Ein zweischneidiges Schwert

Mit „Zu hoch gepokert“ erscheint der letzte der fünf Philip-St.-Ives-Romane in einer neuen und erstmals vollständigen deutschen Übersetzung

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fünf seiner insgesamt 25 Romane hat Ross Thomas (1926–1995) unter dem Pseudonym Oliver Bleeck geschrieben. Zwischen 1969 und 1976 ließ er in ihnen mit Philip St.Ives einen Helden auftreten, der als professioneller Verhandlungsführer zwischen Dieben und den von ihnen bestohlenen Personen oder Institutionen vermittelt. St. Ives hat sich in diesem Geschäft einen erstklassigen Ruf erworben, so dass man immer wieder auf seine nicht gerade billige, aber solide Unterstützung zurückgreift, wenn ganz besonders pikante Dinge von raffiniert vorgehenden Langfingern entwendet wurden. Dinge zumal, die den Dieben den größten Profit bringen, wenn man sie an die Bestohlenen zurückverkauft.

In Zu hoch gepokert – im Original unter dem Titel The Highbinders als vierter St. Ives-Roman 1974 erschienen – ist es das sagenhafte Schwert Ludwigs des Heiligen (1214–1270), dessen Rückgabe Thomas‘ Held managen soll. 100.000 Pfund Lösegeld verlangen die Diebe von einem Brüderpaar, das mit seltenen geschichtlichen Devotionalien handelt. Wie Ned und Norbert Nitry selbst zu ihrer Ware gekommen sind, ist dabei nicht in jedem Fall eindeutig nachvollziehbar. Interessiert den ständig knappen Poker-Freund mit Dandy-Einschlag, als den man Philip St.Ives kennt, aber auch nicht sonderlich, solange sein Anteil am Geschäft stimmt. Und das tut er natürlich auch diesmal.

Ludwig der Heilige soll seine berühmte Waffe einst zur Zeit der ersten Kreuzzüge geschwungen haben, ehe er von den Sarazenen besiegt und gefangen genommen wurde. Daraufhin verschwand das Schwert für gut einhundert Jahre von der Bildfläche, ehe es Ende des dreizehnten Jahrhunderts im ägyptischen Alexandria und wieder 200 Jahre später in Konstantinopel wieder auftauchte. Über Moskau führte sein weiterer Weg schließlich bis in einen Trödelladen in der Londoner Shaftesbury Avenue, wo ein Kunde das Schwert schließlich für sage und schreibe 12 Shilling und sechs Pence kaufte.

Ein wirklich gutes Geschäft, wie sich herausstellt, als der Sohn des Käufers nach dessen Tod überlegt, die Waffe mit Hilfe der Nitrys zu verkaufen, um der permanenten Ebbe in seiner Kasse Einhalt zu gebieten. Denn die bei einem ausgewiesenen Fachmann eingeholte Expertise veranschlagt für das mit einem Griff aus massivem Gold, zwei echten Rubinen und einem eigroßen Diamanten als Knauf ausgerüstete Artefakt einen aktuellen Wert von mindestens drei Millionen britischen Pfund. Dass das gute Stück den Brüdern Ned und Norbert Nitry, die es möglichst unauffällig und an Versicherung und Steuer vorbei an einen finanzstarken Käufer verscherbeln sollen, gestohlen wird, macht die Geschichte freilich kompliziert und ruft außer dem aus den USA nach London gereisten Vermittler St. Ives noch eine ganze Reihe anderer, in ihrer Mehrzahl äußerst zwielichtiger Charaktere auf den Plan.   

Und so steckt Ross Thomas‘ Held auch schon bald nach seiner Ankunft wieder in genau jenen Schwierigkeiten, mit denen er sich immer herumzuschlagen hat, wenn die Gier bei den Menschen, mit denen er es zu tun bekommt, die Regie übernimmt. Dass auch auf ehemalige Bekannte, die der Ex-Reporter und Zeitungskolumnist noch aus seinem Londoner Korrespondentenjahr Anfang der 1960er Jahre kennt, kein Verlass mehr ist, wenn es um Millionen geht, muss er schmerzvoll erfahren. Und auf Ordnungshüter wie den Polizisten William Deskins vom Scotland-Yard-Betrugsdezernat, die immer dann auftauchen und mit unangenehmen Fragen löchern, wenn man sie gerade nicht gebrauchen kann, war St. Ives noch nie gut zu sprechen.

Zu hoch gepokert besitzt all jene Vorzüge, die die Lektüre eines Ross-Thomas-Romans auch fast 30 Jahre nach dem Tod des Autors noch zu einem außerordentlichen Vergnügen werden lassen – zumal wenn der Text mit einem solchen Gespür für Nuancen und Zwischentöne übersetzt wurde, wie das Gisbert Haefs (diesmal ohne Ko-Übersetzerin) erneut gelungen ist. Da ist man versucht, seitenweise zu zitieren, etwa wenn es um den „Mythos“ des englischen Frühstücks geht, auf den Philip St. Ives nichts kommen lässt: „Dieser Mythos räumt listig ein, dass zwar Lunch in England ein Reinfall und Dinner eine Katastrophe sein mag, das typische englische Frühstück jedoch, wenn nicht einem König, so doch einem halbwegs solventen Herzog gut anstehe.“ Und wenn es angesichts der ersten Begegnung des Helden mit den Nitry-Brüdern in deren Stadtvilla heißt „die Szenerie war nobel, aber die Akzente waren falsch“, hört man sofort die Alarmglocken läuten.

Dass sich Philip St. Ives ausgerechnet am Grab von Karl Marx auf dem Highgate Cemetery zu einer Unvorsichtigkeit hinreißen lässt, die nicht nur seine Mission gefährdet, sondern ihn auch zum Verdächtigen in einem Mordfall macht – Leichen, deren Ableben einerseits der Polizei die Arbeit erleichtert, andererseits aber auch demonstriert, wie ernst es den Gegnern ist, mit denen es der Vermittler zu tun bekommt, sind immer dabei, wenn sich St. Ives ans Werk macht –, ist ein seltener Fauxpas bei einem Typen, der immer ein bisschen mehr zu wissen scheint als seine jeweiligen Gegenüber. Und weil es diesmal nicht anders ist, nimmt auch das englische Abenteuer für einen der abgezocktesten Helden von Ross Thomas wieder ein gutes Ende. Was man vom Schicksal des berühmten Schwertes nicht behaupten kann – aber wie es dem ergeht, soll hier nicht verraten werden.

Noch zwei Bände fehlen, bis die Neuausgabe der Werke eines der wichtigsten Thriller-Autoren des 20. Jahrhunderts im kleinen Berliner Alexander Verlag vollständig ist. Was dann vorliegt, ist eine Leistung, auf die Alexander Wewerka und sein Team allen Grund haben, stolz zu sein. 25 Romane in erstmals den vollständigen Text zum Ausgangspunkt nehmenden deutschen Übersetzungen in einer wiedererkennbaren Aufmachung werden dann die Bücherregale der vielen Ross-Thomas-Fans hierzulande schmücken. Bücher, die man ruhig zwei-, dreimal oder öfter lesen kann. Denn ihr Autor zählt ohne Frage zu jenen seltenen Autoren auf dem Gebiet der Spannungsliteratur, die ihren ganz eigenen Stil entwickelt haben und bei jedem Wiederlesen neue Perspektiven anbieten. Imponierend an seinen Romanen sind die erhellenden Blicke, die er auf Politik und Gesellschaft zu werfen vermag, sein Humor, der oft lässig-ironische Schreibstil und die ausgeprägte Fähigkeit, mit nur wenigen Sätzen eine Figur oder Situation so zu beschreiben, dass sie plastisch vor den Augen jedes Lesers und jeder Leserin erscheint. Dies und sein journalistisch geschulter, unbarmherziger Blick auf die menschlichen Schwächen in seiner Welt – das alles ist so weit jenseits des Durchschnitts, dass man mit Recht in Bezug auf diesen großen amerikanischen Autor von einem „Klassiker“ sprechen darf.     

Titelbild

Ross Thomas: Zu hoch gepokert. Ein Philip-St. Ives-Fall.
Thriller.
Aus dem Amerikanischen von Gisbert Haefs.
Alexander Verlag, Berlin 2023.
250 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783895815898

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