Namen und ihre Etymologien – als Beweisstücke nur bedingt tauglich?
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen
Bekanntlich stützt sich Raoul Schrott bei seinen Thesen wesentlich auf sprachwissenschaftliche
Interpretationen und Etymologien von Orts- und Personennamen, die in konkrete Namensgleichungen münden. Die Veranstalter dieses Kongresses haben mich deshalb gebeten, Schrotts
Namensgleichungen auf den Prüfstand der Sprachwissenschaft zu stellen. Ich komme dieser Bitte gerne nach und werde heute versuchen, die folgenden drei Fragen zu beantworten:
• Erstens: Existieren methodischen Kriterien bei der sprachhistorischen Bewertung von
onomastischem Material, sprich konkret: bei der Erstellung von Namensgleichungen?
• Zweitens: Hält sich Raoul Schrott in seiner Monographie an diese Kriterien?
• Drittens: Finden sich darüber hinaus linguistische Argumente, welche die Plausibilität
von Raoul Schrotts These erhöhen oder verringern?
Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Ich werde nicht umhin kommen, das eine oder andere an
Raoul Schrotts Umgang mit Namen zu kritisieren. Dies soll aber keineswegs bedeuten, dass ich
„Homers Heimatı nicht als originelle, seriös recherchierte und inspirierende Monographie schätzen gelernt habe.
Ich möchte nunmehr direkt bei der ersten Frage einsetzen (1): Existieren methodische Kriterien
bei der Erstellung von Namensgleichungen? Oder anders gefragt: Welche Voraussetzungen gelten für die Gleichsetzung von Namen, die auf unterschiedlichen Quellen in unterschiedlichen
Sprachen und aus unterschiedlichen Epochen belegt sind?
Die einschlägige Literatur, die sich analog zu Raoul Schrott mit dem Themenfeld des „Troianischen Kriegsı befasst, liefert mehrheitlich keine klare Antwort. Dabei ist das methodische Problem schon in Platos Dialog Kratylos erkannt (2). Darin äussert sich Sokrates wie folgt: „Mein
Freund! Weisst Du nicht, dass die ursprünglichen Wörter nunmehr völlig zugeschüttet worden
sind? Und zwar von denjenigen, die diese Wörter verschönern wollten, indem sie des Wohlklangs wegen Buchstaben hinzugaben und wegnahmen und die Wörter in jeglicher Hinsicht auf
den Kopf stellten, aus ästhetischen Gründen oder einfach im Verlaufe der Zeit.ı
Uns allen ist klar, dass eine seriöse Auseinandersetzung von derartiger Willkür Abstand nehmen
muss. Tatsächlich hat Calvert Watkins bereits vor 20 Jahren methodische Grundlagen skizziert,
die allerdings trotz – oder gerade wegen – ihrer Stringenz noch immer nicht konsequent umgesetzt werden (3). Demnach ist eine Gleichung zwischen zwei Ortsnamen dann gesichert, wenn
sich auf zwei Ebenen eine Übereinstimmung erzielen lässt:
•
Erstens auf der funktionalen Ebene: Eine Gleichung zwischen zwei Ortsnamen ist nur dann
plausibel, …
o wenn sich sichern lässt, dass die beiden Ortsnamen bezüglich ihrer geographischen
Lage zusammenfallen. Wir bezeichnen diese Identität als „absolute funktionale Identitätı.
1
o und/oder wenn die beiden Ortsnamen im geographischen System der Region dieselbe
Position einnehmen, das heisst: sich nach den Methoden der relativen Geographie im
selben Kontext lokalisieren lassen. Wir bezeichnen diese Identität als „relative funktionale Identitätı.
•
Zweitens auf der formalen Ebene: Eine Gleichung zwischen zwei Ortsnamen ist nur dann
plausibel, …
o wenn die beiden Ortsnamen phonologisch identisch sind und/oder die Übernahme
nach einer strengen phonologischen Systematik (einer „Lautgesetzlichkeitı) erfolgt
ist. Wir bezeichnen diese Identität als „absolute formale Identitätı.
o und/oder wenn sich zwischen den beiden Ortsnamen morphologische Muster nachweisen lassen, die eine gemeinsame Basis erkennen lassen. Wir bezeichnen diese
Identität als „relative formale Identitätı.
Eine grafische Darstellung dieser Kriterien finden Sie auf Ihrem Handout.
Für Personennamen gelten im Grunde dieselben Kriterien (4). Auf der formalen Ebene lassen
sich die für Ortsnamen festgelegten Kriterien direkt auf Personennamen übertragen. Auf der
funktionalen Ebene müssen sie sinngemäss modifiziert werden: Eine Gleichung zwischen zwei
Personennamen ist nur dann plausibel, …
•
wenn sich historisch sichern lässt, dass sich hinter den beiden Personennamen dasselbe Individuum verbirgt („absolute funktionale Identitätı).
•
und/oder wenn sich die beiden Personennamen im Sinne einer relativen Prosopographie im
selben Umfeld lokalisieren lassen („relative funktionale Identitätı).
Um ein konkretes Beispiel für diesen letzten Fall der relativen funktionalen Identität zu nennen
(5): Der in hethitischen Quellen belegte Kukkuniˇs, Fürst von ^iluˇsa und Vater des Alakˇsanduˇs,
wird gerne mit dem griechischen KÊknow gleichgesetzt. KÊknow ist gemäss epischer Tradition
Sohn des Poseidon und Verbündeter der Troianer und wird vor Troia von Achilleus getötet. Die
Grafik auf Ihrem Handout legt die Zusammenhänge dar. Sie zeigt, dass Kukkuniˇs wie KÊknow
auf den jeweiligen Quellen im Sinne einer relativen Prosopographie im selben Umfeld genannt
sind. Ihre Gleichsetzung erfüllt also das Kriterium der relativen funktionalen Identität.
Gehen wir somit zur zweiten Frage über: Hält sich Raoul Schrotts Monographie an diese Kriterien für Namensgleichungen? Vorausgeschickt sei, dass Raoul Schrott in seiner Monographie
Namensgleichungen zu zweierlei Zwecken verwendet (6):
• Erstens ist ihm daran gelegen, möglichst viele der – vor allem auf hethitischen Quellen
des zweiten Jahrtausends belegten – Orts- und Personennamen in eine Beziehung zu Kilikien zu setzen bzw. in Kilikien selbst zu verorten.
• Zweitens versucht er konsequent, für in der Ilias auftauchende Namen anatolischkilikische Parallelen zu finden.
Für den kritischen Leser fällt die Orientierung gelegentlich schwer, denn Schrotts Interpretationen sind nicht immer frei von Widersprüchen: So wird der griechische Atreus auf unterschiedli-
2
chen Seiten der Monographie einerseits mit dem keilschriftlichen Attar(iˇs)ˇsiºa- verknüpft und als
„der Furchtloseı etymologisiert; andererseits mit dem keilschriftlichen Antara∑a- gleichgesetzt.
Entscheidender als solche Versehen ist die Frage nach der methodischen Geschlossenheit von
Raoul Schrotts Namensgleichungen (7). Hierbei zeigt sich rasch, dass sich der Autor bei den
Namensgleichungen in seiner Monographie nicht an die oben skizzierte Methode und ihre Kriterien hält. Die funktionale Ebene findet bei ihm höchstens implizit Berücksichtigung. Und auf der
formalen Ebene vernachlässigt Schrott gerne philologische, phonologische und morphologische
Grundlagen, um eine seinem Aussageziel förderliche Namensgleichung zu erhalten. Zwei Beispiele sollen diese Behauptungen illustrieren:
• Auf S. 43 bietet Schrott die folgende Herleitung des griechischen Personennamens ÉAxilleÊw: „Die Achaier besitzen zu dieser Zeit mit Milet einen Brückenkopf in Kleinasien.
Sie unterstützen dabei erneut einen arzawischen Herrscher gegen die Hethiter: einen gewissen Uchaziti. Sein Namen bedeutet øUcha-MannØ ... – und es ist verführerisch, dahinter die Vorlage für Achilleus zu sehen. Denn in der hethitischen Keilschrift wurde er øUcha-luØ geschrieben ... – wovon es zu einem gräzisierten øAchi-lleusØ wahrlich nicht weit
ist.ı Schrott bezieht sich bei seinem Hinweis auf U-u·-·a-L´U-iˇs, der ohne Zweifel als
/U··a-z¥dis/ gelesen werden muss. Denn L´U dient nicht als Silbenzeichen, sondern wie
üblich als Sumerogramm für „Mannı beziehungsweise im luwischen Kontext für das
Appellativum zita/i-. Die Gleichsetzung von U··aziti mit einem griechischen Achilleus
beruht somit auf reiner Phantasie. Vielmehr scheint der arzawische Königsname U··aziti
eine lokale Variante des Personennamens Óu··azitiˇs zu sein. Das Vorderglied Óu··abzw. U··a- ist aus der anatolischen Anthroponymie gut bekannt; es beruht auf anatol.
*/·√u··ó-/ „Grossvater; Vorfahreı. Vorauszusetzen ist hierbei, dass das anlautendes /• ·‰/
in gewissen Dialekten – bzw. Sprachen – Westanatoliens geschwunden ist.
• Auf Seite 25, Anm. 4 verknüpft Schrott die Ortsnamen „A··iºa∑aı und „ÉIvn€aı miteinander: „... eine Ableitung des Begriffs øIonierØ bereits zu dieser Zeit (sc. in ugaritischer
Zeit; IH) wird durch die Transformation von *Achhiya-wanni/*(A)ija-unni/Iaones möglich.ı Diese Namensgleichung dient Schrott dazu, die in ugaritischen Quellen genannten
Yman als mykenische Griechen und als A··iºa∑a zu identifizieren und den Aktionsradius
der A··iºa∑a damit auf Nordsyrien und die Levante zu erweitern. Ob die Präsenz von
A··iºa∑a in den östlichen Regionen des Mittelmeers philologisch nachzuweisen ist, steht
selbstverständlich zur Diskussion. Aus griechischer Warte ist Schrotts Rekonstruktion jedoch kaum plausibel. Denn die ÖIvnew leiten sich aus */Iå-∑ones/ her, wobei der entsprechende Personenname in mykenischem i-ja-wo bezeugt ist. Zusätzlich ist diese Rekonstruktion phonologisch nicht haltbar: Das inlautende anatolische /‰·(·)‰/ in Schrotts
„*Achhiya-wanniı könnte in der griechischen Wiedergabe nur durch einen Velar /k/ oder
/g/ vertreten sein: Ich verweise hierzu auf die graeco-kilikischen Personennamen Trokombigremiw für */Tar·um-pi·ra-ma/i-/ oder Trokongilaniw für */Tar·un-·ila-na/i-/.
Fazit (8): Solche methodischen Probleme erschweren eine Gesamtwürdigung, da jede Namensgleichung in Schrotts Monographie einer eingehenden Einzelprüfung unterzogen werden müsste
– was bei gewissenhaftem Vorgehen zu einem aufwendigen Unterfangen würde. Daher scheint
es mir sinnvoller, im weiteren Verlauf meines Vortrags den Blick vom Detail zu lösen und statt3
dessen die zentrale Stütze und Prämisse in Raoul Schrotts theoretischem Gebäude eingehend zu
prüfen: die Verknüpfung des keilschriftlichen A··iºa∑a mit Kilikien. Dies soll im folgenden dritten Teil meines Referats geschehen.
Die Ausgangslage lautet wie folgt: Für Raoul Schrott sind Achäer – zusammen mit Danaern –
bereits im zweiten vorchristlichen Jahrtausend in Kilikien ansässig (9). Der Autor verweist in
diesem Zusammenhang auf „mehrere historiographische Zeugnisse der Ägypter und Hethiter aus
dem 2. Jahrtausend, die Danaer und Achaier auch in Kilikien verortenı. Aus dem Verweis auf
„historiographische Zeugnisse ... der Hethiterı geht implizit hervor, dass Raoul Schrott die hethitischen A··iºa∑a mit den homerischen Achäern/ÉAxaio€ gleichsetzt. Damit schliesst er sich der
aktuellen Lehrmeinung an. Eine Mehrzahl der Experten erkennt heute hinter den hethitischen
A··iºa∑a die homerischen ÉAxaio€ beziehungsweise die mykenischen Griechen des Festlands
oder der Ägäis. Denn die Landkarte Südwestanatoliens, deren Konturen sich durch die Methode
der relativen Geographie in den letzten 20 Jahren entscheidend gefestigt haben, lässt für eine
Lokalisierung von A··iºa∑a innerhalb des südwestanatolischen Festlands keinen Platz mehr.
Damit scheint es folgerichtig, A··iºa∑a auf dem griechischen Festland oder alternativ auf den
ägäischen Inseln vor der kleinasiatischen Küste zu verorten.
Die relative funktionale Identität zwischen A··iºa∑a und mykenischen ÉAxaio€ scheint damit also gegeben. Die Frage der formalen Identität will ich im Moment ausklammern und weiter unten
zur Sprache bringen. Wie steht es nun aber mit der kilikischen Anbindung von A··iºa∑a, wie
Raoul Schrott diese abweichend von der aktuellen Lehrmeinung postuliert? – Eine endgültige
Antwort steht aus. Denn einerseits ist Schrotts Idee, A··iºa∑a in Kilikien anzusiedeln, nicht neu
und galt lange Zeit bereits als überholt. Doch seit Kurzem regen Neufunde dazu an, das Verhältnis von A··iºa∑a und Kilikien nochmals zu überdenken. Der prominenteste dieser Neufunde ist
die viel diskutierte hieroglyphenluwisch-phönizische Bilingue aus Çineköy bei Adana, die
selbstverständlich auch Raoul Schrott für seine Argumentation nutzt (10).
Die Fakten sind weithin bekannt. Ich will sie deshalb so knapp wie möglich zusammenfassen
und nur die wesentlichen Linien der Argumentation nachzeichnen: Auf der Bilingue aus Çineköy
bezeichnet sich ^arikas alias A∑arikus, in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts als Regent
von Adana bekannt, als /Óiºa∑annis ·anta∑atis/ „König von Óiºa∑aı. Die phönizische Fassung
nennt als Äquivalent des erstmals belegten Topnyms Óiºa∑a das Ethnikon DNNYM „die Einwohner von Adanaı. Damit sind Óiºa∑a und Adana synonym verwendet. Der entscheidende
Punkt: Formal ist der Ortsname Óiºa∑a aus Çineköy mit dem bronzezeitlichen A··iºa∑a identisch. Die Differenz im Anlaut lässt sich dabei leicht erklären. Die luwischen Sprache der Region
(d.h. innerhalb von Tar·untaˇsˇsa) kennen den Verlust von anlautendem A- in Namen, worauf ich
weiter unten nochmals eingehen werde. Da bronzezeitliches A··iºa∑a formal Óiºa∑a entspricht,
das in der Eisenzeit quasi synonym zu kilikischem Adana steht, ist eine erste Verbindung von
A··iºa∑a zu Kilikien gegeben.
Zudem begünstigt ein weiterer Umstand auf dieser Bilingue Schrotts These (11): Die Dynastie
der kilikischen Regenten – besagter ^arikas/A∑arikus und sein Neffe Azati∑adas – beruft sich
auf einen Stammvater Muksas. Dieser kilikische Muksas ist nur schwer von der Figur des griechischen MÒcow zu trennen. Gemäss der mythologischen Überlieferung lässt sich dieser nach einem erfolgreichen Sängerwettstreit gegen Kalchas in Kilikien nieder. Entscheidend ist hierbei,
4
dass der Name MÒcow aus Griechenland stammen muss. Seine Grundform /MokÁso-/ ist auf den
mykenischen Linear B-Tafeln in der Schreibung mo-qo-so belegt. Wäre /MokÁso-/ in Anatolien
heimisch, hätte der Name gemäss anatolischen Lautgesetzen zu ›/mokusu-/ werden müssen, da
sich anatolischer Labiovelar */‰kÁ‰/ vor Konsonant regelmässig zu */‰ku‰/ entwickelt. Daher
muss anatolisch /Muksas/ aus dem Griechischen übernommen worden sein – und zwar nach
Wirksamkeit des gerade genannten anatolischen Lautgesetzes.
Die Gleichsetzung von kilikisch Muksas und griechisch MÒcow erfüllt somit die Kriterien f¨ür
Namensgleichungen in funktionaler wie formaler Hinsicht. Damit scheint sich der Kreis zu
schliessen – und die Bilingue von Çineköy wird zu einem entscheidenden Beweisstück in Raoul
Schrotts Argumentation. Denn sie scheint folgendes Szenario nahezulegen: (Westanatolische
oder ägäische) Griechen alias A··iºa∑a lassen sich im Verlaufe der Umwälzungen beziehungsweise des „Seevölker-Sturmsı gegen Ende des 13. Jahrhunderts in der kilikischen Ebene nieder.
Sie begründen eine graeco-luwische Dynastie, die unter der Form Óiºa∑a den Namen des bronzezeitlichen A··iºa∑a und damit der griechischen ÉAxaio€ weiterführt und sich auf einen Griechen, den legendären MÒcow, beruft. – Somit besässe Kilikien bereits seit der ausgehenden
Bronzezeit ein griechisches Fundament und böte im Sinne von Schrotts These beste Voraussetzungen für die Entstehung epischer Dichtung.
So weit die Vorgeschichte und die Strukturen der Argumentation. Allerdings ist hierbei die letzte
Wort noch nicht gesprochen. Denn bislang ist eine Frage offen geblieben, die wir zuvor bewusst
ausgeklammert haben: die Frage, ob die Gleichsetzung von A··iºa∑a und ÉAxaio€ neben den
Kriterien der funktionalen auch diejenigen der formalen Identität erfüllt (12). Die Vertreter der
Gleichsetzung von A··iºa∑a und ÉAxaio€ gehen selbstverständlich davon aus, dass sich hinter
ÉAxaio€ keine anatolische Bezeichnung, sondern eine echtgriechische Selbstbezeichnung für einen mykenischen Teilstaat oder eine entsprechende territoriale Einheit verbirgt. Diese Prämisse
ist logisch kaum zu bestreiten und inzwischen auch philologisch plausibel. Denn der Stamm
*/Ak[ai∑-/ scheint bereits im Mykenischen von Knossos auf das griechische Festland zu verweisen. So verzeichnet die Tafel KN C 914 Opfertiere im Rahmen einer Hekatombe und nennt hierbei die Richtungsangabe a-ka-wi-ja-de. Hierbei mag es sich um eine Festbezeichnung /Ak[ai∑iade/ Im Sinne von „für die Ak[ai∑iaı handeln. Vielleicht ist das Fest Ak[ai∑ia also eine Gründung
der auf Kreta eingewanderten Festlandmykener, wobei der Namen an die alte Heimat auf dem
griechischen Festland oder an einen alten Kultort namens */Ak[ai∑iå/ erinnern soll.
Gehen wir von dieser Prämisse und vom Primat des Stamms */Ak[ai∑-/ aus, so hat sich keiner
der bisherigen Versuche bewährt, auf lautgesetzlichem Weg und formal einwandfrei von griechischem ÉAxaio€ zu hethitischem A··iºa∑a zu gelangen. Die meisten etymologischen Vorschläge
scheitern an zwei Umständen:
• Erstens ist es kaum zu rechtfertigen, weshalb ein griechisches intervokalisches /‰k[‰/
durch eine anatolische fortisierte Spirans /‰··‰/ vertreten sein sollte. Erwartet und adäquat wäre eine Wiedergabe durch einen anatolischen Verlar /‰k‰/, wie er im Phonemsystem des Hethitischen und Luwischen bestens vertreten ist.
• Zweitens verbirgt sich in der Auslautsilbe von hethitisch A··iºa∑a ein Suffix */-∑a/. Dieses Suffix erweitert den Stamm zahlreicher anatolischer Ortsnamen und leitet ursprüng-
5
lich Regionen- oder Provinzbezeichnungen von Städtenamen ab. Als wahres Vergleichsglied von griechischem */Ak[ai∑-/ ist folglich nicht das sekundär erweiterte A··iºa∑a,
sondern eine Grundform A··iºa- anzusetzen. Tatsächlich ist diese Grundform A··iºa- im
Maddu∑atta-Text belegt. Der Text nennt eine Figur Attarˇsiºaˇs aus einer Stadt ÅA··iºå.
In Kombination gestatten diese beiden Umstände nur einen Schluss: Bei A··iºa∑a beziehungsweise der älteren Grundform ÅA··iºa handelt es sich um einen echtanatolischen Ortsnamen; eine
Adaption des griechischen Stamms */Ak[ai∑-/ ist hingegen ausgeschlossen.
Zwei keilschriftliche Belege aus der Bronzezeit ergänzen das Bild und bestätigen unsere Analyse
(13): In den mittelhethitischen Annalen des Arnu∑anda I sind in fragmentarischem Kontext und
im Zusammenhang mit der Bautätigkeit des hethitischen Grosskönigs vier kilikische Ortsnamen
genannt: Zu}nna·ara (heute Misis), Adaniºa (heute Adana), ˝in}u∑anda sowie abgebrochenes
URU
Óiºa{. Die Kombination mit weiteren Texten zeigt erstens, dass die Aufzählung in diesem
Text von Nordost nach Südwest verläuft; zweitens, dass Óiºa{ im Westen der kilikischen Ebene
nahe an der Grenze zu Tar·untaˇsˇsa – dem Rauhen Kilikien und Pamphylien – anzusiedeln ist.
Zur Erinnerung: Die ca. 500 Jahre jüngeren Bilingue von Çineköy nennt einen Ortsnamen
Óiºa∑a, der quasi synonym zu Adana verwendet wird. Da im Annalentext das abgebrochene
Óiºa{ nahe Adaniºa/Adana liegt, bietet es sich geradezu an, abgebrochenes URUÓiºa{ zu URUÓiºa{∑a
zu ergänzen. Damit ist Óiºa∑a bereits im Kilikien der Bronzezeit nachgewiesen und kann deshalb nicht erst von griechischen Einwanderern nach 1200 eingeführt worden sein. Zwei Briefe
aus Ugarit machen unsere Ergänzung von URUÓiºa{ zu URUÓiºa{∑a zusätzlich plausibel. Sie handeln von „Männern aus Óiºa∑a in Lukkaı und bestätigen damit endgültig, dass in der ausgehenden Bronzezeit neben A··iºa∑a auch der Ortsname Óiºa∑a etabliert ist.
Damit kann das bereits oben angeschnittene Verhältnis von Óiºa∑a zu A··iºa∑a präzisiert werden (14): Beide Formen existieren in der Bronzezeit parallel nebeneinander. Ich möchte dieses
Nebeneinander wie folgt erklären: Die Grundform URUÅA··iºå zeigt Anlautplene (doppelt geschriebenen Vokal im Anlaut). Gemäss den Regeln der hethitischen Graphie und Phonologie
liegt der Akzent damit auf dem anlautenden á- (also /´ÅA··iºa/). Hingegen ist das mit *-∑a- erweiterte KUR URUa·-·i-ºa-∑a(-a) nie mit Anlautplene belegt. Dies spricht für einen Akzent in der
Folgesilbe, also für ein */A··íºa-∑a/. Wie bereits oben festgestellt, werden unakzentuierte Vokale im Luwischen der angrenzenden Region Tar·untaˇsˇsa beseitigt. Aus */A··íºa-∑a/ kann im
Luwischen also unser Óiºa∑a werden – womit sich Óiºa∑a formal als luwische Variante von
A··iºa∑a erweist.
Fassen wir die bisherigen Erkenntnisse zusammen (15): Die Gleichsetzung von griechischem
ÉAxaio€ und hethitischem A··iºa∑a lässt sich formal nicht sichern. Vielmehr erweisen sich
A··iºa(∑a) und dessen Variante Óiºa∑a als echtanatolische Ortsnamen aus der Bronzezeit. Dabei
besitzt zumindest Óiºa∑a einen formal wie funktional luwischen bzw. kilikischen Hintergrund.
Da die attraktive Gleichsetzung von ÉAxaio€ und A··iºa∑a auf formaler Ebene versagt, lässt sich
auch die Kernthese von Raoul Schrott nicht belegen. Damit habe ich die dritte Frage meines
Vortrags beantwortet, bin am Ende angelangt – und habe im Grunde einen toten Punkt erreicht.
Allerdings will ich heute nicht ohne eine gewisse Perspektive enden. Aus diesem Grunde will
ich zum Abschluss ein Szenario zeichnen, das meines Erachtens den von mir vorgebrachten Fak-
6
ten gerecht werden könnte. Ich bitte Sie aber, dieses Szenario als rein hypothetische Diskussionsgrundlage anzusehen.
Sofern A··iºa∑a tatsächlich mykenische Griechen benennt, der Name aber wie nachgewiesen
anatolischen Ursprungs ist, stellt sich eine Frage: An welchem Ort hat diese Benennungspraxis
ihren Ursprung? Die Frage ist schwieriger zu beantworten, als es den Anschein macht. Denn der
direkte Kontakt zwischen Hethitern und mykenischen Griechen ist ausserhalb der diplomatischen Sphäre während der gesamten Bronzezeit verhältnismässig gering, und für hethitischmykenische Handelskontakte und Warenaustausch finden sich überraschend wenige Hinweise.
Offenkundig sind die Landwege unsicher, und die Mykener scheinen für ihre Handelsaktivitäten
den Seeweg zu bevorzugen. Als mögliche griechisch-hethitische Kontaktzonen verbleiben einerseits die mykenischen Kolonien in Südwestanatolien zwischen der Halbinsel von Halikarnass im
Süden und Milet im Norden; andererseits die Häfen der Kilikischen Ebene und des Rauhen Kilikiens, darunter der für die Hethiter zentrale Umschlagsplatz Ura. Allerdings sind die mykenischen Kolonien weniger Kontakt- als vielmehr Konfliktzonen, in denen die Hethiter über Jahrhunderte mit stetigen Unruhen und wechselnden Allianzen zu kämpfen haben. Im Gegensatz dazu ist die Situation in der kilikischen Ebene sowie in der nahe der Grenze von Tar·untaˇsˇsa gelegenen Hafenstadt Ura während der gesamten Bronzezeit relativ stabil. Auch in der Übergangszeit zwischen Bronze- und Eisenzeit scheint die kilikische Ebene – wie der Südosten Anatoliens
sowie Nordsyrien generell– von grossen Umwälzungen unberührt. Das vor der lykischen Küste
bei Uluburun gesunkene Schiffswrack bestätigt seinerseits, dass mykenische Griechen bereits in
LH/LM III A2 die klassische Handelsroute entlang der kilikischen Küste verwenden, um Güter
von der Levante beziehungsweise Zypern in Ziele in der Ägäis oder auf dem griechischen Festland zu verschiffen.
Dies legt nahe, dass sich die ökonomischen Kontakte zwischen mykenischen Griechen und Hethitern weniger in den konfliktreichen mykenischen Kolonien in Südwestanatolien, als vielmehr
in Kilikien oder darüber hinaus in der Levante abgespielt haben. Eine zumindest indirekte Verknüpfung von Mykenern alias A··iºa∑a und Kilikien ergibt sich bereits durch eine Episode, von
welcher der im Jahre 1984 publizierte Gelübdetext KUB LVI 15 berichtet. Danach verlässt der
bekannte Piºamaradu, ein von A··iºa∑a unterstützter oder gelenkter Rebell beziehungsweise
„Piratı, auf der Flucht das anatolische Festland vom kilikischen Izziºa bzw. Issos aus. Diese Episode belegt, dass die kilikischen Häfen für die Mykener beziehungsweise A··iºa∑a zentrale Anlaufstellen sind.
Bekanntlich liefern frühe Kontaktzonen ausgezeichnete Benennungsmotive. In diesem Falle liesse sich also postulieren, dass die Hethiter ihre mykenischen Handelspartner nach einem epichorischen Ortsnamen Kilikiens benennen. Weshalb die Wahl auf das kilikische Óiºa∑a fällt, lässt
sich aus Sicht des zweiten Jahrtausends nicht feststellen. Fest steht, dass Óiºa∑a im ersten Jahrtausend von der herrschenden Dynastie als Synonym zu Adana/Adaniºa verwendet wird, das seit
alters das Zentrum der kilikischen Ebene bildet. Es mag also sein, dass sich das zwischen Adana
und dem Meer gelegene Óiºa∑a im zweiten Jahrtausend eine gewisse mykenische Handelspräsenz ausgezeichnet hat.
Die Intensität der griechischen Präsenz scheint gegen Ende der Bronzezeit in der postmykenischen Phase LH/LM IIIC in Kilikien wie auf Zypern zuzunehmen. Auch linguistisch findet diese
7
Situation ihren Niederschlag: So beruht der griechische Dialekt von Pamphylien, dem an Kilikien angrenzenden Tar·untaˇsˇsa, wie derjenige von Zypern auf einem südgriechischen – also mykenischen – Substrat, das ins zweite vorchristliche Jahrtausend zurückreicht. Diese Ausbreitung
südgriechischen Sprachguts geht mit den Aktivitäten der sogenannten „Seevölkerı einher, welche die Südwestküste Anatoliens gegen Ende des 13. bzw. zu Beginn des 12. vorchristlichen
Jahrhunderts heftigen Angriffen aussetzen. Die Interventionen des letzten hethitischen Grosskönigs ˝uppiluliuma II. in Tar·untaˇsˇsa/Pamphylien und Alaˇsiºa/Zypern scheinen so letzte und vergebliche Versuche darzustellen, den Vormarsch dieser „Seevölkerı einzudämmen. In welchem
Masse griechische Stämme an den Beutezügen der „Seevölkerı teilnehmen, ist ungewiss. Fest
steht jedoch, dass erstens Lukka und kilikische Danuna – Einwohner von Adana – gemäss klassischer Auffassung zu den „Seevölkernı gezählt werden – also Stämme, zu denen die Griechen
zumindest Kontakt pflegten. Und dass zweitens der kulturelle Hintergrund der „Seevölkerı von
ägäisch-mykenischen Elementen geprägt ist.
Homer und die epische Tradition scheinen in dieser postmykenischen Epoche anzusetzen. Die
Ilias zeichnet ein Bild von mobilen Griechen, die sich im Verbund mit südwestanatolischen Verbündeten nach Norden in die Troas aufmachen – nota bene in eine Region, das seit dem ausgehenden 15. vorchristlichen Jahrhundert recht stabil an die Hethiter bzw. Óatti angebunden ist.
Der Zusammenbruch von Óatti und seinem Vasallen Tar·untaˇsˇsa steht für das Ende von
jahrhundertelangen Konflikten und den Beginn der griechischen Landnahme. Einer Landnahme,
die über die bronzezeitliche Kolonisationszone zwischen Halikarnass und Milet weit hinausreicht, da sie nunmehr auch Gebiete des ehemaligen Tar·untaˇsˇsa und Zypern umfasst. Linguistisch und archäologisch gesehen scheint diese Expansion zunächst von der Ägäis auszugehen –
und unter Umständen von den bewährten Hafenplätzen in der kilikischen Ebene. So schliesst
Homers Benennung der Griechen nahtlos an die Verhältnisse und die Dynamik des angehenden
12. vorchristlichen Jahrhunderts an: Seine synonym verwendeten Begriffe ÉAxaio€ und Danao€
entsprechen funktional dem Nebeneinander von Óiºa∑a und DNNYM auf der Bilingue von Çineköy. In seiner Rekonstruktion der historischen Verhältnisse macht er aus der greaco-luwischen
beziehungsweise semitischen Benennung zwei unterschiedliche griechische Stämme. Während
das Ethnikon Danao€ < */Dana∑-oi/ offenkundig direkt zum Ortsnamen /Adana-∑a-/ gebildet ist
– eine für fremde Namen charakteristische Bildeweise –, bleibt die formale Unvereinbarkeit zwischen ÉAxaio€ und Óiºa∑a zwar bestehen. Allerdings lässt sie sich im Sinne dieses Szenarios
nunmehr besser motivieren. Ich schlage vor, dass sich das Epos bei der Wiedergabe des kilikischen Óiºa∑a am Ortsnamen Axa€a orientiert. Die an der Nordküste der Peloponnes gelegene
Landschaft dient in der postmykenischen Zeit wie die Regionen in Übersee als Rückzugsgebiet
mykenischer Südgriechen. Funktional erfüllt sie damit eine analoge Funktion wie Ionien, Zypern, Pamphylien – oder eben Óiºa∑a.
Dieser Befund deckt sich durchaus mit der linguistischen Analyse, welche die Ursprünge der
epischen Sprache in einer spät- oder postmykenischen Phase ansetzt. Er schliesst den Kreis zum
Beginn dieses Beitrags: Raoul Schrotts These mag richtig oder falsch sein – doch regt sie dazu
an, das frühe Kilikien ernsthaft in unsere Überlegungen einzubeziehen.
8
Ivo Hajnal/Innsbruck, 14.11.2008
Namen und ihre Etymologien – als Beweisstücke nur bedingt tauglich?
Frage 1: Existieren methodische Kriterien bei der historischen Bewertung von onomastischem Material bzw. bei der Erstellung von Namensgleichungen?
Grundsätzliche Fragen zur Methode:
1
•
Welches sind die methodischen Kriterien bei der sprachhistorischen Bewertung von Orts- und
Personennamen?
•
Welche Voraussetzungen gelten für die Gleichsetzung von Namen, die auf unterschiedlichen
Quellen in unterschiedlichen Sprachen und aus unterschiedlichen Epochen belegt sind?
Das methodische Problem nach Plato, Kratylos 414c:
2
1
âV makãrie, oÈk o‰sy' ˜ti tå pr«ta ÙnÒmata tey°nta katak°xvstai ≥dh ÍpÚ t«n boulom°nvn
tragƒde›n aÈtã, peritiy°ntvn grãmmata ka‹ §jairoÊntvn eÈstom€aw ßneka ka‹ pantaxª
strefÒntvn, ka‹ ÍpÚ kallvpismoË ka‹ ÍpÚ xrÒnou.
3
Kriterien für Namensgleichungen bei Ortsnamen (nach Watkins 1986, 48f. sowie Hajnal 2003, 24f):
Die Gleichung zwischen zwei Ortsnamen ist gesichert, wenn Übereinstimmung auf folgenden Ebenen
besteht:
•
Erstens auf der funktionalen Ebene („contiguityı): Eine Gleichung zwischen zwei Ortsnamen ist
nur dann plausibel, …
o
wenn sich sichern lässt, dass beide Ortsnamen bezüglich ihrer geographischen Lage zusammenfallen = „absolute funktionale Identitätı.
o
und/oder wenn beide Ortsnamen im geographischen System der Region dieselbe Position
einnehmen, das heisst: sich nach den Methoden der relativen Geographie im selben Kontext lokalisieren lassen = „relative funktionale Identitätı.
•
Zweitens auf der formalen Ebene („similarityı): Eine Gleichung zwischen zwei Ortsnamen ist
nur dann plausibel, …
o
wenn beide Ortsnamen phonologisch identisch sind und/oder die Übernahme nach einer
strengen phonologischen Systematik („Lautgesetzlichkeitı) erfolgt = „absolute formale
Identitätı.
o
und/oder wenn sich zwischen beiden Ortsnamen morphologische Muster nachweisen lassen, die eine gemeinsame Basis erkennen lassen = „relative formale Identitätı.
Seite 1
Ivo Hajnal/Innsbruck, 14.11.2008
4
Für Personennamen gelten grundsätzlich dieselben Kriterien wie für Ortsnamen:
•
Funktionale Ebene („contiguityı): Eine Gleichung zwischen zwei Personennamen ist nur dann
plausibel, …
o
wenn sich historisch sichern lässt, dass sich hinter beiden Personennamen das selbe Individuum verbirgt = „absolute funktionale Identitätı.
o
und/oder wenn sich beide Personennamen im Sinne einer relativen Prosopographie im
selben Umfeld lokalisieren lassen = „relative funktionale Identitätı.
•
5
Formale Ebene („similarityı): Die für Ortsnamen geltenden Kriterien (s. 3) lassen sich direkt
übertragen.
Beispiel für eine relative funktionale Identität:
Kukkuniˇs
(Fürst von ^iluˇsa und Vater des Alakˇsanduˇs)
=
KÊknow
(Sohn des Poseidon, Verbündeter der Troianer, vor Troia von Achilleus getötet)
Die folgende Grafik zeigt, dass die beiden Personennamen im Rahmen der relativen Prosopographie
im selben Kontext lokalisiert sind. ‡ Das Kriterium der relativen funktionalen Identität ist erfüllt.
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Frage 2: Hält sich Raoul Schrotts Monographie an die für Namensgleichungen
geltenden Kriterien?
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Welchem Ziel dienen die Namensgleichungen in Schrott 2008?
•
Möglichst viele der auf Quellen des zweiten Jahrtausends belegten Orts- und Personennamen sollen in eine Beziehung zu Kilikien gesetzt bzw. in Kilikien selbst verortet werden (s. op.cit., 2452).
•
Für in der Ilias auftauchende Orts- und Personennamen sollen anatolisch-kilikische Parallelen gefunden werden (op.cit., 202-205).
Die Darstellung in Schrott 2008 enthält allerdings Widersprüche. Beispiel: Entspricht griech. ÉAtreÊw
heth. Attar(iˇs)ˇsiºa- „der Furchtloseı (op.cit., 32) oder heth. Antara∑a- (op.cit., 50)?
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Bewertung der Namensgleichungen in Schrott 2008:
•
Die funktionale Ebene wird höchstens implizit berücksichtigt.
•
Auf der formalen Ebene bleiben allzu oft philologische, phonologische und morphologische
Grundlagen unbeachtet, um die gewünschte Namensgleichung zu erzielen.
Die folgenden beiden Beispiele sollen diese Bewertung illustrieren:
•
Zu ÉAxilleÊw (op.cit., 43f.): „Die Achaier besitzen zu dieser Zeit mit Milet einen Brückenkopf in
Kleinasien. Sie unterstützen dabei erneut einen arzawischen Herrscher gegen die Hethiter: einen
gewissen Uchaziti. Sein Name bedeutet øUcha-MannØ ... – und es ist verführerisch, dahinter die
Vorlage für Achilleus zu sehen. Denn in der hethitischen Keilschrift wurde er øUcha-luØ geschrieben ... – wovon es zu einem gräzisierten øAchi-lleusØ wahrlich nicht weit ist.ı
Aber: In U-u·-·a-L´U-iˇs ist das Sumerogramm L´U nicht Silbenzeichen! Zu lesen ist folglich
/U··a-z¥dis/. – PS: Der arzawische Königsname U··aziti ist eine lokale Variante von Óu··azitiˇs.
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Im Vorderglied U··a- < Óu··a- (= anatol. */·√u··ó-/ „Grossvater; Vorfahreı) scheint anlautendes /• ·‰/ in gewissen Dialekten Westanatoliens geschwunden zu sein.
•
Zu A··iºa∑a und ÉIvn€a (op.cit, 25 Anm. 4): „... eine Ableitung des Begriffs øIonierØ bereits zu
dieser Zeit (sc. in ugaritischer Zeit; IH) wird durch die Transformation von *Achhiyawanni/*(A)ija-unni/Iaones möglich.ı
Aber: ÖIvnew ist aus */Iå-∑ones/ herzuleiten (s. myk. i-ja-wo (KN) ). Zudem ist ein Wandel
*/A··iºa-∑anni > */(A)iºa-unni/ unplausibel. Denn anatolisches /‰·(·)‰/ ist in der griechischen
Wiedergabe stets durch einen Velar */k/ bzw. */g/ vertreten: vgl. kilik. Trokom-bigremiw <
*/Tar·um-pi·ra-ma/i-/, Trokon-gilaniw < */Tar·un-·ila-na/i-/ u.a.m.
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Fazit der Bewertung nach methodischen Gesichtspunkten:
•
Für eine Gesamtwürdigung müsste jede Namensgleichung in Schrott 2008 einer eingehenden
Einzelprüfung unterzogen werden.
•
Im Rahmen dieses Referats scheint es sinnvoller, eine zentrale Stütze in Raoul Schrotts theoretischem Gebäude eingehend zu prüfen: die Verknüpfung von heth. A··iºa∑a mit Kilikien.
Frage 3: Finden sich philologische Hinweise oder linguistische Argumente, welche die
Plausibilität von Raoul Schrotts These (A··iºa∑a in Kilikien) erhöhen bzw. verringern?
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Grundlagen der Namensgleichung heth. A··iºa∑a = griech. ÉAxaio€:
•
Raoul Schrott verweist auf „mehrere historiographische Zeugnisse der Ägypter und Hethiter aus
dem 2. Jahrtausend, die Danaer und Achaier (=A··iºa∑a; IH) auch in Kilikien verortenı (op.cit,
28).
•
Die Gleichsetzung der heth. A··iºa∑a mit den hom. ÉAxaio€ entspricht der heutigen Lehrmeinung. Vgl. Melchert, im Druck: „I now regard as established that Ahhiyawa of the Hittite texts
refers to a Mycenaean Greek kingdom not located in Asia Minor.ı
•
Die Landkarte Südwestanatoliens lässt für eine Lokalisierung von A··iºa∑a innerhalb des südwestanatolischen Festlandes keinen Platz. S. Hawkins 1998, 30: „It has been noted that the Late
Bronze Age map of Anatolia is now more or less filled, especially as regards the south and west
coasts and to a lesser extent the north-west, and this leaves little space for those who might still
wish to place Ahhiyawa on the Anatolian mainland.ı
•
Folgerichtig ist A··iºa∑a auf dem griechischen Festland oder alternativ auf den ägäischen Inseln
vor der kleinasiatischen Küste zu verorten.
Die relative funktionale Identität zwischen A··iºa∑a und ÉAxaio€ scheint damit gegeben!
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Zur kilikischen Anbindung von A··iºa∑a:
Die hieroglyphenluwisch-phönizische (hluw.-phöniz.) Bilingue von ÇINEKÖY st¨ützt die These eines
„kilikischen A··iºa∑aı im Sinne von Raoul Schrott (s. Schrott 2008, 81f.):
•
Selbstbezeichnung des Regenten von Adana ^arikas/A∑arikus in 8a: ¶ I ·i-ºa-∑a/i{-ni}-sá{URBS}
REX-ti-sa /Óiºa∑annis ·anta∑atis/ „König von Óiºa∑aı.
•
Weitere Nennung des Ortsnamens Óiºa∑a in ¶ VII: ·i-ºa-∑a/i-sa-·a-∑a/i(URBS) su+ra/i-ºa-sa·a(URBS) ≤UNUS≥-za DOMUS-na-za i-zi-ºa-si „Óiºa∑a und Sura wurden zu einem Hausı = phöniz. WDNNYM WØ˝RYM KN LBT Ø≈HD (Zeile 9-10). ‡ Óiºa∑a ist in ÇINEKÖY als Synomym
von Adana verwendet.
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•
Óiºa∑a ist mit bronzezeitlichem A··iºa∑a formal identisch, da unakzentuiertes */• a‰/ bei Namen
in den luwischen Sprachen (v.a. innerhalb von Tar·untaˇsˇsa) gerne verloren geht: pamphyl. Yana-dvruw, pisid. yan-dor (jeweils ƒ ÉAyanã-dvrow), lyk. Te& ne-gure (ƒ Ayhna-gÒraw).
‡ Da A··iºa∑a formal Óiºa∑a entspricht, das quasi synonym zu kilikischem Adana steht, ist eine
Verbindung von A··iºa∑a mit Kilikien gegeben.
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Zur Figur des Muksa/ MÒcow:
•
Die kilikische Dynastie von Adana (^arikas/A∑arikus und sein Neffe Azati∑adas) beruft sich auf
den Stammvater Muksa: vgl. ÇINEKÖY ¶ I {mu-ka}-sa-sa INFANS.NEPOS-si-s`a „Abkömmling des
Muksaı ˛ phöniz. Ø˝P≈H MP˝; ferner KARATEPE 1 ¶ XXI mu-ka-sa-sa-na DOMUS-ní-i „(dem)
Haus des Muksaı ˛ phöniz. BT MP˝.
•
Muksa ist nicht von griech. MÒcow zu trennen, der sich gemäss mythologischer Überlieferung
nach einem erfolgreichen Sängerwettstreit mit Kalchas in Kilikien niederlässt.
•
Der Personname MÒcow stammt aus Griechenland. Denn die Ausgangsform /MokÁso-/ (vgl. myk.
mo-qo-so KN, PY) hätte anatol. ›/mokusu-/ ergeben (mit anatol. */‰kÁC‰/ > */‰kuC‰/). ‡ Anatol.
/Muksas/ ist aus dem Griechischen übernommen, und zwar nach Wirksamkeit des anatol. Lautgesetzes */‰kÁC‰/ > */‰kuC‰/.
Fazit: Die Gleichsetzung von anatol. Muksas und griech. MÒcow erfüllt die funktionalen wie formalen Kriterien für Namensgleichungen.
Mögliches Szenario: Westanatolische oder ägäische Griechen lassen sich im Verlaufe der Umwälzungen gegen Ende des 13. Jahrhunderts in der kilikischen Ebene nieder. Sie begründen eine graecoluwische Dynastie, die unter der Form Óiºa∑a den Namen des bronzezeitlichen A··iºa∑a und damit
der griechischen ÉAxaio€ weiterführt.
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Die Frage der formalen Identität von A··iºa∑a und ÉAxaio€ ist ungelöst.
Prämisse: ÉAxaio€ bzw. */Ak[ai∑-/ ist eine echtgriechische Selbstbezeichnung und verweist auf einen
mykenischen Teilstaat. – Vgl. als Bestätigung dieser Prämisse myk. a-ka-wi-ja-de (KN) /Ak[ai∑ia-de/
Im Sinne von „(Opfertiere) für das Fest Ak[ai∑iaı, wobei die Festbezeichnung /Ak[ai∑ia/ eine Reminiszenz der kretischen Mykener an ihre festlandgriechische Heimat (= */Ak[ai∑iå/?) ist.
Unter dieser Prämisse lässt sich griech. */Ak[ai∑-/ (ÉAxaio€) formal nicht mit A··iºa∑a verknüpfen:
•
Die Wiedergabe von griech. */‰k[‰/ durch anatol. */‰·(·)/ ist unplausibel – erwartet wäre griech.
*/‰k[‰/ ˛ anatol. */‰k‰/ (wie es im heth. und luw. Phonemsystem vertreten ist).
•
Heth. A··iºa-∑a enthält das Suffix */-∑a/, das Regionen- oder Provinzbezeichnungen aus Städtenamen ableitet: vgl. analog KUR URUZalpu∑a zu URUZalpa.
•
Das Comparandum von griech. */Ak[ai∑-/ (ÉAxaio€) ist folglich */A··iºa/, wie es in KUB XIV 1
direkt belegt ist (Attariˇsˇsiºaˇs L`U URUÅA··iºå).
Fazit: KUR
URU
A··iºa∑a ist eine echtanatolischer Ortsname und kann nicht aus dem Griechischen
übernommen sein.
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Belege für bronzezeitliches Óiºa∑a:
•
Kilikische Ortsnamen in den Annalen des Arnu∑anda I. (KUB XXIII 21 Vs. II 4-6): Zu}nna·ara
(Misis) – Adaniºa (Adana) – ˝in}u∑anda –URUÓiºa{. – Vgl. zur relativen Lage dieser Orte ferner
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KUB XX 52+KBo IX 123 Vs. I: Kummanni (Comana) – Zunna·ara (Misis) – Adaniºa (Adana) –
Tarˇsa (Tarsus) – Ellibra (Mersin).
•
Die Aufzählung erfolgt von Nordost nach Südwest. Óiºa{ ist im Westen der kilikischen Ebene
nahe der Grenze zu Tar·untaˇsˇsa anzusiedeln.
•
Gemäss der Bilingue von Çineköy ist Óiºa∑a quasi synonym zu Adana (s. 10). ‡ Angesichts der
Nähe von URUÓiºa{ zu Adaniºa liegt eine Ergänzung zu URUÓiºa{∑a nahe.
•
Textzeugnisse aus Ugarit bestätigen, dass die Form Óiºa∑a bereits in der Bronzezeit existiert: L´U
·iºåu i{na KUR} lukkå „Männer von Óiºa∑a in Lukkaı (RS 94.2530:31ff.).
‡ Óiºa∑a ist bereits in der Bronzezeit in Kilikien nachgewiesen und kann deshalb nicht erst von
griechischen Einwanderern nach 1200 eingeführt worden sein.
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A··iºa∑a versus Óiºa∑a in der Bronzezeit:
Neben A··iºa∑a ist offenkundig auch die Variante Óiºa∑a bereits in der Bronzezeit belegt. Mögliches
Entstehungsszenario der beiden Varianten:
´ ··iºa/ trägt Anfangsakzent (vgl. Anlautplene in URUa-a·-·i-ºa-a).
• Ausgangsform /ÅA
•
Dagegen rückt der Akzent beim erweiterten /A··íºia-∑a/ in die Folgesilbe (KUR
URU
a·-·i-ºa-
∑a(-a) ist nie mit Anlautplene belegt).
•
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/A··íºa-∑a/ wird durch die luwische Apokope (s. Beispiele in 10) zu /Óíºa-∑a/. ‡ Óiºa∑a erweist
sich damit als luwische Namensform.
Zusammenfassung der linguistischen Analyse:
•
Die Gleichsetzung von ÉAxaio€ und A··iºa∑a lässt sich formal nicht sichern.
•
Vielmehr erweisen sich Óiºa∑a beziehungsweise A··iºa(∑a) als echtanatolische Ortsnamen, wovon das erstgenannte Óiºa∑a bereits in der Bronzezeit einen kilikischen Hintergrund besitzt.
•
Die historisch attraktive Gleichsetzung von von A··iºa∑a und ÉAxaio€ lässt sich formal nicht sichern und erfüllt damit die oben (s. 3) beschriebenen Kriterien nicht.
‡ Die Kernthese von Raoul Schrott lässt sich vorerst nicht bestätigen!
Literatur:
Hajnal 2003: I. Hajnal, Troia aus sprachwissenschaftlicher Sicht. Die Struktur einer Argumentation,
Innsbruck 2003 (Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft. Band 109).
Hawkins 1998: J.D. Hawkins, Tarkasnawa King of Mira: øTarkondemosØ, Bo√gazköy sealings and Karabel, Anatolian Studies 48(1998), 1-32.
Melchert, im Druck: H.C. Melchert, Mycenaean and Hittite diplomatic correspondence: Fact and fiction, im Druck in: Mycenaeans and Anatolians in the Late Bronze Age: The Ahhiyawa Question,
Proceedings of the Workshop Held on January 4-5, 2006, at Concordia University, ed. by A. Teffeteller, Oxford.
Schrott 2008: R. Schrott, Homers Heimat. Der Kampf um Troia und seine realen Hintergründe, München 2008.
Watkins 1986: C. Watkins, The Language of the Trojans, in: Troy and the Troian War. A Symposium
Held at Bryn Mawr College, October 1984, ed. by M. Mellink, Bryn Mawr 1986, 45-62.
Ivo Hajnal
Universität Innsbruck
Institut für Sprachen und Literaturen
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