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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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A. Das akademische Jahr 2019
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II. Wissenschaftliche Vorträge
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Schahadat, Schamma: Das russische Imperium als familiärer Raum: die Emotionalisierung der russischen Kultur um 1800
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II. Wissenschaftliche Vorträge

Schamma Schahadat
„Das russische Imperium als familiärer Raum. Die Emotionalisierung
der russischen Kultur um 1800"
Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 25. Januar 2019
Die Regierungszeit von Nikolaj dem I., der 1825 zum Zaren gekrönt wurde, bil-
dete einen Höhepunkt in der Zurschaustellung der imperialen Familie. In dieser
Zeit wurde die ideologische Formel von „Orthodoxie, Selbstherrschaft, Volkstüm-
lichkeit“ («npaBocnaBne, caMo/tep>KaBne, HapoßHocTb») geprägt, wobei „Volkstüm-
lichkeit“ auf dem Bild der „einen Familie“ begründet lag, „in der der Herrscher in
der Rolle des Vaters auftritt und die Untergebenen in der Rolle der Kinder.“1
Diese Familiarisierung mit öffentlicher Zurschaustellung der Familienbande
und emotionaler Verbundenheit wurde in Russland im 18. Jahrhundert auf den
verschiedensten Ebenen vorbereitet: auf der Ebene des Imperiums, auf der die
Zuneigung der verschiedenen Völker in den eroberten Gebieten zum russischen
Staat und zum russischen Zaren geweckt werden musste, auf der Ebene der Za-
renfamilie, die das Verhaltensmodell für die restliche Gesellschaft vorgab und diese
familiarisierte, emotionalisierte und intimisierte, sowie im Bereich der Literatur.
Diese Entwicklungen sind Teil der Modernisierung Russlands, die mit den Pe-
trinischen Reformen ihren Anfang genommen haben und sich über das „lange
18. Jahrhundert“ erstreckten, das für Russland für den Zeitraum 1698 bis 1825 gilt.
1698 kehrte Peter der Große von seiner grand tour durch Westeuropa nach Russ-
land zurück, 1825 scheiterte auf dem Petersburger Senatsplatz der Adelsaufstand
der Dekabristen. Nach Peters Rückkehr kam es zur Verwestlichung der russischen
Gesellschaft; die Petrinische Zeit war eine Schwellenzeit zwischen einer alten und
einer neuen Ordnung; jeder kulturelle Akt wurde als Zeichen gedeutet und in das
System von „eigen“, russisch, und „fremd“, westlich, eingeordnet.
In dieses Tableau eigener und fremder Regeln, Textvorgaben und Verhaltens-
normen ist auch der „Import der Gefühle“ eingebunden. In Westeuropa zweifelte
man im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend daran, dass allein der Verstand
ein vernünftiges Subjekt garantieren würde. In Russland, das im 18. Jahrhundert
damit beschäftigt war, den Entwicklungsrückstand im Vergleich zu Westeuropa
aufzuholen, wurden Emotionen erst sehr spät Teil des (literarischen) Diskurses,

1 Michail Pogodin, zit. nach Ronald Suni, Affektivnye soobscestva: struktura gosudarstva i nacii
v Rossijskoj imperii, Moskva 2010, S. 107. (meine Übersetzung, Sch.Sch)

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