Barbara Yelin, Miriam Libicki und Gilad Seliktar: "Aber ich lebe. Vier Kinder überleben den Holocaust"
Herausgegeben von Charlotte Schallié, aus dem Englischen von Rita Seuß
C. H. Beck, 2022
176 Seiten, 25 Euro
Comic-Anthologie "Aber ich lebe"
Das Unfassbare erzählen und sichtbar machen: Die Graphic Novels in dem Band "Aber ich lebe. Vier Kinder überleben den Holocaust" zeichnen die Geschichten von Zeitzeugen nach. © Deutschlandradio / C.H.Beck Verlag
Wie Kinder den Holocaust überlebten
12:04 Minuten
Sie sind beeindruckend und inzwischen hochbetagt: Zeitzeugen, die als Kinder den Holocaust überlebten. Jetzt widmet sich ein Comic ihren Erlebnissen. Während der Recherchen seien ihr oft die Tränen gekommen, sagt die Autorin Barbara Yelin.
Noch heute meidet Emmie Arbel große Menschenansammlungen. Und wenn sie in ein Café geht, sucht sie sich immer einen Tisch, an dem sie mit dem Rücken zur Wand sitzen kann und alles im Blick hat.
Arbel, Jahrgang 1937, geboren in den Niederlanden als Kind einer jüdischen Familie, gehört zu den letzten Überlebenden des Holocaust. Als kleines Kind haben sie und ihre Brüder die Lager Westerbork, Ravensbrück und Bergen-Belsen überlebt. Ihre Eltern nicht, sie wurden ermordet. Ein Trauma, das sie bis heute begleitet.
"Wenn ich zu ihr gehe, dann erschießen sie mich"
Als Zeitzeugin reist sie regelmäßig zur Gedenkstätte Ravensbrück in Brandenburg und erzählt dort Kindern und Jugendlichen ihre Geschichte. Etwa wie ihre Mutter nach stundenlangem Stehen auf dem Hof des Lagers vor Erschöpfung zusammenbrach, Emmie sich aber nicht traute, zu ihr zu rennen, weil sie wusste: „Wenn ich zu ihr gehe, dann erschießen sie mich.“
Sie erinnert sich an solche Szenen, als wäre es gestern gewesen und nicht vor knapp 80 Jahren. Als Erinnerungsstück an ihre Mutter ist ihr nur ein Löffel geblieben – den habe ihre Mutter berührt, und wenn sie selbst ihn heute berühre, schaffe das eine Verbindung zu ihrer Mutter.
Graphic Novel und Forschungsprojekt
Diese Geschichten und Gedanken hat sie auch der Comicautorin Barbara Yelin erzählt. Yelin traf die alte Dame in deren Heimat Israel. Die Erzählungen, sagt sie, seien ihr so nah gegangen, dass ihr manches Mal die Tränen gekommen seien.
Die Autorin hat aus Arbels Kindheits- und Lebensgeschichte eine Graphic Novel gemacht. Erschienen ist sie eben in dem Buch "Aber ich lebe" - neben drei weiteren solcher Geschichten von Überlebenden und begleitet von viel Hintergrundmaterial zum Holocaust.
Hervorgegangen ist das Projekt aus einem internationalen Forschungsprojekt, bei dem Historiker und Historikerinnen, sowie weitere Forschende mit den drei Comickünstlerinnen und –künstlern Yelin (München), Miriam Libicki (Kanada) und Gilad Seliktar (Israel) zusammengearbeitet haben.
Sie habe Emmie Arbel von Anfang an als Frau „mit trockenem Humor“ wahrgenommen, sagt Yelin. Zunächst habe die alte Dame sich etwas gegen den Gedanken gesträubt, dass aus ihre Geschichte ein Comic werden sollte. Sie habe dann doch eingewilligt.
„Das fand ich großartig. Und Schritt für Schritt haben wir uns über die Bilder angenähert. Die Bilder waren auch eine Form des Dialogs für uns: Sie hat mir alles erzählt, und ich habe gezeichnet.“
Eine beeindruckende und starke Frau
Yelin zeichnet in ihrer Graphic Novel aber nicht nur die Kindheitserinnerungen von Arbel nach, sondern den gesamten Entstehungsprozess des Comics auf verschiedenen Zeitebenen, inklusive der Recherchebesuche in Israel.
„Ich wollte unbedingt nicht nur ihre Vergangenheit und ihre traumatischen Erinnerungen zeigen, sondern gleichzeitig auch diese alte Dame, die sehr stark, sehr präsent und sehr eindrucksvoll ist“, sagt die Comicautorin.
Das gesamte Projekt empfindet Yelin als beglückend und berührend, vor allem die Zusammenarbeit mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und mit den internationalen Kollegen.
Wie kann ein Kind so etwas überleben?
Für das Projekt hätten sie sich alle zwei Wochen virtuell getroffen und sich über den Stand ihrer Arbeit ausgetauscht. „Wir haben uns gegenseitig unsere Skizzen gezeigt und uns im Prozess begleitet. Und uns auch ausgetauscht über die Gespräche mit den Überlebenden.“
Yelin wie auch Libicki und Seliktar sind Eltern kleiner Kinder. Die Frage, wie ein Kind unter solch schrecklichen Umständen überhaupt habe überleben können, habe sie sehr beschäftigt, sagt Yelin. Das Zeichnen habe sehr geholfen – „als Instrument des Sichannäherns und Forschens“.
(mkn)