Adrian Daub: "Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst"
Edition Suhrkamp, Berlin
371 Seiten, 20 Euro
Adrian Daub: "Cancel Culture Transfer"
Für Adrian Daub ist die Cancel Culture-Debatte "eine Neuauflage der Angst vor politischer Korrektheit". © Cynthia Newberry
Viel Lärm um nichts
08:22 Minuten
Die Debatte um die "Cancel Culture" wird vehement geführt, besonders in den USA. Der Literaturwissenschaftler Adrian Daub hat sich nun genauer mit dem Phänomen auseinandergesetzt - von dem nach seiner Analyse nicht viel übrig bleibt.
Immer wieder berichten Medien über neue Fälle sogenannter Cancel Culture in den USA, bei der Menschen teils schwere Nachteile erleiden, weil sie unliebsame Meinungen aussprechen, die dem vermeintlichen Mainstream nicht entsprechen.
Die Debatte wird sehr emotional geführt. Der Literaturwissenschaftler Adrian Daub hat sich nun für sein neues Buch "Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst" die Faktenlage genauer angesehen.
Daub hat er für sein Buch besonders US-amerikanische Foren ausgewertet, in denen angebliche Fälle von Cancel Culture gesammelt werden. Doch diese Fallsammlungen sind offenbar nicht sehr belastbar. Beispielsweise hätten die betroffenen Personen oft, anders als angegeben, gar nicht wegen Cancel Culture ihren Job verloren - sondern schlicht aus anderen Gründen.
Einzelfälle sind kein systemisches Problem
Das bedeute allerdings nicht, dass nichts im Argen liege, so Daub. So habe es durchaus Fälle gegeben, bei denen sich zum Beispiel Uni-Leitungen gegenüber einem Mitarbeiter falsch verhalten hätten, der durch Vorwürfe von Studenten unter Druck geraten sei, so Daub.
Doch dabei handele sich um Einzelfälle, die sich für eine generelle Debatte über Cancel Culture nicht eigneten. Es gebe inzwischen "eine wirkliche Flut von Artikeln, die genau von diesen winzigen Anekdoten auf das große Ganze springen und die in Deutschland in manchen Zeitungen mittlerweile drei bis viermal die Woche kommen."
Doch etwas, das tatsächlich nur ein paar Mal im Jahr passiere, sollte für den Diskurs und das gesellschaftliche Klima nicht wichtig sein. Da laufe bei der Berichterstattung etwas falsch, so der Literaturwissenschaftler.
Die Gefahr kommt aus der Politik
Gefährlicher als Proteste von Studierenden sind für Daub politische Entwicklungen in den USA, die maßgeblich von den Republikanern vorangetrieben werden. In Florida würden beispielsweise vermeintlich "woke" Bücher aus Bibliotheken verbannt:
"Da habe ich mehr Angst vor. Es handelt sich ja um keinen Einzelfall, wenn etwas in einem Gesetzestext Niederschlag findet."
Grundsätzlich pessimistisch ist Daub deswegen aber nicht. Zwar habe Ex-Präsident Trump in seiner Amtszeit die amerikanische Justiz stark untergraben, aber sie existiere noch: "Es würde mich überraschen, wenn viele dieser Gesetze das nächste Jahr überdauern."
(hte)