sehepunkte - 7 (2007), Nr. 12

Avinoam Shalem: The Oliphant. Islamic Objects in Historical Context, Leiden / Boston / Tokyo: Brill Academic Publishers 2004, xxi + 157 S., 92 fig., ISBN 978-90-04-13794-3, EUR 104,00

Rezensiert von:
Daniel Redlinger
Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn

Olifanten z�hlen zu den au�ergew�hnlichsten erhaltenen Kunstobjekten; die meisten von ihnen wurden innerhalb des islamischen Kulturraums oder in seinem Einflussbereich hergestellt. Gefertigt wurden sie aus den Sto�z�hnen von Elefanten. Ungef�hr 75 erhaltene Objekte sind bekannt und �ber eine Vielzahl von Museen, privaten Sammlungen und Kirchensch�tzen verteilt. W�hrend sich die Datierung der meisten Olifanten in den Zeitraum des 11. - 13. Jahrhunderts belegen l�sst, f�hrt der Diskurs um ihre genaue Herkunft und die Frage nach den an ihrer Fertigung beteiligten Handwerkern in der wissenschaftlichen Forschung bis heute zu unterschiedlichen Deutungen. Besonders die Frage nach dem Grund f�r das Auftauchen der Olifanten an westlichen H�fen und in Kirchensch�tzen kurz nach ihrer Fertigung und ihre Funktion im europ�ischen Mittelalter blieb in der wissenschaftlichen Bearbeitung bisher nur sehr einseitig und zumeist unzureichend untersucht. So existieren kaum fach�bergreifende Arbeiten mit einem interdisziplin�ren Ansatz, die die Olifanten in ihren historischen Kontext innerhalb des islamischen und europ�ischen Kulturraums einzugliedern verm�gen.

Genau an diesem Punkt setzt die Publikation von Shalem an. Bei seiner Untersuchung beschr�nkt er sich auf die gr��te Gruppe der Olifanten, die auf Grund ihrer Herkunft als "sarazenische" Olifanten bezeichnet werden. Bereits in seiner Darlegung des Forschungsstandes weist er auf die Problematik dieses Begriffes hin (9-10). Mit dieser ungenauen terminologischen Eingrenzung wird in dem umfangreichen Standardwerk �ber Elfenbeinarbeiten von Ernst K�hnel [1] die gr��te Gruppe der Elfenbeinarbeiten zusammengefasst, die entweder von islamischen, zumeist fatimidischen Handwerkern, gefertigt wurden oder deren Fertigung unter dem k�nstlerischen Einfluss dieses Kulturraumes stand. Diese irref�hrende Bezeichnung ist auch auf den fr�hzeitigen Tod K�hnels zur�ckzuf�hren, der sein Werk nicht selber vervollst�ndigen konnte (10, 52-54). Redaktionelle Fehler, die sich nach seinem Tod einschlichen, wurden in folgenden wissenschaftlichen Publikationen von verschiedenen Wissenschaftlern besonders in Bezug auf die genaue Unterscheidung zwischen in �gypten gefertigten fatimidischen Olifanten und Olifanten, die au�erhalb des fatimidischen Herrschaftsbereiches gefertigt wurden, unkritisch �bernommen.

Bevor Shalem seine neue Einordnung der Elfenbeine vorstellt, er�rtert er in zwei kurzen Kapiteln die etymologische und terminologische Ableitung des Begriffes Elfenbein (13-37). Au�erdem erkl�rt er kurz die Beschaffenheit des Materials. Von grundlegender Bedeutung sind hier vor allem die von Shalem erstmals untersuchten und dargestellten Handelswege des Elfenbeins (38-49). �hnlich aufschlussreich ist hierbei auch die Bearbeitungstechnik des Werkstoffs Elfenbein, aus denen Untersuchung R�ckschl�sse auf die Handwerker und Werkst�tten gezogen werden k�nnen (38-49).

Auf der Basis der vorangegangenen Kapitel und unter Ber�cksichtigung der fr�heren Arbeiten K�hnels [1] und von Falkes [2] entwickelt Shalem eine neue stilistische Einordnung der "sarazenischen" oder als "orientalisch" (von Falke) bezeichneten Elfenbeinh�rnern (61-79). Er gliedert diese in drei verschiedene Gruppen: 1. Olifanten, die im fatimidischen Herrschaftsbereich im Mittelmeerraum entstanden sind 2. Objekte, die in �gypten gefertigt wurden und 3. eine Gruppe die, ebenfalls durch die fatimidische Kunst beeinflusst, im normannischen Sizilien hergestellt wurden. Neben der Klassifizierung widerlegt Shalem in diesem Zusammenhang anhand von zahlreichen Quellen die Behauptungen K�hnels, dass Olifanten in der islamischen Kultur und am Hof keine besondere Bedeutung zugekommen seien und sie weder in muslimischen zeitgen�ssischen Quellen erw�hnt, noch jemals im islamischen Kulturraum gefunden worden sind (54).

Das vorletzte Kapitel (80-106) ist der Funktion und Bedeutung der Olifanten f�r die Besitzer und Auftraggeber aus dem abendl�ndischen Kulturraum gewidmet. Dabei steht die "iconography of the material" (82), seine besondere Beschaffenheit nach der Bearbeitung und die dadurch entstehende Bedeutung als Luxus- und Prestigeobjekt, als Exotica, als Tributzahlung und Gesandtschaftsgeschenk im Mittelpunkt. Des Weiteren wird die m�gliche Aussage des figuralen Dekors auf den Olifanten als Symbol f�r herrscherliche Macht und St�rke sowie seine apotrop�ische Funktion diskutiert. Unter der Annahme, dass eine Vielzahl der Olifanten der ersten Gruppe von christlichen Herrschern in Auftrag gegeben wurden, stellt Shalem die These auf, Olifanten k�nnten als Symbol f�r den mittelalterlichen christlichen Ritterethos gestanden haben. Diese These verbindet er mit dem Rolandslied und der Bedeutung des Horns als aide m�moires f�r den Kampf der Christenheit gegen die muslimischen Heere (101-104).

Im letzten Abschnitte seiner Arbeit wendet sich Shalem der Funktion und Bedeutung der Olifanten zu, die ab der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts zumeist als Leihgabe an die Kl�ster und Kirchen gelangten. Einen Grund f�r das Auftauchen in den Kirchensch�tzen sieht Shalem in ihrer Funktion als Reliquienbeh�lter und ihre assoziative Verkn�pfung mit einem noblen Tr�ger (118). Zudem leitet er besonders aus den auf den Olifanten in Kirchensch�tzen abgebildeten Jagdszenen ihre Funktion als symbolischer Beleg f�r die �bertragung von Landrechten an die Kl�ster ab (120-123). Eine letzte Deutung, die er mit Bezug auf die abgebildeten Fabelwesen entwickelt ist ihre Funktion als Abbildung der Wunder der Welt (124). Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass sich um eine Vielzahl der in Kirchen- und Kl�stersch�tzen befindlichen Olifanten recht schnell eine vielf�ltige Legendenbildung entwickelte und ihnen magische Kr�fte zugesprochen wurden (130-135).

Insgesamt handelt es sich bei dem vorliegenden Werk um eine f�r Historiker und Kunsthistoriker des okzidentalen und islamischen Kulturraums und Orientalisten gleicherma�en interessante Publikation, in der der Autor es versteht, diese Fachbereiche wissenschaftlich fundiert und sinnvoll zu verkn�pfen. In Hinblick auf die vorangegangenen Publikationen zu dem Thema Olifanten bietet die Arbeit eine F�lle neuer Informationen. Nicht zuletzt wird dieser Eindruck durch das umfangreiche Bildmaterial mit 15 Farbtafeln und 92 Schwarzwei�abbildungen unterst�tzt, die diese Publikation zu einer interessanten und wegweisenden Lekt�re machen.


Anmerkungen:

[1] Ernst K�hnel: Die islamischen Elfenbeinskulpturen VIII.-XIII. Jahrhundert, Berlin 1971.

[2] Otto von Falke: Elfenbeinh�rner. I �gypten und Italien, in: Pantheon 4 (1929), 511-517; ders.: Elfenbeinh�rner. II Byzanz , in: Pantheon 5 (1930), 39-44.

Redaktionelle Betreuung: Stephan Conermann

Empfohlene Zitierweise:

Daniel Redlinger: Rezension von: Avinoam Shalem: The Oliphant. Islamic Objects in Historical Context, Leiden / Boston / Tokyo: Brill Academic Publishers 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 12 [15.12.2007], URL: <http://www.sehepunkte.de/2007/12/12056.html>