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ADB:Mansion, Colard

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Artikel „Mansion, Colard“ von Jakob Franck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 238–245, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mansion,_Colard&oldid=- (Version vom 6. November 2024, 03:51 Uhr UTC)
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Mansion: Colard M., berühmter Buchdrucker zu Brügge im 15. Jahrhundert. Diese Stadt, die alte Hauptstadt Flanderns und lange Zeit der Aufenthaltsort des Vaters der englischen Typographie, William Caxton’s (Bd. XVIII, 462 ff.), gewährt ein besonderes Interesse nicht blos für die Buchdruckerkunst und den Buch- bzw. Handschriftenhandel, sondern auch für den Geschichtschreiber und Antiquar. Es walteten nämlich damals und schon seit längerer Zeit in diesen Beziehungen eigenthümliche litterarische Zustände und Verhältnisse in dieser Stadt, deren kurze zum Verständnisse der Biographie unseres Druckers dienende Erörterung hier nicht zu umgehen ist, um so weniger, als dieselben wie theilweise auch die typographische Thätigkeit desselben ausländische Quellen zur Unterlage haben, deren Einsicht oft sehr erschwert ist. Im 15. Jahrhundert war Brügge die auserwählte Residenz der Herrscher aus dem Hause Burgund und auf seinen Märkten versammelten sich die reichsten Kaufleute Europas. Hier waren Künste sowohl als Handel zu einem solchen Grade der Vollkommenheit entwickelt, wie nie vorher seit dem augusteischen Zeitalter und selbst Paris war übertroffen durch die litterarischen und künstlerischen Schätze. Diesen Aufschwung verdankte die Stadt zu dieser Zeit dem oft langen Aufenthalte ihrer kunstsinnigen Fürsten. Schon Philipp der Gütige, der bekanntlich eine noble Passion für schöne Bücher hatte, besaß auch die Geschicklichkeit, diese Vorliebe den zahlreichen glänzenden Herren seines Hofes einzuflößen. Der prachtliebende Herrscher hatte u. a. in seinem Palaste zu Brügge eine Bibliothek angelegt, welche (nach Praet a. a. O. S. 70) im Jahre 1458 nicht weniger als 940 Bände zählte. Den Grund zu dieser Büchersammlung hatte schon Philipp der Kühne (1363–1404) gelegt, der den Geschmack für Litteratur von seinem Vater, dem Könige Johann von Frankreich geerbt hatte, und er erhob sie zu einer der reichsten und berühmtesten Europas. Die Rechnungen dieses Herzogs, welche durch Peignot und Barrois (vgl. am Ende) veröffentlicht worden sind, bezeugen, daß er keine Ausgabe scheute, um die Schätze seiner Bibliothek zu vermehren. Im Jahre 1399 verkaufte (nach Dupont a. a. O. S. 89, vgl. auch Serapeum 1852, 306) ein Kaufmann zu Paris, Jacques de Raponde, diesem Herzoge ein Exemplar einer französischen Legenda aurea für fünfhundert Goldthaler (7500 Frcs.) und für dreihundert Thaler (3180 Frcs.) eine Abschrift der „Fleure des istoires de la terre d’Orient“. Zwar zeigte dessen Sohn, Johann der Unerschrockene (1404–1419), dessen ganzes Leben ein langer Kampf gegen die ehrgeizigen Projekte des Herzogs von Orleans war und gegen die, welche als Armagnacs den Tod dieses Fürsten rächen wollten, aus diesen Gründen geringeren Eifer für die Vermehrung der Bücher seines Vaters; aber nichts desto weniger vernachlässigte auch er nicht diese Schöpfung seiner Vorfahren. Denn schon 1405 zahlte er, wie wir aus den erwähnten Rechnungen sehen, an die Christine de Pisan die Summe von hundert Thalern, weil sie eine Geschichte Karls V. verfaßt hatte, hundert Goldfranken an Jacques de Raponde für die Romane Lancelot du Lac, le saint Greal und Le Roy Artus, 1409 an Pierre Linfol 50 Goldthlr. für eine Copie des Valerius Maximus, 1414 an Jean Chousat, Rath des Herzogs, die Summe von 450 Franken für den Kauf einer mit Gold und Lasur gemalten französischen Bibel. Ganz besonders aber war es die Regierung Philipps des Gütigen (1419–1467) und Karls des Kühnen (1467–1477), wo die Bibliothek der Herzoge von Bourgogne die beträchtlichsten Vermehrungen erhielt. Nach einem Inventar, welches nach dem Tode des letzteren angefertigt wurde, zählte die Bibliothek zweitausend Bände und die [239] Mehrzahl derselben war auf Pergament geschrieben, bereichert mit prächtigen Malereien und mit Einbänden von Sammt, Atlas, Seide und incrustirt mit Perlen, Smaragden, Saphiren und Schließen von Gold oder vergoldetem Silber. Es lag in der Natur der Sache, daß besonders seit der Mitte des 15. Jahrhunderts auch die Anzahl der Künstler so wie aller derjenigen Handwerker, welche sich an der Produktion von Büchern mittel- oder unmittelbar betheiligten, eine sehr bedeutende war. Und sie war dies in der That in so hohem Grade, daß sie sich in Brügge zu einer eigenen Corporation gestaltete. Ihre Gilde, deren Patron Johann der Täufer war, welche im Jahre 1454 durch Philipp den Gütigen gesetzlich anerkannt und[WS 1] geregelt ward, besaß auch in der Kirche des Klosters Eckhoute eine Kapelle, wo für sie ein sonn- und festtäglicher Gottesdienst gehalten wurde. Die Handwerker aber, welche zu dieser Körperschaft gehörten, waren folgende 16: De librariers en boeckerverkoopers, vinghettemakers (peintres en miniatures), scrivers en boucscrivers, scoolemeesters, prenterverkoopers (marchands d’images), verlichters (enlumineurs), printers (imprimeurs soit en planches de bois, soit en lettres mobiles), boucbinders, riemmakers (corroyeurs), perkementmakers en fransynmakers, guispelsnyders (faiseurs de houppes), scolevrowen (maîtresses d’école), lettersnyders, scilders (peintres), doochscherrers und beeldemakers. Ganz besonders aber war es unter diesen Künstlern und Handwerkern die dritte Classe, „de scrivers“, welche in hohem Ansehen standen und ein zeitgenössischer Schriftsteller, David Aubert von Hesdin in Artois berichtet (S. Santander, Mém. histor. p. 11–12), daß in den Diensten Philipps des Gütigen an verschiedenen Orten sich befanden: „grands clercs, orateurs, translateurs et éscrivains à ses propres gages occupéz“. Und zu diesen Schreibern zählte auch M. In welchem Jahre M. geboren ward, ist unbekannt und von seiner übrigen Lebensgeschichte nur wenig überliefert. Sein Name erscheint öfters in den alten, in der Gemeindebibliothek noch bewahrten Urkunden und immer in Verbindung entweder mit seinem Gewerbe als Kalligraph und feiner Manuscriptschreiber oder als eines der Gilde von St. Johann dem Täufer. Das erste Mal, wo er vorkommt, ist sein Name „Collinet“ geschrieben, eine Verkleinerung für Collaert oder Colard, und man nimmt an, daß er damals noch minderjährig war. Uebrigens schrieb er seinen Familiennamen nach der unregelmäßigen Orthographie jener Zeit bald Mansion, bald Manschion, und in zwei seiner Drucke liest man: „per Colardum Mansionis“ d. h. nach dem Gebrauche unserer Vorfahren: Sohn des Mansion, aber in den Rechnungen der Gilde kommen auch die Varianten vor: Malchien, Manchien, Manzioen, Manschoen, Manzyon, Manchion, Monsyoen etc. Im J. 1450 erhielt Collinet 54 Livres für eine schön verzierte, in Sammt gebundene „Romuleon“ betitelte Novelle, die er laut einer im Archiv der Stadt Ryssel (Lille) aufbewahrten Rechnung „du garde des joyeux“ Philipps von Bourgogne in der Eigenschaft eines Schreibers oder Buchhändlers an die Bibliothek dieses Herzogs verkauft hatte. Dieses Exemplar befindet sich jetzt in der k. Bibliothek zu Brüssel und ein anderes mit Buchstaben, gerade so wie die zwanzig Jahre von M. gebrauchten Lettern geschrieben, ist in dem brittischen Museum. Sowohl die Edelleute Louis de Bruges, Seigneur de la Gruthuyse, als auch der Seigneur de Crevecoeur waren damals seine Gönner und der erstere, der damals für einen der gelehrtesten Herren galt und die schönste Privatmanuscriptensammlung Belgiens besaß (er war von Eduard IV. 1472 zum Grafen von Winchester und zwar deshalb erhoben worden, weil er diesen König mit seinen Geldmitteln unterstützt hatte, zog später in sein Vaterland zurück, wo er 1492 starb), stand sogar zu einer Zeit auf solch freundschaftlichem und vertrautem Fuße mit ihm, daß er der Pathe (compère) eines seiner Kinder [240] ward. Es scheint jedoch nicht, daß einer dieser vornehmen Herren ihm zu Hülfe kam, als in späteren Jahren die Noth ihre schwere Hand auf den unglücklichen Drucker legte. Von 1454–1473 findet sich der Name M. Jahr für Jahr als Mitglied der Corporation von St. Johann und im Jahre 1471 war er sogar Vorstand (doyen) derselben, ein Amt das er zwei Jahre bekleidete, nach Verlauf welcher Zeit er Brügge auf ein Jahr verlassen haben soll, um sich auf den Rath seines Gönners Gruthuyse sowohl die Kunst des Bücherdrucks anzueignen als auch das für die Ausübung derselben nothwendige Material anzuschaffen. Wo er aber diese Kunst erlernt habe, ist bis jetzt unbekannt geblieben und die Annahme, daß er um diese Zeit gleichzeitig mit W. Caxton in Köln zu diesem Zwecke gewesen sei, entbehrt aller Begründung, ist aber auch unnöthig und einzig darauf gegründet, daß im J. 1473 sein Beitrag durch einen Bruder der Gilde entrichtet wurde. Von 1476–1482 erscheint sein Name gar nicht als Mitglied, obgleich die Daten der „Boece“, „Quadrilogue“ und „Somme rurale“ den Beweis liefern, daß er noch in Brügge war und seinem Berufe nachkam. Sein Beitrag zur Gilde ist im J. 1483 aufs neue eingetragen und 1484 kommt sein Name zum letzten Mal in der Urkunde der Genossenschaft vor. Das war ein verhängnißvolles Jahr für M., denn, wenn auch nicht vom Tode ereilt, wie seine ersten Biographen angenommen haben, harrten doch seiner Entbehrung, Armuth und Verbannung. Es scheint nämlich, daß er einige Jahre in sehr beschränkten Verhältnissen gelebt habe, da er im Jahre 1480 den Auftrag einer Abschrift des Valeriues Maximus in zwei Bänden mit reichverzierten Buchstaben für seinen Auftraggeber, den Herrn von Gazebeke, nicht ohne wiederholten Geldvorschuß vollziehen konnte. Die Quittungen für diese Darlehen sind noch vorhanden, sowie auch eine Anmerkung über seinen Aufenthaltsort, der in einer der ärmsten Straßen Brügges war, welche in die Carmeliterstraße mündete. Seine typographischen Arbeiten wurden in einem der beiden Zimmer über dem Portale der St. Donatuskirche ausgeführt, für welche Wohnung er, wie wir annehmen, dieselbe Miethe zahlte, wie der nächste Miether, nämlich 6 Livres jährlich. Und in diesem Zimmer war es, wo M. im Mai 1484 seine schöne Ausgabe der Metamorphosen des Ovid vollendete, ein prächtiger Foliant von 386 Seiten, voller Holzschnitte, die getrennt vom Texte, hineingedruckt sind. Wir wissen nichts vom Verkaufe dieses edeln Erzeugnisses, allein die Ausgaben, die damit verbunden waren, verursachten aller Wahrscheinlichkeit nach seinen Untergang, denn ungefähr drei Monate später verließ er die Stadt. Das Domcapitel von St. Donatus zog bald, beunruhigt wegen des Miethzinses, Erkundigungen ein über die Wahrscheinlichkeit seiner Rückkehr, weil sich Gelegenheit bot, das Zimmer an einen besseren Miether zu vermiethen. Allein alles war vergebens; die Wohnung, in der M. so lange Jahre mit seinen Bänden beschäftigt war, die jetzt unter den Ruhmwürdigkeiten von Brügge gepriesen werden, wurde im October 1484 an einen Jean Gosfin übergeben, ein Mitglied derselben Gilde wie M. und wie dieser mit der Anfertigung von Büchern beschäftigt. Das Domcapitel aber trug wie immer Sorge, durch die Flucht seines Miethers nichts zu verlieren, denn die Bedingungen, unter welchen dieses Zimmer (und wahrscheinlich außerdem eine große Anzahl gedruckter Bogen) an Gosfin übergeben wurden, waren, daß der letztere alle rückständige Miethe bezahlen sollte. Nach diesem traurigen Ereignisse ist nichts weiteres über M. bekannt und es ist betrübend zu sehen, wie der Mann seiner Vaterstadt den Rücken wendete, um in einem Alter von nahezu sechzig Jahren ein neues Leben zu beginnen, nachdem er so viele Jahre in litterarischer Arbeit verbracht hatte. Man hat die Vermuthung aufgestellt, daß er nach Paris seine Zuflucht genommen habe, weil im J. 1650 die Namen Paul und Robert M. als Buchdrucker genannt werden und diese Abkömmlinge [241] des Colard M. gewesen seien. Was jedoch diesen Punkt anlangt, so ist dafür nicht der geringste directe Beweis vorhanden. Auch aus dem fast ausschließlichen Gebrauche der französischen Sprache, in welcher mit Ausnahme eines einzigen lateinischen, alle seine Druckwerke erschienen, wollte man lange Zeit den Schluß ziehen, daß er kein Niederländer, sondern von Geburt ein Franzose gewesen sei. Aber auch diese Conjectur ist hinfällig. Denn nach den Forschungen von Scaurion, dem Bibliothekar und Archivar der Stadt Brügge unterliegt es in Betreff unseres Druckers keinem Zweifel, daß er daselbst geboren war und seiner Zeit zu den angesehensten Männern dieser Stadt gehörte. Ueberdies verstand M. das Vlämische so gut als das Französische, dies bezeugen die Rechnungen seiner Decanatschaft, die in der ersteren Sprache geschrieben sind, und die zahlreichen Flandricismen in seiner Uebersetzung seines „Dialogue des Créatures“ und den „Métamorphoses d’Ovide“ sind dem genannten Archivare der vollgültigste Beweis dafür, daß das Französische nicht die Muttersprache unseres Druckers war. Sein gemaltes Bildniß in Miniatur findet sich in dem Original-Manuscripte seines auf der Pariser Bibliothek befindlichen Werkes: „La Pénitence d’Adam“ und ist nachgebildet bei Lambinet I, 226 und Dibdin I, 284; dasselbe ist jedoch so äußerst klein, daß man wohl seine Kleidung nicht aber seine Gesichtszüge erkennen kann. Die Zahl der Druckwerke, welche aus der Presse des M. hervorgegangen sind, beläuft sich, soweit dieselben bis jetzt bekannt geworden, auf zwei und zwanzig; Praet, Bibliothekar an der Nationalbibliothek zu Paris und Landsmann des Druckers erhob sie im J. 1829 auf diese Höhe und ein weiteres ist inzwischen nicht entdeckt worden (Panzer kannte seiner Zeit nur sieben). Das Jahr aber, in welchem er zu drucken anfing, kann nicht ganz sicher bestimmt werden, denn sein erstes Buch ist nicht datirt, aber man wird nicht sehr irren, wenn man dafür das Jahr 1475, höchstens 1476 annimmt, demnach zwei oder drei Jahre später, als in den Niederlanden überhaupt datirte Werke gedruckt wurden, und zwar waren dies die drei mit 1473 bezeichneten: „Speculum conversionis“, ferner des Aeneas Sylvius „Tibullus“ (vgl. d. Art. Martens: Dirk) sowie die „Historia scholastica“ des Pierre-le-Mangeur, gedruckt durch Gerhard von Leempt und Nikolaus Ketelaer zu Utrecht (Bd. XV, 665). Ich benutze diese Gelegenheit zu einer weiteren Aufklärung in Betreff des letzteren Druckers. Nach Praet a. a. O. S. 82–83 lebte derselbe noch 1480 zu Utrecht, denn in einer Adresse liest man am Ende eines durch Johann Veldener zu Utrecht in diesem Jahre gedruckten vlämischen „Fasciculus temporum“, welcher übrigens nur in einem einzigen, der Pariser Bibliothek gehörigen Exemplare bekannt geworden ist, die Worte: Claes Ketelaer woenende tUtrecht in Loeff bermakers straet borgher – zwei Zeilen, welche sich über dem Buchdruckerzeichen Veldener’s befinden. Diese lassen glauben, entweder, daß der letztere diesen Druck für K. besorgte oder daß er dessen Nachfolger war.

Wenn man die Erzeugnisse der Presse des M. prüft, so ist es für den Freund der Genauigkeit gewissermaßen überraschend, zu finden, wie er gleich allen früheren Druckern, die meisten seiner Produkte ohne Datum und viele sogar ohne Angabe des Namens oder des Ortes herausgab. Aber er folgte hierin einfach dem Beispiele seiner Vorgänger, den Schreibern, die selten ihren Namen oder das Datum, der Abschrift vor- oder nachsetzten. Alle seine Druckwerke aber bekunden eine vortreffliche Ausführung und er bediente sich hiezu zweier Arten Typen, einer solchen, mit der man die schönsten Handschriften seiner Zeit schrieb und die durch keinen anderen Drucker außer Caxton nachgeahmt wurde, und einer zweiten seltener in Anwendung gebrachte, welche dem Auge weniger angenehm und viel kleiner ist. Im Auge eines vergleichenden [242] Bibliographen aber theilen sich demnach diese Drucke von selbst in zwei Classen, erstlich in solche, die mit großen, kühnen Schriftbuchstaben und zweitens in jene, welche mit kleineren, halbrömischen, unter dem Namen „Lettres de Somme“ bekannten Schriftzeichen hergestellt sind. Keiner, der auch nur im geringsten mit den praktischen Einzelheiten der Typographie vertraut ist, kann Zweifel hegen, daß die ältesten, dem W. Caxton zugeschriebenen Bücher und die ersten von M. herausgegebenen von einer und derselben Presse kamen. M. gebrauchte zu seinem ersten Drucke sehr klare, große Schriftbuchstaben, im Charakter den zuerst in Westminster gebrauchten sehr ähnlich. Ebenso waren sie in Form und Größe jenen Buchstaben, mit welchen M. seine Schriftstücke später herauszugeben gewohnt war, ganz gleich. Auch druckte er an der Spitze eines jeden Capitels den Auszug desselben in rother Dinte, und hier entfaltete er ein so merkwürdiges Beispiel von Drucktalent, daß ich mich verpflichtet fühle, ganz besonders darauf aufmerksam zu machen. Wenn wir genau das Ansehen dieser von M. in seinem „Boccace“, „Boece“, „Somme rurale“ und „Ovide“ gebrauchten rothen Dinte prüfen, so werden wir finden, daß sie sehr schmutzig von Farbe ist und außerdem, daß die Kanten der den rothen sich zunächst befindlichen schwarzen Zeilen leicht geröthet sind, ein Fehler, zu welchem der Separatdruck von rothen Zeilen keine Veranlassung giebt. Die folgende kurze Auseinandersetzung wird jedoch hinreichend die Art des Verfahrens darlegen. Beide Farben wurden durch ein und denselben Druck der Presse hervorgebracht, indem alle Lettern sowohl die für die schwarze wie auch für die rothe Farbe in dieselbe Form eingeschlossen waren. Allein es war unmöglich, die Form mit dem Ballen zu bestreifen und eine einzige Zeile in der Mitte unberührt zu lassen, so wurde denn die ganze Seite geschwärzt und dann wieder die Schwärze von der beabsichtigten rothen Zeile, vor und nach welcher ein freier Raum gelassen war, sorgfältig abgewischt, und diese Zeile wieder mit dem Finger oder auf andere Weise mit rother Dinte bestrichen, worauf der Bogen gedruckt wurde. Ein doppelter Mißstand aber begleitete dieses grobe Verfahren – die Schwärze konnte nie so vollständig wieder entfernt werden, daß sie nicht die darauf folgende rothe Farbe getrübt hätte, und auch die äußerste Sorgfalt konnte nicht verhüten, daß die den rothen sich zunächst befindlichen schwarzen Zeilen von dem rothen Finger oder Ballen nicht berührt wurden. Und in der That finden sich diese beiden Fehler in jedem von M. gedruckten Buche, in welchem die beiden Farben gebraucht wurden. Zu diesen aber gesellte sich häufig noch ein dritter, nämlich der durch das Abwischen verursachte theilweise Verlust der schwarzen Farbe in der Nähe der rothen. Ein thatsächlicher Versuch wird einem jeden zeigen, daß diese Art, beide Farben zugleich zu verarbeiten, die einzige Erklärung für das Aussehen ist und die Veranlassung zur Annahme dieses Verfahrens war vermuthlich das Bestreben, die vollständige Genauigkeit der Aufeinanderfolge der Zeilen sicher zu stellen, da auf diese Art keine Furcht vorhanden war, es möchten die rothen Zeilen nicht genau an ihre richtigen Plätze passen, eine Genauigkeit, die mit einer der ersten Pressen sehr schwer zu erlangen war. Diese Eigenthümlichkeit in der Arbeit des Brügger Buchdruckers findet sich absolut in keinem Buche der Mainzer oder Kölner Pressen wieder, ja alle typographischen Arbeiten der Brügger und jener Buchdrucker sind so verschieden und entgegengesetzt, daß es schwer hält, an eine Verwandtschaft zwischen beiden zu glauben. Es ist schon früher und öfter bewiesen worden, daß unregelmäßige Zwischenräume in den ersten Büchern ein sicheres Zeichen sind, daß die Arbeit in denselben eine ältere ist, als die in Büchern derselben Presse, in welcher die Zeilen von gleicher Länge sind. Der mit dem Datum versehenen Bücher von M. sind nur sechs, welche dies vollständig darlegen: a) Bücher mit ungleichen Zeilen: „Le jardin de Dévotion“, [243] vor 1476; „Bocace du Déchiet des Nobles Hommes“, vor 1476; „Boece de la Consolation de Philosophie“, vor 1477; b) Bücher mit gleichen Zeilen: „Le Quadrilogue d’Alain Chartier“, vor 1478 (das einzige Datum in diesem Bande ist zwar 1477, das Jahr, in welchem der Prolog verfaßt wurde, der Druck muß jedoch später stattgefunden haben), „La Somme rurale“, vor 1479; „Les Métamorphoses d’Ovide“, vor 1494. Nehmen wir 1478 als das Jahr an, in welchem M. seine Gewohnheit änderte, so können wir ohne Furcht uns zu irren, die Behauptung aufstellen, daß alle undatirten Bücher mit Zeilen von ungleichen Zwischenräumen dem „Quadrilogue“ vorausgingen, während alle undatirten mit Zeilen von gleicher Länge und gleichen Zwischenräumen nach dem „Quadrilogue“ herauskamen. Auf dieser Basis lassen sich seine nicht datirten Drucke folgender Weise ordnen: vor 1478 mit Zeilen von ungleicher Länge und engen Zwischenräumen: „Les Dits moraux des Philosophes“, „Les Invectives contre la Secte de Vauderie“, „La Controversie de Noblesse“ und „Débat entre trois valereux Princes“; nach 1478 mit Zeilen von gleicher Länge und weiten Zwischenräumen: „Les Adrineaux amoureux“, Edit 1., „Le Doctrinal du temps présent“, „La Doctrine de bien vivre“, „L’Art de bien mourir“, „La Purgatoire des mauvais Maris“, „L’Abuse en court“, „Les Evangiles des Quenouilles“, „Le Donat espirituel“, „Les Adrineaux amoureux“, Edit. 2. und „Dionysii Areopagiticae liber“. M. scheint nie mit besonderer Schnelligkeit gedruckt zu haben, deshalb können wir wohl annehmen, da der „Boccace“ von 1476 600 große Folioseiten und der „Boece“ von 1477 ungefähr dieselbe Zahl enthält, daß die fünf übrigen Bücher mit engen Zwischenräumen vor dem „Boccace“ herauskamen. Diese Aufstellung würde M. etwa um die Zeit, als Caxton seine Umschreibung von „Le Recueil des Histoires de Troyes“ vollendete, zum Buchdrucker in Brügge machen und alle diese in den gedruckten Erzeugnissen von M. bemerkenswerthen Eigenthümlichkeiten können, wie ich bereits erwähnt, auch in denen von Caxton verfolgt werden. Fast alle Drucke des M., die sämmtlich, wie jene des Caxton zu den größten Seltenheiten zählen, sind mit seinem Druckerzeichen, einer kleinen Vignette, versehen, welche die in einander verschlungenen Initialen C und M darstellen. Außerdem aber findet sich (Nagler, Monogrammisten IV, 451) unter seinem Namenszeichen auch ein Halbmond, der von einigen für einen vlämischen Rebus, der auf den Namen des Mannes anspiele, also Maenson, d. h. der Sohn des Maen, des Mondes gehalten wird. Andere aber halten diese Auslegung mit Recht für allzu gesucht und nehmen das Zeichen unter dem M einfach für ein liegendes C (Colard), sintemal es unserem Drucker wohl nicht eingefallen sein dürfte, sich als Sohn des Mondes zu denken. M. war nicht nur ein ausgezeichneter Buchdrucker, sondern auch Schriftsteller und einer der alten Typographen, die zugleich ihre Geistesprodukte unter ihre eigenen Pressen brachten und verlegten. Als Schriftsteller besitzen wir von ihm das bereits erwähnte aus dem Lateinischen in das Französische übersetzte ascetische Werk: „La Pénitence d’Adam“, das jedoch nicht zum Druck gelangte, aber in mehreren Abschriften so wie im Originale auf der Bibliothek zu Paris sich befindet. Er ist ferner der Verfasser von „Le Dialogue des Créatures“, „Les Métamorphoses d’Ovide“, erklärt von Thomas Waleys, und „Le Don spirituel“, aus dem Lateinischen in das Französische übersetzt. Außerdem ist er der Autor einer Uebersetzung oder vielmehr einer französischen Paraphrase des durch Arnold von Brüssel 1475 zu Neapel gedruckten rabbinischen Romans „De creatione Ade et formatione Eve ex costa eius“ (vgl. d. Art. Moravus: Matthias), welche Arbeit ebenfalls ungedruckt geblieben ist. M. bleibt schließlich noch der Ruhm, der einzige Buchdrucker gewesen zu sein, den [244] die Stadt Brügge im 15. Jahrhundert besessen hat. Allerdings haben einige Bibliographen und an deren Spitze der Abbé Ghesquière („L’esprit des Journaux“ 1779, 240), die Behauptung aufgestellt, daß nicht allein die Buchdruckerkunst daselbst vor M. bekannt gewesen, sondern daß sie sogar in Brügge im J. 1448 erfunden worden sei. Die höchst unschuldige Veranlassung zu dieser höchst sonderbaren Aufstellung gab der zu seiner Zeit berühmte holländische Bibliograph Meermann. Dieser besaß ein Werkchen von 30 Bl., von dem man nur dieses einzige Exemplar kennt, das sich jetzt in der Pariser Bibliothek befindet und das Doctrinale des Joh. Gerson enthält. Diese Schrift aber trägt als Schluß die sechs lateinischen Verse, deren drei letzte lauten:

Imprimit hec civis Brugensis Brito Johannes,
Inveniens artem, nullo monstrante, mirandam,
Instrumenta quoque non minus laude stupenda.

Da nun die im Archiv zu Lille aufbewahrten Memoriale des Abtes von Saint-Aubert zu Cambray, Jean le Robert, den Eintrag enthalten, daß dieses Doctrinale schon im J. 1445 zu Brügge verkauft worden sei, so glaubte Ghesquière hieraus folgern zu dürfen, daß Joh. Brito in diesem Jahre daselbst gearbeitet und hier die Buchdruckerkunst erfunden habe. Die Sache verhält sich aber einfach folgendermaßen: B., gebürtig aus Brügge, stellte nach seiner eigenen Erklärung auf eine neue Weise und vermittelst Werkzeuge seiner Erfindung eine Handschrift des Gerson her und am Ende derselben machte er (in den drei ersten Versen) auf die Schönheit, die Eleganz und die Zierlichkeit seiner Arbeit aufmerksam und bediente sich hierbei des Wortes „imprimit“. Aber dieser Ausdruck ist hier keineswegs identisch mit „drucken“, weil nachweislich die Copisten jener Zeit sich, wenn auch nicht immer, dieses Wortes für „scripsit“ bedienten. Diese neue Art zu schreiben aber, die er in seinen Versen als eine Merkwürdigkeit pries, bestand aller Wahrscheinlichkeit nach (Praet, Notice p. 11) darin: à monter des caractères avec des lettres de laiton à jour“, ähnlich jenen, die man lange Zeit verwendete, um liturgische Bücher herzustellen. Und weil im Jahr 1480 Joh. Veldener zu Utrecht diese Arbeit des Joh. Brito abdruckte, ohne an jenen Versen zu ändern, so gab das einigen Bibliographen Veranlassung zu ihrer wunderlichen Behauptung. Panzer (Ann. lat. III, 548) suchte sich die Sache so zu erklären, daß er unter diesem Brito einen „socius“ des Veldener vermuthete. Es bleibt noch zu erwähnen, daß nach dem Verschwinden des M. aus Brügge zu den ältesten Druckern dieser Stadt zählt Heinrich van den Dale oder van Valle, dessen noch im Jahre 1506 in der Corporation der Buchhändler mit den Worten gedacht ist: „Van Heynderic van den dale priten van incommene xij gr.“ (von H. v. d. D. für seine Aufnahme 12 Groschen). Das einzige aus seiner Presse hervorgegangene allen Bibliographen unbekannte Buch, das man bis jetzt kennt und das sich im Besitze Praet’s befand, ist ein Rosarium, besonders werthvoll durch seine 23 Kupferstiche und es gilt für das erste in den Niederlanden mit solchen verzierte Druckerzeugniß. Es besteht aus 24 Octav-Blättern und führt als Kolophon die Worte: „Impressum per me Heynricum de Ualle Anno dni M. CCCCC | Tercio Decimo die mensis Martij“; über einen Münster’schen Drucker Michel van Dale vgl. d. Art. Außerdem finden sich in dem mehrerwähnten Register die Namen anderer Buchdrucker zu Brügge, deren Erzeugnisse nicht auf uns gelangt sind, aber die ältesten beschäftigten sich ohne Zweifel nur mit dem Drucke von Holztafeln oder Bildern, und vielleicht kann einem der für 1457 und 1458 dort aufgeführten zwei Drucker: Dieric de Prentere und Dieric F. Jan de Prentere (D., Sohn des Johann, Buchdrucker) der Druck einer sog. Armenbibel zugeschrieben werden, welche in der Regel nur aus 40 bis 50 Blättern bestand, denn in den betreffenden Rechnungen heißt es u. a. [245] „It, ontfaen van den inghelsman ter cause van morisses Bidle xij gr.“ (d. h. empfangen von dem Engländer wegen der Bibel von Morisses).

Saint-Leger, in L’Esprit des Journaux, novembre 1779. p. 245. Serna-Santander, Dictionnaire bibliogr. I, 351 und dessen Mémoire hist. sur la bibl. de Bourgogne p. 11–12. Lambinet, Recherches sur l’origine de l’imprimerie II, 214–245. Dibdin, Bibliotheca Spenceriana XXIV, article Mansion. Biographie Universelle (1820). T. XXVI, 512–13. Panzer, Ann. lat. I, 262–63. IV, 266–67. Praet, Notice sur Col. Mansion. Par. 1829 und C. M. et les imprimeurs Brugeois du XV. siècle, Brügge 1848. Campbell, Annales de la typogr. neérland. au XV. siècle p. 97. Peignot, Catal. de la bibl. des ducs de Bourgogne, Dijon 1841. Barrois, Bible protypogr., Par. 1830. p. 34.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: und und