Geisteswissenschaften studieren: Karriere oder Taxifahren?

Schon in der Schule gelten Geisteswissenschaften vielen als „Laberfächer“, die im Gegensatz zu Naturwissenschaften kein Lernen erfordern und wenig praxisorientiert sind. Arbeitgeber können mit den Studieninhalten wenig anfangen, die Vorteile solcher Bewerber sind schwer einzuschätzen. Gibt es wirklich keine Jobs für Geisteswissenschaftler? Wir zeigen, dass es mit Geisteswissenschaften Berufe jenseits von Taxi fahren gibt und geben Tipps, wie Sie sich im Studium positionieren…

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Bedeutung: Was sind Gesellschafts- und Geisteswissenschaften?

Im Studium sind Geisteswissenschaften – teilweise mit den Gesellschafts- oder Sozialwissenschaften zusammengefasst – eine Sammelbezeichnung für verschiedene Studiengänge. Wer ein geisteswissenschaftliches Fach studiert, beschäftigt sich mit gesellschaftlichen, historischen, kulturellen, literarischen, religiösen, sprachlichen und sozialökonomischen Zusammenhängen des menschlichen Lebens. Typische Berufe sind Historiker, Bibliothekar, Soziologe, Politikwissenschaftler, Sozialwissenschaftler oder Volkswirt. Neben den Geisteswissenschaften gibt es noch andere Wissenschaften. Nicht immer lassen diese sich klar voneinander abgrenzen. Eine grobe Einteilung der Teilgebiete sieht so aus:

  • Geisteswissenschaften
  • Humanwissenschaften
  • Naturwissenschaften
  • Strukturwissenschaften

Naturwissenschaften beschäftigen sich beispielsweise mit Astronomie, Biologie, Chemie, Geologie und Physik. Zu den Strukturwissenschaften zählen unter anderem Mathematik und Ingenieurswissenschaften. Schwieriger ist die Unterscheidung zwischen Geistes- und Humanwissenschaften.

Denn in beiden Wissenschaftszweigen steht oft der Mensch im Mittelpunkt, was sich im Englischen niederschlägt: Dort heißen Geisteswissenschaften (the) humanities oder (the) arts. Letzteres spiegelt sich in den alten deutschen Universitätsgraden für die Geisteswissenschaften wider, Magister Artium (Meister der Künste) – im Gegensatz etwa zum Diplom, das überwiegend für technische, mathematische oder auch humanwissenschaftliche Fächer wie Psychologie üblich war.

Geisteswissenschaftliche Studiengänge: Was zählt zu den Geisteswissenschaften?

Nahezu 40 unterschiedliche Fächer weist die deutsche akademische Bildungslandschaft auf. Zählt man sämtliche Ausrichtungen und Bezeichnungen aller Hochschulen zusammen, kommt man sogar auf mehrere tausend. Ein Grund dafür: Ein und dasselbe Fach hat teilweise verschiedene Bezeichnungen (und Schwerpunkte). Eine Auswahl der geisteswissenschaftlichen Studiengänge, wie sie beispielsweise an der Universität Hamburg und an der Freien Universität Berlin vertreten sind:

Sprach- und Literaturwissenschaften

  • Medien- und Kommunikationswissenschaft
  • Klassische Philologie
  • Neogräzistik & Byzantinistik
  • Katalanisch
  • Lateinische Philologie

Kultur- und Geschichtswissenschaften

  • Koreanistik
  • Afrikanistik
  • Alte Geschichte
  • Globalgeschichte
  • Philosophie
  • Ethnologie
  • Historische Musikwissenschaft
  • Kunstgeschichte
  • Filmwissenschaft

Religionswissenschaften

  • Evangelische / Katholische Theologie
  • Judaistik
  • Islamwissenschaften

Oft zählen sogenannte „Orchideenfächer“ zu den Geisteswissenschaften. Das sind ausgefallene Studienfächer, die kaum bekannt sind. Darunter beispielsweise Musikjournalismus, Koptologie oder Ur- und Frühgeschichte.

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Berufe in Geisteswissenschaften

Als angehender Geisteswissenschaftler sollten Sie wissen, dass es meist kein klares Berufsbild (wie Arzt) oder Berufsfeld (wie Buchhaltung für Betriebswirte) gibt. Was heißt das? Oft münden Geisteswissenschaften in Berufen mit generalistischer Ausrichtung. Die Branchen und Tätigkeiten sind völlig unterschiedlich. Ein Generalist wird nie einen Beruf mit klarem Berufsbild ausüben können, sofern er nicht qua Ausbildung/Studium dafür qualifiziert ist. Aber es gibt eine Reihe von Branchen, die sich für Geisteswissenschaftler empfehlen:

Bildungswesen

In Studiengängen, die gleichzeitig als Schulfächer existieren – beispielsweise Deutsch, Englisch, Geschichte – kommt es auf den Studienabschluss an: Mit einem Staatsexamen oder Master auf Lehramt sind Sie als Lehrer qualifiziert. ​Als solcher erhalten Sie mit dem Referendariat eine praxisnahe Ausbildung an Schulen.

Mit anderen Abschlüssen ist oft ein Seiteneinstieg als Aushilfslehrer möglich. Alternativen sind Berufe in Lehre und Forschung, also als Dozent an der Universität oder anderen Bildungseinrichtungen.

Kultur- und Kreativwirtschaft

Dazu gehören oft Berufe im öffentlichen Dienst (beispielsweise im Kulturbüro oder Stadttourismus). Sie richten Festivals, Konzerte oder Messen aus, arbeiten an Marketingkampagnen. Arbeitsfelder können Museen, Stiftungen, Galerien oder Kulturbetriebe wie Theater sein. Häufig ist eine Zusatzqualifizierung in Form eines Volontariats notwendig. Beispielsweise beaufsichtigen und dokumentieren Sie als Historiker Sammlungen, konzipieren Ausstellungen und arbeiten in den Bereichen Museumsmanagement, Verwaltung und Kommunikation.

Medienbranche

Ein häufiger Berufswunsch von Studierenden in den Geisteswissenschaften: „Irgendwas mit Medien“. Magische Anziehungskräfte üben das Verlagswesen sowie Tages-, Wochen- oder Monatszeitungen aus. Journalistische Arbeit bieten außerdem Hörfunk und Fernsehen. Die Absolventen arbeiten in Berufen wie Redakteur, Lektor oder Moderator. Zunehmend verlassen Geisteswissenschaftler das klassische Betätigungsfeld, die Printmedien, und arbeiten im Online-Bereich. Das eröffnet weitere Tätigkeiten wie Content Management und leitet oft in die Tätigkeit von Werbe- und Kommunikationsagenturen über. Der Arbeitsalltag umfasst dann nicht nur die Arbeit am Text, sondern beispielsweise die Auswahl von Bildern und Pflege des Internetauftritts von Unternehmen.

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Ob Unternehmenskommunikation von Privatunternehmen oder Öffentlichkeitsarbeit für Kommunen – hier können Akademiker ihre kommunikativen Fähigkeiten einsetzen. Prädestiniert sind für solche Berufe Absolventen der Geisteswissenschaften aus dem literatur- und sprachwissenschaftlichen Sektor. Sie verfassen Pressemitteilungen, erstellen Informationsbroschüren, interne Mitarbeiterzeitungen, Newsletter und pflegen den Kontakt zur Öffentlichkeit.

Sprachvermittlung

Als studierte Philologen und Linguisten kommen Geisteswissenschaftler für diverse Tätigkeiten rund um Sprache und Sprachvermittlung infrage. Sie arbeiten als Sprachlehrer in Sprachschulen oder geben VHS-Kurse in Volkshochschulen. Neben einer Lehrtätigkeit in Sprachkursen ist die Arbeit als Dolmetscher oder Übersetzer (beispielsweise für Fachtexte) eine Alternative. Oft arbeiten diese freiberuflich. Absolventen sollten hier allerdings mit großer Konkurrenz durch Ausbildungsberufe und Muttersprachler rechnen.

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Wege zum Job: Eigene Kompetenzen kennen

Geisteswissenschaftler leiden unter einem gewissen Rechtfertigungsdruck: „Und was macht man damit?“ ist die oft verständnislose Frage auf die Auskunft, was man studiert. Manche Studierende internalisieren diese Ansicht unreflektiert. Dann gelingt es ihnen nicht, sich vorteilhaft zu präsentieren. Sie scheitern daran, ihre Kompetenzen in Bezug auf die ausgeschriebene Stelle deutlich herauszustellen. Wer sich nicht über seine Kompetenzen im Klaren ist, hat einen entsprechend holprigen Berufseinstieg.

Ein weiterer Grund neben mangelnder Selbstpräsentation: Die meisten absolvieren ihr Studium aus Überzeugung und Begeisterung für das Thema. Der praktische Nutzen im späteren Job ist nicht so klar.

Typische Vorzüge von Generalisten

Unabhängig vom berufliche Bezug gibt es typische Schlüsselkompetenzen, über die Geisteswissenschaftler häufig verfügen und die für Arbeitgeber attraktiv sind:

  • Die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge schnell zu erfassen und Auswirkungen frühzeitig zu erkennen.
  • Das Denken in Netzwerken und Zusammenhängen, das oft zu erstaunlich kreativen Verknüpfungen und Lösungen führt.
  • Die Fähigkeit, Dinge zu hinterfragen, verschiedene Perspektiven einzunehmen.
  • Ein gutes Abstrahierungsvermögen und die Fähigkeit zur differenzierten Betrachtung.
  • Eine schnelle Auffassungsgabe, die es Geisteswissenschaftlern erlaubt, sich auch in komplexe Situationen und Zusammenhänge schnell einzuarbeiten.
  • Die Fähigkeit zur systematischen Analyse und Bearbeitung von Literatur und Quellen.
  • Der geübte Umgang mit großen Textmengen und die Fähigkeit, diese schnell zu erfassen und wichtige Informationen extrahieren zu können.

Analyse-Tools

Wichtig ist, dass Sie in einer Stärken- und Schwächen-Analyse ermitteln, was Sie wirklich gut können und welche Fähigkeiten und Eigenschaften Sie auszeichnen. Nehmen Sie die folgenden Fragen als Basis:

  • Welche Arbeitsschritte und Aufgaben fallen mir im Studium leicht?
  • Welcher Teil des wissenschaftlichen Arbeitens liegt mir besonders gut?
  • Bei welchen Arbeitsschritten tue ich mich schwer?
  • Welche Fachgebiete und Aufgaben interessieren mich?
  • Für welche Stärken schätzen meine Freunde und Professoren mich?
  • Welche Schwächen machen mir immer wieder zu schaffen?
  • Kann ich mich schnell und leicht in neue Gebiete einarbeiten?

Weitere Hinweise auf Ihre persönlichen Kompetenzen geben Ihnen unsere Dossiers zur Potenzialanalyse und zum kostenlosen Kompetenztest.


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Einstieg in den Arbeitsmarkt

Die Stärken- und Schwächen-Analyse fördert überwiegend Soft Skills zutage, am Arbeitsmarkt gefragt sind Hard Skills. Einige Fächer in den Geisteswissenschaften wissen um die mangelnde Nähe zum späteren Arbeitsmarkt und bilden im Anschluss an die universitäre Lehre entsprechend praxisnah aus. Das gilt neben Lehrern und Juristen für zukünftige Journalisten, PR-Berater und Museumsmitarbeiter, die ein Volontariat machen.

Wer das Glück hat, solche Stellen zu bekommen, hat den zweiten Schritt hinter sich – denn danach ist die oft geforderte Berufserfahrung nachweisbar. Allerdings sind Volontariatsstellen rar und oftmals schlecht bezahlt: Es gibt eben deutlich mehr geisteswissenschaftliche Akademiker als Stellen. Dazu kommt, dass kulturelle Einrichtungen wie Stiftungen und Museen oft von öffentlichen Mitteln abhängig sind, also notorisch klamm bei Kasse. Was also tun?

Praktika

Häufige Kritik: Die Geisteswissenschaften seien nicht am Arbeitsmarkt orientiert. Daher sollten Sie Ihr Studium so ausrichten, dass Sie möglichst viele Praxisanteile haben. Wege sind zum Beispiel:

  • Kooperationsprojekte von Hochschule und Unternehmen
  • Mitarbeit an Forschungsprojekten
  • Stellen und und Programme als Werkstudent

Nicht immer sind Berufspraktika in der Studienordnung vorgeschrieben. Daher müssen Sie sich eigenständig nach Praktika umschauen. Idealerweise absolvieren Sie Ihr Praktikum in einem Unternehmen, das Sie inhaltlich weiterbringt und/oder als Arbeitgeber infrage kommt.

Auch Auslandssemester können wertvolle Erfahrungen und Kontakte vermitteln. Wer neben dem Studium arbeiten muss, sollte sich nach Studentenjobs mit fachlicher Nähe orientieren, beispielsweise als studentische Hilfskraft. All das ist zusätzlicher Aufwand neben dem regulären Studium, der sich lohnt: Sie verbessern so nicht nur Ihre Bewerbungs- und Jobchancen, sondern erhalten wichtige Impulse für Ihre persönliche Entwicklung und Ihr Studium.

Netzwerk

Wer nie ein Unternehmen von innen gesehen hat, hat Schwierigkeiten, sich typische Arbeitsabläufe und Tätigkeiten vorzustellen. Das wiederum erschwert es, die in Stellenanzeigen geforderten Fähigkeiten mit den eigenen Kenntnissen in Verbindung zu bringen und einzuschätzen. Profitieren Sie von den Erfahrungen anderer, indem Sie sich mit Young Professionals und berufserfahrenen Arbeitnehmern mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund austauschen. Eine Möglichkeit für die Kontaktaufnahme bieten hier die Alumni-Foren und -Veranstaltungen, die an allen Hochschulen angeboten werden.

Suchen Sie aktiv den Kontakt, beteiligen Sie sich an Gesprächen und stellen Sie Fragen zum Arbeitsalltag. Das hilft dabei, sich einen ersten Eindruck über den Arbeitsalltag zu verschaffen und Ihre Kompetenzen zuzuordnen. Ein weiterer Vorteil solcher Veranstaltungen: Sie präsentieren sich, können im Gespräch Einblick in Ihre Kenntnisse und Schwerpunkte gewähren und so auf sich als potenzieller Mitarbeiter aufmerksam machen.

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