Bleischwere in den Gliedern
Neue Gedichte von Ulrich Horstmann
Von Frank Müller
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNicht nur in seinen Prosatexten, auch in Versform - hier im "Abzählreim für tolerante Paare" ("Schwedentrunk", 1989) - läßt Ulrich Horstmann die Puppen tanzen:
"Die ist ganz prall von Haut umfangen / der preist sein Fleisch als abgehangen / bar brüstet sich Martinas Po / den Nachbarn stützt ein Video / der Neue gliedert sich schon ein / die Blonde blüht im Kämmerlein / da geht ein Dreibein ein und aus / und schickt Dich raus."
In der Lyrik des Gießener Anglisten und Schwarzsehers der ersten Stunde ("Das Untier", 1983) finden beschauliche Zweisamkeit und sexuelle Intimität keinen Platz. Dafür werden in seinen Gedichten gleich zwei Hauptbetätigungsfelder männlichen Potenzgebarens mit großem Ehrgeiz bestellt: Pornographie und Prostitution. Den sprachlichen Ausfall gegenüber dem auf finanzieller Abmachung beruhenden Einvernehmen erproben schon die apokalyptischen "Nachgedichte" (1980). "Den Nutten selbst / ist es zu heiß / zwischen die Beine gefahren / beim allersteilsten / Globalorgasmus" - mit diesen Worten kommentiert der in das postnukleare Nirwana der "Nachgeschichte" vorausgeeilte Sprecher den Untergang des horizontalen Gewerbes. Horstmanns Formulierungen sind im Kontext der poetisch gebannten Menschheitsdämmerung durchaus plausibel, verlieren außerhalb dieses Referenzrahmens aber ihre Berechtigung.
Wer wüsste das besser als der Autor selbst? Auch mit "Göttinnen, leicht verderblich" befindet er sich wieder ganz in seinem frivolen Element. In einer Welt der Anzüglichkeiten, in der die Bordsteinschwalben auf- und niederfahren, die Grenzen zwischen Haar- und (Sex-)Filmschnitt verschwimmen, die Videobox den Blick auf die weibliche res extensa nur gegen Bares freigibt, erweist er sich als kundiger Führer. Im Unterschied zu den geradezu derb klingenden Versen des Frühwerks handhabt Horstmann die Gegenstände unterhalb der Gürtellinie nun aber mit einem feineren Gespür für die Pikanterie, das Uneindeutige und Schlüpfrige. Dass für diese ,innerweltlichen' Momentaufnahmen wiederum fast ausschließlich die männliche Perspektive geradesteht, ist eine Sache, dass die Arretierung des Sinns dabei zum großen Teil auf Kosten des Lesers erfolgt, eine andere.
Beim Lesen dieser Gedichte laufen die Motoren der eigenen Assoziationsmaschinerie so hochtourig, dass man sich beim Produzieren einschlägiger Vorstellungen förmlich zusehen kann. Hier liegt die Universitätspräsidentin öffentlich aus, kommt der Musenanruf von einem Callgirl, wird Nina unter Infrarot rückfällig. Den fehlenden Reim auf diese Ansichtssachen? Den kann sich der Leser mit Horstmanns Hilfe getrost selber machen:
"Per Knopfdruck tauche ich / aus der Versenkung auf, / gewinne summend an Höhe, / übersteige, / noch vom Rotlicht benommen / und hingestreckt / Ninas Oberschenkel, Ninas Unterleib, / die verkittelten Anlaufstellen männlichen Tiefsinns, / der aber bei ihr nichts fruchten darf."
Weiblichkeit offenbart sich mal als überirdisch fremd und engelsgleich, mal als hinfällig und verdorben, um nicht zu sagen: als beides zugleich. Als unausrottbar Vergängliches verbreitet sie immer auch die Lockstoffe eines nie zu erreichenden ,Ideals'. Mitunter liegt die Wahrnehmung des anderen Geschlechts ostentativ im Blick des Betrachters (wie im Fall der im "stehenden Verkehr" auf "Dutzende von Nummern" kommenden Parkuhr) oder entpuppt sich als pervertierter Realitätssinn: "Was heißt hier Päderast, / Herr Vorsitzender, so'n un- / geschlachtes Wort für diese Bande. / Lasset die Kindlein zu mir kommen, / steht geschrieben, / und wehret ihnen nicht."
Wem Horstmanns obligatorische Biergedichte bis dahin nicht zu Kopf gestiegen sind, der blättert fasziniert weiter bis zum Schluß. "Zu allem leicht Verderblichen", notiert der vom Autor eigenhändig verfaßte Klappentext, habe er "den richtigen Draht". Damit wird nicht zuletzt auch auf den eigenen Rückbau angespielt, den Horstmann, gepaart mit unstillbarem Lebenshunger, seit "Einfallstor" (1998) beharrlich umkreist. Als leicht verderblich und erdenschwer erweist sich dabei nicht nur sein weibliches Gegenüber, sondern auch das eigene, zuvor im subjektleeren Raum der Postapokalypse verhallende und in 'orbitale' Distanz gebannte, jetzt aber wiedergewonnene Ich:
"Als erste gibt sich / die Kopfhaut eine Blöße / und läßt fahren dahin, / punktuell, stellenweise, radial. / Dann bläht der Lebenshunger //
das restliche Leder / - gestärktes Bettlaken / über der Windmaschine - / und leiert es aus. Unedel geknittert / schlackert die Hülle / am Halbmast der fetteren Jahre."
Das Frivole, es wird in Horstmanns Gedichten immer auch überschattet vom Vor-Schein des Todes. Ein wenig Aufschub noch? Bitte sehr: "Der macht's schon noch, der Bock", steht anderswo zu lesen.
Zahlreiche Philosophien und Literaturen haben ihre theologische Spätphase. Welche Formen sie bei einem Querdenker wie Horstmann annimmt, das sieht jeder am besten selber nach, und zwar im letzten Teil dieser ebenso leibhaftigen wie wunderbar-entrückten, mit Aquarellen von Hermann Spaan illustrierten "Göttinnen".
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