Eine Reihe von Steckern in einem Serverraum
Fotolia – xiaoliangge
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Forschung

Wissenschaftsspionage nimmt zu

Akteure ausländischer Staaten, die versteckt Forschungsergebnisse abgreifen, um sie für missbräuchliche Zwecke einzusetzen, sind laut Fachleuten auf dem Vormarsch. In Bereichen wie künstliche Intelligenz (KI), Quantentechnologien und Biotechnologie sollen nun verstärkt Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.

„Im Fokus stehen neben der militärischen Nutzung vermehrt auch strategische Forschungsbereiche, die ökonomisch im globalen Wettbewerb einen Unterschied ausmachen können“, so Klaus Schuch, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI).

Klar ist, dass eine Gratwanderung zwischen der für die Forschung so wichtigen Offenheit, die sich auch an der Vielzahl internationaler Kooperationen zeigt, und einem Schutz von Wissen und Expertise vor missbräuchlicher Nutzung nicht leicht ist und Behutsamkeit abverlangt. Als Grundvoraussetzung für Forschungssicherheit („research security“) gilt ein entsprechendes Bewusstsein für die Problematik. Erst kürzlich hat der heimische Verfassungsschutz darauf hingewiesen, dass es Forschungszentren an Bewusstsein im Hinblick auf die eigene Attraktivität für chinesische Nachrichtendienste fehle.

Großer Graubereich

Abgesehen von strafrechtlich relevanten Vorgängen, wie Technologiespionage oder Cyberangriffen, gebe es einen großen Graubereich, etwa wenn Forschungsgruppen aus bestimmten Ländern in Europa arbeiten und Erkenntnisse „mitnehmen“, in der Absicht, sie militärisch oder wirtschaftlich zu nutzen, so Schuch im Gespräch mit der APA. Hier würden vor allem China, Russland, Iran und hin und wieder auch die USA genannt.

Ursache für die deutliche Zunahme der unerwünschten ausländischen Einmischungen sei erstens die starke Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung in den vergangenen 30 Jahren und zweitens die Veränderung des geopolitischen Umfelds. An manchen Universitäten würden aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal fast nur mehr ausländische Forschende arbeiten – zum Teil aus Ländern, denen man skeptisch gegenüberstehen sollte. Hier gebe es bereits eine gewisse Abhängigkeit.

„In Litauen zum Beispiel sind sehr viele Forschende abgewandert: Um die freien Stellen zu besetzen, wurden auch russische Staatsbürger eingestellt. Inzwischen hat sich aber das Umfeld geändert. Das Screening von Personal wird nun deutlich ernster genommen, als es möglicherweise noch vor zehn Jahren der Fall war“, so Schuch.

Risikobewertung „gar nicht so einfach“

Leider sei das Bewusstsein für die Gefahr unerwünschter ausländischer Einmischungen auf Ebene der individuellen Forschenden bei weitem noch nicht flächendeckend vorhanden. „Man lässt sich zu Dienstreisen einladen und hält Vorträge an Universitäten, die möglicherweise zu den ‚Seven Sons of National Defence‘ gehören“, verweist der ZSI-Chef auf militärnahe chinesische Hochschulen.

Die Problematik sei in der Forschungs- und Wissenschaftspolitik schon erkannt worden. Deshalb würden Ministerien und Agenturen nun versuchen, eine Selbstermächtigung der Wissenschafter zu erreichen, damit der Umgang mit dem Thema des unerwünschten Einflusses verbessert werden kann.

Auch die EU-Kommission will dieses Bewusstsein schärfen und hat Hochtechnologiebereiche definiert, bei denen verstärkt Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden sollten – genannt werden hoch entwickelte Halbleiter, künstliche Intelligenz (KI), Quantentechnologien und Biotechnologie. Bei internationalen Kooperationen in diesen Themenfeldern sollte man sich das Verhältnis der Kooperationspartner und Partneruniversitäten zu militärischen oder nachrichtendienstlichen Einrichtungen näher ansehen, so Schuch. Eine entsprechende Risikobewertung sei aber gar nicht so einfach.

Abwägen zwischen Potenzial und Risiko

Das Wissenschaftsministerium (BMBWF) setze auf „verantwortungsvolle Internationalisierung“, also Maßnahmen, die dem Verhältnis zwischen dem Potenzial der Kooperation und dem Risiko geeignet Rechnung tragen, heißt es auf Anfrage der APA. Die Zusammenarbeit finde dabei in einem immer komplexer werdenden Umfeld statt, in dem Wissen und Innovation zunehmend umkämpfte Güter seien. Auch in Österreich werde die Notwendigkeit der Erhöhung der Forschungssicherheit zur Vermeidung ausländischer Einflussnahme verstärkt thematisiert. Man sei im kontinuierlichen Dialog mit Hochschulen beziehungsweise Universitäten, Forschungs- und Forschungsförderungseinrichtungen.

Die beiden größten heimischen Forschungsförderungsinstitutionen, der Wissenschaftsfonds FWF und die Forschungsförderungsgesellschaft FFG, betonten ebenfalls die Bedeutung internationaler Kooperationen für Österreich. Es bestehe ein enger Austausch mit dem BMBWF, den Universitäten und Forschungseinrichtungen, sowie dem europäischem Förderdachverband „Science Europe“.

„So offen wie möglich, so restriktiv wie nötig“

Die Universität Wien hat laut eigenen Angaben Anfang 2024 Empfehlungen für Forschungskooperationen mit Institutionen, etwa in China oder anderen autoritär regierten Staaten, entwickelt, um unerwünschten Wissenstransfer zu verhindern.

„An der Universität Graz sind wir grundsätzlich sehr offen für internationale Studierende, auch aus geopolitisch konfliktbehafteten Regionen“, so Joachim Reidl, Vizerektor für Forschung an der Universität Graz. Im Einklang mit der EU und den anderen österreichischen Universitäten wolle man auch im Hinblick auf Forschungskooperationen „so offen wie möglich, aber so restriktiv wie nötig sein“. Reidl betonte außerdem die europäische Dimension der Problematik: „Wir tauschen uns regelmäßig mit Partneruniversitäten in ganz Europa zu Wissenschaftsdiplomatie, aber auch Sicherheitsrisiken in diesem Zusammenhang aus.“

Ein entsprechendes EU-weites System zur Aufzeichnung von Fällen unerwünschter Einmischung ausländischer Institutionen in der EU scheitere unter anderem an Widerständen einzelner Mitgliedstaaten, erklärte Klaus Schuch vom ZSI. Ein großes Problem sei das sehr unterschiedlich ausgeprägte Bewusstsein über das Thema im europäischen Forschungsraum. „Wenn eine Institution, die als Bedrohung wahrgenommen wird, es in Wien nicht in ein hochsensibles Forschungsprojekt schafft, versucht sie es vielleicht über die Partneruniversität in Prag“, so Schuch.