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Gesundheitswesen

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Autor: Friedrich Besl | Stand: 31.12.2011

Als Gesundheitswesen gilt die Gesamtheit der Einrichtungen und Personen, deren Aufgabe die Vorbeugung und Behandlung von Krankheit und Verletzungen bei Menschen ist. Die Gesamtverantwortung für das Gesundheitswesen wie auch für das Veterinärwesen (→ Viehseuchen und → Nutztierhaltung) liegt beim Staat.

Gesundheitswesen vor 1874

Die Zustände im Gesundheitswesen sind stets mit der sozialen und wirtschaftlichen Lage eines Landes verknüpft. Der sich seit dem 16. Jahrhundert herausbildende frühneuzeitliche Staat im Raum Liechtenstein kümmerte sich – soweit bekannt – wenig um die Gesundheit seiner Untertanen. Im Vaduzer Landsbrauch (1667) wird die Behandlung von Krankheit mit Magie («Sprechen») unter Strafe gestellt. Siechenhäuser entstanden in Vaduz-Schellenberg nicht, hingegen im 14. Jahrhundert in Levis bei Feldkirch sowie im 15./16. Jahrhundert in Maienfeld. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts sind für Liechtenstein Vertreter des Heilberufs belegt. Dabei handelte es sich in der Regel um Wundärzte bzw. Barbier-Chirurgen. Ihre Tätigkeit umfasste neben der Wundbehandlung u.a. das Schröpfen, den Aderlass und das Zähneziehen. Eine Ausbildung zur Behandlung innerer Krankheiten besassen sie nicht. Bis zum Erlass einer diesbezüglichen kaiserlichen Verordnung 1767 mussten die Wundärzte zudem nur eine praktische und keine theoretische Ausbildung absolvieren. Einer der ersten Wundärzte in Liechtenstein war der um 1650 geborene und in Vaduz tätige Rudolf Ölkuch. Seine Söhne Rudolf (1680– 1727) und Franz (1687–1746) wirkten ebenfalls als Wundärzte, u.a. in Gamprin. Der Sohn von Franz Ölkuch, der ebenfalls in Gamprin praktizierende Johann Georg (†1782), studierte wohl an einer Universität Medizin. Die erste gesicherte Erlangung eines Doktorats der Medizin durch einen Liechtensteiner erfolgte 1744 durch Franz Xaver Gassner (1721/22–1751), der aber nie im Land tätig war. Zudem wird 1706 der «Chirurgus» Franz Büchel aus Balzers erwähnt und ab 1727 der «Balbierer» Jacob Hilty. 1740–50 wirkte der «Balbierer» Andreas Pümpel aus Tisis (Vorarlberg) in Liechtenstein, ab 1750 der «Barbierer» Vinzenz Memel, 1767–84 der «Barbierer» und «Chirurg» Valentin Pümpel und 1784–1809 der «Landschaftsarzt» Christoph Grass. Zudem war in dieser Zeit der Wundarzt Johann Georg Gebhard Schädler in Mauren tätig. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung blieb aber mangelhaft und bei den häufig auftretenden Epidemien wie Pocken, Typhus und Cholera erhielten die Kranken keine fachgerechte Pflege. 1771 monierte der fürstliche Administrator Pater Gabriel Reinhard in einem Bericht an die fürstliche Hofkanzlei in Wien das Fehlen eines «Medicus» oder «erfahrenen Chirurgus» und gelernter Hebammen. Die Bevölkerung suchte deshalb häufig Hilfe bei ohne ärztliche Ausbildung tätigen Heilern, in Heilbädern (→ Baden), in der Religion oder in der Magie. Das Fehlen von ausgebildeten Hebammen und in der Geburtshilfe erfahrenen Ärzten, aber auch die mangelnde Hygiene sowie der häufig schlechte Gesundheitszustand der Mütter hatten zudem eine hohe Kindersterblichkeit zur Folge (→ Bevölkerung, → Tod).

Der Aufbau des Gesundheitswesens ging weniger von der Obrigkeit aus als von den Persönlichkeiten der Landesphysikusse (Landschaftsärzte). Der Begriff «Landschaftsarzt» wird zwar schon im 18. Jahrhundert erwähnt, seine Pflichten hielt aber erstmals eine Verordnung von 1809 fest. Der Amtsarzt bildete u.a. die Hebammen aus, nahm die Musterungsuntersuchungen für das liechtensteinische Militär vor, war als Gerichtsarzt tätig und behandelte fürstliche Beamte und arme Kranke kostenlos. Damit war eine ärztliche Minimalversorgung für die Bevölkerung geschaffen. Als Nachfolger von Landschaftsarzt Christoph Grass wurde 1809 Gebhard Schädler, der Sohn von Johann Georg Gebhard Schädler, zum Landesphysikus ernannt (bis 1842). Schädler, der als erster in Liechtenstein tätiger Arzt gesichert ein Medizinstudium absolviert hatte, war 1802 von der Herrschaft Schellenberg zum Unterländer Landschaftsarzt bestellt worden. 1812 wurde mit der obligatorischen Pockenschutzimpfung erstmals eine medizinische Massnahme in Liechtenstein gesetzlich eingeführt. Gebhards Sohn, Dr. med. Karl Schädler, folgte ihm als Landschaftsarzt (1844–72). Neben Karl Schädler praktizierten im Land auch Dr. med. Ludwig Grass, Sohn des ehemaligen Landschaftschirurgen Christoph Grass, und Dr. med. Hannibal Schlegel als Ärzte. Aufgrund ihres hohen Bildungs- und Wissensstands gehörten die Ärzte zur führenden Schicht in Liechtenstein und übten wichtige Positionen im öffentlichen Leben aus. So waren Karl Schädler und seine beiden Söhne Dr. med. Rudolf Schädler und Dr. med. Albert Schädler sowie Dr. med. Wilhelm Schlegel (1874–1900 Landesphysikus) Landtagspräsidenten und setzten sich im Parlament für den Aufbau eines geordneten Gesundheitswesens ein.

Staat und Gesundheitswesen

Dem lange Zeit im Zusammenhang mit dem öffentlichen Armenwesen (→ Armut) gesehenen Gesundheitswesen wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesetzgeberisch vermehrt Beachtung geschenkt. Mit dem Sanitätsgesetz von 1874 wurde erstmals das gesamte Gesundheitswesen geregelt und unter die Aufsicht der Regierung gestellt. Für die Durchführung der Gesundheitspolizei waren ein Landesphysikus und ein Landestierarzt zuständig. Die Pflichten des Ersteren hatten Oberamt bzw. Regierung vorher in Einzelerlassen oder ad personam festgelegt. Gemäss dem Gesetz von 1874 war er Sachverständiger der Regierung in medizinischen Fragen, für die Überwachung des öffentlichen Gesundheitszustands, die Aufsicht über sämtliche Medizinalpersonen (Ärzte, Tierärzte und Hebammen) sowie über deren Hausapotheken, über das Entbindungs- und das Impfwesen sowie die Armen- und Krankenanstalten und für die Ausbildung der Hebammen zuständig. Er führte die Totenschau durch, behandelte arme Kranke umsonst und fungierte als Gerichtsarzt. Über seine behördliche Tätigkeit hatte er ein Amtsbuch zu führen.

In der Verfassung von 1921 werden die Sorge für das Gesundheitswesen und die Krankenpflege sowie die Bekämpfung des Alkoholismus zu den Staatsaufgaben gezählt (Art. 18). Im Sanitätsgesetz von 1945 wurde eine der Regierung unter- und dem Landesphysikus übergeordnete, aus einem Regierungsmitglied und zwei Ärzten bestehende Sanitätskommission als Vollzugsbehörde eingesetzt. Ihr oblag die Überwachung der allgemeinen Volksgesundheit, der öffentlichen Hygiene, die Oberaufsicht über Ärzte, Zahnärzte und Apotheker. Ihr ausführendes Organ war der Landesphysikus. Die 1935 eingeführte Schulgesundheitspflege wurde 1971 sowie 1981 ausgebaut und 2004 in das Vorsorgeprogramm integriert. Die Schulzahnpflege wurde 1942 eingeführt und erstmals 1963 gesetzlich geregelt (Revision 1980). Seit 1977 gibt es Schwangeren-, Kleinkind- und Erwachsenen-Vorsorgeuntersuchungsprogramme. Von 1986 bis 2008 war ein 2004 teilrevidiertes Sanitätsgesetz in Kraft. Die sich auf die Ärzte beziehenden Vorschriften regelt seit 2004 ein Ärztegesetz (Revision 2010). Im gleichen Jahr wurde ein Amt für Gesundheitsdienste (seit 2007: Amt für Gesundheit) geschaffen, in welchem das Landesphysikat, die Sozial- und Präventivmedizinische Dienststelle und Aufgaben aus der Sanitätskommission zusammengeführt wurden. 2007 erfolgte ein bedeutender Ausbau der Aufgabengebiete des Amts, verbunden mit einer Verdoppelung des Mitarbeiterbestands. Die Reorganisationen erfolgten mit dem Ziel, die Aufgaben des Gesundheitswesens beim Amt für Gesundheit zu konzentrieren. 2008 trat das neue Gesundheitsgesetz in Kraft (Revision 2010). Der Landesphysikus wurde in «Amtsarzt» umbenannt, die Sanitätskommission in «Gesundheitskommission».

Ab 1874 hatten sich die Ärzte bei der Verabreichung von Medikamenten aus ihrer Hausapotheke an die österreichische Arzneitaxordnung zu halten. Seit dem Inkrafttreten des Zollvertrags mit der Schweiz 1924 sind alle in der Schweiz zugelassenen Arzneimittel in Liechtenstein erhältlich. Seit 1998 besteht zudem die Möglichkeit, die Bewilligung zur Einfuhr von im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zugelassenen Medikamenten zu beantragen.

Die Berufe des Gesundheitswesens

Alle Berufe des Gesundheitswesens sind konzessionspflichtig. 1874–1945 erteilte die Regierung und seit 2004 erteilt das Amt für Gesundheitsdienste die Berechtigung zur Ausübung von Medizinalberufen. 1945–2004 war die Sanitätskommission im Auftrag der Regierung für die Konzessionierung von Ärzten, Zahnärzten und Apothekern zuständig. Gehörten zu den im Sanitätsgesetz festgehaltenen Medizinalberufen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts nur approbierte Ärzte und Tierärzte sowie autorisierte Hebammen, kamen danach weitere Berufsgruppen dazu: ab 1924 Zahnärzte und Apotheker, ab 1945 u.a. Krankenschwestern, Krankenpfleger, Masseure und Drogisten, ab 1986 u.a. Psychologen, Psychotherapeuten, Zahntechniker, Physiotherapeuten und Augenoptiker, ab 2003 u.a. Chiropraktiker und ab 2008 Naturheilpraktiker (mit definierten Voraussetzungen). Die Zahl der medizinischen Berufe sowie der sie ausübenden Personen ist stetig gewachsen, Letztere auch infolge der Mitgliedschaft Liechtensteins im EWR. So gab es z.B. 1840 drei, 1950 elf und 1996 33 Ärzte in Liechtenstein 2001 erliess der Landtag beim Stand von 68 konzessionierten Ärzten einen 18-monatigen Zulassungsstopp. 2005 waren in Liechtenstein 87 Ärzte zugelassen, davon 49 Grundversorger (Allgemeinmediziner, Allgemeininternisten, Pädiater sowie Gynäkologen/Geburtshelfer) und 38 Spezialisten. Zugenommen hat auch die Spezialisierung der Ärzte, wohingegen früher ein Arzt meist das ganze Spektrum der Heilkunde abdecken musste.

Die Ärzte sind in einer gesetzlich anerkannten Standesvertretung organisiert: 1938–2003 im Ärzteverein und seit 2004 in der durch das Ärztegesetz geschaffenen Ärztekammer. Seit 1996 besteht der «Liechtensteinische Dachverband von Berufen der Gesundheitspflege». Ende des 19. Jahrhunderts formierten sich die Zahnärzte als eigene akademische Berufsgruppe. Vorher hatte das Zähneziehen zu den Aufgaben der Barbierchirurgen bzw. Wundärzte gehört. Nach dem Abschluss des Studium der Zahnmedizin eröffnete 1895 Karl Wilhelm Schlegel (1867–1940), Sohn von Dr. med. Wilhelm Schlegel, in Vaduz eine Zahnarztpraxis. 1924 erhielt der Zahnarzt Dr. Gebhard Schädler (1899–1935) die Konzession zur Führung einer Praxis in Balzers. Ab 1932 waren in Liechtenstein zwei Zahnärzte tätig. 1950 bestanden fünf und 2004 19 Zahnarztpraxen. Eingriffe im Mund eines Patienten nahmen ab Ende der 1920er Jahre auch Zahntechniker vor. 1945 (vor dem Inkrafttreten des Sanitätsgesetzes von 1945 erteilte Konzessionen behielten ihre Gültigkeit) bzw. 1976 wurde ihnen dies gesetzlich verboten. Die Zahnärzte sind in der 1989 gegründeten «Gesellschaft Liechtensteinischer Zahnärzte» organisiert.

Lange Zeit konnten sich die Patienten nur aus den Hausapotheken der Ärzte mit Medikamenten versorgen. Mitte des 19. Jahrhunderts war Franz Anton Kirchthaler Apotheker bei Dr. Ludwig Grass in Vaduz. Von 1912 bis Anfang der 1920er Jahre betrieb Mag. pharm. Anton Münzberg in Vaduz eine öffentliche Apotheke. Der Pharmazeut Robert Kronstein führte 1932–50 in Vaduz die «St. Franziskus Apotheke». In Liechtenstein gab es 1950 zwei Apotheken, ab 1968 noch eine, seit 1971 wieder zwei und seit 2009 deren drei.

Wesentliche Aufgaben im Gesundheitswesen üben auch verschiedene Organisationen aus. Das 1945 gegründete Liechtensteinische Rote Kreuz (LRK) besorgt u.a. seit 1971 den Rettungsdienst und organisiert zusammen mit den Samaritern seit 1953 Blutspendeaktionen. Die Samaritervereine gewährleisten zudem den Sanitätsdienst bei öffentlichen Anlässen, leihen Krankenmobilien aus und organisieren Nothilfe- sowie Samariterkurse. Die Hauskrankenpflege (Spitex) wird von den Gemeinden und den seit 1983 in den Familienhilfen integrierten Gemeindekrankenschwestern in Zusammenarbeit mit Ärzten geleistet. Die ab 1956 entstandenen Vereine für Familienhilfe bieten Hausdienst für Betagte sowie bei Krankheit, Wochenbett und Unfall an. Für diejenigen, die nicht zu Hause betreut werden können, bestehen in den Gemeinden Balzers, Eschen, Schaan, Triesen und Vaduz Alters- und Pflegeheime, die – mit Ausnahme der Einrichtung in Balzers – in der Stiftung Liechtensteinische Alters- und Krankenhilfe (LAK) zusammengefasst sind (→ Alters- und Pflegeheime). Ebenfalls mit gesundheitliche Fragen betraut sind das Amt für Soziale Dienste, die 1987 als «Aidshilfe Liechtenstein» gegründete Fachstelle für Sexualfragen und HIV-Prävention, auf einzelne Krankheiten bezogene Gesundheitsligen (z.B. Krebshilfe Liechtenstein) sowie Selbsthilfegruppen. 1995 entstand zur Begleitung schwer kranker und sterbender Menschen sowie ihrer Angehörigen die Hospiz-Bewegung Liechtenstein (seit 2001 Verein Hospizbewegung Liechtenstein). 2005 wurde auf Initiative der Regierung und der Ärztekammer als Interessenvertreterin der Versicherten und Kranken die Liechtensteiner Patientenorganisation (LIPO) gegründet. Die LIPO, die Einsitz in der Landesgesundheits-, Qualitäts- und Kostenkommission hat, nahm 2006 ihre Beratungstätigkeit auf.

Im 19. Jahrhundert scheiterten alle Pläne zur Errichtung eines Spitals in Liechtenstein Anfang der 1920er Jahre wurden im Vaduzer Bürgerheim eine Kranken- und eine Geburtshilfestation eingerichtet, die 1930–31 erweitert und 1981 in einen Neubau zügeln konnte. 2000 ging das als Belegarzt-Spital geführte Krankenhaus Vaduz in eine Stiftung des öffentlichen Rechts über und änderte seinen Namen in «Liechtensteinisches Landesspital».

Aufgrund seiner Kleinheit ist Liechtenstein, das der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht angehört, im medizinischen Bereich auf Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn angewiesen. Das Sanitätsgesetz von 1874 bestimmte, dass auswärtige Ärzte ihrer Tätigkeit von ihrem Praxisstandort aus auch in Liechtenstein nachgehen konnten. Aber auch liechtensteinische Ärzte besuchten Patienten in der schweizerischen Nachbarschaft, so z.B. Karl Schädler und Rudolf Schädler. 1885 vereinbarten Fürst Johann II. und der schweizerische Bundesrat, dass in der Nähe der Grenze wohnhafte Ärzte, Tierärzte und Hebammen ihren Beruf in beiden Ländern ausüben durften (Grenzarztkonzession). In Spitälern der schweizerischen Nachbarschaft, v.a. im 1907 eröffneten Spital Grabs, wurden auch liechtensteinische Patienten behandelt. Seit 1965 hat Liechtenstein Verträge über die Aufnahme liechtensteinischer Patienten mit rund 25 Kliniken in der Schweiz, Österreich und Deutschland abgeschlossen. In Liechtenstein gibt es keine psychiatrische Anstalt. Für die Durchführung von stationären Therapien psychisch Kranker sowie Suchtkranker (Alkoholiker und Drogensüchtige) bestehen Verträge mit verschiedenen Einrichtungen in der Schweiz und Österreich.

Da in Liechtenstein keine schulische oder universitäre Ausbildung im Bereich der Gesundheitsberufe angeboten wird muss diese im Ausland absolviert werden. Bis zum Inkrafttreten des Sanitätsgesetzes 1874 bildete der Abschluss an einer deutschen und danach bis 1924 an einer österreichischen Universität die Voraussetzung, um als Arzt approbiert zu werden. Seit 1943 haben Liechtensteiner Zugang zu schweizerischen Medizinalprüfungen. Heute absolviert die Mehrheit der in Medizinberufen Tätigen ihre Ausbildung in der Schweiz oder Österreich.

Die Finanzierung des Gesundheitswesens

Früher wurden die Behandelnden in der Regel direkt durch ihre Patienten entlöhnt. Arme Kranke behandelte der Landesphysikus kostenlos. 1865 und 1873 wurden die Gemeinden gesetzlich verpflichtet, mit Ärzten Verträge über die Behandlung armer Bürger zu schliessen und die dadurch entstandenen Kosten zu übernehmen. Die Behandlungskosten armer Ausländer deckte ab 1892 unter bestimmten Umständen (u.a. Antrag des Arztes, keine Kostenübernahme durch Arbeitgeber oder Krankenkassen) der landschaftliche Armenfonds.

Heute finanziert sich das Gesundheitswesen weitgehend über den Staat sowie über gesetzlich geregelte Versicherungen (eine Ausnahme bildet u.a. die Zahnmedizin). Bei Krankheit und Unfällen sowie Berufskrankheiten übernehmen die Krankenversicherung und die Unfallversicherung die Heilungskosten sowie teilweise den Verdienstausfall. Ihr Aufbau sowie derjenige der Sozialversicherung im Allgemeinen stand in Liechtenstein im Zusammenhang mit dem Beginn der Industrialisierung in den 1860er Jahren. Ab 1870 entstanden auf Initiative von Fabrikbesitzern erste Krankenkassen. 1960 wurde die Invalidenversicherung eingeführt, welche bei angeborenen und frühkindlichen Krankheiten die Behandlungskosten übernimmt. Seit 1972 besteht ein Krankenversicherungsobligatorium für alle im Land wohnhaften Personen.

Vor allem aufgrund des medizinischen Fortschritts und der höheren Lebenserwartung sind die Kosten im Gesundheitswesen und dadurch die Höhe der Krankenkassenprämien trotz Revisionen des Krankenversicherungsgesetzes (1989, 2000 und 2004) in ständigem Steigen begriffen.

Medizinische Entwicklungen und das Gesundheitswesen

Die medizinische Forschung machte seit dem 18. Jahrhundert grosse Fortschritte, und v.a. ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden medizinische Paradigmen zur Lösung der Sozialen Frage herangezogen (z.B. bei der Wasserversorgung, der Fabrikgesetzgebung sowie der Verbesserung der Hygiene und der Ernährung). Zudem entwickelte der Staat mithilfe von Ärzten Präventionsstrategien. Als Folge nahm im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Kindersterblichkeit ab und Seuchen wie Pocken, Typhus, Diphtherie und Scharlach wurden v.a. aufgrund von Schutzimpfungen seltener, was die Hauptursache für den Anstieg der Lebenserwartung bildete. Zur Bekämpfung der Tuberkulose (TB) – in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die häufigste Todesursache in Liechtenstein – wurden 1941 ein Gesetz und bis 1959 mehrere Verordnungen erlassen. Bis zur Entdeckung der Antibiotika, Schutzimpfungen und der Chemotherapie wurden den TB-Patienten lediglich Stärkungsmittel sowie Arzneien gegen Husten verabreicht, gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen Höhenkuren, v.a. in den Sanatorien Walenstadtberg (SG), Davos (GR) und Arosa (GR), dazu. In Liechtenstein kurten Tuberkulosekranke mit leichten Fällen in den →Kurhäusern «Gaflei» und «Sücka».

Erst spät konnten Geistesstörungen, Nervenkrankheiten und psychische Krankheiten (Depressionen) behandelt werden. Vorher gab es nur das Mittel der Verwahrung, wenn die Angehörigen nicht mehr in der Lage waren, den Kranken zu versorgen, oder wenn dieser für sich selbst oder seine nähere Umgebung eine Gefahr darstellte. Die Betreuung von geistig und körperlich Behinderten ausserhalb ihrer Familien wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgebaut.

Neben der Schulmedizin erhoffte sich die Bevölkerung aber stets auch Heilung durch die alternative Medizin. Häufig ging man – auch aufgrund der Behandlungskosten, die sich viele nicht leisten konnten – erst dann zum Arzt, wenn Heilkräuter und andere Hausmittel nicht halfen. Kenntnisse darüber wurden in den Familien weitergegeben. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde das Behandlungsmonopol der Schulmedizin gelockert und andere Behandlungsmethoden wie Chiropraktik oder Homöopathie wurden zugelassen.

Quellen

Literatur

  • Sebastian Brändli: «Gesundheitswesen», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.12.2012.
  • Rudolf Rheinberger: «Bemerkungen über den sogenannten Milzbrand …», in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 99 (2000), S. 208–216.
  • Marcus Büchel et al.: Liechtensteinisches Soziallexikon, 22000.
  • Rund um Ernährung und Heilmittel im Verlaufe der letzten 300 Jahre im Liechtensteiner Unterland. Berichte, Erfahrungen, Erinnerungen, hg. von der Gemeinde Mauren und "Mauren Aktiv", Redaktion: Berty Malin-Ziegler Mauren 1999.
  • Friedrich Besl: Gerichtsärztliches Kontrollbuch vom Landesphysikat, in: Bausteine zur liechtensteinischen Geschichte. Studien und studentische Forschungsbeiträge, hg. von Arthur Brunhart, Bd. 2: Neuzeit. Land und Leute, Zürich 1999, S. 309–330.
  • Emanuel Vogt: Mier z Balzers. Wie es früher bei uns war, Bd. 3: Lebensart, Vaduz 1998, S. 195–233.
  • Rudolf Rheinberger: Medizin in Liechtenstein im 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 94 (1997), S. 163–181.
  • Fabriklerleben. Industriearchäologie und Anthropologie, Publikation zur Ausstellung, hg. von Hansjörg Frommelt im Auftrag des Liechtensteinischen Landesmuseums, Redaktion: Robert Allgäuer, Hansjörg Frommelt, Hanspeter Gassner, Triesen/Zürich/Vaduz 1994, S. 299–322.
  • Paul Vogt: Brücken zur Vergangenheit. Ein Text- und Arbeitsbuch zur liechtensteinischen Geschichte. 17. bis 19. Jahrhundert, hg. vom Schulamt des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz 1990.
  • Krankenhaus Vaduz. Eröffnung 17. Oktober 1981, hg. von der Gemeinde Vaduz, Redaktion Gerhard Risch et al., Vaduz 1981.

Zitierweise

Friedrich Besl, «Gesundheitswesen», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: https://historisches-lexikon.li/Gesundheitswesen, abgerufen am 12.6.2024.

Medien

«Schutzpocken-Impfungs-Schein», 1819 (Familienarchiv Rheinberger). Frühestes bekanntes Impfzeugnis in Liechtenstein. Es bezeugt eine Pockenschutzimpfung im Jahr 1803. Ausgestellt 1819 von Impfarzt Gebhard Schädler.