Das Wahr- und Ernstnehmen von Bildern und Bildlichkeit wird in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen vorangetrieben. Diskurse sind entstanden, die bekunden, wie um Antworten auf die Frage nach der Rolle und Bedeutung von Bildern und Abbildungen aller Art gerungen wird. Die Diskussionen reichen von dem Wert und dem Nutzen von Bildern als Quellen f�r die Forschung �ber methodologische und methodische Probleme bis hin zur Er�rterung der Wirkung und Wirksamkeit von Bildlichkeit, wie sie u.a. in der interdisziplin�r ausgerichteten Bildwissenschaft diskutiert wird. Auch in der Erziehungswissenschaft, insbesondere wenn es um sozialgeschichtliche Fragestellungen geht, wird einerseits das Bild als Quelle f�r bildungsgeschichtliche Erkenntnisse wahrgenommen, die Wirkung und Funktion von Bildern in Bildungsprozessen wird er�rtert oder es werden Bilder in ihrer Funktion als Medien diskutiert. Andererseits stehen aber auch ganz pragmatische Probleme wie die Erhebung und optimale Archivierung von Bildern im Zentrum der Auseinandersetzung.
Sehr zu begr��en ist deshalb die Dokumentation des Symposions �Das Bild in der historischen Forschung� vom Oktober 2004 in Hildesheim, das einen gro�en Teil der immensen Bandbreite von Themen des in der Mitte des ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts diskutierten Umgangs mit Bildern repr�sentierte. So kommen in dem Tagungsband �verschiedene Aspekte der Bilderschlie�ung in der Geschichtsforschung, der allgemeinen und der fachlich-speziellen zum Tragen� sowie �Fragen der Bilderschlie�ung, -erhebung und -archivierung� und die Herausstellung der �mentalit�ts- und sozialgeschichtlichen Pr�ferenz der Bildinterpretation� � wie Rudolf W. Keck in der Einleitung schreibt (3).
Einen systematischen und �u�erst aufschlussreichen Einstieg bietet die Historikerin Heike Talkenberger in ihrem Beitrag �Bilder als historische Quellen � Zur Methode und Praxis der Interpretation�, der einen �berblick �ber g�ngige Methoden der Bildinterpretation gibt, die sie jeweils mit einem praktischen Beispiel aus der historischen Forschung zu veranschaulichen sucht. Ausgew�hlt hat sie die Realienkunde, die Ikonologie, die Serielle Ikonografie, die Funktionsanalyse, die Semiotik und die Rezeptions�sthetik.
In einem methodenkritisch angelegten Beitrag diskutiert und problematisiert der Historiker Alexander Kraus den Umgang mit Bildmaterial in der Geschichtswissenschaft. Seine W�rdigung der Ikonologie des Kunsthistorikers Erwin Panofsky zeigt deren Grenzen f�r die zeitgen�ssische wissenschaftliche Bild-Forschung und bietet zugleich ein Pl�doyer f�r die methodische Erweiterung dieses Ansatzes, um der Vieldeutigkeit und Vielschichtigkeit von Bildern ebenso wie ihrer �neuen� Rolle in der aktuellen Medienwelt gerecht werden zu k�nnen.
Die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Kirk und der Milit�rhistoriker Torsten Loch stellen jeweils Ergebnisse ihrer auf bildlichem Quellenmaterial basierenden Forschungen vor. Kirk befragt Bilddokumente zum Rechenunterricht des 16. und 17. Jahrhunderts und konstatiert, dass sie neben der Best�tigung von bereits Bekanntem auch neue Erkenntnisse f�r die Schulgeschichte zutage f�rdern k�nnen, u.a. die �Verdeutlichung der sozialen Stellung der Lehrer und der Sch�ler, (�) die schriftliche Einbeziehung des Rechnens mit Ziffern im Rechenschulbereich sowie (�) das sich ver�ndernde Alter der Sch�ler (�)� (52). Loch rekonstruiert ein von Reformwillen bestimmtes neues Selbstverst�ndnis der Bundeswehr im politisch brisanten Nachkriegszeitraum der 1950er Jahre anhand einer f�r den Eintritt in die Armee werbenden Zeitungsanzeige.
Der Erziehungswissenschaftler Hartmut Schr�der beschreibt die Entstehung, den Aufbau und die Systematik des p�dagogisch-historischen Bildarchivs am Institut f�r Angewandte Erziehungswissenschaft und Allgemeine Didaktik an der Universit�t Hildesheim, das Rudolf W. Keck und andere seit 1978 aufgebaut haben und das seit 2001 als Teil der Online-Datenbank �Pictura Paedagogica Online� [1] im Internet frei zug�nglich ist. In dieser Datenbank flie�en die Best�nde des Hildesheimer Archivs und der Bibliothek f�r Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts f�r Internationale P�dagogische Forschung in Berlin zusammen. Mit dem Aufbau und dem Zugang, aber auch mit Problemen dieser Datenbank besch�ftigt sich der sehr informative Beitrag von Stefanie Kollmann.
Die Historiker/innen Verena Hupasch, Sabine Todt und Peter M�ller fragen nach dem Ertrag einer methodisch fundierten Analyse historischer Bildquellen aus dem Mittelalter. Der P�dagoge Otto May illustriert, was Postkarten als Quellen zur Erforschung von Mentalit�ts- und Propagandageschichten leisten k�nnen.
Durch die Erziehungswissenschaftlerin Karin Priem wird mit der Fotografie eine weitere Quellengattung thematisiert, die in ihrer Bedeutung gar nicht zu untersch�tzen ist, weil sie nahezu allgegenw�rtig ist. Sie beschreibt die Fotografie als eine visuelle Praxis, die Erziehungsinstitutionen � hier am Beispiel der Familie � bildlich fixiert, damit immer wieder neu konstruiert und so M�glichkeiten der distanzierten und wissenschaftlichen Diskussion �ber diesen Gegenstand schafft.
Insgesamt gibt der Tagungsband damit einerseits einen sehr n�tzlichen �berblick �ber die beachtliche Entwicklung, die der Umgang mit dem Bild als Quelle in der Geschichtswissenschaft, aber auch ansatzweise in den Sozialwissenschaften genommen hat. Andererseits veranschaulicht er deutlich den Entwicklungsbedarf, vor allem hinsichtlich von Methoden des Umgangs mit visuellen Erkenntnisquellen. Ein wenig verwundert allerdings, dass mit der seriell-ikonografischen Fotoanalyse nach Pilarczyk/Mietzner [2] ein wichtiger Bestandteil des damaligen und aktuellen Diskurses in den Erziehungswissenschaften in allen Beitr�gen au�en vorgelassen wird, obwohl damit ein methodisch ausgefeiltes und seit zehn Jahren bew�hrtes Methodenset f�r die Nutzung von Fotografien als Quellen vorliegt.
[1] http://www.bbf.dipf.de/virtuellesbildarc...
[2] Vgl.: Mietzner, Ulrike/Pilarczyk, Ulrike (1997): Der Blick des Fotografen. P�dagogische Perspektiven in der Fotografie. In: Schmitt, Hanno (Hg.): Bilder als Quellen der Erziehungsgeschichte. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 253-373.
Dies. (2005): Das reflektierte Bild. Die seriell-ikonografische Fotoanalyse in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.