Es bleibt das Geschriebene

Frank-Rutger Hausmann hat ein Grundlagenwerk zur Rolle der Geisteswissenschaften im „Dritten Reich“ veröffentlicht

Von Joachim SengRSS-Newsfeed neuer Artikel von Joachim Seng

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Willst du dir ein hübsch Leben zimmern, / Mußt dich ums Vergangene nicht bekümmern“, heißt es bei Johann Wolfgang Goethe; und etwa 100 Jahre später schreibt Franz Kafka: „Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt – es ist niemals gutzumachen“. Beide Zitate hat der emeritierte Freiburger Romanist Frank-Rutger Hausmann seiner grundlegenden Arbeit über die Rolle der Geisteswissenschaften im „Dritten Reich“ vorangestellt – und nebeneinander gedruckt, führen sie in ihrer Gegensätzlichkeit und Spannung bereits in das Thema von Verdrängung und Schuld ein, dem sich der Autor auf knapp 1.000 Seiten widmet. Hier ist ein Kompendium entstanden, das gleichzeitig ein Handbuch, ein Lesebuch, ein unverzichtbares Nachschlagewerk und eine historisch-systematische Gesamtdarstellung der deutschen Geisteswissenschaften zwischen 1933 und 1945 ist. Der massige Band ist in zwei Teile gegliedert: einen ersten, von kanpp 70 Seiten, der die „Organisation der nationalsozialistischen Universitäten“ untersucht und einen etwa 800–seitigen Hauptteil, der sich den verschiedenen geisteswissenschaftlichen Fachdisziplinen zwischen Anglistik und Volkswirtschaft annimmt. Ergänzt werden die Kapitel durch ein Vorwort sowie eine umfangreiche Bibliografie, ein Register der zitierten Autoren und ein Namenregister, dessen Bedeutung bei einem Werk dieses Volumens nicht unerwähnt bleiben darf.

Wer sich mit der Rolle der Geisteswissenschaften, der Universitäten, aber auch der Akademien und Schriftstellervereinigungen im „Dritten Reich“ beschäftigt, der kommt an den Arbeiten Hausmanns nicht vorbei, mit denen er in vielen Bereichen Pionierarbeit geleistet hat. Das vorliegende Buch nennt er selbst „das Ergebnis einer fast dreißigjährigen Beschäftigung mit der Rolle der Geisteswissenschaften zwischen 1933 und 1945“. Zu den Stärken des Autors gehören dabei nicht allein seine präzisen Recherchen und das Auffinden von Quellen in zahllosen Archiven, seine Arbeiten bestechen auch durch die hohe Kunst, schwierige Sachverhalte luzide zu analysieren und anschaulich zu beschreiben. Dazu trägt auch seine wohltuende Dosierung von Fachjargon und faschismustheoretischem Vokabular bei.

In dem vorliegenden Band führt bereits das meisterhafte Vorwort ein weiteres Talent Hausmanns vor Augen, das bei Abhandlungen zu diesem Thema wahrlich selten ist: die Fähigkeit zu beurteilen statt zu verurteilen. „Die vorliegende Zusammenstellung verfolgt“, heißt es dort, „keinerlei moralisierende Absicht. Sie will allein den Einschnitt dokumentieren, den die nationalsozialistische ‚Gleichschaltung‘ auf dem Hochschulsektor institutionell und fachwissenschaftlich bewirkt hat. Dabei stehen das Was und das Wie im Zentrum, nicht das Warum“. Darin liegt die besondere Stärke dieser Arbeit: es wird nicht moralisiert, es wird dokumentiert, und die wichtigsten Thesen Hausmanns lassen in ihrer Geradlinigkeit nichts zu wünschen übrig: „Wissenschaft erlaubt keine Mehrdeutigkeit“ und daraus abgeleitet: „So bleibt vor allem das Geschriebene, und man kommt um ein Verba volant, scripta manent nicht herum“. So lässt er im Hauptteil die Geisteswissenschaftler selbst zu Wort kommen, zitiert ausführlich, was sie zwischen 1933 und 1945 schrieben und publizierten. Dass „Geschriebenes bleibt“ gehört wahrscheinlich zu den stärksten Waffen im Umgang mit all jenen Professoren, die nach 1945 logen, betrogen und ihre Biografien schönten, und es ist dem Autor nicht hoch genug anzurechnen, dass er die deutschen Professoren mit ihren eigenen Worten belegen lässt, wie sehr sie und ihre Fachdisziplinen an Verfolgung, Vertreibung, Krieg, Völkermord und Terror bereitwillig mithalfen. Rund 2.000 Titel der Jahre zwischen 1933 und 1945 (Monografien, Aufsätze in Sammelbänden und Zeitschriften, gedruckte Vorträge) hat Hausmann ausgewertet, Zitate von 700 Wissenschaftlern aus allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen und Fächern werden geboten, eine Kärnerarbeit, die nicht genug gewürdigt werden kann. Denn es ist kein Vergnügen, zumeist ist es beschämend, stellenweise widerlich, jene Wissenschaftsprosa zu lesen, mit der die deutsche, universitäre Geisteselite sich dem verbrecherischen Regime und dessen abstrusen völkisch-rassistischen Vorgaben anbiederte und teilweise ohne Not und in vorauseilendem Gehorsam, die ideologische Gleichschaltung vollzog.

Blicken wir zum Beispiel auf die Sprach- und Literaturwissenschaft. Hier zeigt sich das geschickte Auswahlverfahren Hausmanns. Er führt nicht allein die traurigen ‚Paradebeispiele‘ der Disziplin an, wie etwa Franz Koch, zwischen 1935 und 1945 Ordinarius für deutsche Literatur- und Geistesgeschichte in Berlin, der nach dem Krieg rehabilitiert in Tübingen lehrte und 1941 im Vorwort des fünfbändigen Werkes ‚Von deutscher Art in Sprache und Dichtung“ ganz im Sinn der NS-Ideologie formulierte: „Der totale Krieg, wie wir ihn erleben, ist nicht nur eine militärische, sondern zugleich auch eine geistig-kulturelle Auseinandersetzung größten Maßes. Geht es doch nicht um irgendwelche Einzelziele, sondern um den Untergang eines überlebten und siechen Zustandes und um die Schaffung eines neuen und gesunden, um den Untergang des alten und den Aufbau eines neuen Europa. Vor Deutschland erhebt sich die ungeheure Aufgabe, diesem neuen Europa auch eine neue geistige Ordnung zu geben, geistig zu durchdringen, was das Schwert erobert hat.“ Als unmittelbar nach dem Krieg das Department of German in Madison, Wisconsin, einen „Visiting Professor“ suchte und der untadelige Germanist Walter Rehm (seit 1940 Ordinarius in Gießen als Nachfolger Karl Viëtors und Professor in Marburg, ab 1943 in Freiburg im Breisgau) davon erfuhr, dass man in den USA dabei außer an ihn unter anderem an Koch dachte, schrieb er erzürnt, er müsse es sich „energisch verbitten, wenn nun mein Name von einer amerikanischen Universität sozusagen in ein und denselben Topf mit den Namen von Herren geworfen würde, die 12 Jahre lange allzeit willfährige Diener des Systems gewesen seien, ihre Wissenschaft wider besseres Wissen und Gewissen in Wort und Schrift verraten hätten und sich jetzt überdies nicht schämten, ihre anno 1933 plötzlich gewechselte Gesinnung neuerlichst zu wechseln, und versuchten gleichsam von sich selbst und ihren eindeutigen Bekundungen abzurücken.“ Die unverdiente, schnelle Rehabilitierung der deutschen Professoren nach dem Krieg, ist aber ein anderes Thema.

Aber wie gesagt, in Hausmanns Buch ist eben nicht allein von Franz Koch, Benno von Wiese oder Heinz Otto Burger die Rede, sondern auch von Karl Viëtor, dem Rehm auf den Lehrstuhl in Gießen nachfolgte. Viëtor verlor 1935 sein Amt, weil er als „jüdisch versippt“ galt und musste 1937 in die USA emigrieren, wo er Kuno–Francke–Professor of German Art and Culture an der Harvard University wurde. Nach der sogenannten Machtergreifung 1933 gehörte er noch zu den ersten Pädagogen, die in der ‚Gesellschaft für deutsche Bildung‘ (GfdB), eine kulturpolitische Aussprache mit Vertretern des NS-Regimes führten. Als Herausgeber der „Zeitschrift für deutsche Bildung“ begrüßte Viëtor das NS-Regime in seinem Aufsatz ‚Die Wissenschaft vom deutschen Menschen in dieser Zeit’, aus dem Hausmann zitiert: „Der Führer hat es ausgesprochen, daß, was die in der Partei zusammengefaßte Kraft des völkischen Kerns erkämpft hat, nun von der Gesamtheit der Nation erkannt, aufgenommen und angeeignet werden muß, damit aus der programmatischen Möglichkeit volle Volkswirklichkeit werde“. Wie die „Volkswirklichkeit“ nach 1933 aussah und die „Kulturpolitik des Staates“, bekamen Viëtor und seine Familie später am eigenen Leib zu spüren. Nach dem Krieg wollte auch der Emigrant nichts mehr von seiner anfänglichen Begeisterung für den NS-Staat wissen. Solche Beispiele belegen Hausmanns These, wie stark das völkisch-rassistische Gedankengut den geisteswissenschaftlichen Diskurs in der NS-Zeit bestimmte und das es kaum Wissenschaftler gab, die auf die einschlägigen Termini und Slogans verzichteten.

Es gilt, was Hausmann zu Beginn seines Grundlagenwerkes feststellt, die Wunden, die das „Dritte Reich“ seinen Bürgern und seinen Nachbarn schlug, sind auch bald 70 Jahre nach seinem Ende nicht vernarbt: „Die Erinnerung an die zwölf Jahre des sog. Tausendjährigen Reichs ist Teil der nationalen Identität aller Deutschen“. Dass dies so ist, dazu braucht es Forscher wie Frank-Rutger Hausmann und Bücher, wie dieses: kompromisslos, klar, mit soliden Grundsätzen wie diesem: „Wissenschaft erlaubt keine Mehrdeutigkeit“. Für alle Geisteswissenschaftler sei als Mahnung und Warnung abschließend hinzugefügt: Es bleibt das Geschriebene.

Titelbild

Frank-Rutger Hausmann: Die Geisteswissenschaften im "Dritten Reich".
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2011.
982 Seiten, 198,00 EUR.
ISBN-13: 9783465041078

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch