Sprachpolitik in Kamerun
Von der kolonialen Teilung zum blutigen Konflikt
Im April bot sich in Bamenda, der drittgrößten Stadt des Landes im Westen Kameruns, ein schreckliches Bild: Mitten auf einer belebten Straßenkreuzung war der blutige Kopf eines Mannes abgelegt worden.
Vermutlich wurde der später als Kräuterexperte identifizierte Mann von sezessionistischen Rebell*innen, die ein unabhängiges anglophones Kamerun anstreben, entführt und enthauptet. Seine Leiche war unauffindbar.
Dieser brutale Mord ist nur die jüngste von etlichen Gräueltaten in den englischsprachigen Teilen Kameruns. Die Opfer sind Menschen, die vermeintlich die Sache der Separatist*innen ablehnen oder angeblich für die Regierung spionieren. Einer der Morde hielt 2019 das ganze Land in Atem, weil er als Video in den sozialen Medien kursierte. Darauf zu sehen ist, wie die Gefängniswärterin Ayafor Florence auf einen Platz in Pinyin geschleppt und von einer Gruppe von Männern enthauptet wird. Das Leben der anglophonen Bevölkerung Kameruns – etwa 20 Prozent der 28 Millionen Einwohner*innen des Landes – wird seit 2016 durch derartige Taten erschüttert.
Die Krise hat ihren Ursprung in kolonialen Machtverhältnissen, die bis in die 1880er-Jahre zurückreichen. Ehe die europäischen Kolonialmächte Afrika unterwarfen, bestand das heutige Kamerun aus vielen unabhängigen Königreichen mit eigenen Territorien, Regierungen, Kulturen und Traditionen. Diese Gebiete annektierte Deutschland 1884 und vereinte sie zu einer Kolonie, die es Kamerun nannte. Als Deutschland den Ersten Weltkrieg gegen die Alliierten verlor, wurde das Gebiet beschlagnahmt und zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt. Frankreich erhielt den Löwenanteil. Die beiden Länder verwalteten die geteilte Kolonie als Treuhandgebiete und führten jeweils ihre Sprache und ihr Regierungs-, Bildungs- und Justizsystem ein.
Am 1. Januar 1960 wurde Französisch-Kamerun unabhängig. Das britische Südkamerun schloss sich am 1. Oktober 1961 mit Französisch-Kamerun zur heutigen Republik Kamerun zusammen.
Dies war jedoch keineswegs ein reibungsloser Prozess. Die Probleme begannen 1961 während eines von den UN unterstützten Referendums, das der Unabhängigkeit vorausging. Damals sprachen sich Politiker*innen aus dem britischen Südkamerun für die Unabhängigkeit durch Gründung eines neuen Staates aus. Vorschläge, die Unabhängigkeit durch einen Anschluss an Nigeria oder eine Eingliederung in Kamerun gemeinsam mit Französisch-Kamerun zu erreichen, lehnten sie ab. Über die Option eines unabhängigen anglophonen Kameruns wurde bei dem Referendum jedoch gar nicht erst abgestimmt.
1972 beendete der erste Präsident Kameruns, Ahmadou Ahidjo, das föderale System, das der anglophonen Minderheit Autonomie garantiert hatte. Sein Nachfolger Paul Biya, inzwischen seit fast 42 Jahren an der Macht, hat die Verwaltung noch weiter zentralisiert.
Englisch zu sprechen reicht nicht
Heute gelten Menschen in Kamerun als anglophon, wenn sie aus den englischsprachigen Regionen im Nordwesten und Südwesten stammen, die früher als Südkamerun unter britischer Kolonialherrschaft standen. Die Anglophonen haben nach wie vor ihr eigenes Rechts- und Bildungssystem nach britischem Vorbild, das sich vom frankophonen Zivilrecht und Bildungssystem unterscheidet.
Inzwischen beanspruchen einige Frankophone für sich, anglophon zu sein, nur weil sie Englisch verstehen, sprechen und schreiben können. Das führt zu Spannungen, vor allem, wenn politische Ämter, die eigentlich Anglophonen mehr Mitspracherecht geben sollen, mit diesen Menschen besetzt werden.
Der Verlust der regionalen Autonomie, die wirtschaftliche Benachteiligung, die sich im Verfall der Infrastruktur niederschlägt, jahrzehntelange Unterinvestitionen, die Auferlegung von Französisch an englischsprachigen Schulen und die Marginalisierung durch Ernennung französischsprachiger Beamter im öffentlichen Sektor sind Faktoren, die die Anglophonen über die Jahrzehnte zunehmend frustriert haben.
Streiks für Respekt
2016 streikte eine Gruppe anglophoner Anwält*innen und Lehrer*innen in den Regionen Nordwest und Südwest für eine fairere Behandlung und Achtung der anglophonen Identität.
Die frankophon dominierte Regierung reagierte darauf mit brutaler Gewalt. Sie setzte die von den USA ausgebildete Elitetruppe ihrer Armee – das Rapid Intervention Battalion (BIR) – ein, die sonst gegen Boko Haram kämpft.
Diese unverhältnismäßige Gewaltreaktion der Regierung radikalisierte die Menschen. Viele schlossen sich Gruppen an, die mit Waffengewalt für die Gründung eines unabhängigen englischsprachigen Staates namens „Ambazonia“ kämpfen.
Die Krise hat sich zu einem Bürgerkrieg zwischen bewaffneten Separatist*innen- und Regierungstruppen ausgeweitet und eskaliert seither immer weiter. Da die Rebell*innen einen Guerillakrieg führen, sind viele Zivilist*innen ins Kreuzfeuer geraten.
Es gab Angriffe auf Schulen, grausame Tötungen, willkürliche Verhaftungen, Entführungen, Brandanschläge, Vergewaltigungen, Folter, Verstümmelungen, Enthauptungen und mehr. Menschenrechtsgruppen zufolge begehen Rebell*innen und Regierungstruppen diese schweren Menschenrechtsverletzungen ungestraft.
In der Hauptstadt Yaoundé, 300 Kilometer von den westlichen Regionen entfernt, sind auch Menschen, die sich als Anglophone identifizieren, Opfer von Misshandlungen geworden. Von Anglophonen bewohnte Stadtteile werden öfter durchkämmt und abgesperrt.
Bisher sind mehr als 6000 Menschen in diesem Zusammenhang ums Leben gekommen. Das kulturelle und wirtschaftliche Gefüge der Unruheregionen ist zerstört, viele Menschen sind verarmt, mehr als 700 000 Kinder konnten nicht zur Schule gehen. 628 000 Menschen wurden bisher innerhalb des Landes vertrieben, im benachbarten Nigeria sind mehr als 65 000 Geflüchtete registriert.
Gespaltene ethnische Gruppen
Die anglophone Krise in Kamerun ist komplex. Sie wird oft unter dem Aspekt der französisch-englischen Sprachkluft betrachtet, aber es geht um weit mehr. Die koloniale Trennung hat Gruppen mit gemeinsamer Ethnizität, Abstammung und kulturellem Erbe gespalten. Im Bezirk Kupe Muanenguba sprechen die Mbo Englisch – auf der anderen Seite des Mungo-Flusses aber Französisch. Allerdings heiraten auch immer mehr Paare aus verschiedenen ethnischen – anglophonen wie frankophonen – Gruppen.
Es ist daher fraglich, ob wirklich nur die Hinterlassenschaften des anglo-französischen kolonialen Erbes sich als tiefgreifende Indikatoren für die Identität im heutigen Kamerun erweisen, wo es doch vor der Teilung des Landes eine Vielzahl von Identitäten gab.
Der Politikwissenschaftler Bamnjo Herman Yenika von der Universität Bamenda betont, dass die anglophone Bevölkerung eine ausgeprägte kulturelle und sprachliche Identität hat und dass das Gefühl der Marginalisierung und Ausgrenzung den Konflikt in der anglophonen Gemeinschaft anheizt. Er glaubt jedoch, dass das Problem über Sprache und Identität hinausgeht. „Die anglophone Krise ist im Grunde ein politischer Kampf mit zahlreichen Ressentiments, die zu der aktuellen Situation geführt haben“, sagt Yenika.
Im Jahr 2019, nach dem „Großen Nationalen Dialog“ zur Beendigung des langjährigen Konflikts, erkannte die Regierung an, dass die anglophonen Regionen eine eigene Identität haben, obwohl dies bereits in der Landesverfassung von 1996 festgehalten ist. Den Regionen Nordwest und Südwest wurde ein Sonderstatus zuerkannt, doch viele kritisieren den rechtlichen Rahmen. Zum einen kamen die wichtigsten anglophonen Interessengruppen nicht angemessen zu Wort. Zum anderen wurden Regionalversammlungen mit begrenzten legislativen Befugnissen eingerichtet, deren Mitglieder in indirekten Wahlen gewählt werden und ihre Wahlkreise nicht wirklich vertreten.
Dennoch glaubt der in Bamenda ansässige Politikwissenschaftler Tilarious Atia, dass der Sonderstatus trotz seiner Limitationen helfen könnte, die anglophone Identität in Kamerun zu schützen. „Statt zu kämpfen, sollten die Anglophonen den Sonderstatus nutzen“, sagt er.
Amindeh Blaise Atabong arbeitet als freier Journalist in Kamerun und berichtet über verschiedene Themen aus ganz Afrika.
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