Martin Ohst

Gottfried Hornig: Johann Salomo Semler. Studien zu Leben und Werk des Hallenser Aufklärungstheologen. (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 2) Tübingen: Max Niemeyer 1996. XII u. 343 S. Kart. DM 138,-.



Die kirchen- und theologiegeschichtliche Erforschung der deutschen Aufklärung steht hinter der Aufmerksamkeit weit zurück, die diese geschichtliche Formation in anderen historischen Disziplinen gefunden hat und findet. Dieses Defizit hat gewichtige theologiegeschichtliche Gründe. In der Optik der meisten tonangebenden Schulrichtungen protestantischer Theologie seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts, also seit deren Anreicherung durch Romantik, Idealismus und Erweckungsbewegung, galt und gilt aufgeklärte Frömmigkeit, Kirchlichkeit und Theologie als Inbegriff des Minderwertigen und Verächtlichen. Das ist erstaunlich, wenn man sich klarmacht, daß das bis heute gebräuchliche Handwerkszeug gerade der historisch- theologischen Disziplinen weitgehend eben in der Aufklärung erarbeitet worden ist. Es hat freilich immer auch Ausnahmen von dieser traurig-bornierten Regel gegeben, Forscher, die sich, unbekümmert um vorurteilsbeladene Ignoranz, intensiv und mit unbeirrbarem Verständniswillen mit dieser Phase der Geschichte des evangelischen Christentums beschäftigt haben.

Unter den Lebenden hat hier sicherlich kaum jemand so lange und so beharrlich gearbeitet wie Gottfried Hornig. 1961 veröffentlichte er eine profund gelehrte Untersuchung über den wohl innovativsten deutschen Aufklärungstheologen, J. S. Semler (1725-1791) 1. Von 1963 bis 1992 Lehrstuhlinhaber für Systematische Theologie (Dogmatik) in der Ev.-theol. Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, hat er eine ganze Reihe von wichtigen Forschungsarbeiten über Semler sowie über Zeitgenossen angeregt und betreut. Und er hat selbst an diesem Thema beharrlich weiter gearbeitet. Wer schon einmal Semler gelesen hat, weiß, was das bedeutet. Ganz gleich, ob die Bemerkung eines intimen Kenners und ebenso wohlwollenden wie sensiblen Interpreten zutrifft, Semlers Deutsch sei das schlechteste, "das je ein Deutscher von geistigem Rang geschrieben hat" 2 - Semlerlektüre ist geistige Knochenarbeit. Und dieser Knochenarbeit hat sich Hornig seit bald vier Jahrzehnten immer wieder unterzogen. Er hat dabei eine stattliche Reihe von Aufsätzen publiziert, die das kaum überschaubare literarische Riesenwerk dieses vom gegenwärtigen Standpunkt aus vielfach zugleich seltsam-altfränkisch und doch auch hochaktuell anmutenden Mannes aus immer neuen Perspektiven intensiv beleuchten.

In dem anzuzeigenden Werk hat Hornig die wichtigsten dieser Aufsätze, die teilweise an entlegener Stelle publiziert waren, in überarbeiteter Form neu abgedruckt. Bisher unpubliziert sind ein ausführlicher biographischer Abriß (S. 1-85) sowie einer der Aufsätze ("Zur Begründung der Unterscheidung von Religion und Theologie", S. 160-179). Für die Erkenntnisfortschritte, die zwischen Hornigs erstem und seinem zweiten Semler-Buch liegen, sei plakativ auf ein äußerliches, aber vielsagendes Indiz hingewiesen: Gegenüber der Fassung in dem Buch von 1961 ist die neue Bibliographie der Schriften Semlers (S.313-336; S. 336- 338 Verzeichnis der unter Semlers Vorsitz verteidigten Dissertationen; prominentester Autor: J.J. Griesbach (Nr. 272)) immerhin von 218 auf 250 Nummern angewachsen!

Der biographische Abriß ist vorwiegend an der Genese und Entwicklung von Semlers theologischer Position interessiert und präludiert so gleichsam die Themen der folgenden Spezialstudien.

Die biographische und werkgeschichtliche Annäherung an Semler hat besonderen Reiz, macht sie doch deutlich, in welchem gesellschaftlichen und lebensgeschichtlichen Kontext dieses schwer überschaubare, verästelte Lebenswerk entstanden ist, in dem historische und konstruktiv-systematische Arbeit so eng miteinander verschlungen sind. Aufgewachsen im Thüringischen Saalfeld als Sohn eines Hofpredigers, machte Semler dort die ernüchternde Doppelerfahrung, daß sich eine pietistische Erweckung durch obrigkeitliche Initiative im damaligen Deutschland relativ leicht inszenieren ließ, daß sie aber noch leichter wieder im Sande verlief, sobald die obrigkeitliche Protektion wegfiel. Irre wurde der junge Semler dadurch nicht am christlichen Glauben, wohl aber lebenslang an bestimmten exaltierten pietistischen Frömmigkeitsformen. Ein weiterer Grundzug seiner gesamten späteren Lebensführung bildete sich schon in dieser frühen Lebensphase aus: Er strukturierte streng seinen Tagesablauf in der Absicht, ein Höchstmaß an geistiger Arbeit möglich zu machen, v.a. ausgedehnte Lektüre zu den unterschiedlichsten Wissensgebieten, aber auch zur unmittelbaren eigenen religiösen Erbauung. Das Studium in Halle brachte ihm die Bekanntschaft mit und die Förderung durch den wichtigsten dortigen Theologen, S.J. Baumgarten, ein.

Baumgarten vertrat inmitten der mehrheitlich noch pietistischen Traditionen verpflichteten theologischen Fakultät das Programm einer "vernünftigen" Orthodoxie, die die überlieferten Lehrgehalte des lutherischen Christentumsverständnisses mit Hilfe der wolffischen Philosophie durchdachte und verdeutlichte. Nach Zwischenstationen als Zeitungsredakteur in Coburg und als Professor in Altdorf (1750-53) kehrte Semler als Theologieprofessor nach Halle zurück - an die Seite des Lehrers und Förderers, der ihm nun bis zu seinem Tode (1757) zum Freund wurde. Von Baumgarten erbte Semler dann auch noch die Leitung des theologischen Seminars, und in dieser dienstlichen Stellung blieb er bis an sein Lebensende. Mit dem materiellen, sozialen und politischen Rahmen seines Lebens war er offenbar weitgehend einverstanden. Als ihm eine kränkende Zurücksetzung durch die Berliner Regierung widerfuhr, wählten seine Kollegen ihn demonstrativ zum Rektor. Semler desavouierte die Solidaritätsbekundung, indem er die Wahl nicht annnahm (S. 68-72) - und bewies damit ein heute kaum noch nachempfindbares Maß an Loyalität zu König und Regierung. So war Semlers Lebensgang an äußeren Brüchen und Wechselfällen extrem arm. Aber hinter der unscheinbaren, an ein Jean Paul'sches Gelehrtenidyll gemahnenden Fassade ereignete sich nicht weniger als der Aufbau einer ganz neuen Gestalt protestantischer Theologie. Unverrückbare Orientierungspunkte für Semlers Frömmigkeit wie für seine wissenschaftliche Arbeit blieben dabei Jesus Christus, gedeutet anhand der Denkmuster der biblisch (paulinisch-johanneisch) vereinfachten Trinitätslehre (vgl. S. 136-159) sowie die Grunddaten des reformatorischen Christentumsverständnisses, das Semler bewußt vom Humanisten Melanchthon her deutete (S. 23-27).

Semlers allmähliches Abrücken sowohl vom hallischen Pietismus als auch von der vernünftigen Orthodoxie seines Lehrers Baumgarten zeichnet Hornig in zwei faszinierenden Detailstudien nach.

Seine Ablösung vom Pietismus dokumentierte Semler durch die allmähliche kritische Neufassung der Lehre von der Heilsordnung, die herkömmlicherweise "die einzelnen Stadien des Christwerdens vom Anfang der Berufung bis hin zur Vollendung, der Vereinigung mit Gott" (87) durch die Systematisierung biblischer Begriffe in eine feste, normative Stufenfolge brachte. Semler erhob exegetische Einwände: Die biblischen Redewendungen wollen gar keine Bestandteile eines solchen Schematismus sein, vielmehr fassen sie je für sich das Ganze der christlichen Heilserfahrung aus einer jeweils besonderen Perspektive ins Auge (110f.). Den Begriff "Heilsordnung" füllte Semler in immer neuen Anläufen neu. Er bezeichnete nunmehr in der Hauptsache einen objektiven, dem individuellen Christwerden vorgeordneten Sachverhalt, nämlich "das durch Christi Kreuz und Auferstehung geschehene Heilshandeln Gottes" (91). Die so verstandene "Heilsordnung" ist aller Heilserfahrung unumkehrbar vorgeordnet und bildet allein die normative Basis theologischer Sätze. Wenn das so ist, dann kann auch die besondere Gestalt der subjektiven Heilserfahrung nicht für den Wahrheitswert einer theologischen Aussage einstehen. Daraus ergibt sich eine Neufassung des Theologiebegriffs mit praktischen Reformkonsequenzen: Das theologische Studium muß philologische, historische und philosophische Kompetenz vermitteln und nicht zur Aneignung vorgegebener Heilsschematismen anleiten (S. 15-22).

Nur scheinbar fand bei Semlers Umprägung des Begriffs der Heilsordnung ein Rückgang auf feste, unhintergehbare Positivitäten statt. Hatte Semler sich 1750 noch seine akademischen Sporen mit einer Arbeit verdient, die im Auftrag Baumgartens gegen die aus England eindringende kritische Arbeit am Text des NT die Authentizität des trinitarischen Zusatzes in 1. Joh 5,7b-8a verteidigte, so war er bald hernach zu der Überzeugung durchgedrungen, die handschriftliche Überlieferung der biblischen Texte sei denselben Gesetzen gefolgt wie die anderer antiker Autoren, und darum müßten bei der hypothetischen Rekonstruktion des neutestamentlichen Urtextes die auch sonst üblichen textkritischen Regeln befolgt werden. Die Lehre vom schlechthin zuverlässigen weil durch Verbalinspiration gesicherten Bibeltext war dadurch verneint. J.M. Goeze, wie Semler einst Schüler S.J. Baumgartens, seit 1755 Hauptpastor an St. Katharinen in Hamburg und im historischen Gemeinbewußtsein präsent durch seine späteren Auseinandersetzungen mit Lessing, hat das klar erkannt und Semler seit 1765 in eine langwierige öffentliche Kontroverse über dieses Thema verwickelt (S. 210-228) - Rez. will nicht verhehlen, daß ihn dieses Stück personalisierter und dramatisierter Theologie- und Geistesgeschichte ganz besonders gepackt und fasziniert hat.

Goeze hat klar gesehen, daß die Textkritik nur die erste Etappe auf einem Wege war, der unerbittlich zur völligen Historisierung und Relativierung der formalen Schriftautorität führen mußte. Semler, der nach außen hin so still und unauffällig lebende Professor mit dem zopfig-umständlichen Stil, hat diesen Weg unerschrocken unter die Füße genommen. Konsequent forderte und erprobte er die Anwendung der damals neuen allgemeinen historischen Hermeneutik auch auf die biblischen Texte und damit den konsequenten Abschied von der Lehre vom vierfachen Schriftsinn; in diesem Kampf sah er sich auch als Fortsetzer genuin reformatorischer Impulse und Entwicklungen. Aber die Destruktion der formalen, lehrgesetzlichen Schriftautorität war für Semler nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Schriftautorität überhaupt; im Gegenteil: Semler beharrte auf einer "inhaltlich verstandenen Bibelautorität" (237), die, dogmatisch gesprochen, ein Korrelat der konsequenten Unterscheidung zwischen wirksamem Wort Gottes und dem historisch-positiven Kanon der "Hl. Schrift" ist.

Die Entscheidung, was "Wort Gottes" in diesem Sinne ist, läßt sich nicht durch literarkritische Operationen oder kirchenrechtliche Vorgaben bewerkstelligen, sondern "geschieht durch die subjektive Erfahrung des Individuums, das vom Worte Gottes im Herzen und Gewissen getroffen und durch dasselbe verändert wird" (238). Für Semler oszilliert daher das NT wie seither für jede der historischen Kritik ernsthaft sich stellende Theologie zwischen zwei Sichtweisen: Es ist eine Quellensammlung, aus der die Frühgeschichte des christlichen Glaubens und der christlichen Kirche sich rekonstruieren läßt, und es ist zugleich eine Sammlung aktueller "Verkündigungstexte" (237). Dieser Spannung hat sich Semler weder durch Flucht in den Biblizismus noch durch das Ausweichen in einen religiös nur mehr negativ motivierten, selbstzweckhaften Kritizismus entzogen. Semler legte die Bibel historisch-kritisch aus und dokumentierte darüberhinaus sein religiöses Verständnis der Schrift als Trägerin des Evangeliums durch vor den Studenten durch "ascetische Vorlesungen", die er durch den Druck auch dem gebildeten Lesepublikum zugänglich machte (45-49).

Wer die einzelnen ntl. Schriften in Semlers Weise historisiert, der muß allerdings noch einen weiteren Schritt tun und das Zustandekommen des neutestamentlichen Kanons untersuchen; in seiner vierbändigen "Abhandlung von freier Untersuchung des Canon" (1771-75) hat Semler das getan; sein Nachweis der allmählichen Entstehung machte klar, daß der christliche Glaube älter ist als der ntl. Kanon, der sich vielmehr bestimmten kontingenten kirchengeschichtlichen Nötigungen verdankt und darum in seiner faktischen Gegebenheit nicht als allezeit verbindliches Glaubensgesetz geltend gemacht werden darf (229-245).

Semlers kritische Untersuchungen zur Kanonsgeschichte sind nur ein Aspekt seiner sehr viel weiter reichenden Bemühungen um eine kritische Erfassung der Dogmengeschichte (123-135): Als den Dogmen übergeordnetes Kriterium dient die - kritisch verstandene! - Schrift sowie "gegenwärtige religiöse Erfahrung und die kritisch prüfende Vernunft" (129). An diesen drei engstens miteinander verzahnten Kriterien erweist sich einerseits die Entfernung mancher dogmatischer Setzung vom ursprünglichen Evangelium sowie vom gegenwärtigen gelebten Christentum. Die historische Analyse deutet diesen Befund: Die Dogmen verdanken sich keinem normativ-einheitlichen, einsinnigen Entwicklungsprozeß, sondern sind aus klar erkennbaren lokalen und temporellen Nötigungen entstanden (vgl. die Ausführung 126f.!). Unter Rückgriff auf altkirchliche Autoren behauptet Semler weiterhin, die Dogmen seien ursprünglich nicht allgemeine Glaubensgesetze gewesen, sondern allein den Klerus bindende Lehrvorschriften, während die Laien sich an das "Kerygma" gehalten hätten, "das neutestamentliche Zeugnis von der Lehre, dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi" (131). In welchem Maße bei dieser historischen Unterscheidung Semlers eigene gegenwartsorientierte, programmatische Vorstellungen mitgewirkt haben, wird sich weiter unten zeigen.

Mit dieser Entfaltung einer historisch-kritischen Theologie hat Semler das seit dem frühen Mittelalter gängige, im Humanismus breit ausgearbeitete Deutungsmuster der Kirchengeschichte überwunden, nach der an deren Anfang eine - wie lang auch immer dauernde - Periode bestanden habe, während derer sich wahre und wirkliche Kirche entsprochen hätten. An die Stelle dieses Deutungsmusters, das zwangsläufig immer neue Abfallhypothesen produzieren mußte, setzte Semler ein teleologisches Verständnismodell (S. 195-209). Die Übereinstimmung von wahrer und wirklicher Kirche lokalisiert er nicht mehr an irgendeinem Punkt der Vergangenheit, sondern er verlegt sie in die Zukunft. Orientierender Leitgesichtspunkt der Deutung der Christentumsgeschichte ist nicht mehr ein heiler Urzustand, sondern die "Perfektibilität" des Christentums. Widerlager dieser optimistischen Schau ist die Vorstellung von der Unerschöpflichkeit ("Unendlichkeit" (S. 200- 203)) des Christentums, die sich als fortgehende göttliche Offenbarung realisiert. Die gegenwärtigen konfessionellen Kirchentümer sind auf diesem Wege lediglich transitorische Durchgangsstadien (203f.).

Ein weiterer Gedanke, der in diesen Zusammenhang gehört, sei erwähnt, weil er so völlig quer zu den Selbstverständlichkeiten heutiger kirchlicher und theologischer Korrektheit steht: Allen zeitgenössischen Plänen für eine mögliche Wiedervereinigung der seit großem Schisma und Reformation getrennten Kirchentümer stand Semler mit tiefer Skepsis gegenüber, da er gerade den Zustand der konfessionellen Spaltung als besonders günstig für die Ausbildung reflektierter, eigenverantwortlicher Überzeugung des denkenden christlichen Individuums ansah (300f.)!

Schleiermacher, für Hornig mit Em. Hirsch "'der eigentliche vollmächtige Erbe Semlers'" (205) übernahm von Semler, bei dem er vielleicht in Halle studiert hatte, nicht nur (mit Modifikationen) den Perfektibilitätsgedanken, sondern auch die eminent praktische Orientierung der gesamten theologischen Arbeit. Denn hier, in dem Willen, christlichem Glauben unter den Bedingungen der werdenden Moderne sowohl als individueller, selbstverantwortlich gelebter religiöser Gewißheit ("Privatreligion") als auch als auch als Kirche Zukunftsmöglichkeiten zu eröffnen, lag die eminent praktische Motivation von Semlers weit ausgreifender historisch- wie systematisch-theologischer Arbeit. (180-194). In immer neuen Anläufen versuchte Semler, die Bedürfnisse der aufgeklärten, überkommenen formalen Geltungsansprüchen gegenüber kritisch-reservierten "Privatreligion" mit den Rechten und Ansprüchen der Kirche als einer staatlich privilegierten bzw. geleiteten Institution mit festen Rechts- und Lehrordnungen durch Unterscheidungen (Kerygma und Dogma (s.o.), Religion und Theologie (S. 160-179) miteinander auszugleichen - sowohl durch Abgrenzungen als auch dadurch, daß er beide Konfliktparteien an ihre produktive wechselseitige Bezogenheit aufeinander erinnerte. Herkunftsvergessenem religiösem Radikalindividualismus wie unprotestantischem kirchlichen Positivismus gleich abhold, nahm Semler immer wieder schwierige Mittelpositionen ein; mal verteidigte er die Rechte der Privatreligion, mal die Lebensinteressen des Kirchentums und seiner Ordnungen. Zeitgenössische wie nachlebende Kritiker, denen das Gespür für die Größe und Problematik dieser Vermittlungsaufgabe abging, haben ihn der Unehrlichkeit geziehen oder doch zumindest gemeint, durch Phasenunterscheidungen die zusammengehörigen Aspekte von Semlers Leben und Denken voneinander scheiden zu müssen (81-85).

Diese Andeutungen einiger Hauptlinien dürften gezeigt haben, daß Semler das Interesse nicht nur der Kirchen- und Theologiehistoriker, sondern aller an der deutschen Aufklärung Interessierten verdient. Hornigs Buch bietet einmal eine höchst attraktive Einführung in seinen Gegenstand. Zum andern führt es den Stand der Forschung vor und zeigt auch, wo weitere Arbeit ansteht - zu denken ist wohl v.a. an Semlers Verhältnis zu den philosophischen Bewegungen seiner Zeit. Nur exemplarisch hingewiesen werden kann drittens in diesem Zusammenhang auf die Fülle von interessanten Details, die Hornig mit sympathischem Understatement immer wieder beiläufig einstreut (Semlers Freundschaft mit Ernesti und deren theologiegeschichtliche Bedeutung, das "Magdeburger Neologentreffen", das differenzierte öffentliche Echo auf das "Wöllnersche Religionsedikt"...) - hier kann und muß jeder Leser seine eigenen Entdeckungen machen.

Der Dank an die Reihenherausgeber und den Verlag, die das Erscheinen dieses Buches in eleganter Aufmachung (alle Texte sind neu gesetzt!) ermöglicht haben, verbindet sich allerdings mit dem Bedauern darüber, daß jede Illustration fehlt - zumindest Porträts Semlers 3 und seiner Frau sowie eine zeitgenössische Stadtansicht Halles hätten nicht fehlen sollen.


Prof. Dr. Martin Ohst
Bergische Universität-Gesamthochschule
Fachbereich 2
Gaußstr. 20
D-42097 Wuppertal

Ins Netz gestellt am 25.05.1999.

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Anmerkungen

1 Gottfried Hornig, Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie - Johann Salomo Semlers Schriftverständnis und seine Stellung zu Luther, SSThR 8, Göttingen 1961.   zurück

2 Em. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie Bd. IV, Gütersloh 1952, S. 50.   zurück

3 Ein sehr eindrucksvolles findet sich bei M. Greschat (Hrsg.), Gestalten der Kirchengeschichte Bd. 8, Stuttgart/Berlin/Köln 1984, nach S. 272.   zurück