Der Sammelband zum Denken und Wirken Martin Bubers entstand anl�sslich einer Tagung in Jena zu dessen 125. Geburtstag 2003. Im Zentrum steht der Dialoggedanke Martin Bubers und damit sein Anliegen, die Kulturen und Religionen ins Gespr�ch zu bringen. Ebenso thematisch umfangreich angelegt sind die Beitr�ge, die in der Einleitung der Herausgeber Martha Friedenthal-Haase und Ralf Koerrenz kurz und pr�gnant vorgestellt werden. Hier kommen sprachtheoretische, theologische, politische und ganz zentral p�dagogische Fragestellungen in den Blick. Auf jene Zentralstellung des P�dagogischen beschr�nkt sich diese Rezension in dem spezifischen Fragehorizont, inwieweit Bubers Denken, jenseits einer Einbettung in den Hebr�ischen Humanismus, als Beitrag zu einer Allgemeinen P�dagogik gesehen werden kann.
F�r eine historisch orientierte Erwachsenenbildung wird die Bedeutung Martin Bubers sp�testens im Anhang des Tagungsbandes offenkundig. Dort findet sich sowohl der deutschsprachige Erstabdruck eines Martin-Buber-Artikels zur Erwachsenenbildung als auch ein Briefwechsel zwischen Martin Buber und Wilhelm Flitner. Was hat es mit diesem Briefwechsel auf sich?
Wilhelm Flitner lud 1924 als damaliger Leiter der Volkshochschule Jenas Martin Buber zu einem Vortrag ein. Auftakt zu einem fachlichen Diskurs einerseits und einer andragogischen Schl�sselerfahrung Martin Bubers andererseits. Beides ausf�hrlich dargestellt und problematisiert in dem Beitrag von Martha Friedenthal-Haase (vgl. 19-54). Seine eigene Problematik zwischen Anspruch und Wirklichkeit sieht Martin Buber allerdings auch selbst, wie der Bericht seines Jena-Besuchs zeigt (vgl. 1-5). Buber sprach vor einem nicht-j�dischen, weithin auch atheistischen Publikum, darunter vielen jungen Arbeitern. Sein Anspruch war, nicht vorzutragen, sondern einen Dialog zu f�hren, und das hie�, eine echte Begegnung zwischen sich und dem Publikum zu suchen. Auf den Einwand eines Arbeiters, dass er Gott nicht brauche, �verf�llt� Buber in einen Vortrag �ber die schon physikalisch auszumachende Relationalit�t der Welt, die zum ewigen Du, zu Gott f�hre. Der Arbeiter gibt sich �berzeugt und Buber ist betr�bt �ber sein Wirken. Denn er hatte mit der Macht seines Wissens in Vortragsform einen Gott der Philosophen vermittelt und nicht die Erfahrung einer Begegnung in einer gemeinsamen dialogischen Erfahrung Wirklichkeit werden lassen. Das lag schon daran, dass er, wie er sich selbst kritisch sagte, lernen m�sse, weit einfacher zu sprechen.
In die richtige Sprache zu kommen gelingt ihm hingegen in einem Gespr�ch mit Paul Natorp in Marburg, von dem er, quasi als Gegenideal, von gegenseitiger dialogischer Betroffenheit berichtet. Was bleibt, ist die p�dagogisch grundlegende Frage, inwieweit sich Erziehung und Bildung, zumal als institutionell-organisierte Bildung, am Ma�stab solch grundlegender dialogischer Durchdringung �messen� lassen k�nnen und sollten?
Dahingehend er�rtert u. a. Leonhard Friedrich �das erzieherische Verh�ltnis aus der Sicht Martin Bubers� (S. 115-128). So habe Buber, selbst Sch�ler Wilhelm Diltheys, sich gegen den Intentionalit�tsbegriff der Dilthey-Schule gewandt. Denn der �p�dagogische Bezug� werde als eine zielgerichtete Einwirkung verstanden, die in der Gefahr stehe, die Erfahrung der Andersheit des Heranwachsenden durch vorgegebene Zweckrationalit�ten zu �berspielen. Buber trifft diesbez�glich eine klare Unterscheidung zwischen der dialogischen Grundbewegung des vorbehaltlosen Gebens und Nehmens und den so genannten Ich-Es-Beziehungen, die auf vergegenst�ndlichtem Wissen und distanzierten Nutzenerfahrungen beruhen. Leonhard Friedrich arbeitet zu dieser Unterscheidung kritisch heraus, dass bei Buber Dialog und Sachbezug zur Erfassung des P�dagogischen zu unvereinbar nebeneinander stehen, insofern P�dagogik auch wesentlich Vermittlung von Welt ist. Jene eigent�mliche Schwebelage (vgl. 121) des erzieherischen Handelns zwischen vertrauter Gegenseitigkeit und distanziertem Vermittlungswillen m�sse sich noch st�rker konkretisieren.
Im Anschluss an die Ausf�hrungen von Leonhard Friedrich wird zudem klar, dass Martin Bubers p�dagogisches Schrifttum, haupts�chlich die �Reden �ber Erziehung�, weder den Anspr�chen wissenschaftlicher P�dagogik folgen noch eine Lehre sein wollen. Vielmehr wollen sie sensibilisieren f�r die Notsignale der Zeit der Vermassung und �innere(n) Entgemeinschaftung� (Buber nach Friedrich S. 118). Was aber bedeutet es, �ber eine allgemeine Sensibilisierung hinaus nicht Wissenschaft und nicht p�dagogische Lehre sein zu wollen? Zur Beantwortung dieser Frage kann ein Blick auf die chassidischen Schriften weiterhelfen. Der Chassidismus ist eine mystische j�dische Str�mung, von der Buber sehr beeinflusst war und die sich nicht in abstrakten Abhandlungen, sondern in volksnahen dialogischen Erz�hlungen kundtut. Ute Holm nimmt sich einer (schon methodisch sehr fragw�rdigen) Analyse beispielhaft vorgestellter chassidischer Dialoge unter didaktischer Fragestellung an (vgl. 129-147). Leider l�sen sich ihre Interpretationen eben doch in Lehren auf und verlassen im Fazit das Narrativ-Dialogische. Eine implizite Didaktik im Sinne Martin Bubers, die keine Lehre, sondern Gespr�ch sein will, m�sste in der dialogischen Form der Interpretation verbleiben und sie nicht in allgemeine Regeln verwandeln. Eine dahingehende implizite Didaktik besteht darin, dass die Geschichten auf etwas zeigen und darum auffordern, das Gesagte f�r jeden konkret werden zu lassen � die Allgemeinheit der von Ute Holm vollzogenen Interpretation stoppt gerade diesen Prozess.
Dass hinter Martin Bubers Ablehnung eine allgemeine Lehre zu vermitteln eine spezifisch j�dische Denktradition steht, kommt besonders gut in den Beitr�gen von Elisabeth Meilhammer (vgl. 149-180) und Michael Volkmann (vgl. 181-193) zum Ausdruck. Elisabeth Meilhammer thematisiert in ihren methodologischen Vor�berlegungen (vgl. 150ff.), dass das Dialogische auch f�r nicht-religi�se Menschen als humanes Prinzip verstanden werden kann, dass aber methodisch bei einer Buber-Interpretation die religi�se Dimension nicht ausgeklammert werden d�rfe. So ist gem�� den �philosophisch-anthropologischen Voraussetzungen der Bildung bei Buber� (160) der Mensch ein von Gott zur Antwort gerufener, d.h. aber auch, dass er ein zur Verantwortung Bef�higter ist. Daraus leitet sich im j�dischen Sinne nicht nur seine Freiheit, sondern auch seine Einmaligkeit ab. Auf die Norm- und Wertfrage bezogen hei�t dies, dass Buber zwar von absoluten, g�ttlichen Geboten ausgeht, diese aber in jeder historischen Situation und f�r jeden Einzelnen interpretationsnotwendig sind. Erst daraus ergibt sich der spezifische Zusammenhang, Toleranz ohne Wahrheitsrelativismus zu denken. F�r Bubers Bildungsverst�ndnis erl�utert dahingehend Elisabeth Meilhammer, dass Wertneutralit�t nicht mit Gleichg�ltigkeit gleichgesetzt werden d�rfe. P�dagogisch konkretisiert bedeutet dies, dass die Lehrperson nicht ��berw�ltigen� d�rfe, aber auf eine begr�ndete Standpunktfindung zu achten habe (vgl. 157f.). Das Dialogprinzip enthalte dahingehend immer den Spannungscharakter, Gemeinschaft zu schaffen, aber doch im Sinne einer Verbundenheit in Andersheit (vgl. 175). F�r den Erzieher hei�t dies sogar, den Schmerz der Spannung wachzuhalten, die den Menschen auf sein pers�nliches Selbst verweist, damit er sich nicht in einer Selbstauslieferung im Kollektiv bet�ube (vgl. 178).
Am Schluss ihres Beitrages nimmt Elisabeth Meilhammer die Frage leider nicht mehr auf, ob Bubers p�dagogisches Konzept auch ohne die spezifisch j�dische Denktradition nachvollziehbar ist. Interessant w�ren hier Bez�ge zur existenzphilosophisch gepr�gten P�dagogik gewesen, z.B. zu Otto Friedrich Bollnow oder auch zu anthropologischen Parallelen im atheistischen Denken Albert Camus' und Jean-Paul Sartres.
Unter Ber�cksichtigung des Beitrags von Michael Volkmann: �Martin Bubers hebr�ischer Humanismus� (181ff.) ist zu konstatieren, dass Buber vorrangig ein j�disches Bildungsprogramm entwirft, das in der Grundeinsicht steht, �dass die Ich-Du-Beziehung zu Gott und die Ich-Du-Beziehung zum Mitmenschen zutiefst aufeinander bezogen sind� (Buber nach Volkmann: 185). Bubers Bildungsprogramm wird zwar schlie�lich universal gedeutet (vgl. 192), d.h. durch die daraus abgeleitete M�glichkeit zur Umkehr in der Erneuerung von Beziehungen, doch bleibt undiskutiert, was gegen die Herrschaft der Mittel als Ziel der Verantwortung an die Stelle Gottes tritt.
Der im Anhang abgedruckte Aufsatz Martin Bubers zur Erwachsenenbildung steht ebenfalls im Kontext der israelischen Situation 1949/50 (vgl. 233-252). Der Entstehungszusammenhang, die leitenden Gesichtspunkte der Edition und die Bedeutung des Textes werden einleitend besonders ausf�hrlich von der Herausgeberin dargelegt (vgl. 217-232!). Zur Bedeutung ist im Anschluss an Buber selbst zu sagen, dass der Text �pr�zedenzlos� ist, da er sich sehr spezifisch mit dem Konzept des Lehrhauses f�r Volksschullehrer befasst, das auf Initiative Martin Bubers in Israel gegr�ndet wurde. Dennoch, so die Herausgeberin, dokumentiere der Text �den gro�en Zusammenhang von Politik, Religion, Ethos und Kultur mit Erziehung und Bildung in Bubers Denken� (232) � und, so lie�e sich erg�nzen, k�nnte er gerade dadurch zu einer Horizonterweiterung aktueller Bildungsdiskussionen beitragen. Das hei�t aber nicht, dass der Text durchweg eine p�dagogische Bereicherung darstellt, wie die Einf�hrung durch die Herausgeberin vermuten l�sst. Schon zu Beginn ist von �Menschenmaterial� (233) die Rede, was zumindest sprachlich wenig zum Dialogdenken passt. Zudem, meint Buber, seien Schulen nicht der rechte Ort zum selbst�ndigen und richtigen Denken (vgl. 233) � sollte damit wirklich erst im h�heren Jugendalter angefangen werden?
Als Hauptaufgabe der Volksbildung benennt Buber aber im Anschluss an seine Interpretation von Bernard Bolzano die �Entfaltung des selbstt�tigen Geistes� (234). Aus seiner Grundtvig-Interpretation leitet er schlie�lich das Gespr�chsprinzip ab, �das ich als das dialogische Prinzip der Erziehung bezeichne� (236). In diesem interpretativen Bezugsrahmen ist erkennbar, dass sich eine dialogische P�dagogik auch au�erhalb des Kontextes eines hebr�ischen Humanismus entwickeln lie�e. Dabei sollte es im Dialog gelingen, falsche Sicherheiten zu ersch�ttern und zwar indem Begriffe gekl�rt und historische Gestaltungsm�glichkeiten er�ffnet werden. Die Parallele zur sokratischen Methode wird offenkundig, wobei Buber jedoch die Ironisierung des Sch�lers und eine prinzipielle erkenntnism��ige �berlegenheit des Lehrers ablehnt.
Ziel f�r alle am Dialog Beteiligten ist ein echter Dienst an der gesellschaftlich-kulturellen Wirklichkeit (vgl. 242f). Durch echte Fragen, durch die auch der Lehrer von seinen Sch�lern lernt, soll eine gemeinsam erfahrene existentielle Bindung an die �Wirklichkeit in dieser geschichtlichen Stunde� (251) erfolgen, die zu verantwortlichem Handeln f�hrt.
Die spezifischen Ausf�hrungen zur Gestaltung des israelischen Volkslehrerhauses verweisen aber erneut darauf, dass in der praktischen Konkretisierung Buber seinem eigenen dialogischen Anspruch zumindest doch nur sehr fragw�rdig nachkommt. Vermittelt werden soll die R�ckbindung an ewige Werte, gleichgesetzt mit der hebr�ischen Sprache, der Bibel und der j�dischen Geschichte � dies vermittelt zumindest keine wirklich verschiedenen Standpunkte, wie es das selbst�ndige und tolerante Denken auch in dieser historischen Situation verlangt h�tte. Ferner sollen die Erzieher an den lebendigen Geist glauben und durch ihr Dasein zum Chaluziut (Pioniertum) erziehen � auch dies klingt eher nach charismatischer F�hrerbeeinflussung als nach dialogischem Prinzip. Gerade diese Widerspr�chlichkeiten im Denken und Wirken Martin Bubers sind aber interessant, verweisen sie doch auf grundlegende p�dagogische Fragestellungen: Welche Bedeutung kommt der Erzieherpers�nlichkeit zu und wie gestaltet sich ihre Verantwortlichkeit zwischen Vermittlungsnotwendigkeit und der F�rderung und Akzeptanz m�ndiger Andersheit? Wie lassen sich individuell-verantwortete Lebensgestaltung und Gemeinschaftsgef�hl p�dagogisch zusammen aufbauen � und schlie�lich, woraufhin haben sich Bildungsprozesse zu verantworten?
Sicherlich keine neuen Fragen, aber dieser Tagungsband macht sie wieder lebendig und erinnert in der Auseinandersetzung mit Martin Buber daran, dass in einem Aktionismus der Mittelgestaltung die Zielfragen des Humanen oftmals vergessen werden. Dahingehend ist die Lekt�re dieses Sammelbandes sicher eine lohnenswerte dialogische Anregung f�r p�dagogische Grundlagenfragen. An genauen Quellenangaben zur Martin-Buber-Forschung Interessierte kommen zudem in den Beitr�gen voll auf ihre Kosten � ungeduldige Leser allerdings m�ssen mit vielen Wiederholungen und stellenweise allzu ausf�hrlichen Darstellungen rechnen.
EWR 5 (2006), Nr. 6 (November/Dezember)
Martin Buber
Bildung, Menschenbild und Hebr�ischer Humanismus
Paderborn, M�nchen, Wien, Z�rich: Ferdinand Sch�ningh 2005
(263 S.; ISBN 3-506-71790-1; 29,90 EUR)
Petra Reinhartz (Flensburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Petra Reinhartz: Rezension von: Friedenthal-Haase, Martha / Koerrenz, Ralf (Hg.): Martin Buber, Bildung, Menschenbild und Hebr�ischer Humanismus. Paderborn, M�nchen, Wien, Z�rich: Ferdinand Sch�ningh 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 6 (Veröffentlicht am 28.11.2006), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/50671790.html
Petra Reinhartz: Rezension von: Friedenthal-Haase, Martha / Koerrenz, Ralf (Hg.): Martin Buber, Bildung, Menschenbild und Hebr�ischer Humanismus. Paderborn, M�nchen, Wien, Z�rich: Ferdinand Sch�ningh 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 6 (Veröffentlicht am 28.11.2006), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/50671790.html