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ADB:Lortzing, Albert

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Artikel „Lortzing, Albert“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 203–207, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lortzing,_Albert&oldid=- (Version vom 28. November 2024, 07:50 Uhr UTC)
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Lortzing: Gustav Albert L., ein deutscher Tonsetzer, der, obgleich seine Opern zu den beliebtesten und verbreitetsten des deutschen Repertoires gehörten, doch in Armuth und Hülflosigkeit untergehen konnte, wurde in Berlin am 23. Oct. 1803 geboren und starb daselbst am 21. Januar 1851, kampfesmüde und gebrochen im besten Mannesalter stehend. Die Biographie dieses talentvollen, vielseitig beanlagten, herzensguten und edlen Mannes bildet eines der traurigsten Kapitel der deutschen Künstlergeschichte. Sein Vater, Joh. Gottlob Lortzing, ein Lederhändler, dessen Geschäft leider nicht sehr glänzend ging, sonst ein wackerer, braver Mann, hatte, wie auch seine kluge und tüchtige Frau, Charlotte Sophie, geb. Seidel, eine enthusiastische Neigung zum Theater und [204] Theaterspielen, der sie seither als eifrige Mitglieder der Dilettantenbühne Urania auch nach Herzenslust zu fröhnen pflegten. Ihres einzigen Kindes früh sich offenbarende musikalische Begabung mußte sie daher doppelt erfreuen, und es wurde sofort auch alles in ihren Kräften stehende aufgeboten, seinen durch überraschende Fortschritte sich lohnenden Studien durch gute Lehrer solide Grundlagen geben zu lassen. Zu den letzteren zählte auch Rungenhagen, Schüler des einst hochberühmten Concertmeisters Benda, ein ernster, strenger Mann, später Zelter’s Nachfolger in der Direction der Singakademie. Leider waren diese glücklichen Tage ungestörten Lernens nicht von Dauer. Schlimme Geschäftsverhältnisse drängten die Eltern dazu, aus ihrer früheren Liebhaberei endlich einen Beruf zu machen, auf dessen unsichere Basis seitdem ihr und ihres Sohnes Lebensglück gestellt bleiben sollte. Beide, insbesondere die Mutter, erwiesen sich als sehr brauchbare Schauspieler, und ohne je sich höheren künstlerischen Ruf gewinnen zu können, wußten sie allerwärts ihre Stellung zu voller Zufriedenheit der Directionen und des Publikums auszufüllen. Der Sohn, schon frühe das Wanderleben unstäter Komödianten von Grund aus kennen lernend und als Kind bereits oftmals hinausgestellt auf die weltbedeutenden Bretter, bethätigte für Spiel und Gesang, obwol in beiden nur Naturalist, große Begabung. Von schlankem Mittelwuchse, mit schwarzlockigem Haare, freundlich schönen Zügen, hübschen dunklen, von gutmüthig schelmischem Ausdruck belebten Augen, von lebhaftem Temperament, unerschöpflichem Humor und einer seltenen Freiheit und Sicherheit auf der ihm längst zur zweiten Heimat gewordenen Bühne, war im Fache jugendlicher Liebhaber, Bonvivants und Naturburschen ausgezeichnet und zählte bald zu den beliebtesten Darstellern des deutschen Theaters; nicht minder aber war er durch Frohsinn, Laune und gewandtgefälliges Benehmen in allen Lebenskreisen eine beliebte und werthgehaltene Persönlichkeit. Junge Künstler, von der Natur in solcher Weise ausgezeichnet, von den Menschen allerwärts verhätschelt, gelangen leicht auf Abwege; daß der heitere gemüthliche L. immer auch ein tüchtiger, charaktervoller, ernst und willenskräftig vorwärts strebender, liebenswürdiger Mensch blieb, verdankt er dem ihm von den braven Eltern stets gegebenen edlen Beispiele und der wahrhaft rührenden Liebe, mit der sein Herz an ihnen und bald auch an seiner eigenen Familie hing. Er folgte den ersteren zunächst in ihre Engagements nach Breslau, Straßburg, Baden-Baden, Freiburg i. B., Koblenz, Köln, Düsseldorf, Aachen. Nicht an allen diesen Orten, vielfach durch ihre unsichern und zweifelhaften Theaterverhältnisse verrufen, erging es ihnen nach Wunsch. Noth, Sorge, Hunger und Kummer waren manchmal tägliche Gäste, und der Sohn schätzte sich dann sehr glücklich, wenn er sich durch Notenschreiben eine Nebeneinnahme verschaffen und die darbenden Eltern durch kleine Verdienste unterstützen konnte. Zugleich aber versäumte er keine Gelegenheit, im Umgang mit gebildeten Männern, besonders mit guten Musikern, und durch gewählte Lektüre sich weiter zu bilden und seine Talente und sein musikalisches Wissen durch das Studium theoretischer Werke und flüchtigen Unterricht, den er hie und da erhaschen konnte, zu vervollkommnen; er bildete sich allmählich zu einem ganz wackeren Clavier-, Violin- und Cellospieler. Ein Gastspiel in Köln hatte der Familie Engagement daselbst zur Folge. Hier verheirathete sich der erst 20jährige Künstler mit einer Collegin, Regine Rosine Ahlers, so einen frühen Ehebund schließend, der, wenn auch von schweren Heimsuchungen nicht frei bleibend, doch ein unendlich beglückender für ihn wurde. – In dieser Zeit versuchte er sich auch mit seinem ersten, beifällig aufgenommenen Singspiele, dem er, 1826 in den Verband des Detmolder Hoftheaters getreten, zwei weitere folgen ließ. Besonders die Stücke: „Ali, Pascha von Janina“ und „Der Pole und sein Kind“ gewannen, mit den Zeitverhältnissen [205] glücklich zusammentreffend, allgemeinen Erfolg und gehörten bald zu den beliebtesten Liederspielen dieser Periode. Als sein Kölner Director Ringelhardt (1832) die Direction des Leipziger Theaters übernahm, wurde auch L. sammt den Eltern von ihm engagirt und er verlebte nun, mit diesen wieder vereint, bis zum J. 1844 in Leipzig die schönsten Jahre seiner Künstlerlaufbahn. Ein frohes, ziemlich sorgenfreies, durch die Geburt blühender Kinder gesegnetes Familienleben, die ihm unwandelbar treu bleibende Gunst des Publikums, ein herzliches, ungetrübtes Verhältniß zu seinen Collegen, die Freundschaft edler Genossen, z. B. Düringer’s, Reger’s u. A. und endlich auch der überraschende Erfolg seiner Werke würden ihm volle Befriedigung gewährt haben, wären nun nicht Wünsche in ihm rege geworden, die ihn von den heiteren Bahnen, die er bisher gewandelt, weit abführten. Wenig bedrängt und gestört durch seine Verpflichtungen als Mitglied des Theaters hatte er sich jetzt an größere Schöpfungen wagen können; so entstanden in rascher Folge eine Reihe schöner Opern echt komischen Inhalts, die, wo sie gehört wurden, Freude und Gefallen erweckten und ihm Theilnahme und Liebe aller Hörer gewannen. Mit ungewöhnlichem Geschick wußte sich der Dichtercomponist L. seine meisten Texte selbst zu schreiben und dazu eine Musik zu erfinden, deren Melodieen natürlichen Fluß hatten, deren Stimmführung richtig und wirkungsvoll war und deren Instrumentation kluge Berechnung, künstlerisches Maß und ein vortreffliches Ohr bekundeten. Er bewährte sogar wirklich bedeutende Begabung für Anlage umfangreicher Ensemblesätze, die nicht allein durch Ausdehnung, sondern in höherem Grade noch durch Angemessenheit, Anordnung und Durchführung Bewunderung und uneingeschränktes Lob verdienen. Hell und froh klingt aus seinen stets den Eindruck wahrer Empfindung machenden Weisen kindliche Harmlosigkeit, das neckische Spiel munteren Scherzes und ungetrübte Laune. Die heitern oder sentimentalen Lieder seiner Opern flogen, ehe diese selbst noch bekannt waren, schon von Mund zu Mund, seinen Schöpfungen überall die Bahn bereitend. Aber man wird nicht ungestraft ein berühmter Mann. Seine Erfolge weckten ihm ein Heer von Neidern und Gegnern. Höhnische, seine Werke geringschätzende und herabsetzende Kritiken waren noch das wenigste; tiefer verletzte es ihn, wenn von ihm verehrte Meister der Kunst, deren einstige großartige Tonschöpfungen die Gegenwart bereits längst wieder vergessen hat, ihm seine Partituren mit dem Bemerken, er möge erst etwas lernen, zurückschickten. Allerdings war’s ihm dann auch keine geringe Genugthuung, daß dieselben Männer, nachdem seinen Opern allerwärts so großer Beifall geworden und ihre Aufführung auch an den Hoftheatern unabweisbar wurde, endlich flehentlich um Ueberlassung der einst verächtlich zurückgewiesenen Werke bitten mußten. Je mehr nun aber seine Popularität wuchs, „Die beiden Schützen“, „Czar und Zimmermann“, „Der Wildschütz“ sich als freudig aufgenommene Lieblinge des Publikums allerwärts erhielten, um so hartnäckiger kehrte ihm das zu ersprießlichem Schaffen so unentbehrliche Glück den Rücken. Eine von ihm im Sommer 1844 zu seinen Freunden nach Frankfurt a. M. und Mannheim unternommene, an ehrender Anerkennung reiche und erfreuliche Reise bezeichnet den Culminationspunkt seiner Lebensbahn; die ihm von jetzt ab noch vergönnten sieben Jahre holten alles, was einem Menschen an Schmerzen, Demüthigungen, Entbehrungen, Noth und verzweifeltem Ringen zugemessen werden kann, übervoll ein. L., obwol nun ein weltbekannter Componist, war noch immer Sänger und Schauspieler. Diese Stellung erschien ihm endlich unwürdig und unerträglich. Er hegte zuletzt nur noch das eine heiße Verlangen, als Kapellmeister an die Spitze eines größeren Theaters treten zu können. Seine Feinde, die ihm seinen Ruhm als Tonsetzer nicht mehr verkürzen konnten, klammerten sich nun an seine Thätigkeit als Dirigent. Am 1. August 1844, an welchem Tage er als Kapellmeister [206] des Leipziger Theaters mit der Direction des Don Juan sein neues Amt antrat und damit seinen Herzenswunsch erfüllt sah, stand er auch an der Wende seines Glückes. Schon im Mai folgenden Jahres ward er von einem rücksichtslosen Collegen aus seiner Stellung verdrängt. Erbärmlichen und unsoliden Directoren in die Hände fallend, ging es mit seinen Verhältnissen nun täglich mehr bergab. Ein Engagement in Wien vollendete, nachdem der Director sich fallit erklärt, seinen Ruin. Betrügerische Agenten und selbst Directoren angesehener Theater wußten ihn um die bescheidenen Honorare, die er für seine Arbeiten zu fordern berechtigt war, zu prellen. Er, der Freudespender seines Volkes, sah sich mit den Seinen in des Wortes schlimmster Bedeutung dem Hunger preisgegeben. Um nur leben zu können, mußte er zu dem kaum verlassenen, ihm so verhaßten Handwerk zurückgreifen. Der bewunderte Tonsetzer war genöthigt, krank, gebrochen, der Winterkälte und der Habgier speculativer Theaterunternehmer preisgegeben, allwöchentlich hinauszureisen, um an kleinen Theatern zu gaukeln oder mit unvollständigem Orchester seine elend besetzten Opern zu dirigiren. Und wie zum Hohne erledigten sich gerade in diesen Jahren manche Kapellmeisterstellen an ersten Theatern in Dresden, Berlin, Frankfurt, auf die er, wäre dem Verdienste die Krone geworden, vollen Anspruch erheben durfte. Die Bewerbungen des armen Mannes wurden jedoch von keinem Intendanten beachtet. Im Mai 1850 sehen wir den edlen Künstler am Directionspulte des kleinen Friedrich-Wilhelmstädtischen Theaters in Berlin, das mit einer Festouvertüre seiner Composition und Nesmüller’s Liederspiel „Die Zillerthaler“ eröffnet wurde. Noch einmal raffte er sich zu einer dramatischen Arbeit auf. Aber ach, es hatte sich in den letzten Jahren solche Zaghaftigkeit seiner bemächtigt, er fühlte sich so arm, daß Deutschland darob hätte erröthen müssen, wäre es der Scham fähig gewesen. Wo sollte da Humor, Muth und Freude zum Schaffen herkommen? Lortzing’s dunkle Locken waren in kurzer Zeit grau geworden, sein herzliches Lachen war verstummt, sorgenvoll, gedrückt schlich er umher. An 30 Abenden im Monate mußte er die trivialste Musik, die elendesten Possen, die niederträchtigsten Machwerke dirigiren. Der Druck der Noth lastete auf seiner Seele, untergrub seine Kraft. Der Tod war ihm ein milder, gewiß auch ersehnter Erlöser. Ein Herzschlag endete rasch ein Leben voll Kummer und Leid. Der in gänzlicher Verarmung zurückgebliebenen Frau und ihrer sechs Kinder erbarmten sich nun doch die Directoren, die sich an seinen Werken seit Jahren bereichert hatten. Die zusammengebrachten Almosen bewahrten seine Familie wenigstens vor äußerstem Elende; dem Todten aber ward jedwede Ehre erwiesen und die Zeitungslitteraten ergriffen begierig den dankbaren Stoff und schrieben die rührendsten Artikel über ihn. Lortzing’s Schaffen ist umfangreicher als man vielfach annimmt. Außer einem um 1832 geschriebenen Oratorium „Die Himmelfahrt Christi“ und der Berliner Festouvertüre, für die sich, wie für viele andere seiner Werke, bis zur Stunde kein Verleger fand; außer sehr vielen Liedern und Einlagspiecen und einer Neubearbeitung des alten 1770 von J. A. Hiller componirten Singspiels „Die Jagd“, schrieb er folgende Bühnenwerke: „Ali Pascha von Janina.“ Operette in 1 Akt. Köln 1824. – „Der Pole und sein Kind.“ Liederspiel in 1 Akt. Detmold 1832. – „Scene aus Mozart’s Leben.“ Ebenda. – „Die beiden Schützen.“ Komische Oper in drei Akten. Leipzig 1836/37. – „Czar und Zimmermann.“ 1837. – „Die Schatzkammer des Inka.“ Text von R. Blum. 1838 (blieb unaufgeführt). – „Caramo oder das Fischerstechen.“ 1839. – „Hans Sachs.“ Text von Reger. 1840. – „Casanova.“ 1841. – „Der Wildschütz oder die Stimme der Natur.“ 1842. – „Undine.“ Romantische Zauberoper in vier Akten. 1844/45. (Zuerst in Hamburg gegeben.) – „Der Waffenschmied.“ Komische Oper in drei Akten. 1845 [207] bis 1846. (Zuerst in Wien.) – „Zum Großadmiral.“ 1847. – „Regina.“ Oper in drei Akten. Wien 1848 (blieb unaufgeführt). – „Roland’s Knappen oder das ersehnte Glück.“ Komisch-romantische Zauberoper in drei Akten. Text von C. M. Leipzig 1848/49. – „Die Opernprobe.“ Komische Oper in 1 Akt. Berlin 1850. – „Eine Berliner Grisette.“ Posse von Stotz 1850. – „Der Weihnachtsabend.“ Vaudeville. – Musik zum Schauspiele „Drei Edelsteine“ von R. Benedix. Nicht alle diese Werke hatten gleichen Erfolg; einige wurden unverdient zurückgesetzt, was um so unbegreiflicher erscheint, als der Mangel an guten komischen Opern ein so auffallender ist. Fünf Opern jedoch haben sich bis zur Stunde, ohne von ihrer Frische und Anziehungskraft eingebüßt zu haben, auf dem Repertoire aller Theater erhalten. Darin liegt ein außerordentlicher Erfolg. Wie viele Opern, die vor 50 Jahren Anerkennung und Bewunderung fanden, können sich gleicher Lebensdauer rühmen? Da Lortzing’s Werke die einzigen komischen sind, welche der deutschen Bühne in den letzten Jahrzehnten dargeboten wurden, da ihre Wirkung stets die gleiche, ihr Humor unverwüstlich ist, werden sie sich gewiß noch lange der Gunst des Publikums erfreuen. Er ist kein Meister ersten Ranges, seine Compositionen sind nicht höchste Kunstoffenbarungen, aber sie stehen hoch über denen seiner wichtigsten Vorgänger Hiller, Dittersdorf, Kauer, Schenk, W. Müller, und werden nur von den klassischen Intermezzi’s Pergolese’s und einigen Hervorbringungen der französischen Opéra comique übertroffen. Darf die Musik zu den erheiternden Künsten gezählt werden, dann ist der einfache, schlichte, natürliche, bescheidene L. als einer der größten Wohlthäter der Menschheit hoch zu ehren. Keiner seiner Collegen hat den Theaterbesuchern heiterere, gemüthlichere und doch zugleich reinere und edlere Genüsse bereitet als der in Noth und Sorge untergegangene vortreffliche Künstler.

Ph. J. Düringer, A. Lortzing, sein Leben u. Wirken, Leipzig 1851. – W. Neumann, Die Componisten der neueren Zeit, Bd. VI, Kassel 1854. – 57. Neujahrstück der allg. Musikgesellschaft in Zürich, 1869.