Diabetes Ozempic
APA/AFP/Joes Saget
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Medizin

„Abnehmspritze“ mit Mehrfachwirkung

Diabetesmedikamente mit Wirkstoffen wie Semaglutid und Tirzepatid sind bei der Behandlung von Typ-2-Diabetes und starkem Übergewicht sehr effektiv. Immer mehr Studien zeigen nun, dass die Arzneimittelgruppe noch weitere positive Effekte hat und zum Beispiel das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senkt.

Medikamente wie Ozempic und Wegovy wurden ursprünglich für die Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt. Da sich bald zeigte, dass die darin enthaltenen Wirkstoffe bei den Betroffenen zu einer deutlichen Gewichtsreduktion führen, wurden einzelne Medikamente aus der Arzneimittelgruppe auch für die Behandlung von starkem Übergewicht und Adipositas zugelassen.

„Starkes Übergewicht ist einer der Haupttreiber für viele Erkrankungen. Auch bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ist jedes Kilo zu viel schlecht für ihre Gesundheit“, erklärt Martin Clodi von der Österreichischen Diabetes Gesellschaft und dem Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz gegenüber science.ORF.at.

Medizinischer Durchbruch

Der Mediziner ist von der Wirkung der Arzneimittel mit Wirkstoffen wie Semaglutid und Tirzepatid überzeugt. „Man muss sagen, dass die Medikamente beim Patienten, der übergewichtig ist oder Typ-2-Diabetes hat, wirklich durchschlagende Erfolge zeigen.“ Das renommierte Fachmagazin „Science“ kürte die Arzneimittelgruppe sogar zum „wissenschaftlichen Durchbruch“ des Jahres 2023.

Dabei ist die Idee hinter den Medikamenten nicht neu. „Erste Präparate dieser Klasse haben wir schon seit ungefähr 15 Jahren im Einsatz“, so Clodi. Seitdem wird an den Arzneien, die auf GLP-1-Rezeptoragonisten basieren, intensiv geforscht.

Breitere Wirkung als gedacht

Die Wirkstoffe sollen ein oder mehrere bestimmte Hormone im Darm nachahmen. Dem Gehirn wird so signalisiert, dass man satt ist. Hungergefühle werden reduziert, Heißhungerattacken werden seltener, und auch das Verlangen nach fetthaltigem Essen sinkt.

Immer mehr Studien zeigen nun, dass die Medikamentengruppe noch weitere Vorteile mit sich bringt. Unter anderem wurde bereits mehrfach bewiesen, dass sie das Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte reduziert. Andere Studiendaten legen nahe, dass die GLP-1-Wirkstoffe auch gegen Depression und neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz helfen, und auch das Suchtverhalten wird durch sie reduziert. „Es gibt momentan rund alle zwei Monate eine neue, fast bahnbrechende Publikation, die diese zusätzlichen Effekte zeigt“, so Clodi.

Dass die Medikamente mehrfach wirken, ist bekannt – warum sie das tun, ist in vielen Fällen aber noch unklar. „Die Forschung geht hier ganz rasant voran, aber es ist eben ein unheimlich komplexes und wirklich sehr spannendes Feld, wo es einfach noch sehr viel gibt, was wir derzeit noch nicht wissen.“

Liefermengen steigen

In der Öffentlichkeit wurden die Diabetesmedikamente vor allem als „Abnehmspritze“ der Stars bekannt, denn Prominente wie Elon Musk und Kim Kardashian nutzten Ozempic, um damit in kurzer Zeit ein paar überschüssige Kilos loszuwerden.

Viele folgten dem Vorbild der Stars – der dadurch ausgelöste Hype sorgte anfangs aber weltweit für Versorgungsengpässe und sogar Personen, die wirklich darauf angewiesen waren, kamen nur schwer an die Arzneien.

Mittlerweile hat sich die Lage etwas gebessert – auch die in Österreich zugelassenen Medikamente wie Ozempic und Mounjaro sind wieder verfügbar. „Die gelieferten Mengen sind durchaus größer geworden, aber auch die Nachfrage wird deutlich mehr“, so Clodi.

Kein Wundermittel

Laut dem Mediziner kommen die Medikamente in Österreich aber nur sehr selten als „Lifestyle-Arznei“ zum Einsatz, um damit eigentlich normalgewichtigen Personen zur perfekten Strandfigur zu verhelfen – dafür sind sie auch nicht zugelassen. Clodi hält einen derartigen Einsatz außerdem für nicht besonders erfolgversprechend, denn mittlerweile ist bekannt, dass beim Absetzen der Medikamente sehr oft ein Jo-Jo-Effekt eintritt und das Gewicht in vielen Fällen schnell wieder ansteigt.

Auch die Medikamente mit GLP-1-Rezeptoragonisten seien also keine Abnehmwundermittel. „Wenn ich das nicht unbedingt will und die Medikamente nicht auch mit viel Bewegung und einer generellen Änderung des Lebensstils kombiniere, hält der Gewichtsverlust bei den Betroffenen meist nicht sehr lange an“, so Clodi.

Ärztliche Betreuung ratsam

Von der unbedachten Einnahme der Medikamente ohne ärztliche Betreuung rät der Mediziner generell klar ab, denn sie haben durchaus auch Nebenwirkungen. Arzneimittel aus dieser Gruppe erzeugen nicht nur Übelkeit, sie können in manchen Fällen auch die Produktion von Gallensteinen anregen oder zu einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse führen.

„Es ist nicht so, dass man sagen kann: Diese Medikamente haben nur Nutzen. Es ist in der Medizin immer so, dass alles, was effektiv ist, auch zu einem kleinen Prozentsatz die eine oder andere Nebenwirkung hat, die nicht so optimal ist.“ Die Arzneimittel sollten auch weiterhin zuallererst jenen Menschen zugutekommen, die aufgrund einer Diabeteserkrankung oder wegen sehr starken Übergewichts den größten medizinischen Nutzen daraus ziehen.