sehepunkte - 8 (2008), Nr. 4

H. A. Shapiro (ed.): The Cambridge Companion to Archaic Greece, Cambridge: Cambridge University Press 2007, xiii + 303 S., 3 maps, 42 fig., ISBN 978-0-521-52929-7, GBP 16,99

Rezensiert von:
Karl-Wilhelm Welwei
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Ruhr-Universität, Bochum

Die archaische Zeit Griechenlands hat seit mehreren Jahren zunehmend gro�es Interesse in der altertumswissenschaftlichen Forschung gefunden. Hierzu haben der "neue Streit um Troia" und die Bem�hungen um eine historische Einordnung der in den homerischen Epen vorliegenden Aussagen der Dichter �ber die von ihnen geschilderte Lebenswelt erheblich beigetragen. Bemerkenswert sind in diesem Kontext auch die jetzt von Raoul Schrott ge�u�erten Vermutungen �ber eine Lokalisierung "der Stadt des Priamos" im S�dosten Kleinasiens und �ber eine gleichsam neue Identit�t Homers, den Schrott als assyrischen Hofschreiber klassifizieren m�chte. [1]

Die angedeutete Thematik betrifft im weiteren Sinne das Problem der Kontaktzonen zwischen den sich formierenden griechischen Gemeinwesen im sp�ten 8. und fr�hen 7. Jahrhundert und dem Vorderen Orient, so dass sich die Frage stellt, ob und inwieweit altorientalische Hochkulturen Einfluss auf die Entstehung von politischen Institutionen im archaischen Hellas genommen haben. Es handelte sich zweifellos um einen langen Transformationsprozess, der bereits nach dem Ende der mykenischen Palastsysteme allm�hlich begann und zu einer grundlegenden Ver�nderung der Lebensverh�ltnisse f�hrte, indem in vorstaatlichen Gesellschaften der Griechen mehr und mehr eine institutionell geregelte Gemeinschaftsordnung entstand.

Diese Entwicklung wird im vorliegenden Sammelband nach einer allgemeinen Einf�hrung des Herausgebers zun�chst in vier Kapiteln von Victor Parker ("Tyrants and Lawgivers"), Jonathan Hall ("Polis, Community, and Ethnic Identity"), Peter Krentz ("Warfare and Hoplites") und Deborah Kamen ("The Life Cycle in Archaic Greece") skizziert. Befremdlich ist, dass Parker den Tyrannen neben den Gesetzgebern einen beachtlichen Stellenwert im Verlauf der Polisbildung beimessen m�chte. W�hrend der Rechtspflege "Schrittmacherdienste" f�r die sp�tere Konzeption der Teilhabe der Polisb�rger an der politischen Meinungsfindung zugeordnet werden k�nnen, ist es schwerlich zutreffend, beispielsweise die Tyrannis des Peisistratos als notwendige Vorstufe der athenischen Demokratie zu werten. Seine Herrschaft blieb ein monarchisches Element, das in die Politeia der Athener nicht integriert werden konnte, w�hrend Gesetze in archaischen Poleis Institutionen voraussetzen, die sich ansatzweise bereits herausgebildet hatten, bevor Einfl�sse aus dem Bereich phoinikischer Gemeinwesen vermutlich die Konsolidierung fr�her Organe des �ffentlichen Lebens beg�nstigten.

Dass im Kontext dieser Entwicklung neben den Poleis auch Vereinigungen in einem gr��eren landschaftlichen Rahmen eine wichtige Rolle spielten, betont mit Recht Jonathan Hall.

Vor einer �bersch�tzung der politischen Auswirkungen der Entwicklung der Phalanxtaktik warnt Peter Krentz, der annimmt, dass die Hopliten nicht in ihrer Rolle als Kombattanten einen Wandel herbeigef�hrt haben. Bereits in der Ilias seien K�mpfe gro�er Kriegerscharen beschrieben. Die Dichter stellen indes nicht Phalangen als Angriffsformationen dar. Sie deuten vielmehr an, dass Kombattanten in kritischen Situationen eine effektive Verteidigungsstellung bilden konnten.

In der Beschreibung des Alltagslebens l�sst Deborah Kamen die erforderliche Kritik an einer aus heutiger Sicht schwer verst�ndlichen Nachricht vermissen. Sie �bernimmt Angaben Plutarchs (Lykourgos 16,1-2) �ber die Aussetzung von vermeintlich schw�chlichen neugeborenen Spartiatens�hnen. Wahrscheinlich sollte aber eine "offizielle" Pr�fung der Neugeborenen verhindern, dass V�ter gegebenenfalls kr�ftige S�uglinge aussetzten. [2]

Im zweiten Teil des Buches er�rtern Jonathan L. Ready ("Homer, Hesiod, and Epic Tradition"), Leslie V. Kurke ("Archaic Greek Poetry") und Andrea Wilson Nightingale ("The Philosophers in Archaic Greek Culture") das Menschenbild der Hellenen in seinen mannigfachen Aspekten in der archaischen Dichtung, Kunst, Religion und Philosophie. Von besonderem Interesse sind hier die fr�hen Philosophen, die neue M�glichkeiten der Deutung der Natur erschlossen, indem sie die Frage stellten, wodurch Seiendes �berhaupt existiert sowie Bestand haben und insofern in seiner Art (physis) erkannt werden kann.

Nach einem informativen �berblick �ber griechische Koloniegr�ndungen zwischen 900 und 480 v. Chr. von Carla M. Antonaccio und nach einer W�rdigung der Bedeutung der panhellenischen Heiligt�mer in Delphi und Olympia von Richard T. Neer bietet Jeffrey M. Hurwit einen zus�tzlichen abschlie�enden Beitrag zur griechischen Kunst in archaischer Zeit, in der neben der Rezeption von Elementen k�nstlerischer Gestaltung aus dem Vorderen Orient ein eindrucksvolles Streben nach neuen normativen Leitbildern erkennbar wird, so dass �hnlich wie in der Dichtung der Hellenen eine Vielfalt menschlicher Sch�pferkraft zum Ausdruck kommt.

Selbstverst�ndlich konnten in diesem relativ schmalen Band nicht alle Aspekte und Probleme, die f�r das Gemeinschaftsleben im archaischen Griechenland von Bedeutung waren, ber�cksichtigt werden. Man vermisst zum Beispiel eine Thematisierung der Anf�nge der M�nzpr�gung. Gleichwohl kann das Kompendium als gelungene Einf�hrung in eine wichtige Formierungsphase des antiken Griechentums gelten.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Robert Rollinger: Wie orientalisch ist Homer?, in: "Die Welt" vom 29.1.2008, 27.

[2] Stefan Link: Zur Aussetzung neugeborener Kinder in Sparta, in: Tyche 13 (1998), 153-164.

Redaktionelle Betreuung: Mischa Meier

Empfohlene Zitierweise:

Karl-Wilhelm Welwei: Rezension von: H. A. Shapiro (ed.): The Cambridge Companion to Archaic Greece, Cambridge: Cambridge University Press 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 4 [15.04.2008], URL: <http://www.sehepunkte.de/2008/04/13206.html>