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Hilgert, Markus [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Menschen-Bilder: Darstellungen des Humanen in der Wissenschaft — Berlin, Heidelberg, 54.2010(2012)

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Weiand, Christof: Die Bilder des Selbst und das Selbst der Bilder: Spiegelungen des Menschen in den Libri di famiglia und in der Autobiographie in Italien, 1300-1600
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https://doi.org/10.11588/diglit.16708#0102

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Kapitel 6

Die Bilder des Selbst und das Selbst der Bilder:
Spiegelungen des Menschen in den Libri di
famiglia und in der Autobiographie in Italien,
1300-1600

Christof Weiand

1. Kurzer Blick in den häuslichen Spiegel

Sono di statura comunale, con viso fresco e vermiglio, e di camagione bianca, e con mem-
bra minute.1

Mit diesem selbstbewussten Satz zeichnet der Florentiner Jurist Donato Velluti sein
Selbstporträt. Er beginnt mit der Körpergröße, die er als eine mittlere, erwartungs-
gemäß anzutreffende, bezeichnet. Er gibt sich ein gesundes Aussehen, das er seinem
Gesicht abliest. Die Haut ist hell - wir dürfen vermuten: weil er sie nicht täglich der
Sonne aussetzen muss -, und er ist von zierlichem Wuchs und damit ein Mensch,
der nicht körperlich arbeitet. In deutscher Übersetzung lautet der expressive Satz:

Ich bin von mittlerem Wuchs, mit einem frischen und rötlichen Gesicht, und von heller
Hautfarbe und mit zierlichen Gliedmaßen.2

Velluti, der im Jahr 1301 geboren ist, schreibt diesen Satz in ein Buch, das Cronica
domestica heißt, und das er zwischen 1367 und 1370 (das Jahr seines Todes) ver-
fasst. Er schreibt es für die eigene Familie, die er über mehrere Generationen bis zu
seiner eigenen hin ins Bild setzt. Jedes Familienmitglied findet mit Namen, Körper-
merkmalen und der Erwähnung besonderer Eigenschaften seinen Platz in dieser
Chronik. Dort steht der „buono cavalcatore", der gute Reiter, neben dem „grande
parlatore", dem begabten Redner, dem „buono predicatore con lingua tagliente",
dem Prediger mit scharfer Zunge oder dem „grande sonatore di chitarra e leuto e
viuola", dem herrlichen Gitarren-, Lauten- und Geigenspieler. Der eine verschwen-
det sein Geld „in bene vestire, cavalcare e mangiare", der andere nimmt es den
Verwandten weg; dieser hat eine „mala gamba", jenem fehlt ein Auge; hier spricht
jemand von Natur aus sehr langsam, „parla molto adagio", dort wird gestottert -

1 Del Lungo und Volpi 1914, 154.

2 Übs. v. Vf., C.W.,Vermiglio' - zinnoberrot.

C. Weiand (El)

Romanisches Seminar, Seminarstrasse 3, 69117 Heidelberg, Deutschland
E-Mail: [email protected]

M. Hilgert, M. Wink (Hrsg.), Menschen-Bilder,

DOI 10.1007/978-3-642-16361-6_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

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