Anonym: Edda | |
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55. Ein Mann heißt Ögir oder Hler; er bewohnte das Eiland, das nun Hlesey heißt und zwar sehr zauberkundig. Er unternahm eine Reise nach Asgard; und als die Asen von seiner Fahrt erfuhren, ward er wohl empfangen, jedoch mit allerlei Sinnverblendungen. Und am Abend, als das Trinken beginnen sollte, ließ Odhin Schwerter in die Halle tragen, die waren so glänzend, daß ein Schein davon ausging und es keiner andern Beleuchtung bedurfte, während man saß und trank. Da kamen die Asen zu ihrem Gelage und setzten sich auf ihre Hochsitze zwölf der Asen, die da zu Richtern bestellt waren. Dieß sind ihre Namen: Thôr, Niördr, Freyr, Tyr, Heimdall, Bragi, Widar, Wali, Uller, Hönir, Forseti, Loki. Desgleichen hießen die Asinnen: Frigg, Freyja, Gefion, Idun, Gerdr, Sigyn, Fulla, Nanna. Ögirn dauchte herlich Alles was er sah. Alle Wände waren mit schönen Schilden bedeckt, da war auch kräftiger Meth und des Trankes genug. Als Ögirs Nachbar saß Bragi und während sie tranken, tauschten sie Gespräche. Da sagte Bragi dem Ögir von manchen Geschichten, die sich vordem bei den Asen zugetragen.
56. Er begann seine Erzählung damit, daß drei Asen auszogen, Odhin, Loki und Hönir. Sie fuhren über Berge und öde Marken, wo es um ihre Kost übel bestellt war. Als sie aber in ein Thal herabkamen, sahen sie eine Heerde Ochsen; da nahmen sie der Ochsen Einen und wollten ihn sieden. Und als sie glaubten, daß er gesotten wäre, und den Sud aufdeckten, war er noch ungesotten. Und zum zweitenmal, als sie den Sud wieder aufdeckten, nachdem einige Zeit vergangen war, fanden sie ihn noch ungesotten. Da sprachen sie unter sich, wovon das kommen möge. Da hörten sie oben in der Eiche über sich sprechen, daß der, welcher dort sitze, Schuld sei, daß der Sud nicht zum Sieden komme. Als sie hinschauten, saß da ein Adler, der war nicht klein. Da sprach der Adler: Wollt ihr gestatten, daß ich mich von dem Ochsen sättige, so soll der Sud sieden.
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/304&oldid=- (Version vom 31.7.2018)