Zum Inhalt springen

MKL1888:Humboldt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Humboldt“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Humboldt“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 8 (1887), Seite 786790
Mehr zum Thema bei
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Humboldt. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 786–790. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Humboldt (Version vom 02.10.2022)

[786] Humboldt, größter Fluß des nordamerikan. Territoriums Nevada, entspringt in dem Humboldtgebirge und ergießt sich nach einem westlichen Laufe von 450 km in den seichten Humboldtsee, 1190 m ü. M., der auch den Carsonfluß aufnimmt. Seine Ufer sind von Gebüsch eingefaßt, und die Zentral-Pacificbahn führt längs derselben nach Kalifornien. Das umgebende Land ist öde.

Humboldt, 1) Hafenort im nordamerikan. Staat Kalifornien, unter 40°45′ nördl. Br., an schöner Bai, für Schiffe von 6 m Tiefgang zugänglich. 1885 liefen 14 Schiffe ein, Ausfuhr 161,901 Dollar. – 2) Ackerbaukolonie in der Argentinischen Republik, Provinz Santa Fé, am Rio Salado, 1868 gegründet, hatte 1883 eine Dampfmühle, 6070 Hektar bebautes Land und 1002 Einw., meist deutsche Katholiken.

Humboldt, 1) Karl Wilhelm, Freiherr von, einer der geistreichsten Gelehrten und bedeutendsten Staatsmänner Deutschlands, geb. 22. Juni 1767 zu Potsdam, erhielt nach dem frühzeitigen Tod seines Vaters, der im Siebenjährigen Krieg Major und Adjutant des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, nachher königlicher Kammerherr gewesen, mit seinem Bruder Alexander auf dem elterlichen Schloß Tegel und zu Berlin eine treffliche Erziehung und studierte 1787–88 in Frankfurt a. O., dann in Göttingen Rechts- und Staatswissenschaften sowie unter Heyne auch Altertumswissenschaft und Kantsche Philosophie. 1789 reiste er mit seinem ehemaligen Lehrer Campe nach Paris und Versailles, wo er einigen Sitzungen [787] der Nationalversammlung beiwohnte, und begab sich dann nach Weimar, wo er den Winter 1789/90 verlebte. Hier trat er in den lebhaftesten Verkehr mit dem Koadjutor v. Dalberg, dem spätern Fürsten-Primas, machte die Bekanntschaft von Karoline v. Dachröden, seiner spätern Gemahlin, und wurde durch diese mit Schiller bekannt. Im Sommer 1790 wurde er zu Berlin als Legationsrat und Assessor beim Kammergericht angestellt; doch gab er die neue Stellung im Frühling 1791 wieder auf und verlebte die folgenden Jahre auf seinen Gütern im Mansfeldischen und Thüringischen sowie in Erfurt, wo er sich fast ausschließlich mit Altertumsstudien beschäftigte. Er schrieb damals freisinnige „Ideen über Staatsverfassungen, durch die französische Revolution veranlaßt“ und gleich nachher „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit eines Staats zu bestimmen“, beides Schriftchen, die nicht im Druck, wofür sie eigentlich bestimmt waren, erschienen (nur letztere wurde später, Bresl. 1851, veröffentlicht), aber für die der Zeit weit vorauseilende freisinnige politische Anschauungsweise des Verfassers, welcher die französische Revolution als den Anfangspunkt einer neuen Ära begrüßte, den deutlichsten Beweis lieferten. Seit 1794 lebte er in Jena in vertrautem Umgang mit Schiller und einem engen Kreis von gleichgesinnten Freunden in reger Geistesthätigkeit, ebenso von diesen zu eignen wissenschaftlichen Arbeiten angeregt wie die Freunde anregend, wie denn mehrere Gedichte Schillers unter seiner Einwirkung entstanden. Ein schönes Denkmal dieser bis zu Schillers Tode dauernden Freundschaft bildet der später von H. veröffentlichte „Briefwechsel zwischen Schiller und W. v. H.“ (Stuttg. 1830, 2. Ausg. 1876). Nach mehrfachen Reisen verweilte H. von 1797 bis 1799 mit seiner Familie in Paris, um dann einen längern Aufenthalt in Spanien zu nehmen, von wo er mit reicher wissenschaftlicher Ausbeute heimkehrte. 1801 nahm er auf den Wunsch der preußischen Regierung die Stelle eines Ministerresidenten in Rom an und blieb hier bis 1808, seit 1806 als bevollmächtigter Minister. Rom war für ihn ein geeignetes Feld zu seinen wissenschaftlichen Studien, die er hier, im lebendigen Verkehr mit Gelehrten und Künstlern, auch über philosophische, ästhetische, philologische und archäologische Gegenstände ausdehnte. 1808 mit der Leitung des Ministeriums des Kultus und des öffentlichen Unterrichts betraut, war er der eigentliche Gründer der Berliner Universität, die er nicht bloß mit tüchtigen Lehrern, sondern auch mit der umfassendsten Hör- und Lehrfreiheit auszustatten suchte. 1810 ward er Geheimer Staatsminister, begleitete 1813–14 das königliche Hauptquartier, leitete im Sommer 1813 als preußischer Bevollmächtigter die Verhandlungen in Prag, welche zum Anschluß Österreichs an die Alliierten führten, nahm vom 3. Febr. bis 15. März 1814 an dem erfolglosen Friedenskongreß von Châtillon teil und war in Paris bei den Verhandlungen des ersten Pariser Friedens thätig. In Gemeinschaft mit dem Staatskanzler Hardenberg, der ihm aber völlig freie Hand ließ, lag ihm auf dem Wiener Kongreß 1814–15 hauptsächlich die Behandlung der deutschen Frage ob; aber all sein Bemühen zur Erringung einer einheitlichen Verfassung und freier Institutionen für Deutschland scheiterte an den Gegenwirkungen namentlich der österreichischen Diplomatie. Nicht glücklicher war er bei den nach Napoleons zweitem Sturz 1815 eröffneten neuen Friedensunterhandlungen zu Paris, wo es ihm nicht gelang, die Abtretung des Elsaß zu erreichen. Am 25. Nov. reiste H. von Paris ab, um als Mitglied der Territorialkommission zu Frankfurt a. M. die deutschen Gebietsverhandlungen ihrem Ende zuführen zu helfen. Als Ersatzmann des preußischen Bundestagsgesandten, des Grafen von der Goltz, war er bei der feierlichen Eröffnung des Bundestags 25. Nov. 1816 zugegen und trug viel zur Regelung der Geschäftsordnung desselben bei. Im Frühling 1817 ging er nach Berlin, ward hier unter die Mitglieder des neugebildeten Staatsrats aufgenommen sowie in den zur Entwerfung der verheißenen Verfassung niedergesetzten Ausschuß berufen und zum Vorsitzenden der zur Beratung des Bülowschen Steuerverfassungs-Gesetzentwurfs niedergesetzten Kommission ernannt. Auch im Staatsrat that er sich durch seine Freisinnigkeit hervor. Deshalb ward er 1817 als außerordentlicher Gesandter nach London und im Oktober 1818 nach Aachen geschickt. Nachdem durch die Kabinettsorder vom 11. Jan. 1819 das Ministerium des Innern eine neue Organisation erhalten hatte, übernahm er die Leitung der ständischen und Kommunalangelegenheiten mit einer Reihe andrer Verwaltungsgegenstände als eine eigne Branche mit Sitz und Stimme im Staatsministerium. Sein Drängen nach endlicher Durchführung des Verfassungswerks, sein Auftreten gegen die Karlsbader Beschlüsse, welche er für „schändlich, unnational, ein denkendes Volk aufregend“ erklärte, und seine Opposition gegen Hardenberg zogen ihm endlich die Ungnade des Königs zu und bewirkten 31. Dez. 1819 seinen Rücktritt ins Privatleben. Mit ihm traten Boyen und Beyme aus dem Ministerium; erst von 1830 an wurde er wieder zu den Sitzungen des Staatsrats berufen. Seit seinem Rücktritt lebte H. mit geringen Unterbrechungen durch Reisen nach Gastein und 1828 nach Paris und London auf Schloß Tegel, wo er eine auserlesene Sammlung von Meisterwerken der Skulptur besaß. Er starb 8. April 1835 daselbst. Zur Belohnung seiner Verdienste hatte er 1818 die schlesische Herrschaft Ottmachau erhalten; 1884 wurde ihm, wie seinem Bruder, vor der Universität in Berlin ein Denkmal (sitzende Marmorstatue von Otto im Rom) errichtet.

Was Humboldts litterarische Arbeiten betrifft, so erschienen die frühsten in den „Ästhetischen Versuchen“ (Braunschw. 1799, Bd. 1) gesammelt. Es sind Kritiken über Goethes „Hermann und Dorothea“ und „Reineke Fuchs“ sowie Schillers „Spaziergang“, von denen erstere auch separat (4. Aufl. mit Einleitung von Hettner, Braunschw. 1882) erschien. In das Gebiet der Ästhetik gehören ferner seine „Rezension über Jacobis Woldemar“, worin er sein philosophisches Ideal aufstellt, und die die Schellingsche Natur- und Identitätsphilosophie gleichsam antizipierenden Abhandlungen: „Über den Geschlechtsunterschied“ und „Über männliche und weibliche Form“. Wichtige Beiträge zur Kenntnis der griechischen Sprache und Verskunst gibt seine metrische Übersetzung des „Agamemnon“ von Äschylos (Leipz. 1816, neue Ausg. 1857), der sich die Übertragung der zweiten olympischen Ode des Pindar, ferner des Simonides und mehrerer Chöre aus den „Eumeniden“ anschließt. Die gründlichsten und umfassendsten Studien wandte aber H. der vergleichenden Sprachforschung zu. Als Früchte seiner Forschungen über die baskische Sprache sind seine „Berichtigungen und Zusätze zu Adelungs Mithridates über die kantabrische oder baskische Sprache“ (Berl. 1817) und die in der That mustergültige „Prüfung der Untersuchungen über die Urbewohner Hispaniens vermittelst der baskischen Sprache“ (das. 1821) zu nennen. Seine erfolgreiche Beteiligung an den in Deutschland [788] mit Eifer aufgenommenen altindischen Studien bewiesen seine größern in der Berliner Akademie gelesenen Abhandlungen: „Über die unter dem Namen Bhagavad-Gita bekannte Episode des Maha-Bharata“ (Berl. 1826); „Über den Dualis“ (das. 1828) und „Über die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pronomen in einigen Sprachen“ (das. 1830). Sein Hauptwerk aber auf diesem Gebiet: „Über die Kawisprache auf der Insel Java“ (Berl. 1836–40, 3 Bde.), ward erst nach seinem Tod von Buschmann (s. d.) herausgegeben. Die Einleitung zu diesem Werk, die unter dem Titel: „Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts“ (Berl. 1836; neue Ausg. von Pott; 3. Ausg., das. 1883, mit einer Einleitung: „W. v. H. und die Sprachwissenschaft“) auch besonders erschien, machte in der Geschichte der neuern Sprachforschung Epoche. (Vgl. Schasler, Die Elemente der philosophischen Sprachwissenschaft W. v. Humboldts, Berl. 1847.) Humboldts „Vocabulaire inédit de la langue taïtienne“ ward ebenfalls von Buschmann in dessen „Aperçu de la langue des îles Marquises et la langue taïtienne“ (Berl. 1843) veröffentlicht. Eine neue Ausgabe von „Humboldts sprachphilosophischen Werken“, mit Kommentar, veranstaltete Steinthal (Berl. 1883). Seine die Sprachwissenschaft betreffende handschriftliche Sammlung ging an die königliche Bibliothek zu Berlin über. Daß H. unter seinen tiefen Studien und diplomatischen Geschäften sich den edel menschlichen Zartsinn für Freundschaft und Liebe zu bewahren gewußt, beweisen die an Charlotte Diede (s. d.) gerichteten „Briefe an eine Freundin“ (Leipz. 1847, 11. Aufl. 1883). Seine „Gesammelten Werke“, die erst nach seinem Tod in 7 Bänden (Berl. 1841–52) erschienen, enthalten auch einen Teil seiner zahlreichen Gedichte, unter denen besonders die Elegie „Rom“ (1806) und die durch Vollendung der Form und tiefe Sinnigkeit ausgezeichneten Sonette (separat, Berl. 1853) hervorzuheben sind. Eine neue Ausgabe seiner „Abhandlungen über Geschichte und Politik“ erschien Berlin 1870. Sein Briefwechsel mit Goethe wurde herausgegeben von Bratranek (Leipz. 1876), seine Briefe an F. G. Welcker von Haym (Berl. 1859), die Briefe an Chr. G. Körner von Jonas („Ansichten über Ästhetik und Litteratur“, das. 1879); „Lichtstrahlen aus seinen Briefen“ veröffentliche Elise Maier (5. Aufl., Leipz. 1865). Vgl. Schlesier, Erinnerungen an W. v. H. (Stuttg. 1843 bis 1845, 2 Bde.); Haym, W. v. H., Lebensbild und Charakteristik (Berl. 1856); Distel, Aus W. v. Humboldts letzten Lebensjahren (Briefe, Leipz. 1883).

2) Friedrich Heinrich Alexander, Freiherr von, Naturforscher, Bruder des vorigen, geb. 14. Sept. 1769 zu Berlin, erhielt gemeinschaftlich mit seinem Bruder privatim, ohne eine Schule zu besuchen, eine wissenschaftliche Vorbildung, bezog im Oktober 1787 die Universität zu Frankfurt a. O. und im April 1789 die Universität Göttingen, wo er mit seinem Bruder zwar Heynes philologisches Seminar besuchte, aber vor allem die naturwissenschaftlichen Vorträge von Blumenbach, Kästner, Beckmann, Gmelin, Lichtenberg, Link sowie des Historikers Spittler hörte und durch Ausflüge in den Harz und an den Rhein für die Naturwissenschaft begeistert wurde. Eine Frucht jener Exkursionen und seiner klassischen Studien zugleich war seine Druckschrift „Über die Basalte am Rhein“, nebst Untersuchungen über Syenit und Basanit der Alten (Braunschw. 1790). Seine erste größere Reise machte er 1790 von Mainz aus mit Georg Forster durch Belgien, Holland, England und Frankreich, und durch diesen Reisebegleiter wurden seine Blicke zuerst auf die fernen tropischen Länder hingelenkt. Doch war er vorläufig für eine praktische kameralistische Laufbahn bestimmt, ging deswegen 1790 auf Büsch’ Handelsschule nach Hamburg und bezog 1791 die Bergakademie zu Freiberg, wo er Werners Unterricht genoß und mit Leopold v. Buch, Freiesleben und Andrea del Rio in engen Verkehr trat. Die Frucht eines achtmonatlichen Aufenthalts im Erzgebirge war die erst später im Druck erschienene „Flora subterranea Fribergensis et aphorismi ex physiologia chemica plantarum“ (Berl. 1793). Diese „Aphorismen“, der erste Versuch einer Pflanzenphysiologie, erschienen in deutscher Übersetzung mit Zusätzen von Hedwig (Leipz. 1794). 1792 ward er Assessor im Bergdepartement und erhielt bald die Stelle eines Oberbergmeisters in den fränkischen Fürstentümern. Er verwaltete dies Amt bis 1797, machte mehrere Reisen in der Schweiz und Tirol, sammelte die Materialien zu den beiden 1799 erschienenen Werken: „Über die chemische Zerlegung des Luftkreises“ und „Über die unterirdischen Gasarten“ und konstruierte eine unauslöschliche Lampe sowie eine nach Beddoes’ Prinzipien hergestellte Respirationsmaschine für Grubenarbeiten. Auch sammelte er seit 1792 das Material zu seinem größern Werk: „Über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, nebst Vermutungen über den chemischen Prozeß des Lebens in der Tier- und Pflanzenwelt“ (Berl. 1797 bis 1799, 2 Bde.). 1797 gab er seine Stelle auf, um eine Reise nach Ägypten und dem Orient anzutreten und sich in völliger Unabhängigkeit dem Studium der Naturwissenschaft zu widmen. Drei Monate weilte er in Jena, mit Goethe und Schiller in Verkehr, und hörte Loders anatomische Vorträge. Gescheiterte Reisepläne führten ihn nach Paris, wo er die Bekanntschaft des Botanikers Aimé Bonpland (s. d.) machte, mit welchem er dann den Winter von 1797/98 in Spanien verlebte, um bei günstigerer Zeitlage Ägypten von einem spanischen Seehafen aus zu erreichen. Der Krieg vereitelte auch diesen Plan, doch erhielt er durch den Staatssekretär Urquijo die Erlaubnis zur Bereisung des spanischen Amerika, schiffte sich 5. Juni 1799 mit Bonpland in Coruña ein, langte 19. Juni in Teneriffa an, bestieg dort den Pik und landete 16. Juli in Amerika bei Cumana. Von hier aus durchstreifte und durchforschte er Venezuela und das Orinokogebiet; später wandte er sich mit Bonpland nach Cuba, nach dem Plateau von Bogotá und nach Quito, wo er 23. Juni 1802 den Chimborazo bestieg und die absolut größte bis dahin von Menschen erreichte Höhe, obwohl nicht den Gipfel selbst, erklomm; endlich erreichte er die Westküste und nach beschwerlicher Fahrt im März 1803 Acapulco. In Mexiko weilte H. etwa ein Jahr, begab sich dann nach einem zu statistisch-politischen Studien benutzten kürzern Aufenthalt in Havana nach Philadelphia und 9. Juli 1804 nach Europa zurück, wo er mit Bonpland 3. Aug. in Bordeaux landete. Arbeiten in Paris, besonders gasanalytische, in Verbindung mit Gay-Lussac, Reisen mit diesem und L. v. Buch nach Italien beschäftigten ihn zunächst. Gegen Ende 1805 kehrte er mit ersterm nach Berlin zurück, begleitete 1808 den Prinzen Wilhelm nach Paris, blieb aber auch nach dessen Rückberufung mit königlicher Erlaubnis in Frankreich, um dort die Herausgabe seiner Werke zu besorgen. 1818 wohnte er dem Kongreß zu Aachen bei, später dem von Verona, von wo er den König nach Rom und Neapel begleitete. Definitiv kehrte er erst 1827 nach Berlin zurück, [789] wo er, der königliche Kammerherr, in der Universität und in der Singakademie die vielberühmten, auch vom Hof besuchten Vorlesungen über physische Weltbeschreibung hielt. Aber schon 1829 unternahm er im Auftrag des Kaisers Nikolaus und in Begleitung von Ehrenberg und G. Rose eine reich ausgestattete Expedition nach dem Ural und Altai, der chinesischen Dsungarei und dem Kaspischen Meer. Nach der Thronbesteigung Ludwig Philipps ward H. beauftragt, demselben die Anerkennung von seiten des preußischen Throns zu überbringen und dann von Paris aus politische Berichte, zuerst vom September 1830 bis Mai 1832 und dann wieder 1834 und 1835, nach Berlin einzusenden. Die gleiche Mission wiederholte sich in den nächsten zwölf Jahren noch fünfmal und nahm allemal 4–5 Monate in Anspruch. In diese Zeit fallen die in Verbindung mit Gauß geschaffene Organisation der magnetischen Beobachtungsstationen, der Vorläufer unsrer meteorologischen Observatorien, welche damals nur durch Humboldts großes Ansehen im In- und Ausland ermöglicht wurde, und die Vollendung und Herausgabe eines gelehrten historischen Werkes, des „Examen critique“. Außer einem abermaligen Besuch in Paris 1847 machte H. seitdem nur noch zwei Reisen außerhalb Deutschlands mit König Friedrich Wilhelm IV., die eine 1841 nach England, die andre 1845 nach Dänemark. Sein ständiger Aufenthalt blieb Berlin, wo er mit noch jugendlich frischem Geist seinen Studien lebte, als deren Hauptfrucht der „Kosmos, Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“ (s. unten) zu betrachten ist. Die letzten Jahrzehnte lebte er ziemlich zurückgezogen. Er starb 6. Mai 1859 in Berlin im neunzigsten Jahr.

Schon die ersten Arbeiten, welche H. lieferte, geben Zeugnis von seiner großen wissenschaftlichen Befähigung. Eine Jugendschrift, mehr poetischen als wissenschaftlichen Inhalts, zeigt, wie auch ihn die dichterisch-symbolisch-spekulative Anschauung der Zeit gefesselt hielt; aber der Geist der Spezialforschung, welcher ihn beherrschte, bewahrte ihn vor dem Abgrund, in welchen später die sogen. Naturphilosophie versank. Wir sehen ihn beschäftigt mit gründlichen Experimenten, welche ihn notwendig auf die Bahn der exakten Wissenschaften leiten mußten. Auf so vielen und verschiedenen Gebieten führten ihn seine ersten Forschungen zu bedeutsamen Resultaten, daß die Annahme berechtigt erscheint, er würde auch im Bergwesen, als Chemiker, Physiker oder Physiolog Hervorragendes geleistet haben, wenn er sich einer dieser Wissenschaften ausschließlich gewidmet hätte. Aber so groß war sein Streben nach universalem, umfassendem Wissen, daß die einzelnen Disziplinen der Naturwissenschaft ihm nur als Vorstufen zur tiefern Erkenntnis der Physik des Erdballes galten. Sein Drang nach Erkenntnis des Ganzen führte ihn aus seiner Berufsthätigkeit fort und in die Tropen, wo er für seine Zwecke ein reicheres Material erwerben konnte. Humboldts große Reise ist das Vorbild für alle spätern wissenschaftlichen Reisen geworden; ihn selbst hob sie auf jene hohe Stufe, auf welcher er als der erste aller Naturforscher seiner Zeit einen so großen Einfluß ausgeübt hat. H. wurde der Begründer der klimatologischen und plastischen Geographie, der Physik des Meers und der Pflanzengeographie; er hatte die reihenweise Anordnung der Vulkane und die örtlich verschiedene Intensität der Magnetkraft erkannt; Geologie und Astronomie, Zoologie, Botanik und Mineralogie hatten durch ihn wie kaum durch einen andern Forscher vor ihm Bereicherung erfahren. Aber auch die Bewohner der durchreisten Länder hatten sein Interesse gefesselt, und er lieferte die bedeutsamsten Arbeiten über die Abstammung, die Sprachen, die Kulturzustände, die Wanderungen und die Zeitrechnung der alten Peruaner und Mexikaner. Für die Statistik, die damals kaum im Entstehen war, und für die Staatsökonomie wurden eine Untersuchungen von großer Wichtigkeit. Die staunenswerte Universalität seines Wissens wurde aber für ihn die Basis zu weitern Leistungen. Er war nicht ein Polyhistor, welcher sich nur an die Einzelheiten, an die nackten Thatsachen hält; ihm diente alles nur als Mittel seines großen Zweckes, die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhang, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganze aufzufassen. Das große Zeugnis dieser Anschauungsweise ist sein „Kosmos“, ein Werk, welches einzig dasteht in der Litteratur aller Völker. Es ist ein säkularer Abschluß des gesamten Naturwissens der Humboldtschen Zeit, ausgezeichnet durch eine vollendete Darstellung, durch die geistreiche Art und Weise der Benutzung und Verknüpfung eigner und fremder Beobachtungen, durch die Zuverlässigkeit der Angaben, vor allem durch die Fülle fruchtbarer Gedanken. Aber über diese Grenze hinaus hat die gesamte Arbeit Humboldts eine eminente Bedeutung durch die beständige Hervorhebung der Beziehungen zwischen der tiefern Einsicht in die Erscheinungen der Kräfte der Natur und der geistigen Bildung wie dem materiellen Wohlstand der Völker. Das Erheben des Menschen zu einer höhern, umfassendern, den Geist veredelnden Weltanschauung, die Erweckung eines geläuterten Naturgefühls hat er in allen seinen Schriften überall auch da betont, wo er von scheinbar ferner liegenden Gegenständen redet. Er verschmähte es nicht, in einer Zeit, wo die Gelehrten sich streng abschlossen, seine Forschungen durch allgemein verständliche Vorlesungen und Schriften zu einem Gemeingut aller zu machen, und wurde dadurch ein Mann des Volkes im höchsten Sinn und der Urheber einer populär-wissenschaftlichen Litteratur in klassischer Form. Seine wissenschaftliche Bedeutung und seine Stellung zum König verschafften H. einen weitreichenden Einfluß. Durch persönlichen Verkehr mit fast allen Gelehrten, durch eine großartige Korrespondenz, durch Förderung jüngerer Talente und besonders auch durch Bekämpfung oder doch Milderung von Einflüssen, welche den Staat seiner Mission der Förderung der Wissenschaft untreu zu machen trachteten, wirkte er fruchtbar in hohem Grad.

H. galt zuletzt als der Nestor der Naturforschung in Deutschland, ja in Europa, und mit Recht rühmte man ihn als den Mann, der sie stets mit Rat und That zu fördern bemüht war. Seine Autorität war so groß, daß sie sogar in mancher Beziehung die Entwickelung reformierender Ansichten auf verschiedenen Gebieten eine Zeit hindurch verhindert hat. Dies gilt besonders für die Geologie, welche sich bald in entschiedenem Gegensatz zu den im „Kosmos“ vorgetragenen Ideen entwickelte, wie denn dieses Werk heute hauptsächlich noch als Denkmal eines universalen Geistes Bedeutung hat, auf den einzelnen Gebieten aber fast nach jeder Richtung veraltet ist. Man hat auch daran erinnert, daß H. in jeder einzelnen Disziplin von Spezialforschern übertroffen worden ist, daß er als Entdecker nicht an Galvani, Kopernikus, Kepler oder Newton heranreicht; doch mit Unrecht, denn Humboldts Bedeutung liegt gerade darin, daß er nicht einer einzelnen Disziplin, nicht der Naturwissenschaft allein, sondern der gesamten Förderung der Menschheit diente. Bereits 1804 wurde ihm [790] eine von Loos geschnittene Medaille mit der Inschrift „Novi orbis Democritus“ gewidmet, der manche andre Medaillen folgten, während beinahe alle Akademien der Welt ihn zu ihrem Mitglied ernannten. In Berlin wurde ihm ein von R. Begas gearbeitetes Standbild neben dem seines Bruders vor der Universität errichtet und zu seinem Andenken die Humboldt-Stiftung begründet, aus deren Fonds namentlich Forschungsreisende unterstützt werden sollen.

Der fast 20jährige Aufenthalt in Paris ward zur Bearbeitung des amerikanischen Reisewerks verwendet sowie die tüchtigsten Fachmänner (Oltmanns, Kunth, Cuvier, Latreille, Valenciennes, Gay-Lussac, Thénard, Vauquelin u. a.) und Künstler für die Bearbeitung und künstlerische Ausstattung einzelner Teile gewonnen. Die Gesamtausgabe (die sogen. große) in 30 Bänden (20 in Folio, 10 in Quart) enthält die Atlanten und Kupferwerke und wird gewöhnlich in 6 Abteilungen gruppiert, während die sogen. kleine Oktavausgabe nur den Text einiger Werke daraus, oft mit Auslassungen und Zusätzen, enthält. Hiernach hat das amerikanische Reisewerk den Gesamttitel: „Voyage aux régions équinoxiales du nouveau continent, fait en 1799–1804“ und bildet folgende 6 Abteilungen: 1) „Relation historique“, unvollendet, reicht nur bis zur Reise nach Peru, April 1801 (Par. 1811–29, 3 Bde. in 4., oder das. 1816–1832, 13 Bde. in 8.; deutsch, Stuttg. 1815–32, 6 Bde.; besser von Hauff, das. 1859, 4 Bde.). Zur „Relation historique“ gehören: „Atlas géographique et physique“ (39 Blätter in Folio) und „Atlas pittoresque, vues des Cordillères et des monuments des peuples indigènes de l’Amérique“ (1810, 69 Blätter). 2) „Observations de zoologie et d’anatomie comparée“ (1805–32, 2 Bde. mit 55 Tafeln), mit Cuvier, Latreille, der die Insekten, und Valenciennes, der die Fische und Konchylien bearbeitete. 3) „Essai politique sur le royaume de la Nouvelle Espagne“ (Par. 1811, 2 Quartbde. oder 5 Bde. Oktav; 2. Aufl., vermehrt durch den „Essay politique sur l’isle de Cuba“, 1826–27, 6 Bde. Oktav; deutsch, Stuttg. 1809–14, 5 Bde.); dazu gehört: „Atlas géographique et physique du royaume de la Nouvelle Espagne“ (Par. 1812, 21 Tafeln). 4) „Observations astronomiques, opérations trigonométriques et mesures barométriques, rédigées et calculées par Jabbo Oltmanns“ (Par. 1808–10, 2 Bde. in 4.). 5) „Physique générale et géologie: essai sur la géographie des plantes, accomp. d’un tableau“ (Par. 1807, 4.; deutsch, Stuttg. 1807, Goethe gewidmet). 6) „Plantes équinoxiales, rédig. par A. Bonpland“ (Par. 1809–18, 2 Bde. in Fol., 144 Tafeln); „Melastomes et autres genres du même ordre, rédig. par A. Bonpland“ (1806–23, 2 Bde. in Folio, 120 Tafeln); „Nova genera et species plantarum partim adumbraverunt A. Bonpland et Alex. de H., in ordinem digess. C. S. Kunth“ (1815–25, 7 Bde. in Folio, 700 Tafeln), hierzu von H. die Einleitung: „De distributione geographica plantarum secundum coeli temperiem et altitudinem montium“ (1817); „Mimoses et autres plantes légumineuses, rédig. par C. S. Kunth“ (1819–24, Folio, mit 60 Tafeln); „Revision des graminées par C. S. Kunth“ (1829–34, 2 Bde. in Folio, 220 Tafeln); „Synopsis plantarum, auct. C. S. Kunth“ (1822–26, 4 Bde. in 8.). – Im Zusammenhang damit sind: „Ansichten der Natur“ (Stuttg. 1808, 2 Bde.; in wiederholten vermehrten Auflagen); „Des lignes isothermes et de la distribution de la chaleur sur le globe“, in den „Mémoires de la Société d’Arcueil“ (1817); „Essai géognostique sur le gisement des roches dans les deux hemisphères“ (Straßb. 1823); „Examen critiques de l’histoire de la géographie du nouveau continent et des progrès de l’astronomie nautique aux XV. et XVI. siècles“ (Par. 1814–34, 1 Bd. in Folio oder 5 Bde. in 8.; deutsch von Ideler, Berl. 1835–51, 3 Bde.). Die asiatische Reise behandeln die Werke: „Fragments de géologie et de climatologie asiatiques“ (Par. 1832, 2 Bde. in 8; deutsch von Löwenberg, Berl. 1832); „Asie centrale. Recherches sur les chaînes de montagnes et la climatologie comparée“ (Par. 1843, 3 Bde. in 8.; deutsch von Mahlmann, Berl. 1843–44, 2 Bde.); „Reise nach dem Ural, dem Altai und dem Kaspischen Meer“, mit Ehrenberg und Rose (das. 1837–42, 2 Bde.). Der „Kosmos“ erschien zuerst 1845–58 in 4 Bänden, dann wiederholt und wurde von Professor Buschmann mit 2 Bänden eines ziemlich unbrauchbaren Registers belastet. Unter den erläuternden Werken, welche bezwecken, den „Kosmos“ für weitere Kreise verständlich zu machen, verdienen genannt zu werden: Schallers „Briefe über Humboldts Kosmos“ (Leipz. 1850, 2 Bde.); Cottas „Briefe über Humboldts Kosmos“ (Teil 1–3, das. 1848–51; 2. Aufl. 1850). Von Humboldts „Kleinern Schriften“ ist nur ein Band: „Geognostische und physische Erinnerungen“, mit Atlas (Stuttg. 1853), erschienen. Nach Humboldts Tod erschienen seine Briefwechsel mit Varnhagen (1.–5. Aufl., Leipz. 1860), mit einem jungen Freund (Althaus, Berl. 1861), mit Heinr. Berghaus (Jena 1863, 3 Bde.), mit Bunsen (Leipz. 1869), Cancrin (das. 1869), mit Marc Aug. Pictet (in „Le Globe“, Bd. 7, 1868), „Correspondance inédite scientifique et littéraire“ (hrsg. von de la Roquette, Par. 1869), mit Friedr. v. Raumer (in dessen litterarischem Nachlaß, Bd. 1, Berl. 1869), mit Goethe (hrsg. von Bratranek, Leipz. 1876), mit Gauß (hrsg. von Bruhns, das. 1877) und mit seinem Bruder Wilhelm (Stuttg. 1880). Vgl. Bruhns, A. v. H., eine wissenschaftliche Biographie, herausgegeben im Verein mit Avé-Lallemant, Carus, A. Dove u. a. (Leipz. 1872, 3 Bde.; Bd. 2 enthält auch die vollständige, übersichtlich geordnete Bibliographie von Humboldts Schriften, von Löwenberg); Klencke, A. v. Humboldts Reisen, Leben und Wissen (7. Aufl., das. 1882); Juliette Bauer, Lives of the brothers H. (Lond. 1852); Löwenberg, A. v. Humboldts Reisen in Amerika und Asien (2. Aufl., Berl. 1843, 2 Bde.); Wittwer, Alex. v. H., sein wissenschaftliches Leben und Wirken (Leipz. 1860); Ule, Alex. v. H. (4. Aufl., Berl. 1870).