Alles wird ein bisschen besser

Matthias Horx gibt einen Ausblick in die unspektakuläre Zukunft des Jahres 2045

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Lage scheint tatsächlich besser als gedacht. Viel besser sogar, wenn man Matthias Horx und den in seinem neuesten Buch genannten Statistiken glauben will. Mit wenigen Ausnahmen sinken weltweit die Geburtenraten – selbst im arabisch-islamischen Raum – und die Migration befinde sich entgegen der verbreiteten Wahrnehmung auf einem historischen Tiefpunkt. Seit einem halben Jahrhundert habe sich zudem – man kann es kaum glauben – die Zahl der Kriegs- und Gewalttoten ständig verringert und mit deutlich höheren Einkommen steige auch weltweit die mittlere Lebenserwartung. In Vietnam sei sie inzwischen ebenso hoch wie in den Vereinigten Staaten.

Auguren des Untergangs wie Robert Maltus, Oswald Spengler, Arnold Toynbee und ihre modernen Epigonen haben bei Horx daher keine Chance. Er nennt sie „apokalyptische Spießer“. Geprägt von ständiger Angst und Verlustgefühlen träumten oder träumen sie von einer glorreichen alten Zeit, die tatsächlich nie existiert habe. Ihre allerdings nicht abflauende Konjunktur erklärt der renommierte Zukunftsforscher mit dem ehernen Gesetz moderner Medien, dass nur schlechte Nachrichten sich wirklich gut verkaufen. Nicht vergessen dürfe man aber auch das weit verbreitete Bedürfnis, in einer exklusiven finalen Epoche zu leben: Die Liste der Endzeit-Movies von „Soylent Green“ bis „Melancholia“ ist in der Tat beeindruckend und Mad-Max längst ein Klassiker.

Natürlich will auch Matthias Horx die kosmische Mega-Katastrophe nicht ausschließen, aber sofern sie der Menschheit tatsächlich vorerst erspart bleibt, lässt sich die Zukunft der jetzt noch im Kindesalter stehenden Generation einigermaßen plausibel beschreiben. Wer in seinem Buch aber Spektakuläres erwartet hat, wird rasch enttäuscht. Weder wird es einen breit gestreuten Wohlstand ohne Arbeit geben noch jene technologischen Quantensprünge, wie sie die Menschheit aus den vergangenen zwei Jahrhunderten kennt. Auch sei die Weltherrschaft intelligenter Maschinen nach seiner Ansicht noch nicht absehbar, da Computer wohl niemals die sinnlich-emotionale Verknüpfung des Menschen mit der ihn umgebenden Natur reproduzieren könnten und somit nur zu einer „operativen Intelligenz“ fähig seien.

Die Frage wäre allerdings, ob Computer für den Aufbruch ins Zeitalter der Matrix überhaupt diese Fähigkeit des Menschen noch benötigen. Wie auch immer. Selbst die denkbare und weitaus bescheidenere Revolutionierung der Verkehrssysteme oder des Konsums im Zeichen der Nanotechnologie lässt Horx bereits an der Kostenhürde scheitern. Anhand von einem Dutzend so genannter Megatrends entwickelt der multipräsente Autor das durchaus optimistische Szenario einer noch 33 Jahre entfernten Zukunft, in der eine wachsende gesellschaftliche Komplexität auch intensivere Kooperationsformen ermöglichen wird.

Die wichtigsten Triebkräfte dieses Wandels zum marginal Besseren seien längst bekannt, da sie zum Teil schon seit Jahrzehnten in Erscheinung getreten sind. Es sind, so Horx, „große, mächtige Kräfte, die sich als robust, kontinuierlich, hartnäckig, ja verlässlich herausgestellt haben“. Sie betreffen sämtliche Bereiche der Gesellschaft und besäßen, obwohl sie starken Schwankungen unterliegen, die Macht, ganze Kulturen umzuwälzen. Anhand von etwa einem Dutzend dieser Megatrends versucht Horx zu belegen, dass ihre Standardbeschleunigung rund ein Prozent im Jahr beträgt. So schnell würden, was auch messbar sei, zurzeit die Erwerbsbeteiligung von Frauen, der Verstädterungsgrad und der Anteil der erneuerbaren Energien steigen.

Bunt durchmischt werden also zukünftig im Durchschnitt immer ältere Menschen sich in den Mega-Städten konzentrieren und unter dem Dach einer zunehmend international kooperationsfähigen Politik die unterschiedlichsten Lebensstile und Arbeitsrhythmen ausleben. Alles in allem wird die Welt – obwohl 2045 die Weltbevölkerung mit neun Milliarden Menschen ihren Höchststand erreichen dürfte – ein bisschen kommunikativer, ein bisschen mobiler und auch ein bisschen gerechter sein, wenn auch nicht völlig gewaltfrei. Zwar dürfte der politische und ökonomische Einfluss der Frauen weiterhin zunehmen, doch militärische Konfrontationen gäbe es deswegen in Zukunft nicht weniger. Auch Frauen lassen Kriege führen, wie Horx am Beispiel des jüngsten Lybien-Konfliktes und dem beherzten Drängen der US-Außenministerin Hilary Clinton belegen möchte, allerdings aus anderen Gründen wie Männer.

Bürgerkriege, ökonomische Depressionen oder spektakuläre Havarien schließt Horx daher für die nahe Zukunft nicht aus. Er bewertet sie aber in Anlehnung an den österreichischen Nationalökonomen Joseph Schumpeter als konstruktive Zerstörungen, die den von ihm skizzierten Megatrends nicht wirklich etwas anhaben, ja sie sogar beschleunigen können. Horx bezeichnet derartige temporäre Störungen als Schleifen im Trend. So gesehen war selbst der Untergang des Weströmischen Imperiums nur der Übergang zu einem neuen Zeitalter frühmittelalterlicher Pluralität und die heute vielfach befürchtete Transformation des so genannten christlichen Abendlandes zu einem hybriden Mischmasch fremdartiger Kulturen dürfte aus seiner Perspektive nur zur Überwindung hemmender nationaler Borniertheiten beitragen.

So wird Horx zufolge die Welt im Jahre 2045 zwar nicht das goldene Zeitalter sein, sondern ähnlich der Gegenwart eine „Gemengelage aus erstaunlichen Dingen und schrecklichen Ereignissen“. Doch die schrittweise Verbesserung der Welt, wie sie in den zurückliegenden 50 Jahren angeblich zu beobachten war, wird sich dann weiter fortgesetzt haben. Allerdings scheint dieses leicht rosa getönte Bild – trotz vieler intelligenter Beobachtungen im Einzelnen – nicht frei von Tautologien. Nur weil diese Trends in der jüngsten Vergangenheit wirksam waren, könnten sie gleichwohl abrupt unterbrochen werden. Die Liste der Risiken ist lang und taucht bei Horx erstaunlicherweise nur am Rande auf: Klimawandel und Energieknappheit könnten nicht mehr beherrschbare Krisen auslösen. Selbst ein nuklearer Präventivschlag Israels auf den Iran hätte fraglos weltweit stärkere Auswirkungen als sämtliche genannten Megatrends zusammen genommen. Angesichts einer Renaissance aggressiver monotheistischer Heilslehren – die Horx zu Unrecht bagatellisiert – scheint auch das Huntington’sche Gespenst eines mörderischen Kampfes der Kulturen noch nicht vom Tisch.

An eine – wie von Horx skizziert – stetige Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse glaubten übrigens auch die Menschen in Europa zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Im Jahre 1913 blickten sie schon auf eine rund 40-jährige Friedensphase zurück, in der sich die Welt zunehmend zu vernetzen begonnen hatte. Vieles deutete damals auf eine goldene Zukunft und selbst im rivalisierenden Inselreich wurde Kaiser Wilhelm II. anlässlich seines 25-jährigen Regierungsjubiläums als Friedensfürst gelobt. Nur fünf Jahre und zehn Millionen Kriegstote später galt er als der größte Schurke Europas, dem man in England gern einen Galgen errichtet hätte. Die Welt könnte sicherlich noch eine zweite „Urkatastrophe“ aushalten, Europa in seiner jetzigen Gestalt aber wohl kaum.

Titelbild

Matthias Horx: Das Megatrend-Prinzip. Wie die Welt von morgen entsteht.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011.
335 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783421044433

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