Fundamentalismus als Gefahr
Wolfgang Wippermann widmet sich dem Fundamentalismus in den Weltreligionen
Von Julian Köck
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSpätestens mit dem 11. September 2001 ist „Fundamentalismus“ zu einem der wichtigen politischen Begriffe geworden, die unsere Vorstellung von der Welt, in der wir leben, prägen. Dementsprechend lassen sich kaum noch Kommentare zum Thema Religion im weiteren Sinn finden, die ohne „den“ Fundamentalismus auskommen. Dabei hat sich in den deutschen Medien eine Gegenüberstellung von Glauben und Fundamentalismus eingebürgert. Damit lässt sich der Gläubige aller Couleur willkommen heißen, während der als solcher bezeichnete Fundamentalist zum Gegner der „freiheitlichen“ Ordnung avanciert.
Vor diesem Hintergrund wird die besondere Wichtigkeit von allgemein verständlichen Publikationen zum Thema deutlich. Um eine solche handelt es sich bei Wolfgang Wippermanns 176 Seiten umfassenden Band zum Fundamentalismus. In einer Reihe von Fallstudien, die den nur durch Einleitung und Fazit eingerahmten Kern des Buches ausmachen, beschäftigt er sich mit Fundamentalismus in den drei Buchreligionen sowie im Buddhismus und Hinduismus. Und der Fundamentalismus, das macht Wippermann sehr deutlich, ist kein Phänomen, das sich nur auf den Islam beschränken ließe.
Fundamentalismus stellt für ihn eine Ideologie dar, „durch welche die Religion politisiert, die Politik dagegen sakralisiert“ wird. Auf eine detailliertere Diskussion bestehender Fundamentalismus-Begriffe verzichtet Wippermann weitgehend und stellt fest, dass der Streit um Worte hierbei ohnehin unfruchtbar sei und man den Fundamentalismus am besten über seine Geschichte her begreife. Wippermann selbst interessieren aber eher die aktuelle Situation und die künftigen Entwicklungsperspektiven. Anstelle einer stringenten historischen Entwicklung des Konzepts werden deshalb einzelne Untersuchungen präsentiert, die, auf die unterschiedlichsten Zeiten bezogen, Fundamentalismus als ein überzeitliches Phänomen darstellen.
Diese politische Intention des Buchs wird durch Wippermanns apodiktische Urteile, die das ganze Buch durchziehen, fortgeführt. So lässt er keine Zweifel an seiner eigenen Position und teilt mit, was „zu tolerieren“ sei, was man gar „preisen“ müsste, aber auch, was abzulehnen und „nicht zu tolerieren sei“. Das politische System Saudi-Arabiens ist für ihn ein „atavistische[r] Rückfall“, die britische Kolonialherrschaft in Indien sei „durch nichts und niemanden zu rechtfertigen“, überhaupt seien „alle Inder“ „unterdrückt und diskriminiert“ worden und die von fundamentalistischen Priestern aufgehetzten Spanier hätten im Kampf gegen Napoleons Fremdherrschaft „also gegen ihre eigene Befreiung“ gekämpft.
Einerseits ist das erfreulich deutlich, andererseits stört aber, dass Wippermann vom heutigen Standpunkt aus Gericht über die Weltgeschichte hält. Wenn er proklamiert, dass Augustin in Sachen gerechter Krieg „falsche Lehren“ gepredigt habe, zeigt sich das besonders deutlich. Die einzige Begründung für dieses Urteil ist die Behauptung, dass auch das Alte Testament kein Konzept eines „heiligen“ Krieges kennen würde. Dies ist mehr als zweifelhaft, wie allein der Hinweis auf Dtn 20 zeigen dürfte. Zumindest diskussionswürdig ist auch die Auslassung, dass die spanische Inquisition „die Terrororgane der späteren totalitären Staaten“ „gewissermaßen“ vorweggenommen habe. An solchen Stellen wünscht man sich bei der Lektüre oft, dass ihm mehr Platz zur Verfügung gestanden hätte, um seine Ideen näher ausführen und begründen zu können.
Denn gerade Wippermann steht, wie er in seiner Studie zum Faschismus gezeigt hat, für eine historische Betrachtung, die den engen Rahmen von spezialisierten Einzelstudien zugunsten einer großen Synthese überwindet und dabei die ganze Welt und ihre Kulturen in den Blick nimmt. Dies ist für religionsgeschichtliche Untersuchungen von besonderer Bedeutung und es ist ein großer Verdienst, dass er in vorliegendem Buch bewusst über den Bereich der drei verwandten großen monotheistischen Religionen hinausgeht. Dass dabei die Betrachtungen der unterschiedlichen Religionen in Umfang und Themenbreite variieren, so gibt es zum Beispiel drei Kapitel zum Christentum, aber jeweils nur eines zu den anderen Religionen, versteht sich dabei aufgrund der Themenvielfalt von selbst. Allerdings verwundert es, dass Wippermann Jan Assmanns umfangreiche Forschungen zur „Mosaischen Unterscheidung“ und zum Verhältnis von Religion und Politik ganz unberücksichtigt gelassen hat.
Als ähnlich problematisch erscheint der Verzicht einer genaueren Definition des „Fundamentalismus“. Auch wenn sich eine ausufernde Diskussion der verschiedenen Konzepte im Hinblick auf die angestrebte Lesergruppe verbietet, wäre hier doch viel zu gewinnen gewesen. So hätte beispielsweise die Verwendung des Fundamentalismus-Begriffs von Martin Riesebrodt die Studie deutlich analytischer und den Fundamentalismus als Erscheinung viel schärfer erkennbar gemacht. Riesebrodt versteht unter Fundamentalismus die von einer Gruppe religiöser Menschen vertretene Überzeugung, dass die Gesellschaft nicht so ist, wie sie sein sollte, und deshalb zugunsten einer normativen, oft fiktiven und in der Vergangenheit verorteten Gesellschaftsvorstellung überwunden werden müsse. Hier wird auch ohne weiteres deutlich, wieso sich Fundamentalismus in der Regel gegen das Konzept der Menschenrechte und der Aufklärung richtet.
Wippermanns offener Fundamentalismus-Begriff führt dagegen dazu, dass eine sehr große Menge von politischen und gesellschaftlichen Erscheinungen von ihm als fundamentalistisch verstanden werden. So stellen dann die Forderungen nach einem islamistischen Gottesstaat für ihn genauso das Ergebnis von Fundamentalismus dar wie der in den USA praktizierte Laizismus, und die militärische Intervention in Vietnam genauso wie die Protestbewegungen in Amerika dagegen, um nur wenige Beispiele zu nennen. Hier kommt es zu Widersprüchen: So wird als Ergebnis des Buchs festgehalten, dass Fundamentalismus generell „gefährlich und nicht zu tolerieren sei.“ Wenige Seiten zuvor wird indes der buddhistische Fundamentalismus des amtierenden Dalai Lamas ausdrücklich gepriesen und auch der amerikanisch-protestantische Fundamentalismus wird in Teilen recht positiv bewertet. Die Feststellung, dass ein rein religiöser Fundamentalismus akzeptierbar sei, scheint darüber hinaus im Widerspruch zur eingangs formulierten Fundamentalismus-Definition zu stehen.
Eine weniger offene und dafür stringent eingehaltene Definition von Fundamentalismus würde den Wert des Bandes deutlich erhöhen. Aufgrund des überzeugenden Ansatzes der Studie ist darum auf eine erweiterte Neuauflage zu hoffen. Sieht man von dieser aus wissenschaftlicher Perspektive geäußerten Kritik ab und konzentriert sich mehr auf die im weiteren Sinne politischen Inhalte des Buchs, dann beeindruckt Wippermanns Plädoyer für Religionsfreiheit und Toleranz gegenüber verschiedenen Religionen bei gleichzeitiger Betonung der Bedeutung von Aufklärung und Menschenrechten, die er als nicht verhandelbar ansieht. Diesbezüglich sei die Lektüre seines Buchs gerade Politikern dringend ans Herz gelegt.
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