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Liebeskonzepte, Frauenbilder und Gesellschaftskritik im 18. und 20. Jahrhundert

Romaneske, dramatische und filmische Verarbeitungen von Laclos' Les Liaisons dangereuses

  • Kirsten von Hagen: Intermediale Liebschaften. Mehrfachadaptationen von Choderlos de Laclos' Briefroman »Les Liaisons dangereuses«. (Siegener Forschungen zur romanischen Literatur- und Medienwissenschaft 15) Tübingen: Stauffenburg 2002. XIII, 386 S. zahlr. Abb. Kartoniert. EUR (D) 76,00.
    ISBN: 3-86057-535-X.
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Choderlos de Laclos’ 1782 erschienener Briefromans Les liaisons dangereuses hat im 20. Jahrhundert eine Reihe von literarischen und filmischen Verarbeitungen erfahren. Über die Gründe, warum dieser Roman besonders in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehrfach in verschiedenen Medien verarbeitet wurde, läßt sich nur spekulieren. Kirsten von Hagen vertritt in Intermediale Liebschaften, einer Arbeit, mit der im Jahr 2000 in Bonn promoviert wurde und die als Überblick über die wichtigsten literarischen, dramatischen und filmischen Verarbeitungen des Romans angelegt ist, die These, daß bereits die 80er des 20. Jahrhunderts von einer Antizipation der Jahrhundertwende und einer damit verbundenen Endzeitstimmung geprägt waren und diese Zeit sich so im Roman über die Dekadenz am Ende des 18. Jahrhundert widergespiegelt sehen konnte. Ob diese These zutreffend ist, sei dahingestellt. Die Behauptung jedoch, daß Laclos »einen geradezu revolutionären Roman […], der in einigen zentralen Punkten bereits Erzählverfahren der Moderne antizipiert,« (S. 360) verfaßt habe, befremdet: kaum eine Erzählform ist charakteristischer für das 18. Jahrhundert als der Briefroman. Nachvollziehbarer erscheint die Feststellung, daß der Roman diverse modern anmutende bzw. aktualisierbare Themen enthalte: »Liebe im Spannungsfeld von Selbstverwirklichung und Macht, der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, die Opposition Vernunft – Gefühl.« (S. 7)

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Situierung in der
Intermedialitätsforschung

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In einem theoretischen Kapitel zur Vorgehensweise wird versucht, die Arbeit im Feld der Intermedialitätsforschung zu situieren. Sie verstehe sich als »exemplarischer Beitrag (Transformation eines buchliterarischen in einen szenischen bzw. filmischen Text) zur Intermedialität, ohne den Anspruch einer theoretischen Analyseanleitung zum Komplex der Literaturverfilmung zu erheben« (S. 14). Dabei »präferiere« die Untersuchung »eine Mischform von strukturalistisch-semiotischer und hermeneutischer Herangehensweise, die offen bleibt für einzelne Spielarten« (S. 15). Bezüglich der Vorgehensweise spricht von Hagen von einem »narrativen [?] Ansatz« (u.a. S. 351), der in einer Synthese aus Makro- und Mikroanalyse bestehe. Gemeint ist damit, daß die Adaptationen zum einen im Hinblick auf Handlungsverlauf, Figurenkonstellation, Raum- und Zeitstrukturen untersucht werden und daß zum anderen die Umsetzung einzelner signifikanter Sequenzen (Briefe, Szenen) analysiert wird.

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Die literarische Vorlage: Analyse
und Interpretation

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In einem ersten Teil stellt von Hagen den Text von Laclos vor. Nach einer kurzen Darstellung des historischen Kontextes, des ancien régime vor der französischen Revolution, erfolgt eine eingehende Analyse des Romans.

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Eingegangen wird zuerst auf die Form des Briefromans: auf den Brief als Darstellungs- und zugleich Handlungselement sowie als Medium der Selbstinszenierung und auf den Briefroman als polyperspektivische Darstellungsform, die einerseits in gewisser Weise eine unmittelbare, weil nicht durch einen Erzähler vermittelte Darstellung von Ereignisse ermöglicht, deren Darstellungen andererseits jedoch durch ihren fragmentierten und subjektiven Charakter nur bedingt als zuverlässig angesehen werden können, so daß dem Rezipienten die Verantwortung für die Herstellung eines Gesamtbildes einschließlich der Bewertung der Einzelteile übertragen wird. Eingegangen wird des weiteren auf den Handlungsverlauf, die Erzählstruktur (hierunter werden Fragen der zeitlichen Anordnung der Briefe verhandelt), die zeitlichen und räumlichen Strukturen der Geschichte sowie auf die Figurenkonstellation, die mit einer Charakterisierung der zentralen Figuren abschließt.

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Vorgestellt werden zudem vier Lesarten des Romans. Unter der Überschrift »Der Roman als historisches Dokument« wird die Lektüre von Laclos’ Roman als Beschreibung bzw. Kritik der Gesellschaft und Sitten seiner Zeit behandelt. Unter »Der Roman als feministisches Manifest« geht es um Interpretationen, die – nicht zuletzt wegen Laclos’ essayistischer Kritik an der Erziehung der Frau – in den Darstellungen der Frauenfiguren und insbesondere in den Äußerungen der Marquise de Merteuil einen emanzipatorischen Impetus zu erkennen glauben. Philosophisch ausgerichtete Deutungen sehen in Laclos’ Roman eine Kritik am Rationalismus der Aufklärung, da die beabsichtigte totale Kontrolle der Emotionalität am Ende nicht gelingt.

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Obwohl die Autorin keine Bewertung der einzelnen Lesarten vornimmt, wird deutlich, daß die vierte Lesart, die Interpretation des Romans als Diskurs über die Liebe, sich als besonders fruchtbar erweist. ›Wahre Liebe‹ scheint in Laclos’ Roman wenn überhaupt, allenfalls als unerreichbares Ideal thematisiert. Die romantische Liebe zwischen Cécile und Danceny sei als jugendliche Schwärmerei ohne Zukunft zu interpretieren, und Madame de Tourvels Hingabe werde zur schrankenlosen Bewunderung des Geliebten, die sie letztlich ins Unglück stürze. Valmonts Vermischung von vorgetäuschten und echten Empfindungen werde als derart undurchdringlich dargestellt, daß der Leser kaum etwas Endgültiges über Valmonts Gefühle aus dem Text herauslesen könne. Allerdings könne auch Merteuil, für die die Liebe nur einen Vorwand für Erotik und körperliches Vergnügen darstelle, im emotionalen Machtspiel mit Valmont ihre rationalistische Haltung nicht durchhalten, so daß sie das auf gegenseitige Achtung und Freiheit basierende Vertrauensverhältnis mit ihrem Komplizen aufkündige und damit seinen Tod und ihre eigene gesellschaftliche Ächtung herbeiführe. Fruchtbar für die Betrachtung der Adaptationen werden die vier verschiedenen Lesarten insofern, als die unterschiedlichen Verarbeitungen in der Regel als Akzentuierung einer dieser Interpretationen gelesen werden können.

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Fortschreibungen
aus weiblicher Perspektive

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Vor den dramatischen und filmischen Verarbeitungen behandelt von Hagen zwei »Romaneske Fortschreibungen der Liaisons dangereuses aus weiblicher Perspektive«. Es handelt sich um Een gevaarlijke verhouding of Daal-en Bergse brieven (1976) der niederländischen Autorin Hella S. Haasse und La beauté en hiver (1987) der Französin Christiane Baroche. Beide Fortschreibungen nehmen ihren Ausgang an dem oft als problematisch angesehenen Schluß des Romans, der ungenügend motivierten Bestrafung der weiblichen Hauptfigur.

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Von Hagen beschreibt Haasses Werk als Briefroman zwischen Merteuil und einer der Autorin angenäherten Korrespondentin, die zeitweise auch als Ich-Erzählerin auftrete. Dieser Roman erinnere durch seine dialogische Struktur und seine Themenfelder eher an einen philosophischen Dialog. Insgesamt sei Haasses Roman weniger eine Fortsetzung als eine auf die Marquise de Merteuil zentrierte Exegese des Laclosschen Romans. Haasse setze sich kritisch mit der rationalistischen Liebeskonzeption Merteuils auseinander, entschuldige jedoch Merteuils Handlungsweise gleichzeitig mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten des 18. Jahrhunderts und der darin festgeschriebenen Rolle der Frau.

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Christiane Baroche läßt das Leben der Marquise de Merteuil vor und nach den Ereignissen in Laclos’ Roman von einer heutigen Nachfahrin der Marquise erzählen. Der Roman kann als positive Gegendarstellung des Lebens der Marquise gelesen werden: ihre Handlungen werden durch ein frühe unglückliche Liebe motiviert, und nach ihrer Flucht entwickelt sie sich zu einer liebesfähigen und mitfühlenden Frau. Hier sieht von Hagen, indem sie die Aussagen des Romans (ohne weitere Begründung) als Aussagen der Autorin interpretiert, eine Instrumentalisierung der Laclosschen Figur zur Darstellung von Baroches Ansichten über die Rolle der Frau in der Gesellschaft damals und heute.

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Betrachtet man die Konzeption der Arbeit, ist kritisch anzumerken, daß die durchaus interessanten Untersuchungen zu den Fortschreibungen aus dem Rahmen der Behandlung von Adaptationen etwas herausfallen. Zwar begründet von Hagen die Behandlung der Fortschreibungen damit, daß diese wichtige Rückschlüsse auf medienspezifische Schreibweisen erlaube, aber die Relevanz der an die Texte gestellten Frage »Wie wird die Perspektivität des Laclos’schen Textes umgesetzt, welcher Stellenwert kommen dabei die Briefe zu?« für die Analyse von die Geschichte des Romans weiterspinnenden Erzähltexten erscheint nicht wirklich nachvollziehbar.

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Die dramatischen Verarbeitungen:
Fleck, Müller, Hampton

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Nach einigen allgemeinen Bemerkungen zum Theater als Kommunikations- und Zeichensystem (die leider in keiner Weise für die folgenden Analysen fruchtbar gemacht werden) behandelt von Hagen die früheste Bearbeitung im deutschen Sprachraum, Rudolf Flecks Gefährliche Liebschaften (1979/80) sowie die beiden erfolgreichsten Dramatisierungen, Heiner Müllers Quartett (1982) und Christopher Hamptons Les liaisons dangereuses (1986). Die Dramen werden im Hinblick auf den Handlungsverlauf (Veränderungen gegenüber dem Roman), den Umgang mit dem Briefcharakter des Prätextes (Transformation der Briefe), die gewählten Schauplätze und die Figurenkonstellation und -konzeption beschrieben, analysiert und interpretiert.

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Von Hagen ist bemüht, die dramatischen Adaptationen im Vergleich mit dem Roman objektiv zu beschreiben, ja ihnen möglichst viele positive Seiten abzugewinnen. So wird in Flecks Adaptation die Aufteilung der Bühne, z.B. in Valmonts Schreibzimmer (seitlich im Vordergrund) und Rosemondes Landsitz (mittig im Hintergrund) hervorgehoben, da diese in Parallelmontagen eine Art Umsetzung des Briefcharakters der Vorlage ermögliche. Als Grund für den Mißerfolg von Flecks Drama (es gab nur eine Inszenierung in Lübeck) wird die Literarizität des Textes angeführt – eine etwas schmeichelhafte Umschreibung für die Tatsache, daß Flecks Text zum Großteil eine Montage aus wörtlich übernommenen Briefpassagen der Übersetzung von Heinrich Mann darstellt und somit die Schriftsprache der Briefe ohne Transformation den Bühnenfiguren in den Mund gelegt wird.

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In Müllers Quartett sieht Hagen eine »Weiterentwicklung der bereits bei Laclos angelegten zentralen Fragen, wie die nach dem Stellenwert von Körper, Seele, Materialität und Idealismus« (S. 178) und damit auch eine Weiterentwicklung der schon bei Laclos vorhandenen Aufklärungskritik. Das Motiv des Geschlechterkampfes diene dazu, gesellschaftliche Machtstrukturen zu durchleuchten. Durch den Spiel-im-Spiel-Charakter des Dramas und das damit verbundene Rollenspiel der Figuren (2 spielen 4, Mann spielt Frau, Frau spielt Mann) werde die dem Roman inhärente Thematik der Opposition von Schein und Sein sowie des Geschlechterantagonismus in die Struktur der Bearbeitung transportiert.

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Im Gegensatz zu Müllers eher als Variation über den Roman anmutendem Zweipersonenstück bleibt Hamptons well-made-play, welches die Briefinhalte in durchaus gelungene Bühnendialoge transferiert, näher an der Geschichte des Romans, auch wenn diese in signifikanter Weise neu akzentuiert wird. Da die Erläuterung der Beweggründe der Merteuil stark gekürzt werde, gehe, so von Hagen, der emanzipatorische Impetus der Romanvorlage verloren. Zudem werde die Beziehung Valmonts zu Tourvel als romantische Liebe dargestellt. Beides zusammen führe dazu, daß Valmont passiv und als Opfer von Merteuils Intrigen erscheine. Valmonts Ohnmacht werde auch in der Übersetzung seines Schlüsselsatzes »Ce n’est pas de ma faute« in »It’s beyond my control« unterstrichen. Zudem werde die historisch-gesellschaftliche Bedeutung der Geschichte durch die Einblendung der Guillotine am Ende verstärkt und deren Übertragbarkeit auf die Verhältnisse der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in England durch Textstellen wie »halfway through the eigthies« und »the century is drawing to its close«, die offensichtlich auch auf die Entstehungszeit des Stückes zielen, nahe gelegt.

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Die filmischen Verarbeitungen: Vadim,
Frears, Forman, Kumble

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Von den filmischen Adaptationen werden nur die Kinofilme, nicht die Bearbeitungen fürs Fernsehen berücksichtigt: Roger Vadims Les Liaisons dangereuses 1960 (1959), Stephen Frears’ Dangerous Liaisons (1989), Milos Formans Valmont (1989), Roger Kumbles Cruel Intentions (1999). Die Filme werden nach denselben Beschreibungs- und Analysekategorien untersucht wie die dramatischen Verarbeitungen. Hinzu treten kurze filmhistorischen Einordnung des Regisseurs und – für die Beschreibung der jeweiligen Adaptation wichtiger – die Berücksichtigung der filmischen Umsetzung von der Bildkomposition über den Schnitt bis hin zur Besetzung, die im Hinblick auf das Image der verwendeten Schauspieler thematisiert wird.

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Vadims Transposition der Geschichte in die feine Pariser Gesellschaft am Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts führt zwangsweise zu einer Reihe von Änderungen im Handlungsverlauf. Diese Veränderungen führen jedoch auch zu einer Verlagerung der Bedeutungsakzente: Merteuil und Valmont werden zum Ehepaar im Diplomatenmilieu, so daß ihre Komplizenschaft nun das Ausleben einer gesellschaftlich verbotenen offenen Ehe betrifft; aus der Landpartie wird ein Skiurlaub, der eine ähnliche Vermummung der Körper wie im 18. Jahrhundert erlaubt; die Briefe werden größtenteils durch moderne Kommunikationsmittel wie Telefon, Telegramm und Tonband ersetzt. Zudem arbeitet von Hagen besonders Vadims Darstellung von Merteuil als einer empfindsamen, intelligenten und emanzipierten Frau heraus, die in einer von Doppelmoral geprägten Gesellschaft letztlich einsam bleiben muß. Von Hagens Übernahme der von Vadim und seinem Mitarbeiter Vailland mehrfach geäußerten gesellschaftskritischen, ja marxistischen Intention als Interpretationsansatz erscheint jedoch etwas zu unkritisch, da der Film weniger von dieser Intention transportiert, als Regisseur und Drehbuchautor behaupten.

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Der mit 3 Oscars ausgezeichnete Film von Frears basiert eigentlich auf dem Drama von Hampton. Von Hagen zeigt, wie es Frears zum einen gelingt, durch Reintegration einiger Briefe und des Briefeschreibens in Parallelmontage mit der Lektüre der Briefe den Briefcharakter der Romanvorlage wieder stärker zu akzentuieren und wie er zum anderen durch eine Dramaturgie der Blicke und des Minenspiels die unausgesprochenen Gefühle der Figuren sichtbar macht. Die bereits von Hampton vorgenommene Akzentuierung der romantischen und damit moralisch bessernden Liebe Valmonts zu Trouvel werde zwar beibehalten, die Beweggründe der Merteuil würden jedoch durch wenige Sätze und durch das sie umgebende setting deutlicher, und so wirke die Figur nicht so einseitig negativ wie in Hamptons Drama. Durch die Konzentration auf die Psychologie und die Emotionen der Personen (u.a. durch die häufige Verwendung von Nahaufnahmen der Gesichter) werde das Überzeitliche der Geschichte um Liebe, Verrat und Tod hervorgehoben.

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Forman entfernt sich mit Valmont, obwohl er die Geschichte im 18. Jahrhundert beläßt, wohl am weitesten von der Romanvorlage. Knotenpunkte der Handlung, wie der 81. Brief (Merteuils Lebenskonzeption), Valmonts Wohltäterkomödie, Valmonts Weigerung der Verführung Céciles werden getilgt, andere werden gänzlich verändert: der Pakt zwischen Merteuil und Valmont wird zur belanglosen Wette, Cecile heiratet am Ende Gercourt, und Danceny scheint die Nachfolge Valmonts als Liebling der Gesellschaft anzutreten. Daß damit die Kohärenz der Geschichte und die Motivation der Charaktere auf der Strecke bleiben, wird in von Hagens Interpretation zwar erwähnt, scheint aber für die extrem positive Bewertung dieses (eigentlich recht langatmigen) Films ohne Bedeutung. Von Hagen ist der Ansicht, daß es Forman wie in allen seinen Filmen auch in diesem um die Frage gehe, wie sich die junge Generation in der Welt der Erwachsenen zurechtfinden kann. Zudem stehe die Identitätssuche Valmonts bzw. allgemeiner des Mannes im Zeitalter weiblicher Autonomiebestrebungen und im Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft im Mittelpunkt. So werden die Veränderungen der Geschichte als unproblematisch, ja als Gewinn dargestellt, da Forman bewußt in einer postmodernen Lesart Explikationszusammenhänge dekonstruiere, um neue, eigene Sinneinheiten zu schaffen.

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Kumble macht aus dem Briefroman des 18. Jahrhunderts ein Teenager-Drama im US-amerikanischen College-Milieu der 1990er Jahre. Der Handlungsverlauf wird dabei im großen und ganzen beibehalten, jedoch mit Problemen des 20. Jahrhunderts durchsetzt: Drogen, Konsumverhalten, Rassenunterschiede (anstatt Klassenunterschiede). Als massivsten Eingriff in die Geschichte arbeitet von Hagen Sebastians (= Valmont) fast erfolgreichen Versuch, Annette (= Tourvel) zurückzuerobern, sowie die Transformation des Duells heraus. Der Kampf zwischen Sebastian und Ronald (= Danceny) kommt eher zufällig zustande. Zudem stirbt Sebastian quasi als Märtyrer, da er Annette das Leben rettet. Noch stärker als in anderen Adaptationen wird aus Sebastian/Valmont eine durch wahre Liebe geläuterte Figur.

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So stellt von Hagen am Ende fest, daß in jeder der vier Adaptationen »eine Tendenz zur Konzentration auf die zentralen Figuren zu erkennen« sei, »sowie ein Hang, psychologische Konflikte stärker in den Vordergrund zu rücken« (S. 356). Damit einher gehe, daß die meisten Adaptationen dem idealistischen Prinzip der Liebe als Passion huldigten: während in Laclos’ Roman die Erfüllung des Menschen durch die Liebe nicht vorgesehen ist, zeichnen die meisten Adaptationen das Verhältnis Valmont-Tourvel als eine den Libertin durch ihre Einzigartigkeit bekehrende Liebesbeziehung. Einzig Müllers Quartett und Formans Valmont huldigen, so von Hagen, nicht einem romantischen Liebeskonzept – das mag auch der Grund sein, warum diese beiden als postmoderne Lesarten bezeichneten Werke wenn nicht explizit so doch implizit sehr viel höher bewertet werden als die anderen.

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Fazit

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In Konzeption und Theorie kann die Arbeit nicht wirklich überzeugen. Daß die Motivation für die Behandlung der narrativen Fortschreibungen in einer auf Adaptationsanalysen angelegten Arbeit ungeklärt bleibt, wurde bereits erwähnt. Die theoretischen Teile zur Intermedialität, zur dramatischen Adaptation oder zur Literaturverfilmung kommen über wissenschaftliche Gemeinplätze zum Thema nicht hinaus, stehen isoliert und haben so gut wie keine Verbindung zu den Analysekapiteln. Aber von Hagen liefert eine ausführliche Darstellung der wichtigsten Verarbeitungen von Laclos’ Roman im 20. Jahrhundert. Den impliziten Wertungen muß man nicht zustimmen, aber die einzelnen Untersuchungen bieten gründliche Analysen und gut begründete Interpretationen. Eine solche Zusammenschau war (auch vor Kumbles Verfilmung) schon lange ein Desiderat der Forschung. So ist das Buch als Kompendium der Liaisons-Dangereuses-Verarbeitungen sehr hilfreich.