Wo den Mädchen noch Flügel wachsen

Clara Dupont-Monods poetisches Gleichnis über die Magie der Liebe

Von Sandra TurnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Turner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Eova Luciole flog, leicht, ein wenig vorgeneigt, die Flügel wellten sich sanft, und die Luft wurde dadurch fast flaumig. [...] Ihr Haar hing ihr wirr ins Gesicht, sie war zögerlich und anmutsvoll, und weder Octavio noch Theodora konnten den Blick von diesem Wunder lösen. [...] Sie ging im Sturzflug nieder, stieg steil wieder auf, schlängelte sich wie ein Fisch. Plötzlich hatte sie unermeßliche Liebe zu ihren Flügeln empfunden, ihren Flügeln, die sie von Gefahren fernhielten und sie zu den Störchen trugen."

Es scheint, als hätte Clara Dupont-Monod sich hinausgewagt über die literarischen Vorgaben von Hölderlin oder Hoffmann, deren Figuren träumerisch-poetisch lieben - und damit im alltäglichen Leben scheitern müssen: Ein "Mädchen mit Flügeln" ist Protagonistin ihres ersten Romans, der 1998 als hoffnungsvolle Neuentdeckung unter dem Originaltitel "Eova Luciole" bei Grasset in Paris erschienen ist.

Schauplatz des Geschehens ist eine kleine Insel vor der Küste Venezuelas. Die Witwe Theodora - die Lady mit dem prallen Hintern, der die Männer im Dorf heimlich träumen läßt - wird beharrlich umworben von Dorfkrämer Octavio. Sie aber lebt nur für ihre kleine Tochter Eova, ein zartes, ruhiges Kind. Eines Tages geschieht etwas Unerhörtes: Eova wachsen weißseidene Flügel am Rücken. Was für das Mädchen nicht im geringsten ungewöhnlich ist, verstört seine Mutter so sehr, dass sie Eova zunächst in ein klösterliches Internat bringen will. Dessen Vorsteherin aber glaubt keineswegs an Engelsflügel bei dem Mädchen, sondern sieht Eova von einem teuflischen Dämon besessen, den sie ihr austreiben will.

Romantiker kommen auf ihre Kosten in diesem Werk: Dupont-Monod erzählt in einer poetischen Sprache. Allerdings liegt in diesem lyrischen Erzählstil auch die Gefahr der Verharmlosung. Denn vor lauter Sanftheit durchgängiger Lyrisierung auch der nachdenklich stimmenden Passagen wickelt Dupont-Monod den leicht bitteren Nachgeschmack, den manche Passagen hinterlassen, in einen Schleier aus lyrischer Verklärung ein.

Als die Inselbewohner von Eovas Flügeln erfahren und zur selben Zeit ungeheure Überschwemmungen die Insel heimsuchen, bei denen auch Menschen ums Leben kommen, geben die abergläubischen Bewohner Eova die Schuld an der Not. Sie wird in eine Anstalt für verwaiste und verwilderte Jugendliche gesteckt, wo sie ihre Sprache verliert. Dann wird Eova erwachsen: Sie findet ihre Sprache wieder, wird nach Hause entlassen. Sie paßt sich an, ihr wachsen von nun an keine Flügel mehr. Sie läßt sich - wenn auch mit gleichgültiger Miene - den Hof machen vom reichen, hübschen, aber verständnislosen Arturo, und willigt in die Verlobung ein. Clara Dupont-Monod läßt ihren Roman leise und wehmütig enden: Die Schwingen der poetischen Liebe scheinen sich nur im Reich der Phantasie entfalten zu können.

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Clara Dupont-Monod: Das Mädchen mit den Flügeln.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999.
180 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3421051836

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