DIE XI. AUSSTELLUNG DER BERLINER SEZESSION
Von Hans Rosenhagen
II. (Schluß)
So viele Anregungen von der jüngsten Vor-
führung der Berliner Sezession ausgehen
— mit der natürlichsten und besten kann
sie leider nicht dienen: Mit den Leistungen
eines hoffnungsvollen Nachwuchses. Woher
sollte er bei den traurigen Zuständen der
Berliner Akademie auch kommen? Dieser
fehlt ja nicht allein der Nimbus, den das
Mitwirken talentvoller Künstler zu erzeugen
pflegt — ihr mangelt es auch an talentvollen
Lehrern. Wer nicht durch besondere Gründe
genötigt ist, eine so schlecht versehene Hoch-
schule für bildende Künste zu besuchen, tut
nur wohl daran, wenn er sie vermeidet. Auf
diese Weise ist nun ganz besonders die Ber-
liner Sezession darauf angewiesen, auf die
Talente zu warten, die ihr der Zufall oder
die Anziehungskraft der Reichshauptstadt zu-
führen. Dieser Zustand erklärt es, warum
man in dieser Ausstellung einer Erscheinung
wie Otto Hettner begegnet, dessen knallig
bunten, miserabel gezeichneten Bilder die
Leistungen eines Karl Max Rebel oder Franz
Stassen in allem Schlimmen in den Schatten
stellen; warum die Arbeit eines Malers
aufgenommen wird, der ein Interieur dadurch
sehenswerter zu machen glaubte, daß er
idiotische und von Krämpfen heimgesuchte
Kinder hineinsetzte, also von allen guten
Göttern der gesunden Empfindung und des
Takts verlassen sein muß. Diesem Minus
an Konsequenz bei der Jurierung, das sich
noch vergrößern ließe, steht ein relativ ge-
ringer Gewinn gegenüber. Es hätte viel-
leicht auch nicht geschadet, wenn Hans Purr-
mann vom Ausstellen solange zurückgehalten
worden wäre, bis seine augenscheinliche Be-
gabung für farbiges Sehen sich ein wenig
ausgeglichener zeigen würde. Jedoch sein
sitzender weiblicher Akt verrät trotz der
stark gelben Farbe viel Talent. Auch „die
Allee" (s. Abb. S. 419) ist nicht übel, aber eine
zwischen Manet und van Gogh entstandene
„Straße mit Fahnen" sollte man doch da nicht
ausstellen, wo die Originale zu diesem kraft-
los wirkenden Bilde bekannt sind. Reifer
erscheint bereits Theo von Brockhusen.
Seine „Dorfstraße" (s. Abb. S. 416) ist für das
Motiv ohne Frage in viel zu großem Format
gehalten, aber sie läßt Beherrschung der
Mittel und Feinheit ebenso fraglos erkennen,
wie eine zweite Arbeit des Künstlers, die
Die KuDst für Alle XXI. 19. t. Juli 1906.
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Von Hans Rosenhagen
II. (Schluß)
So viele Anregungen von der jüngsten Vor-
führung der Berliner Sezession ausgehen
— mit der natürlichsten und besten kann
sie leider nicht dienen: Mit den Leistungen
eines hoffnungsvollen Nachwuchses. Woher
sollte er bei den traurigen Zuständen der
Berliner Akademie auch kommen? Dieser
fehlt ja nicht allein der Nimbus, den das
Mitwirken talentvoller Künstler zu erzeugen
pflegt — ihr mangelt es auch an talentvollen
Lehrern. Wer nicht durch besondere Gründe
genötigt ist, eine so schlecht versehene Hoch-
schule für bildende Künste zu besuchen, tut
nur wohl daran, wenn er sie vermeidet. Auf
diese Weise ist nun ganz besonders die Ber-
liner Sezession darauf angewiesen, auf die
Talente zu warten, die ihr der Zufall oder
die Anziehungskraft der Reichshauptstadt zu-
führen. Dieser Zustand erklärt es, warum
man in dieser Ausstellung einer Erscheinung
wie Otto Hettner begegnet, dessen knallig
bunten, miserabel gezeichneten Bilder die
Leistungen eines Karl Max Rebel oder Franz
Stassen in allem Schlimmen in den Schatten
stellen; warum die Arbeit eines Malers
aufgenommen wird, der ein Interieur dadurch
sehenswerter zu machen glaubte, daß er
idiotische und von Krämpfen heimgesuchte
Kinder hineinsetzte, also von allen guten
Göttern der gesunden Empfindung und des
Takts verlassen sein muß. Diesem Minus
an Konsequenz bei der Jurierung, das sich
noch vergrößern ließe, steht ein relativ ge-
ringer Gewinn gegenüber. Es hätte viel-
leicht auch nicht geschadet, wenn Hans Purr-
mann vom Ausstellen solange zurückgehalten
worden wäre, bis seine augenscheinliche Be-
gabung für farbiges Sehen sich ein wenig
ausgeglichener zeigen würde. Jedoch sein
sitzender weiblicher Akt verrät trotz der
stark gelben Farbe viel Talent. Auch „die
Allee" (s. Abb. S. 419) ist nicht übel, aber eine
zwischen Manet und van Gogh entstandene
„Straße mit Fahnen" sollte man doch da nicht
ausstellen, wo die Originale zu diesem kraft-
los wirkenden Bilde bekannt sind. Reifer
erscheint bereits Theo von Brockhusen.
Seine „Dorfstraße" (s. Abb. S. 416) ist für das
Motiv ohne Frage in viel zu großem Format
gehalten, aber sie läßt Beherrschung der
Mittel und Feinheit ebenso fraglos erkennen,
wie eine zweite Arbeit des Künstlers, die
Die KuDst für Alle XXI. 19. t. Juli 1906.
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