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ADB:Pertz, Georg Heinrich

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Artikel „Pertz, Georg Heinrich“ von Wilhelm Wattenbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 406–410, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pertz,_Georg_Heinrich&oldid=- (Version vom 9. November 2024, 20:40 Uhr UTC)
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Pertz: Georg Heinrich P., geb. am 28. März 1795 zu Hannover als Sohn eines Hofbuchbinders, dessen Vorfahren Hofbuchbinder an der Bibliothek zu Wolfenbüttel waren, † am 7. October 1876 in München. Nachdem er auf der Universität zu Göttingen mit theologischen Studien begonnen, dann aber sich der Geschichte mit größtem Eifer zugewendet hatte, erlangte er am 14. October 1816 den Doctorgrad, und bald darauf auch eine Anstellung in [407] Hannover am Archive und an der Bibliothek. Im J. 1819 erschien seine Erstlingsschrift: „Die Geschichte der Merowingischen Hausmeier“, mit einer Vorrede von Heeren, worin dieser sie bezeichnete als „das Werk eines meiner Zuhörer, der mir unter wenigen lieb war“. Sie zeichnete sich aus durch umfassende Quellenkenntniß, und ganz vorzüglich durch die treffliche Methode, indem er sich strenge nur an die lautersten Quellen hielt; die Darstellung ist klar und gedrängt. Unzweifelhaft war Heeren berechtigt, hieran die bedeutenden Erwartungen zu knüpfen, welche er in der Vorrede aussprach. P. hatte dann das Glück, sogleich zu einer Aufgabe berufen zu werden, welche gerade für seine eigenthümliche Begabung ganz besonders geeignet war. Gerade um dieselbe Zeit hatte der Freiherr vom Stein den großartigen Plan einer Sammlung der deutschen Geschichtsquellen des Mittelalters gefaßt, und am 20. Januar 1819 die Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde gestiftet. Es konnte nicht fehlen, daß man nach jener Schrift in P. einen vorzüglich geeigneten Mitarbeiter erkannte, und als Bücheler ihn zur Theilnahme an den Arbeiten aufforderte, antwortete er am 5. Juli 1819 mit freudiger Zustimmung und erbot sich zur Bearbeitung der wichtigsten Schriften aus der karolingischen Periode. Stein selbst forderte ihn am 21. December nicht nur zur Uebernahme der Schriftsteller aus der karolingischen Periode, sondern auch zu einer Reise nach Wien auf zur Durchforschung der Hofbibliothek. Diese Reise, welche auch nach anderen Bibliotheken in Oesterreich und nach Italien ausgedehnt wurde, war die erste, welcher sich eine lange Reihe weiterer Forschungsreisen angeschlossen hat, nach den verschiedenen Bibliotheken Deutschlands, nach Italien, Frankreich und England. Der wachsende Ruhm seines Namens und seine bedeutende Persönlichkeit bahnten ihm die Wege, welche damals noch dem Forscher weit größere Schwierigkeiten boten als später, und mit unermüdlicher Thätigkeit, sowie mit größter Sorgfalt durchforschte er die handschriftlichen Schätze, welche noch niemals zu diesem Zweck aufgesucht waren. Zahlreiche Entdeckungen belohnten seinen Eifer, und seine Abschriften und Vergleichungen sind von musterhafter Zuverlässigkeit. Diese Eigenschaften traten schon in seinen ersten Reiseberichten so klar hervor, daß ihm nach seiner Rückkehr von der Reise die Redaction sowohl des Hauptwerkes wie des Archivs, der Zeitschrift, welche dasselbe vorbereiten sollte, übertragen wurde. Es ist durchaus sein Verdienst, daß nun an die Stelle unsicheren Tastens die rasche zielbewußte Ausführung trat, daß 1826 der erste, 1829 der zweite Band erscheinen konnte. In dem vollkommen richtigen Gefühl, daß vor allen Dingen ein wirklicher Anfang gemacht werden müsse, wartete er nicht, bis die Vorarbeiten für den überaus schwierigen ältesten Zeitraum fertig sein würden – sie sind es noch jetzt nicht –, sondern bearbeitete die karolingische Periode, für welche er hinlänglich gerüstet war. Zum ersten Mal wurden hier mittelalterliche Geschichtsquellen mit der vollen philologischen Sorgfalt behandelt, welche bis dahin nur classischen Autoren gewidmet war; fest und sicher wird hier schon der später immer unverbrüchlich festgehaltene Grundsatz befolgt, nach Untersuchung aller Handschriften nur den ältesten und besten Text, in manchen Fällen die Urschrift selbst, zu Grunde zu legen, die Abweichungen der anderen Handschriften, doch nicht ohne verständige Auswahl, anzugeben und zu berücksichtigen; ferner auch für den Inhalt, so viel wie irgend möglich, dem Urquell nachzugehen, und jedes nachweisbar abgeleitete Stück auch als solches zu bezeichnen. Dagegen ist, was für den raschen Fortschritt des Werkes durchaus nothwendig ist, von tiefer eingehenden, für den nächsten Zweck nicht erforderlichen sachlichen Untersuchungen abgesehen. P. hat hiermit für das ganze Unternehmen das maßgebende Muster aufgestellt; die Sammlung der ältesten Annalen, welche den Eingang bildet, ist eine, wenn man den damaligen Zustand [408] der Publicationen erwägt, erstaunliche Leistung und überragt alle früheren Arbeiten im höchsten Grade. Dadurch erst wurde die Möglichkeit gegeben, nun, unterstützt durch neue, zum Theil von ihm selbst gemachte Funde, auch wieder darüber hinausgehen zu können. Dasselbe gilt von den darauf folgenden zwei Bänden der Leges, welche jetzt mangelhaft erscheinen, damals aber ebenfalls einen großen Fortschritt darstellten und lange Zeit der gelehrten Arbeit großen Nutzen gebracht haben. In diesen Bänden hatten nur Ild. von Arx die Sanctgaller Quellen, Dahlmann die Vita Anskarii, Knust den Benedictus levita bearbeitet. War anfangs vorzüglich auf Uebernahme vieler Ausgaben durch befreundete Gelehrte gerechnet worden, so zeigte sich doch bald, daß diese theils nicht die richtige Methode zu treffen wußten, theils ihre Zusagen nicht einhielten; nur Lappenberg (s. A. D. B. XVII, 707) hat in fortgesetzter freundschaftlicher Verbindung mit P. eine größere Anzahl norddeutscher Geschichtsquellen selbständig bearbeitet. Uebrigens aber erwies es sich als nothwendig, jüngere Hilfsarbeiter anzunehmen, welche Reisen für das Unternehmen ausführten und in einheitlicher Weise die Ausgaben bearbeiteten. Bethmann und Waitz eröffneten in ausgezeichneter Weise die Reihe derselben, denen Wilmans, Koepke, Wattenbach, Jaffé u. a. sich anschlossen. In enger Freundschaft war P. verbunden mit J. F. Boehmer (s. A. D. B. III, 76), welcher mit ihm nach Stein’s Tode die Direction leitete, so grundverschieden auch ihre natürlichen Anlagen und ihre Geistesrichtung waren; Boehmer hatte die Abtheilung der Kaiserurkunden übernommen und hat hier durch seine Regesten epochemachend gewirkt, während zu Ausgaben, wie sie für die Monumente verlangt wurden, ihm die philologische Schulung fehlte.

Nach der Rückkehr von seiner ersten Reise (1823) war P. als Archivsecretär in Hannover angestellt, nach dem Erscheinen des ersten Bandes wurde er Bibliothekar und Archivrath, dann auch Mitglied des Oberschulcollegiums und Historiograph des Gesammthauses Braunschweig-Lüneburg. In dieser Eigenschaft vorzüglich wandte er sich den hinterlassenen Schriften von Leibniz zu und erwarb sich ein großes Verdienst, indem er dessen Annales Imperii Occidentis nach langer Verborgenheit endlich zum Druck brachte, ein sehr bedeutendes und auch nach mehr als hundert Jahren nicht unbrauchbar gewordenes Werk. Im J. 1832 war P. auch Mitglied der zweiten Kammer der hannoverschen Ständeversammlung und begründete die Hannoversche Zeitung, in welcher er mit seinen Freunden die Ideen Steins zur Geltung zu bringen suchte und für gemäßigten Fortschritt auf conservativer Grundlage mit Freimuth eintrat; in Dahlmann’s Leben von Springer ist manches darüber zu finden. Mit dem Umschwung der Dinge durch Ernst Augusts Regierungsantritt 1837 wurde nicht nur solcher Wirksamkeit der Boden entzogen, sondern P. auch der Aufenthalt in der Heimath verleidet, so daß er gern einer Berufung nach Berlin als Oberbibliothekar mit dem Titel eines Geh. Oberregierungsraths folgte (1842). Hier trat er in lebhaften freundschaftlichen Verkehr mit Savigny, Ranke, Homeyer, den Gebrüdern Grimm, und den übrigen Vertretern der damals lebhaft angeregten wissenschaftlichen Thätigkeit, welcher auch politisch liberale Bestrebungen nicht fehlten. Namentlich betheiligte sich P. an den Bemühungen zur Besserung der Preßverhältnisse, und zur Gründung einer auf conservativer Grundlage doch reformatorischen Zeitschrift, welche an der Bedenklichkeit der Regierung und anderen Hindernissen scheiterte. P. war streng conservativ gesinnt, aber im Sinne des Freiherrn vom Stein, welcher ihm immer das herzlichste Wohlwollen bewiesen hatte, und den er im höchsten Grade verehrte. Er betrachtete es deshalb auch als seine heilige Pflicht, das Leben desselben zu beschreiben, und führte diese Aufgabe mit derselben Gewissenhaftigkeit durch, welche alle seine Arbeiten auszeichnete. Lange freilich blieb ihm die Benutzung der wichtigsten Actenstücke [409] versagt, und erst der übrigens von ihm entschieden verworfenen Revolution von 1848 verdankte er deren ungehinderte Benutzung. Noch in demselben Jahre veröffentlichte er Stein’s Denkschriften über deutsche, insbesondere preußische Verfassung, und von 1849–1855 erschien in 6 Bänden die große Lebensbeschreibung des Freiherrn. Die Wirkung derselben war sehr groß, weil damals noch wenig authentische Nachrichten über diesen hochwichtigen Zeitraum ans Licht gedrungen waren, und P. mit rühmenswerthem Freimuthe alles mittheilte, ohne zu fragen, ob er hier oder dort Anstoß erregte. Dazu kam die gewaltige Persönlichkeit des Mannes, sein markiger Stil. Die Verarbeitung des Stoffes freilich war nicht sehr zu rühmen, beschränkte sich aber auch meistens darauf, die Briefe und Actenstücke aneinander zu reihen, und man hatte allen Grund, dankbar dafür zu sein, daß diese so unverkürzt gegeben wurden. Weit weniger befriedigte die schon in höherem Alter unternommene Biographie von Gneisenau, von welcher 3 Bände in den Jahren 1864–1867 erschienen sind.

In jener Zeit der 50er Jahre stand P. auf der Höhe seines Ruhmes und Ansehens im Inland wie im Ausland; von unermüdlicher Arbeitskraft, durch bedeutende neue Entdeckungen in fast jedem neuen Bande der Monumenta den Schatz der Geschichtsquellen vermehrend. Durch die Einzelausgaben der wichtigsten Quellenschriften in Octav sicherte er diesen eine ausgebreitetere Wirkung, und in noch höherem Grade erreichte er diesen Zweck, auch hierin einen Gedanken des Stifters ausführend, durch die von ihm bewirkte und geleitete Sammlung der Uebersetzungen; denn von den auf dem Titel genannten Männern ist er allein für diese Sache wirklich thätig gewesen. Als Mitglied der Akademie der Wissenschaften hat er eine Reihe von Untersuchungen, anknüpfend an neu aufgefundene Documente alter und neuer Zeit, vorgetragen und veröffentlicht. Auch in die von König Max von Baiern gestiftete historische Commission wurde er 1858 berufen und besuchte deren Versammlungen regelmäßig bis 1870.

Stein’s Leben enthält auch die ausgiebigsten Nachrichten über die Entstehungsgeschichte der „Monumenta Germaniae“; diese betrachtete P. recht eigentlich als ein Vermächtniß von Stein; es ist unglaublich, was er dafür mit sehr geringen Mitteln und mit höchst bescheidenem Ertrag für sich selbst geleistet hat; zu Zeiten haben sogar er und Boehmer noch Zuschüsse zu den Kosten gegeben. Aber er glaubte sich auch sonst an die Grundsätze des Stifters gebunden, nicht nur inbetreff des vielfach getadelten Folioformates, sondern auch darin, daß von dem gesammelten Material vor der Publication nichts mitgetheilt werden durfte. So kam es, daß die wichtigsten Schätze ganzen Generationen vorenthalten blieben, und daß unter den Fachgenossen, welche das Unternehmen freudig begrüßt und nach Möglichkeit gefördert hatten, eine zunehmende Abneigung entstand. Ebensowenig konnte er sich entschließen, selbst dem ihm sonst am nächsten stehenden Waitz eine Einwirkung auf die Leitung der Sache einzuräumen. Mit dem Alter wuchs die ihm von Natur schon eigene Starrheit, und von dem Wunsche erfüllt, seinem Sohne Karl die Nachfolge zu sichern, suchte er die diesem weit überlegenen Mitarbeiter in untergeordneter Stellung zu halten. Namentlich sein Verhältniß zu Jaffé steigerte sich bis zum erbittertsten Hasse, und schadete ihm in hohem Grade in der Meinung der Zeitgenossen. Auch in der Leitung der königl. Bibliothek, um welche er sich viele und große Verdienste erworben hat, trat doch immer mehr ein autokratisches Wesen hervor, welches ihm die Herzen seiner Beamten entfremdete; nachdem sich dann auch die Schwächen des Alters in seiner Amtsführung fühlbar machten, wurde er 1873 pensionirt.

Die Direction der Monumenta hielt er nach dem Tode Boehmer’s (1863), welcher aber auch keinen Einfluß darauf geübt hatte, allein in der Hand, und [410] nur nominell bildete er sich zuletzt ein Directorium ohne wirkliche Thätigkeit oder Befugnisse. Schon lange war, anfangs noch am Bundestage, auf eine Aenderung dieses Verhältnisses hingearbeitet worden; nach der Bildung des neuen Reiches, welches zur besseren Fortführung des Unternehmens bedeutend größere Mittel zu gewähren bereit war, wurde an diese Gewährung die Bedingung einer neuen Organisation geknüpft, welche nach langen Verhandlungen unter Vermittelung der Akademie der Wissenschaften im J. 1875 zum Abschluß kam. Waitz, der anfangs der hervorragendste Mitarbeiter gewesen, und immer in freundschaftlichen Beziehungen geblieben war, auch fortwährend noch bedeutende Arbeiten für das große Werk ausgeführt hatte, übernahm den Vorsitz der neuerrichteten Centraldirection, welcher auch P. angehörte, ohne jedoch sich noch wirklich betheiligen zu können. Im J. 1876 wollte er nach einem Aufenthalt in Tegernsee noch einmal wieder an den Sitzungen der historischen Commission in München theilnehmen, aber kaum dort angelangt, wurde er von einem Schlagfluß betroffen, welcher am 7. October seinem Leben ein Ende machte.

P. war in erster Ehe 1827 mit Julia Garnett vermählt, welche er in Paris kennen gelernt hatte; von ihren drei Söhnen ist Georg, welcher zwei Gedichtsammlungen herausgegeben hat, 1870 vor dem Vater gestorben. Der älteste Sohn Karl, Mitarbeiter an den „Monumenta Germaniae“, Bibliotheksecretär und Professor in Greifswald, zuletzt in Geisteskrankheit verfallen, hat eine Abhandlung über die Kosmographie des Aethicus geschrieben und die von seinem Vater entdeckten Fragmente des Granius Licinianus entziffert und herausgegeben; seine Ausgabe der merowingischen Königsurkunden veranlaßte nicht unbegründeten Tadel. Auch der jüngste Sohn, Hermann, welcher als Ingenieurmajor den preußischen Kriegsdienst verlassen hatte, ist schon am 11. September 1881 gestorben. Nach dem Tode seiner ersten Frau vermählte P. sich 1853 mit Leonore Horner, welche mit ihren Töchtern ihn überlebte.

G. H. Pertz’s Leben und litt. Wirksamkeit, von Karl Pertz. Wissensch. Beilage der Leipz. Zeitung 1882, Nr. 65–67. – Briefe der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm an ihn, das. Nr. 91–93. – Nekrolog von W. v. Giesebrecht, Sitzungsberichte der Münch. Akad. 1877, S. 65–74. – W. Arndt, Im neuen Reich 1876, II, S. 651–657. – Waitz, Neues Archiv, II S. 451–473, vorzüglich über seine Verdienste um die Monumenta Germaniae.