Polyphenole
Polyphenole sind chemische Verbindungen aus der Stoffgruppe der Phenole beziehungsweise Hydroxyaromaten. Es gibt in der Literatur unterschiedliche Definitionen, welche Verbindungen den Polyphenolen zugeordnet werden können. Zumeist werden natürliche, in Pflanzen vorkommende Verbindungen, die mehr als einen Phenolring enthalten, den pflanzlichen Polyphenolen zugeordnet.[1] Vereinzelt werden auch aromatische Verbindungen, die zwei oder mehr direkt an einen aromatischen Ring gebundene Hydroxygruppen enthalten, als Polyphenole bezeichnet.[2]
Natürliche Polyphenole kommen in Pflanzen als sekundäre Pflanzenstoffe vor. Sie stellen bioaktive Substanzen wie Farbstoffe, Geschmacksstoffe und Tannine dar und sollen die Pflanze vor Fressfeinden (Prädatoren) schützen oder durch ihre Farbe Insekten zur Bestäubung anlocken. Sie dienen manchen Pflanzen aufgrund ihrer antioxidativen Wirkung und der Filterung energiereicher UV-B-Strahlung auch als Schutz für den Photosynthese-Apparat. Weiterhin sind Polyphenole Grundbausteine wichtiger Biopolymere wie Lignin und Suberin.
Zu den Polyphenolen zählen zahlreiche unterschiedliche Pflanzenstoffe, unter anderem die Farbstoffe der Flavonoide und speziell Anthocyane, Procyanidine, Benzoesäurederivate (z. B. die Hydroxybenzoesäuren wie Vanillinsäure, die Trihydroxybenzoesäuren wie Gallussäure und die Dihydroxybenzoesäuren wie Protocatechusäure), Zimtsäurederivate (die Hydroxyzimtsäuren wie Kaffeesäure und p-Cumarsäure) und Stilbenderivate (etwa Resveratrol). Insgesamt sind über 8000 verschiedene polyphenolische Verbindungen in Pflanzen identifiziert; ihre gemeinsame Vorstufe ist Phenylalanin bzw. dessen Vorläufer Shikimisäure.[3]
Herkunft
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Pflanzen mit hohem Polyphenolgehalt sind beispielsweise die Echte Walnuss, die Blätter und Trauben der Weinreben, die Schale und das Fruchtfleisch der Mangostanfrucht (Garcinia mangostana), der Saft des Granatapfels (Punica granatum), der unter anderem Punicalagin, Ellagsäure und Gallussäure enthält, Ginkgo, Tee, Zistrosen und die Samen von Perilla (Perilla frutescens, auch „Schwarznessel“ oder irreführend „Wilder Sesam“ genannt). Allgemein weisen viele Kräuter einen vergleichsweise hohen Polyphenolgehalt auf, wie zum Beispiel Pfefferminze, Oregano und Salbei. Auch einige als Superfood bezeichnete Lebensmittel, darunter u. a. Kakaopulver, die Aronia (Apfelbeere) sowie die Heidelbeere, besitzen einen hohen Polyphenolgehalt.[4] Polyphenole sind auch in Gehölzen zu finden. In Oliven ist insbesondere Hydroxytyrosol enthalten, und aus der Rinde von Pinien und aus Lärchenholz werden Flavonoide für den Einsatz in der Medizin extrahiert.
Verschiedene Polyphenole lösen unterschiedliche Geschmacksempfinden im Mund aus. So können bereits geringe Mengen einiger Polyphenole ein Lebensmittel bitter schmecken lassen.[5]
Ob die Anbauweise (ökologischer oder konventioneller Anbau) einen Einfluss auf den Gehalt von Polyphenolen in Lebensmitteln hat, ist umstritten – wahrscheinlicher ist der Faktor Klima/Wetter bzw. das Anbaujahr.[6]
Wirkung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Polyphenole weisen verschiedene antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften auf.[7][8][9] Die Wirkungen von Polyphenolen werden bei verschiedenen Erkrankungen untersucht, darunter Autoimmunerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 1, Rheuma und Multiple Sklerose.[7] Eine Verwendung bei Diabetes Typ II,[10] Bluthochdruck[11][12] Krebs,[13][14][15] und Depression[16] wird ebenfalls untersucht. Ein Problem bei der oralen Einnahme von Polyphenolen ist der geringe Anteil an in den Blutkreislauf aufgenommenen Polyphenolen (geringe Bioverfügbarkeit).[17] Darüber hinaus werden Polyphenole als UV-Filter in Sonnenschutzmitteln untersucht.[18]
Es wird diskutiert, ob ein hoher Gehalt an Polyphenolen in Äpfeln diese verträglicher machen und die allergene Wirkung von Mal d 1 ausgleichen würde. Dies konnte aber nicht bestätigt werden.[19][20]
Toxikologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Viele Polyphenole besitzen in geringer Dosis, so wie sie in Pflanzen vorkommen, positive biologische Eigenschaften, können allerdings bei In-vitro-Untersuchungen und in hoher Dosierung auch toxische Wirkungen zeigen. Werden sie hochdosiert oder langdauernd angewendet, sind solche Wirkungen auch im Organismus möglich, weshalb solche Dosierungen und/oder Daueranwendungen eher unüblich sind. Apigenin, Quercetin, Taxifolin und Kaempferol beispielsweise wirken cytostatisch, weshalb sie und einige andere Polyphenole, z. B. Brenzcatechin, Genistein und Gossypol, als gesundheitsschädlich eingestuft sind, Quercetin sogar als giftig. Polyphenole werden im menschlichen Körper meist nicht unverändert resorbiert und zeigen daher abhängig von der chemischen Struktur recht unterschiedliches pharmakokinetisches Verhalten,[21][22] weshalb Ergebnisse von In-vitro-Experimenten mit Polyphenolen alles in allem nur eingeschränkt auf den Menschen übertragbar sind. Zudem wird ihre Wirkung noch durch den sog. Matrixeffekt anderer sekundärer Pflanzenstoffe moduliert. Für Quercetin beispielsweise ist eine mutagene Wirkung nachgewiesen,[23] liegt es dagegen in einer Pflanzen-Matrix vor, die andere Polyphenole wie etwa Gerbstoffe enthält,[24] überwiegt insgesamt eine antimutagene Wirkung des Pflanzenextraktes.[25]
Hitzestabile Polyphenole (Tannin-, Chlorogen-, Kaffeesäure) können Thiamin zerstören.[26] Diese kommen in Tee, Kaffee, Betelnüssen und verschiedenen Beeren vor. Zudem können Polyphenole die Non-Häm-Eisenresorption konzentrationsabhängig hemmen.[27]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- R. Tsao: Chemistry and biochemistry of dietary polyphenols. In: Nutrients. Band 2, Nummer 12, Dezember 2010, S. 1231–1246, doi:10.3390/nu2121231, PMID 22254006, PMC 3257627 (freier Volltext).
- N. D’Unienville, Henry T. Blake, Alison M. Coates, Alison L. Hill, Maximillian J. Nelson, Jonathan D. Buckley: Effect of food sources of nitrate, polyphenols, L-arginine and L-citrulline on endurance exercise performance: a systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. In: Journal of the International Society of Sports Nutrition. 2021, Band 18, Nummer 1 doi:10.1186/s12970-021-00472-y.
- Q. Wu, J. Zhou: The application of polyphenols in food preservation. In: Advances in food and nutrition research. Band 98, 2021, S. 35–99, doi:10.1016/bs.afnr.2021.02.005, PMID 34507646.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Stéphane Quideau, Denis Deffieux, Céline Douat-Casassus, Laurent Pouységu: Pflanzliche Polyphenole: chemische Eigenschaften, biologische Aktivität und Synthese. In: Angewandte Chemie. Band 123, Nr. 3, 17. Januar 2011, S. 610–646, doi:10.1002/ange.201000044.
- ↑ Eberhard Breitmaier, Günther Jung: Organische Chemie. Grundlagen, Stoffklassen, Reaktionen, Konzepte, Molekülstruktur. 5. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-13-541505-8, S. 342 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Kanti Bhooshan Pandey, Syed Ibrahim Rizvi: Plant polyphenols as dietary antioxidants in human health and disease. In: Oxidative Medicine and Cellular Longevity. Band 2, Nr. 5, 2009, S. 270–278, PMID 20716914, PMC 2835915 (freier Volltext).
- ↑ Polyphenolgehalt von verschiedenen Pflanzen - Früchte, Gemüse, Kräuter. 22. September 2020, abgerufen am 28. September 2020 (deutsch).
- ↑ Susana Soares, Susann Kohl, Sophie Thalmann, Nuno Mateus, Wolfgang Meyerhof: Different phenolic compounds activate distinct human bitter taste receptors. In: Journal of Agricultural and Food Chemistry. Band 61, Nr. 7, 20. Februar 2013, S. 1525–1533, doi:10.1021/jf304198k, PMID 23311874.
- ↑ Berenike Stracke et al.: Polyphenol- und Carotinoidgehalt in Äpfeln und Karotten aus ökologischem und konventionellem Anbau. (PDF) In: Ernährungs Umschau. 2010, abgerufen am 2. November 2024.
- ↑ a b H. Shakoor, J. Feehan, V. Apostolopoulos, C. Platat, A. S. Al Dhaheri, H. I. Ali, L. C. Ismail, M. Bosevski, L. Stojanovska: Immunomodulatory Effects of Dietary Polyphenols. In: Nutrients. Band 13, Nummer 3, Februar 2021, S. , doi:10.3390/nu13030728, PMID 33668814, PMC 7996139 (freier Volltext).
- ↑ N. Yahfoufi, N. Alsadi, M. Jambi, C. Matar: The Immunomodulatory and Anti-Inflammatory Role of Polyphenols. In: Nutrients. Band 10, Nummer 11, November 2018, S. , doi:10.3390/nu10111618, PMID 30400131, PMC 6266803 (freier Volltext).
- ↑ A. Rana, M. Samtiya, T. Dhewa, V. Mishra, R. E. Aluko: Health benefits of polyphenols: A concise review. In: Journal of food biochemistry. Band 46, Nummer 10, Oktober 2022, S. e14264, doi:10.1111/jfbc.14264, PMID 35694805.
- ↑ Y. Kim, J. B. Keogh, P. M. Clifton: Polyphenols and Glycemic Control. In: Nutrients. Band 8, Nummer 1, Januar 2016, S. , doi:10.3390/nu8010017, PMID 26742071, PMC 4728631 (freier Volltext).
- ↑ S. R. Weaver, C. Rendeiro, H. M. McGettrick, A. Philp, S. J. Lucas: Fine wine or sour grapes? A systematic review and meta-analysis of the impact of red wine polyphenols on vascular health. In: European Journal of Nutrition. Band 60, Nummer 1, Februar 2021, S. 1–28, doi:10.1007/s00394-020-02247-8, PMID 32303823, PMC 7867547 (freier Volltext).
- ↑ Giuseppe Grosso, Justyna Godos, Walter Currenti, Agnieszka Micek, Luca Falzone: The Effect of Dietary Polyphenols on Vascular Health and Hypertension: Current Evidence and Mechanisms of Action. In: Nutrients. Band 14, Nr. 3, 27. Januar 2022, S. 545, doi:10.3390/nu14030545, PMID 35276904.
- ↑ R. K. Lall, D. N. Syed, V. M. Adhami, M. I. Khan, H. Mukhtar: Dietary polyphenols in prevention and treatment of prostate cancer. In: International Journal of Molecular Sciences. Band 16, Nummer 2, Februar 2015, S. 3350–3376, doi:10.3390/ijms16023350, PMID 25654230, PMC 4346900 (freier Volltext).
- ↑ K. Ding, W. Jiang, H. Jia, M. Lei: Synergistically Anti-Multiple Myeloma Effects: Flavonoid, Non-Flavonoid Polyphenols, and Bortezomib. In: Biomolecules. Band 12, Nummer 11, November 2022, S. , doi:10.3390/biom12111647, PMID 36358997, PMC 9687375 (freier Volltext).
- ↑ C. Jakobušić Brala, A. Karković Marković, A. Kugić, J. Torić, M. Barbarić: Combination Chemotherapy with Selected Polyphenols in Preclinical and Clinical Studies-An Update Overview. In: Molecules. Band 28, Nummer 9, April 2023, S. , doi:10.3390/molecules28093746, PMID 37175156, PMC 1018028 (freier Volltext).
- ↑ J. Bayes, J. Schloss, D. Sibbritt: Effects of Polyphenols in a Mediterranean Diet on Symptoms of Depression: A Systematic Literature Review. In: Advances in nutrition. Band 11, Nummer 3, Mai 2020, S. 602–615, doi:10.1093/advances/nmz117, PMID 31687743, PMC 7231605 (freier Volltext).
- ↑ C. Di Lorenzo, F. Colombo, S. Biella, C. Stockley, P. Restani: Polyphenols and Human Health: The Role of Bioavailability. In: Nutrients. Band 13, Nummer 1, Januar 2021, S. , doi:10.3390/nu13010273, PMID 33477894, PMC 7833401 (freier Volltext).
- ↑ S. Y. Ng, V. R. Eh Suk, L. T. Gew: Plant polyphenols as green sunscreen ingredients: A systematic review. In: Journal of cosmetic dermatology. Band 21, Nummer 11, November 2022, S. 5409–5444, doi:10.1111/jocd.15170, PMID 35723888.
- ↑ Uta Schindler: Sind alte Apfelsorten besser für Allergiker? In: Spektrum der Wissenschaft. 9. Dezember 2019, abgerufen am 2. November 2024.
- ↑ Julia Anna Helene Kaeswurm et al.: Analyzing Bioaccessibility of Polyphenols in Six Commercial and Six Traditional Apples (Malus domestica Borkh.) during In Vitro and Ex Vivo Oral Digestion. In: Molecular Nutrition & Food Research. Band 67, Nr. 22, November 2023, S. e2300055, doi:10.1002/mnfr.202300055, PMID 37726237 (englisch).
- ↑ J. Heilmann, I. Merford: Aktueller Kenntnisstand zum Metabolismus von Flavonoiden. I. Resorption und Metabolismus von Flavonolen. In: Pharmazie in unserer Zeit. 27(2), 1998, S. 58–65.
- ↑ J. Heilmann, I. Merford: Aktueller Kenntnisstand zum Metabolismus von Flavonoiden.II. Resorption und Metabolismus von Flavonen, Flavanonen, Flavanen, Proanthocyanidinen und Isoflavonoiden. In: Pharmazie in unserer Zeit. 27(4), 1998, S. 173–183.
- ↑ J. T. MacGregor, L. Jurd: Mutagenicity of plant flavonoids: Structural requirements for mutagenic activity. In: Mutation Res. 54, 1978, S. 297–309.
- ↑ A. Dauer, P. Metzner, O. Schimmer: Proanthocyanins from the bark of Hammamelis virginiana exhibit antimutagenic properties against nitroaromatic compounds. In: Planta Med. 64, 1998, S. 324–327.
- ↑ O. Schimmer: Pflanzliche Antimutagene. In: Dtsch. Apoth. Ztg. 139, 1999, S. 51–62.
- ↑ Hans Konrad Biesalski: Vitamine, Spurenelemente und Minerale: Indikation, Diagnostik, Therapie. 3. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2024, ISBN 978-3-13-245166-7, S. 108, doi:10.1055/b-0039-168614.
- ↑ Hans Konrad Biesalski: Vitamine, Spurenelemente und Minerale: Indikation, Diagnostik, Therapie. 3. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2024, ISBN 978-3-13-245166-7, S. 169, doi:10.1055/b-0039-168617.