Autor Wolfgang Meyer-Hentrich ging 2001 zum ersten Mal auf der Queen Elisabeth 2 für 110 Tage an Bord. Eine Weltreise, die ihn mit dem Kreuzfahrtvirus infiziert hat. Die aber mit dem, was heute angeboten wird, nur noch wenig zu tun hat.
"Ich habe angefangen 2001 und das war die Zeit, in der die Entwicklung, die in Amerika 30 Jahre vorher eingesetzt hatte, in Europa auch allmählich einsetzte."
Vor gut 20 Jahren begannen dann die beiden Platzhirsche aus den USA den Weltmarkt zu erobern: Carnival Cruises und Royal Caribbean Cruises. Das Motto: Spaßfahrten mit mehreren Tausenden Passagieren. Das Privileg für Wohlbetuchte wurde auf den Massenmarkt katapultiert. Wolfgang Meyer-Hentrich beschreibt kenntnisreich, wozu das führte: ab den 1960er Jahren entstanden erst in den USA, später dann auch in Europa gigantische Unternehmen, die heute 85 Prozent des Weltmarktes kontrollieren. Auch AIDA, Costa, TUI- und Princess Cruises gehören zu dem einen oder anderen Giganten, allein MSC aus Italien ist ein unabhängiger Mitspieler, hält aber nur rund 7 Prozent am Weltmarkt. Allen gemeinsam: immer größere Schiffe, immer mehr Masse und Spektakel, immer größere Gewinne.
"Das amerikanische Internetportal cruisemarketwatch.com bietet einen detaillierten Überblick über die Erträge der Kreuzfahrtfirmen und deren Schiffe. Demnach betrug der gesamte Reingewinn, den Carnival 2017 erzielte, 2,606 Milliarden US-Dollar."
Ein Pluspunkt des Buches: der Autor führt konkrete Zahlen an, erklärt, woher er seine Informationen hat und stellt sie in einen verständlichen Zusammenhang. Bleiben wir beim Thema Gewinnspanne und schauen auf ein Schiff wie die AIDAnova: 6.600 Passagiere, 337 Meter lang, 18 Decks hoch, 16 Restaurants, Bäderlandschaft und Doppelrutsche. Baukosten rund 800 Millionen Euro.
"Ein Schiff dieser Dimension ist vollständig bezahlt in etwa vier Jahren. Da kann sich jeder ausrechnen, wie hoch der Profit bei einem solchen Schiff ist. Ein großes AIDA Schiff macht im Jahr gut 400 Millionen Umsatz."
Steuervermeidung und Ausbeutung unter Deck
Wie kann das sein? Ein Grund: Die Schiffe fahren unter Billigflaggen wie Bermuda, Liberia, Zypern, Italien oder Malta. Und so zahlen Kreuzfahrtunternehmen wie TUI trotz 650 Millionen Euro Umsatz im Jahr nur 50.000 Euro Steuern an Malta. Insgesamt kommt das deutsche Unternehmen auf eine Steuerquote von 1,1 Prozent in Deutschland. Ein weiterer Grund: die Bezahlung des Bordpersonals. Wolfgang Meyer-Hentrich nennt es "Ausbeutung".
"Die Durchschnittsgehälter befinden sich auf einen Niveau von etwa 550 bis 800 - 900 Dollar pro Monat bei freier Kost und Logis. Und das sind zum allergrößten Teil immer noch Menschen, die auf den Philippinen ausgebildet worden sind und zwar sehr gut ausgebildet worden sind und hervorragende Seeleute sind."
Im Buch ist es der Chefsteward Raymond, der seit mehr als 20 Jahren an Deck arbeitet. Angefangen hat der junge Mann von den Philippinen unterhalb der Wasserlinie in einer Vier-Mann-Kabine. Neun Monate am Stück arbeitet er, oft 16 Stunden täglich, zwei Monate hat er dann Pause in seiner Heimat. Feste Arbeitszeiten, Mindestlohn, gewerkschaftliche Versorgung – Fehlanzeige. Er hofft auf Trinkgelder. Doch obwohl diese als versteckte Gebühren dem Kunden draufgeschlagen werden, wird schnell klar:
"Oft begleicht der Arbeitgeber aus diesen Geldern allenfalls Kosten, die normalerweise sowieso zu seinen Obliegenheiten gehören würden, wie zum Beispiel die Reinigung der Dienstkleidung. Zudem werden kollektive Landausflüge oder Bordpartys der Belegschaft bezahlt."
Dreckschleudern und der Massentrieb
In dem gut gegliederten Buch erklärt Wolfgang Meyer-Hentrich weiterhin, wie die Schadstoffemissionen der Kreuzfahrtschiffe einzuordnen sind, dass die meisten der weltweit rund 500 großen Pötte massiv Luft und Wasser verschmutzen. So bunkert ein Megaliner rund 4.500 Tonnen Schweröl, lässt permanent die Motoren laufen, da permanent Strom generiert werden muss. Die Emissionen eines großen Partyschiffs übersteigen dabei die eines vergleichbaren Containerschiffes. Dabei wäre es einfach, Strom in den Häfen zu tanken, aber auch teurer.
"Das liegt in einer Dimension von etwa 8 Cent gegenüber 28 Cent pro Kilowattstunde. Sodass die meisten Kreuzfahrtschiffe, aber auch Containerschiffe davon Abstand nehmen, sich ans öffentliche Netz anschließen zu lassen, und lieber ihren Strom selber produzieren. Wir haben in Hamburg beispielsweise eine Anlage, Stromanlage für Kreuzfahrtschiffe, die wird so gut wie nicht benutzt, die ist bis jetzt eine völlige Fehlinvestition."
Am eindrucksvollsten wird die Lektüre, wenn es um die direkten Auswirkungen an Land geht. Auf Elephant Island beispielsweise, eine Naturinsel vor der Antarktis, schleppen die Touristen Krankheiten ein, auf Grönland überrennen Tausende Menschen auf einen Schlag Siedlungen mit wenigen Hundert Einwohnern. In Dubrovnik, Barcelona und Venedig sind es pro Jahr gleich mehrere Millionen Kreuzfahrer, die die Gassen fluten – ein Schauspiel, das immer größer wird, der Widerstand dagegen ebenso, wie Meyer-Hentrich ausführt. Auch wenn in Venedig angeblich rund 5.000 Arbeitsplätze an den Giganten hängen.
Das Buch verschafft einen guten Überblick, geht hier und da in die Tiefe und bietet damit einen Mehrwert zur Medien-Berichterstattung zum Thema. Wolfgang Meyer-Hentrich mahnt Reisende, beim Buchen genau hinzuschauen:
"Ich möchte vor jeder Reise warnen, wo das Wort "Traum" davor steht. Es geht um Sehnsüchte, die ein Individuum vielleicht hat und die es völlig zu Recht in Verbindung bringt mit Natur, mit fremden Kulturen, fremden Orten und fremden Menschen. Das ist völlig in Ordnung und sehr legitim, aber das ist nicht das, was die moderne Kreuzfahrt heute bietet, sondern die moderne Kreuzfahrt bietet heute Rummelplätze."
Wolfgang Meyer-Hentrich: "Wahnsinn Kreuzfahrt. Gefahr für Natur und Mensch",
Ch. Links Verlag, 245 Seiten, 20 Euro.
Ch. Links Verlag, 245 Seiten, 20 Euro.