Simplicia und Composita

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Der Begriff Simplicia (einfache Dinge) oder Simplizien (früher auch Simplicien) erklärt sich als Gegensatz zum Begriff Composita (zusammengesetzte Dinge) oder Komposita. In der Pharmazie und in der Medizin bedeuten Simplicia Arzneimittel aus einzelnen Teilen von Pflanzen, Tieren oder Mineralien und somit nur einzelne Arzneistoffe, die früher nicht in einer Rezeptur mit anderen vermischt eingenommen[1][2] wurden.[3] Im Deutschen werden sie auch als einfache Heilmittel oder einfache Arzneimittel bezeichnet. Composita (wie früher die Antidota) dagegen sind aus mehreren Teilen zusammengesetzt.[4] Als Praeparata wurden die Produkte (bzw. „Medicamenta“) bezeichnet, die entstehen, wenn Simplicia oder Composita durch Zerkleinerung, durch Wärmeeinwirkung oder durch Lösungsmittel behandelt werden.

Im 1. Jahrhundert beschrieben Dioskurides,[5] und Plinius der Ältere[6] in ihren Arzneibüchern ausschließlich Simplicia. Ihre Arbeiten wurden von spätantiken Autoren (Pseudo-Apuleius) und von mittelalterlichen Autoren (wie im Macer floridus oder dem Circa instans) rezipiert. Auch der Liber iste enthält solche nichtzusammengesetzten Arzneimittel, wohingegen das Antidotarium Nicolai ausführlich Composita darstellt.[7]

In römischer Zeit wurde es immer beliebter, aus der Mischung der Simplicia immer neue Composita zu kreieren.[8] In diesem Zusammenhang entstanden auch die Compositiones des Scribonius Largus.

Die Trennung zwischen Simplicia und Composita („Divisio Pharmacorum“ 1560 bei Johann Placotomus) war in Antike und Mittelalter üblich.[9] Im 2. Jahrhundert schrieb Galen sowohl über Simplicia[10][11][12] als auch über Composita.[13] Galen beeinflusste die arabischen Autoren wie Al-Kindi,[14] der im 9. Jahrhundert erstmals die Composita durch eine Gradenlehre systematisch spezifizierte.[15][16] So behandelte Avicenna im 2. Buch[17] des Kanons der Medizin einfache Arzneimittel (Simplicia) und im 5. Buch[18] zusammengesetzte Arzneimittel (Composita).

1500 nannte Hieronymus Brunschwig sein „Kleines Destillierbuch„Liber de arte distillandi de Simplicibus. Das Buch der rechten kunst zu distilieren die einzigen ding.“ Er beschrieb darin die Herstellung von Destillaten aus einzelnen Pflanzen- oder Tierteilen. 1512 folgte sein „Großes Destillierbuch“ mit dem Titel „Liber de arte Distillandi de Compositis. Das buch der waren kunst zu distillieren die Composita …“ In diesem Buch beschrieb er vor allem die Destillation aus Mischungen von Simplicia.

Die Väter der Botanik polemisierten gegen die „Araber“ und warfen ihnen vor, den einfachen Arzneimitteln zusammengesetzte Arzneimittel vorzuziehen.[19] Diese Polemik gegen die „Polypragmasie des pharmazeutischen Arabismus“[20] war durch die Fehden vergiftet, welche die Humanisten mit den „Arabisten“ austrugen.[21][22]

Im 18. Jahrhundert führte der englische Arzt William Withering die Digitalis in das offizielle Arzneibuch (Pharmakopoe) ein. Er hatte es als Simplicium (als Begriff ursprünglich immer die Ganzheit der Heilpflanze umfassend[23]) aus einem zusammengesetzten Volksheilmittel (Compositum) ausgewählt. Mit welchen Kräutern die Digitalis in diesem Volksheilmittel kombiniert wurde, teilte Withering nicht mit:

„Im Jahre 1775 wurde ich nach meiner Meinung über ein Familienrezept zur Behandlung der Wassersucht befragt. Mir wurde gesagt, dass es lange als Geheimmittel von einer alten Frau in Shropshire benutzt worden wäre, die manchmal noch Heilung erzielt hätte, wenn die praktischen Ärzte nichts mehr ausgerichtet hätten. […] Diese Medizin war aus zwanzig oder mehr verschiedenen Kräutern zusammengesetzt, aber es war für einen in diesen Dingen Erfahrenen nicht sehr schwierig zu erkennen, dass das wirksame Kraut nichts anderes als der Fingerhut sein konnte.“

William Withering: An account of the foxglove, and some of its medical uses: with practical remarks on dropsy, and other diseases. Birmingham 1785. Reprint in deutscher Übersetzung. Boehringer Mannheim 1929.
  • Willem Frans Daems: Nomina simplicium medicinarum ex synonymariis medii aevi collecta. Semantische Untersuchungen zum Fachwortschatz hoch- und spätmittelalterlicher Drogenkunde. New York/ Leiden 1993 (= Studies in Ancient Medicine. Band 6).
  • Georg Heinrich Kroemer: Johanns von Sancto Paulo Liber de simplicium medicinarum virtutibus, und ein anderer Salernitaner Traktat: Quae medicinae pro quibus morbis donandae sunt, nach dem Breslauer Codex herausgegeben. Medizinische Dissertation Leipzig 1920.
  • Hans-Joachim Poeckern: Die Simplizien im Nürnberger Dispensatorium des Valerius Cordus von 1546 und ihre Erläuterung in den kursiv gedruckten Fußnoten, unter besonderer Berücksichtigung der Dioskuridesanmerkungen und Pflanzenbeschreibungen des Valerius Cordus. Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation Halle an der Saale 1970.

Einzelnachweise

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  1. Gotthard Strohmaier: Avicenna. Beck, München 1999, ISBN 3-406-41946-1, S. 115.
  2. Jutta Kollesch, Diethard Nickel: Antike Heilkunst. Ausgewählte Texte aus den medizinischen Schriften der Griechen und Römer. Philipp Reclam jun., Leipzig 1979 (= Reclams Universal-Bibliothek. Band 771); 6. Auflage ebenda 1989, ISBN 3-379-00411-1, S. 202 (zu Galen, Über Mischung und Wirkung der einfachen Heilmittel).
  3. Vgl. auch Rudolf Schmitz: Der Arzneimittelbegriff der Renaissance. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil: Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 1–21, hier: S. 3, Anm. 6 („Simplicia“: gemäß Theodor Husemann Rohprodukte aus den drei Naturreichen und Chemikalien).
  4. Vgl. auch Rudolf Schmitz: Der Arzneimittelbegriff der Renaissance. 1984, S. 3, Anm. 6 („Mixta et Composita“ [= Medicamenta galenica]: gemäß Theodor Husemann durch Mischen von Simplicia oder Ausziehen gewonnene Präparate).
  5. Julius Berendes: Des Pedanios Dioskurides aus Anazarbos Arzneimittellehre. Stuttgart 1902.
  6. Naturalis historia. Ausgabe Roderich König u. a. Artemis, Zürich 1990–2004.
  7. Johannes G. Mayer: ‚Circa instans‘ deutsch. Beobachtungen zum Leipziger Kodex 1224, dem bislang umfangreichsten Kräuterbuch in deutscher Sprache vor dem Buchdruck. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 13, 1995, S. 67–73, hier: S. 67–69.
  8. Peter Dilg: Arzneischatz. In: Karl-Heinz Leven (Hrsg.): Antike Medizin, ein Lexikon. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52891-0, Sp. 98/99.
  9. Rudolf Schmitz: Der Arzneimittelbegriff der Renaissance. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil: Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 1–21, hier: S. 5 f.
  10. De alimentorum facultatibus. (Edition Kühn, Band VI, S. 453–748).
  11. De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus. (Kühn XI 379 – XII 377).
  12. Vgl. auch Jutta Kollesch, Diethard Nickel: Antike Heilkunst. Ausgewählte Texte aus den medizinischen Schriften der Griechen und Römer. Philipp Reclam jun., Leipzig 1979 (= Reclams Universal-Bibliothek. Band 771); 6. Auflage ebenda 1989, ISBN 3-379-00411-1, S. 160–162 (Galen: Über Mischung und Wirkung der einfachen Heilmittel, Buch I, Kap. 27, Buch V, Kap. 27, und Buch VI, Kap. 60).
  13. De compositione medicamentorum secundum locos. (Kühn XII 378 – XIII 361). De compositione medicamentorum per genera. (Kühn XIII 362-1085)
  14. Alfred Siggel: Al-Kindî's Schrift über die zusammengesetzten Heilmittel. In: Sudhoffs Archiv. Band 37, 1953, S. 389–393.
  15. Rudolf Schmitz: Der Arzneimittelbegriff der Renaissance. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil: Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 1–21, hier: S. 9 mit Anm. 20.
  16. Vgl. auch Heinrich Schipperges: Moderne Medizin im Spiegel der Geschichte. dtv, Stuttgart 1970, S. 121–123.
  17. Druck Venedig ca. 1500 Digitalisat
  18. Druck Venedig ca. 1500 Digitalisat
  19. Otto Brunfels. Contrafeyt Kreütterbuch 1532, Vorred. Brunfels 1532 Digitalisat
  20. Rudolf Schmitz: Der Arzneimittelbegriff der Renaissance. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil: Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 1–21, hier: S. 8 f.
  21. Leonhard Fuchs. Errata recentiorum medicorum, LX. Numero adiectis eorundem confutationibus. Hagenau 1530.
  22. Lorenz Fries: Defensio medicorum principis Avicennae. Straßburg 1530.
  23. Otto Beßler: Prinzipien der Drogenkunde im Mittelalter. Aussage und Inhalt des Circa instans und Mainzer Gart. Mathematisch-naturwissenschaftliche Habilitationsschrift, Halle an der Saale 1959, S. 15.