Welche Berufe kann man mit Abitur ausüben?
Die Zahl der Abiturienten wächst seit Jahren. Kein Wunder: Mit dem Abitur (genauer: allgemeine Hochschulreife) haben Schulabgänger den höchsten Schulabschluss in der Tasche. Das eröffnet nicht nur fürs Studium, sondern auch für bestimmte Branchen gute Chancen. Im Prinzip können Sie also mit Abitur jeden Beruf ergreifen – sofern Sie die Anforderungen erfüllen.
Viele Unternehmen haben die Einstellungskriterien für Azubis deutlich angehoben. In einigen Ausbildungsberufen ist ein Abitur inzwischen fast verpflichtend, Bewerber mit Realschulabschluss müssen hervorragende Noten aufweisen und Bewerber mit Hauptschulabschluss haben nur geringe Chancen.
Diese Entwicklung betrifft vor allem Berufe im Finanz- und Bankensektor und im kaufmännischen Bereich. Hier legen Unternehmen gesteigerten Wert auf einen hervorragenden Schulabschluss. In handwerklichen Berufen und Ausbildungsberufen im industriellen Bereich sieht die Lage ein wenig anders aus. Hier stehen die Chancen von Abiturienten vergleichsweise schlechter. Bewerber mit Real- und Hauptschulabschluss haben aufgrund ihres größeren Praxisbezuges bessere Karten, auch wenn dieser vielleicht nur vermutet wird.
Vorteile: Ausbildung mit Abitur verkürzen
Das Abitur lohnt sich dennoch für viele Auszubildende, denn es bringt einen entscheidenden Vorteil: Sie können in vielen Bereichen ihre Ausbildung verkürzen. Je nach Ausbildungsvertrag und Branche sowie den Abiturnoten kann das Abitur die Ausbildung um bis zu 12 Monate verkürzen! Eine Mindestausbildungszeit darf zwar nicht unterschritten werden, aber für die üblichen Regelausbildungszeiten bedeutet das:
- 3,5 Jahre: nur noch 2 Jahre
- 3 Jahre: nur noch 1,5 Jahre
- 2 Jahre: nur noch 1 Jahr
Allerdings gibt es keinen Anspruch auf die Ausbildungsverkürzung. Voraussetzung ist, dass der Ausbildungsbetrieb damit einverstanden ist. Dann müssen Azubi und Ausbilder gemeinsam bei der zuständigen Stelle (beispielsweise der Industrie- und Handelskammer) einen Antrag stellen.
Die beliebtesten Branchen von Abiturienten
Bewerber mit Abitur sind unterschiedlich stark in den einzelnen Branchen vertreten. Abiturienten zieht es hauptsächlich in kaufmännische Berufe. In vielen Ausbildungsberufen ist das Abi-Zeugnis gar inoffizielle Einstellungsvoraussetzung. Auch im öffentlichen Dienst hat bereits über die Hälfte der neuen Azubis das Abitur.
Für Real- und Hauptschüler oder Schulabbrecher bedeutet das: Sie haben geringe bis gar keine Chancen, eine Lehrstelle zu finden. Anders in diesen Branchen:
Handwerk
Unter Handwerkern ist das Abitur noch immer eine Rarität. Doch haben auch Schreiner, Dachdecker oder Mechatroniker vor ihrem Berufseinstieg immer häufiger das Gymnasium besucht.
Freie Berufe
In den freien Berufen ist das Plus etwas geringer. Zu den freien Berufen zählen zum Beispiel Physiotherapeuten, Hebammen oder Podologen. Nur die Hauswirtschaft ist nahezu Abi-freie Zone. Hatten vor rund zehn Jahren ganze 1,3 Prozent der neuen Hauswirtschafts-Azubis das Abi in der Tasche, sind es mittlerweile nur geringfügig mehr.
Industrie und Handel / Landwirtschaft
Industrie und Handel sowie Landwirtschaft sind klassischerweise Bereiche, in denen es zahlreiche Ausbildungen mit Hauptschulabschluss gibt. Dennoch stieg auch hier der Abiturientenanteil in den vergangenen Jahren deutlich an.
Welche Berufe haben das höchste Gehalt?
Die beliebtesten sind nicht automatisch die bestbezahlten Ausbildungsberufe. Ein dickes Gehalt (Angabe: letztes Ausbildungsjahr) gibt es in folgenden Ausbildungsberufen, die für die Ausbildung häufig das Abitur voraussetzen:
Beruf | Gehalt im Monat |
Fluglotse | 5.000 € |
Bankkaufmann | 1.195 € |
Bürokaufmann | 1.144€ |
Industriekaufmann | 1.130 € |
Versicherungskaufmann | 1.200 € |
Gehaltsentwicklung entscheidend
Aber Achtung: Bitte nicht das Azubi-Gehalt mit den langfristigen Gehaltsperspektiven vermischen. So kann die Ausbildungsvergütung nach dem Ende der Ausbildung und einigen Jahren Berufserfahrung schon wieder ganz anders aussehen – und der Beruf im Gehaltsranking eine ungleich schlechtere Position einnehmen.
Ausbildungsberufe nur mit Abitur
Wie eingangs erwähnt, ist das Abitur in vielen Finanzinstituten und kaufmännischen Berufen ein ungeschriebenes Gesetz. Als formelle Einstellungsvoraussetzung ist das Abi eher selten. Allerdings gibt es Ausbildungen, die von vornherein nur absolvieren darf, wer die Hochschulreife vorzeigen kann. Zum Beispiel diese:
-
Polizei
Die Polizei fällt in den politischen Zuständigkeitsbereich der Länder. Folgerichtig sind die Anforderungen deutschlandweit nicht einheitlich. Die Polizei Niedersachsen zum Beispiel stellt niemanden ein, der am Tag der Einstellung älter als 31 Jahre alt ist. Bei der Hamburger Polizei liegt die Obergrenze dagegen bei 34 Jahren. Und auch beim Schulabschluss sind die Hamburger großzügiger. Um am Auswahlverfahren für die Ausbildung teilnehmen zu können, müssen Bewerber nicht mehr als einen Hauptschulabschluss mit abgeschlossener Berufsausbildung vorlegen. In Niedersachsen hingegen ist Abitur, Fachhochschulreife oder ein „gleichwertig anerkannter Bildungsabschluss“ vonnöten.
-
Bundespolizei
Die Bundespolizei hat ihre Einstellungsvoraussetzungen abgestuft. Für die zweieinhalbjährige Ausbildung im mittleren Dienst benötigt man zumindest einen Hauptschulabschluss mit abgeschlossener Ausbildung. Eine Karriere im gehobenen Dienst steht hingegen nur Abiturienten offen. Mehr noch: In Deutsch und Englisch muss mindestens die Note 4 auf dem Zeugnis stehen, in Sport sogar die Note 3. Und für den höheren Dienst rekrutiert die Bundespolizei ausschließlich Uni-Absolventen.
-
Zoll
Beim Zoll geht nichts ohne die Hochschulreife. Abitur, Fachabi oder ein gleichwertiger Schulabschluss sind Einstellungsvoraussetzung. Doch das reicht noch nicht aus. Bewerber, die sich in einem der Hauptzollämter ausbilden lassen wollen, müssen zudem das schriftliche Auswahlverfahren bestehen. Gefragt sind mathematische Fähigkeiten, Sprachverständnis, analytische Fähigkeiten und Allgemeinbildung. Wer hinterher auch noch das mündliche Auswahlverfahren meistert, hat gute Chancen.
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Pilot
Piloten winkt Reputation und ein Top-Gehalt, ohne dass dafür akademische Meriten vonnöten wären. Allerdings auch erst mit Eintritt ins Berufsleben: Denn als zukünftiger Pilot absolvieren Sie eine schulische Ausbildung. Einfach ist der Weg bis ins Cockpit aber nicht. Ohne Abitur oder Fachabi verweigert jede Flugschule den Einlass. Wer sich zum Piloten ausbilden lassen möchte, braucht außerdem gute Englischkenntnisse und Adleraugen. Das gilt zum Beispiel für die deutschen Airlines Lufthansa oder Eurowings.
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Fluglotse
Auch Fluglotsen wird der Ausbildungsplatz nicht geschenkt. Sie benötigen ähnlich wie Piloten eine gute Sehkraft, Englischkenntnisse – und das Abitur. Wer das harte Auswahlverfahren übersteht, kann seine Ausbildung bei der Deutschen Flugsicherung beginnen und in überirdische Gehaltsklassen aufsteigen.
Alternativen für Abiturienten
Klar ist, wo die Konkurrenz am stärksten ist, kann auch nicht jeder Azubi mit Abitur gewinnen. Angebot und Nachfrage sind schon seit vielen Jahren nicht deckungsgleich. Abhängig ist das nicht nur von der persönlichen Eignung des Bewerbers, sondern auch von der Region. Der Nordosten Deutschlands und das Ruhrgebiet haben diesbezüglich größere Probleme, ihre Nachfrage zu decken als etwa Bayern oder das Münsterland.
Auf der anderen Seite hängt der Erfolg von der Branche ab. Klassischerweise haben das Lebensmittelhandwerk, die Gastronomie und das Reinigungsgewerbe Besetzungsprobleme – die Stellenangebote fallen deutlich zahlreicher aus als die Bewerbungen. Demgegenüber stehen die Versorgungsprobleme des Mediensektors und des kaufmännischen Bereichs: Sie können sich kaum vor Bewerbungen retten. Heißt: Hier ist die Wahrscheinlichkeit einer Absage für Sie deutlich höher. Traditionell viele freie Plätze bieten diese Ausbildungsberufe:
- Restaurantfachleute
- Fleischer
- Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk
- Fachleute für Systemgastronomie
- Klempner
- Bäcker
- Beton- und Stahlbetonbauer
- Gerüstbauer
- Hotelkaufleute
- Gebäudereiniger
- Fachkräfte für Möbel-, Küchen- und Umzugsservice
- Steinmetze und Steinbildhauer
- Köche
- Tierwirt
- Glaser
Allerdings sei gesagt: Diese Branchen tun sich nicht ohne Grund schwer, Nachwuchs zu finden. Bei einigen sind die Ausbildungsgehälter vergleichsweise gering (zum Beispiel für Köche, Bäcker), die körperliche Arbeit dafür hart. Auch kommen veränderte Arbeitszeiten durch Schichtarbeit hinzu. In diesen Bereichen kann sich eine Ausbildung mit Abitur dennoch lohnen, wenn Sie beispielsweise „von der Pike auf“ etwas lernen wollen und zu einem späteren Zeitpunkt mit einem Studium aufsatteln.
Für wen lohnt sich die Ausbildung mit Abitur?
Die eingangs gestellte Frage lässt sich daher recht einfach beantworten: Ja, eine Ausbildung mit Abitur lohnt sich für eine bestimmte Gruppe von Abiturienten und Bewerber. Ob Sie dazu gehören, hängt von einigen Faktoren ab. Für einen besseren Überblick können Sie die nachfolgenden Fragen (sofern zutreffend) direkt im Browser abhaken:
- Wollen oder können Sie direkt nach dem Abitur in die eher selbstbestimmte Studienorganisation einsteigen?
- Haben Sie Spaß an der Erarbeitung theoretischen Wissens oder brauchen Sie den Praxisbezug, um effektiv zu lernen?
- Ist die Studiendauer, die oft über der Ausbildungsdauer liegt, für Sie in Ordnung?
- Liegen Ihre schulischen und persönlichen Stärken in Bereichen, die Ihrer Wunsch- oder Zielausbildung entgegenkommen?
- Bevorzugen Sie einen schnellen Berufseinstieg gegenüber perspektivisch betrachtet besseren Verdienstmöglichkeiten?
Die letzte Frage mag provozierend klingen, wird jedoch sowohl durch eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung als auch durch den OECD Bildungsbericht gestützt. Beide zeigen, das Akademiker im Laufe ihrer Karriere (deutlich) mehr verdienen als Kollegen ohne Studienabschluss. Bekannt ist das Phänomen auch als Mincer-Koeffizient beziehungsweise Bildungsrendite.
Aufstiegsmöglichkeiten nach der Ausbildung
Ein höherer Verdienst ist jedoch nicht unbedingt ein Argument gegen eine Ausbildung nach dem Abitur. Denn die Zahlen gelten nur für Arbeitnehmer, die ihre gesamte Karriere ohne Studienabschluss bestreiten. Doch Arbeitnehmer mit Ausbildungsabschluss verdienen deutlich früher Geld als die akademischen Kollegen und können den Studienabschluss später aufbauend und/oder berufsbegleitend nachholen.
Eine Ausbildung mit Abitur eignet sich also vor allem dann für Sie, wenn Sie nach der Schule Praxisluft schnuppern und Ihr Wissen direkt anwenden wollen. Aus rein finanziellen Gründen kann eine Ausbildung sogar einem dualen Studium überlegen sein. Die Ausbildungsvergütungen liegen in vielen Bereichen zwar auf dem Level dualer Studenten. Doch in der Regel gibt es deutlich mehr Ausbildungsplätze als duale Studienplätze. Ihre Chancen sind daher als Abiturient bei der Suche nach einer Ausbildung besser, sofern Sie die Suche passend vorbereiten.
Bewerbung um eine Ausbildung: Tipps für Abiturienten
Bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind die oben genannten Ausbildungsberufe im Finanz- und Bankensektor oder dem öffentlichen Dienst oder kaufmännischen Bereich für Abiturienten naheliegend, da viele Betriebe ein Abitur für die Ausbildung voraussetzen. In diesen Branchen können Sie sich mehr oder weniger normal auf einen Ausbildungsplatz bewerben. Das bedeutet:
- Motivation
Sie verdeutlichen im Bewerbungsschreiben, was Sie an der Ausbildung reizt und warum das Unternehmen für Sie als Ausbildungsträger attraktiv ist. - Vorerfahrung
Sie führen auf, welche praktische Erfahrung oder Berührungspunkte Sie bereits zur Ausbildung haben. - Kenntnisse
Sie listen in Ihrem Lebenslauf neben den schulischen Stationen auch alle relevanten Praktika und Ehrenämter auf. - Individualität
Sie recherchieren das Unternehmen vor der Bewerbung gründlich und passen die Bewerbung entsprechend an.
Schwerpunkt praktische Erfahrung
Bei Bewerbungen für Ausbildungsberufe, in denen traditionell Real- oder Hauptschulabschluss überwiegen, beispielsweise im Handwerk, sieht die Lage ein wenig anders aus. In diesem Fall sind Ihre praktischen Erfahrungen und Ihre Affinität für die Ausbildung und den Beruf essentiell. Um ein etwas plakatives Beispiel zu wählen: Wollen Sie unbedingt Metallbauer werden, sollten Sie im Vorfeld bereits Erfahrung im Umgang mit Metall haben.
Selbst wenn diese Erfahrung rein aus dem Hobbybereich oder aus Praktika stammt, ist sie wichtig und sollte sich in Ihrer Bewerbung prominent wiederfinden. Ergänzend spielt Ihre Motivation für gerade diese Ausbildung eine entscheidende Rolle. Warum handelt es sich um Ihre Wunschausbildung? Welche Aspekte faszinieren Sie? Können Sie diese Fragen beantworten, stehen Ihre Chancen gut. Bewerben Sie sich mit Abitur auf so eine Ausbildung, könnten einige Unternehmen Sie als überqualifiziert wahrnehmen. Und Ihre Motivation infrage stellen.
Stattdessen kann der Verdacht im Raum stehen, Sie würden die Ausbildung lediglich als Notnagel sehen, da Sie keinen Studienplatz gefunden haben. Diesem Verdacht können Sie nur durch die klare Kommunikation Ihrer Begeisterung für die Ausbildung entgegenwirken. Es kommt dabei nicht auf geschliffene Formulierungen oder zahlreiche Fachbegriffe an. Viel wichtiger ist, dass Sie offen und ehrlich aufschreiben, was Sie antreibt und an der Ausbildung fasziniert. So steigen nicht nur Ihre Chancen. Sie wissen dann auch, dass die Ausbildung zu Ihnen passt und sich für Sie lohnt.
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