piwik no script img

Studie zu KinderarbeitErschreckende Vereinfachung

Kommentar von Annette Jensen

Unicef hat eine neue Studie herausgebracht. Dort objektifiziert das Kinderhilfswerk die Betroffenen zu Opfern, statt ihnen zuzuhören und sie mitreden zu lassen.

Der zwöfjährige Hasibur arbeitet in einer Topf-Manufaktur in Bangladesch Foto: Md Manik/ZUMA Wire/imago

C orona verschlechtert die Lage von Kindern weltweit. Nach den Schulschließungen im globalen Süden werden viele nie mehr ins Klassenzimmer zurückfinden, fürchten Expert*innen. Vor allem die Berufschancen vieler Mädchen zerbröseln, eine massive Zunahme von Kinderehen und häuslicher Gewalt wird erwartet. Doch so wie in Deutschland die Interessen der Kinder in der Pandemie nur eine Nebenrolle spielen, ist es auch auf globaler Ebene.

Am Mittwoch meldete Unicef, dass die Zahl der arbeitenden Kinder auf 160 Millionen gestiegen sei. Davon abgesehen, dass das eine Exaktheit suggeriert, die die realen Statistiken nicht hergeben, spiegelt sich darin die Perspektive von Erwachsenen. Sie machen die Kinder zu Opfern und Objekten internationaler Fürsorge, statt sie als real existierende Menschen ernst zu nehmen.

Das offizielle Ziel, Kinderarbeit bis 2025 abzuschaffen, dient in erster Linie dem wohligen Gefühl gut bezahlter Erwachsener in klimatisierten Büros, die Moral auf ihrer Seite zu haben. Tatsächlich schadet das Verbot von Kinderarbeit vielen Betroffenen. Händler vertreiben sie vom Marktplatz, Polizisten sperren sie ein, Arbeitgeber prellen sie um ihren Lohn. Weil ihr Tun illegal ist, sind arbeitende Kinder rechtlos. Dass das Verbot dazu führt, dass sie stattdessen in die Schule gehen, ist eine Illusion. Im Gegenteil: Gerade weil sie arbeiten, haben viele Kinder überhaupt die Chance, das nötige Geld für den Unterrichtsbesuch zusammenzubekommen.

Wer die Lage von arbeitenden Kindern wirklich verbessern will, sollte ihnen echte Mitspracherechte geben. Sie sind die Ex­per­t*in­nen ihrer Lebenssituationen – und die sind höchst vielfältig. In Lateinamerika, Asien und Afrika haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Kinderbewegungen gebildet, die auf Solidarität setzen und die Arbeitsbedingungen verbessern wollen. Doch bis heute dürfen sie auf den Veranstaltungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO nicht selbst sprechen – selbst wenn es um Kinderarbeit geht. Denn die ist ja schließlich verboten und soll ausgerottet werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Ja, spannender Aspekt. Danke.

  • Natürlich dürfen die Kinder nicht mitreden, sind doch nur Kinder die können gar nicht beurteilen was sie brauchen etc...

    Man hat doch auch in Deutschland während corona sehr oft mitbekommen das viele Erwachsene so oder ähnlich denken.

    Bei Prostitution ist es doch ähnlich, Illegalität sorgt für größere Gefahren, Ausbeutung Scham, Gewalt etc.

    Für Kinder gilt das noch viel mehr, ihre Möglichkeiten zu Recht zu kommen und fair behandelt zu werden sind in Deutschland schon schwer durchzusetzen, zumindest ohne Erwachsene die das unterstützen.

    Das Kinder nicht blöd sind blenden viele Leute gerne aus, ja klar sie sind unerfahren aber gerade deswegen sollte man ihnen öfter mal zuhören.

    Es ist wichtig und richtig das sich die Situation vieler Kinder ändern muss damit Sie satt in die Schule gehen können, ihnen dafür die Grundlage zu entziehen und sie in die Illegalität zu drängen wo sie Ausbeutung schutzlos ausgeliefert sind kann nicht die Lösung sein.

  • Immer der selbe Mist! Es ist wie z.B. auch im Zusammenhang mit Prostitution oder Migration: Autoritär-wohlmeinende Menschen verwechseln den Kampf gegen das Phänomen mit dem Kampf gegen die davon Betroffenen. Verständlich, irgendwie. Sie könnten nur an Prestige verlieren, wenn sie die Kompetenz der Betroffenen anerkennen würden. Im direkten Vergleich würde nämlich auffallen, dass die Theoretiker im Grunde keinen blassen Schimmer haben - weswegen sie die Lage der Betroffenen häufig „verschlimmbessern“, am liebsten natürlich, ohne die Konsequenzen dafür tragen zu müssen.

  • Danke für den Kommentar.

    Die Forderung, Kinderarbeit zu verbieten, könnte ganz schnell auf die Forderung hinauslaufen essen zu verbieten.

    Und: Es ist so traurig wie beeindruckend, dass Kinder sich gewerkschaftlich organisieren (müssen).

    • @Jim Hawkins:

      Wenn Sie Interesse an mehr Informationen haben oder die Kindergewerkschaften unterstützen wollen: pronats.org/

      • @Smaragd:

        Vielen Dank!

        Werde ich machen.

    • @Jim Hawkins:

      Ja. Danke. Es kommt immer darauf an, und mitreden dürfen müssen sie schon!