sehepunkte - 8 (2008), Nr. 2

Joachim Kramer: Justinianische Kämpferkapitelle mit einem Dekor aus Paaren von Zweigen und die Nachfolgekapitelle im Veneto (= Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B: Studien und Perspektiven; Bd. 22), Wiesbaden: Reichert Verlag 2006, 170 S., 107 Abb., ISBN 978-3-89500-491-9, EUR 84,00

Rezensiert von:
Philipp Niewöhner
Deutsches Archäologisches Institut, Istanbul

Joachim Kramers vierte Monografie zur fr�hbyzantinischen Kapitellskulptur [1] gilt den Hauptkapitellen der justinianischen Sophienkirche in Konstantinopel und solchen, die ihnen im Dekor nahe stehen. Kramers "Absicht ist, die verwandten Skulpturen m�glichst vollst�ndig in bildlichen �bersichten und in einem interpretierenden Katalog zusammenzufassen" (5). Das Werk ordnet sich also in die Gattung der Corpora ein.

Auf eine "Einleitung" zum "Kapitelltypus" (11-18) folgt ein Katalog von 38 Kapitellen und Kapitellserien. Diese sind in sechs Gruppen unterteilt: K�mpferkapitelle mit (19-43) und ohne Voluten (45-93), Faltkapitelle (95-102), weitere K�mpferkapitelle, die den "Haupttypus" auf unterschiedliche Weise variieren (103-108), und zwei Gruppen "mittelalterlich-venezianischer Nacharbeiten" (109-143).

Jeder der sechs Kapitellgruppen gilt ein eigener Katalogabschnitt mit einer Einleitung, in der die Kapitelle zu denjenigen der Sophienkirche in Bezug gesetzt und von anderen Gruppen unterschieden werden. Die Katalogeintr�ge enthalten ausf�hrliche Beschreibungen unter Bezugnahme auf zahlreiche Vergleichsbeispiele und k�nnen etwa auch darauf eingehen, wo und wie die Kapitelle gefertigt wurden und wie sie verwendet waren oder sind.

Im Gegensatz zu anderen Corpora sind in Kramers Arbeit auch die Katalogeintr�ge nicht auf Stichw�rter reduziert, sondern in ganzen S�tzen ausformuliert. Das erh�ht die Lesbarkeit, kann aber auch zur Last werden, wenn Triviales umst�ndlich erkl�rt wird, so z. B. die Symmetrieachsen der Kapitelle (11-15, Abb. 1). Zu den K�mpferkapitellen auf Rhodos Kat. 4 ist ein Aufsatz von Claudia Barsanti zu erg�nzen. [2]

Eine "Zusammenfassung" schlie�t den Text ab und wiederholt noch einmal die Merkmale, durch die sich die katalogisierten von anderen Kapitellen unterscheiden (145-148). Der Anhang enth�lt "Literatur zu veneto-byzantinischen Skulpturen" (149) und "die Gr��enma�e der justinianischen Kapitelle" in tabellarischer Auflistung (150-151). Ein "Namensverzeichnis" moderner Autoren, eine Konkordanz zu den Kapitell-Corpora von Deichmann, Dennert, Harrazi, Kautzsch und Zollt (158-162) [3] sowie ein "Orts- und Stichwortverzeichnis" (163-165) beschlie�en den Band.

Gemessen an der Anzahl der katalogisierten Kapitelle ist das Buch mit 19 Textabbildungen und 88 �berwiegend unpublizierten Abbildungen auf Tafeln reich illustriert. Lediglich Kat. 14, 28 und 29 werden aus ungekl�rten Gr�nden nicht abgebildet. Leider bleiben die Katalognummern in den Abbildungsunterschriften ungenannt, so dass man die zugeh�rigen Katalogeintr�ge nicht ohne weiteres findet. Das ist besonders bedauerlich, weil im Text nicht selten nur auf Abbildungen, nicht aber auf Katalognummern verwiesen wird.

Besonders hervorzuheben ist eine Erstpublikation, Kat. 7 im arch�ologischen Museum von Istanbul (49, Abb. 43). Von den �brigen, bereits bekannten St�cken galten Kat. 15-18 an San Marco in Venedig bislang als mittelalterliche Nacharbeiten, Kramer erkennt in ihnen jedoch fr�hbyzantinische Originale (69-82). Dieses Ergebnis k�ndigt er bereits zu Beginn der Einleitung an und begr�ndet damit die "Zusammenstellung �hnlicher oder gleicher Kapitelle" (11), die das Buch zum Gegenstand hat.

So erkl�rt sich auch, warum Kramer den "Dekor aus Paaren von Zweigen" und nicht wie sonst �blich die Form der Kapitelle als Ordnungskriterium w�hlt. Die Ausf�hrung des Dekors war von der Kapitellform unabh�ngig und wurde bei den fr�hbyzantinischen Originalen weitgehend �bereinstimmend besorgt, unterscheidet sich aber bei den mittelalterlichen Nacharbeiten.

Auswahl und Anordnung der Kapitelle sind also von einer bestimmten, eng begrenzten Fragestellung motiviert und darauf ausgerichtet, die venezianischen Eigenarten herauszustellen. Das unterscheidet den vorliegenden Band von anderen Corpora byzantinischer Kapitelle, bei denen die Materialvorlage und das byzantinische Formenrepertoire im Vordergrund stehen.

Man k�nnte deshalb meinen, der Zweck der "Zusammenstellung �hnlicher oder gleicher Kapitelle" "mit einem Dekor aus Paaren von Zweigen" sei mit der Umdatierung der venezianischen Kapitelle ersch�pft. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Kramers origineller Ansatz sich nicht auch noch f�r andere Fragestellungen als fruchtbar erweisen wird. F�r die dort abgebildeten Kapitelle bildet Kramers Studie hinfort jedenfalls das Referenzwerk.


Anmerkungen:

[1] Skulpturen mit Adlerfiguren an Bauten des 5. Jahrhunderts n. Chr. in Konstantinopel, K�ln 1968; Korinthische Pilasterkapitelle in Kleinasien und Konstantinopel. Antike und sp�tantike Werkstattgruppen (= Istanbuler Mitteilungen. Beiheft 39), T�bingen 1994; Sp�tantike korinthische S�ulenkapitelle in Rom bei S. Paolo fuori le Mura, in S. Maria in Domnica und andere (= Sp�tantike, fr�hes Christentum, Byzanz. Reihe B, Studien und Perspektiven 3), Wiesbaden 1997.

[2] Claudia Barsanti: Marmi bizantini nel Palazzo del Gran Maestro dei Cavalieri a Rodi, in: Antonio Iacobini (Hrsg.): Bisanzio, la Grecia e l'Italia, Rom 2003, 17-31, bes. 20-21, Abb. 5. 7. Diesen Hinweis verdanke ich M. Dennert.

[3] Corpus der Kapitelle der Kirche von San Marco zu Venedig, unter Mitarbeit von Joachim Kramer und Urs Peschlow, hrsg. von Friedrich W. Deichmann (= Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Arch�ologie 12), Wiesbaden 1981; Martin Dennert: Mittelbyzantinische Kapitelle. Studien zu Typologie und Chronologie (= Asia Minor Studien 25), Bonn 1997; Noureddine Harrazi: Chapiteaux de la grande mosqu�e de Kairouan, (= Biblioth�que arch�ologique 4), Tunis 1982; Rudolf Kautzsch: Kapitellstudien. Beitr�ge zu einer Geschichte des sp�tantiken Kapitells im Osten vom vierten bis ins siebente Jahrhundert, (= Studien zur sp�tantiken Kunstgeschichte 9), Berlin 1936; Thomas Zollt: Kapitellplastik Konstantinopels vom 4. bis 6. Jahrhundert n. Chr. Mit einem Beitrag zur Untersuchung des ionischen K�mpferkapitells (= Asia Minor Studien 14), Bonn 1994.

Redaktionelle Betreuung: Ute Verstegen

Empfohlene Zitierweise:

Philipp Niewöhner: Rezension von: Joachim Kramer: Justinianische Kämpferkapitelle mit einem Dekor aus Paaren von Zweigen und die Nachfolgekapitelle im Veneto, Wiesbaden: Reichert Verlag 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 2 [15.02.2008], URL: <http://www.sehepunkte.de/2008/02/13114.html>