantragte. In der Zwischenzeit habe sich die Lage aber nicht wesentlich verändert, schreibt die LCIE.
Ein Erfolg des Artenschutzes
Fraglos ist die zunehmende Ausbreitung des Wolfs auf einem Kontinent, auf dem er so gut wie ausgerottet war, ein Erfolg des Artenschutzes, wie er nur selten vorkommt. Und vielleicht hätten die alle sechs Jahre und 2025 wieder anstehenden Berichte der EU-Länder über ihre Wolfsvorkommen sogar ergeben, dass sein Erhaltungszustand nun zumindest partiell „günstig“ ist. Dann hätte diskutiert werden können, was das für das Miteinander mit dem Prädator bedeutet.
So müssen sich die EU und der Ständige Ausschuss der Berner Konvention den Vorwurf gefallen lassen, dass der Prozess, in dem der Weg hin zu einer Bejagung des immer wieder für Gefühlsaufwallungen sorgenden Tiers geebnet wurde, politisch motiviert war. Im Dezember 2023 verschärfte die EU-Kommission ihren Kurs im Umgang mit dem Wolf und legte den Vorschlag für eine Abschwächung seines Schutzes im Rahmen der Berner Konvention vor. Im September stimmten die EU-Staaten dafür. Die Sache wanderte auf die Agenda des Ständigen Ausschusses der Berner Konvention, der sich immer im Dezember trifft. Die nötige Zweidrittelmehrheit unter den Vertragspartnern der Konvention – 46 europäische und vier afrikanische Länder – kam am Dienstag zustande.
Die Aufnahme ins Bundesjagdrecht könnte folgen
Die Änderung tritt in drei Monaten in Kraft, sofern zuvor nicht mindestens ein Drittel der Konventionsmitglieder Widerspruch einlegt. Dann kann eingeleitet werden, was ohne das Votum der Berner Konvention einen Bruch des Völkerrechts bedeutet hätte: die Verschiebung des Wolfs von Anhang 4 in Anhang 5 der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die EU-weit einen Rahmen setzt für Arten- und Naturschutz. Die gut 100 Arten in Anhang 5 müssen nur „vor unkontrollierter Entnahme geschützt“ werden. Naturschutzorganisationen befürchten, dass dies einen anderen Umgang mit weiteren Arten einleiten könnte, deren Verhalten mit wirtschaftlichen Interessen kollidiert: Kormorane zum Beispiel, die Fischer als Konkurrenz empfinden; Biber, die mit ihrem mitunter Felder flutenden Dammbau Landwirte verärgern.
Steht der Wolf erst einmal in Anhang 5, steigt der Spielraum der EU-Länder im Umgang mit ihm. In Deutschland, wo es nun gut 200 Rudel gibt und sich das Wachstum der Population verlangsamt, ist eine Aufnahme ins Bundesjagdrecht denkbar, jährliche Abschussquoten könnten festgelegt werden. Wölfe könnten dann nicht mehr nur, wie es jetzt der Fall ist, im Zusammenhang mit konkreten Rissen geschossen werden.
Man sei sich keiner wissenschaftlichen Evidenz bewusst, die die Annahme unterstütze, dass eine Umlistung die im EU-Antrag erwähnten sozioökonomischen Konflikte befriede, steht in der Stellungnahme der LCIE. Heißt: Nicht eine Abschussquote schützt am Ende Nutztiere. Sondern Zäune, Schäfer und Herdenschutzhunde.