Missa solemnis
Der lateinische Begriff Missa solemnis bzw. Missa sollemnis bedeutet übersetzt „feierliche Messe“.
In der Liturgie bezeichnete missa sollemnis seit Papst Gregor dem Großen das Hochamt; im Mittelalter war damit das Pontifikalamt und seit dem 10./11. Jahrhundert das Levitenamt mit Priester, Diakon und Subdiakon gemeint.[1]
In der Musik wird der Begriff für eine besonders festliche und umfangreiche Vertonung mit entsprechender Besetzung des Ordinariums der heiligen Messe, also der feststehenden Teile der Liturgie, benutzt: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei, die in der Regel weiter in Einzelsätze unterteilt sind. Messen dieses Typs kamen Mitte des 17. Jahrhunderts in Italien auf und verbreiteten sich ab dem 18. Jahrhundert auch nördlich der Alpen. Italienische Komponisten benutzten auch die Bezeichnung Missa concertata, während die Form in Deutschland auch als Kantatenmesse bezeichnet wird, ein ausgesprochen irreführender Begriff, weil keinerlei Bezug zur Form der Kantate besteht.
Eine große Messe geht sowohl im Umfang als auch in ihrer symphonischen Komposition nicht selten über die Möglichkeiten einer Aufführung im liturgischen Rahmen hinaus, so dass konzertante Aufführungen häufig sind.
Der Missa solemnis steht gegenüber die Missa brevis, bei der der gesamte Ordinariumstext in einer musikalisch einfacheren Form vertont wird. Eine Mischform stellt die Missa brevis et solemnis dar, die die musikalisch kürzere Form mit einer „solemnen“, festlichen Orchesterbesetzung mit Trompeten und Pauken – seltener auch Oboen und Hörnern – verbindet.
Das prototypische Modell einer vollentwickelten Missa solemnis des 18. Jahrhunderts umfasst folgende Merkmale:
- Das Kyrie ist dreisätzig, wobei das Christe eleison Solostimmen einsetzt, und das Kyrie II oft als Fuge gestaltet ist.
- Das Gloria kann in bis zu elf Einzelsätze unterteilt sein, typischerweise mit dem Laudamus te als Sopran-Arie und dem Quoniam als Bass-Arie sowie dem Cum Sancto Spiritu als Fuge ausgeführt
- Die Intonationen des Priesters in Gloria und Credo sind mitvertont
- Das Credo ist drei- oder mehrsätzig
- Das meist chorisch besetzte Sanctus beginnt langsam, geht bei Pleni sunt coeli in schnelleres Tempo über, gefolgt von einem Hosanna als Fuge. Das Benedictus dagegen ist in der Regel solistisch besetzt, das Hosanna II wieder chorisch
- Das Agnus Dei ist zweiteilig mit langsamem Anfangsteil und Dona nobis pacem als Fuge
Messen aus dem 18. Jahrhundert, die diesem Typus mehr oder weniger entsprechen, sind u. a.:
- Alessandro Scarlatti: Messa die Santa Cecilia MV 6
- Jan Dismas Zelenka: Missa circumcisionis ZWV 11
- Johann David Heinichen: Missa Nr. 9 in D
- Johann Sebastian Bach: h-Moll-Messe BWV 232
- Johann Adolf Hasse: Missa in d
- Franz Xaver Richter: Missa Hyemalis
- Ignaz Holzbauer: Missa in C
- Johann Stamitz: Missa solemnis in D
- Leopold Mozart: Missa solemnis in C
- Johann Georg Schürer: Missa in d
- František Xaver Brixi: Missa integra
- Joseph Haydn: Missa Cellensis in honorem Beatissimae Virginis Mariae Hob. XXII:5
- Carl Ditters von Dittersdorf: Missa solemnis in C
- Wolfgang Amadeus Mozart: Große Messe in c-Moll KV 427
- Vincenzo Righini: Missa solemnis in d
Ab dem 19. Jahrhundert wird der Begriff zumeist für sinfonisch angelegte Werke mit entsprechend großen Dimensionen gebraucht. Das bekannteste Werk der Gattung ist wohl die Missa solemnis von Ludwig van Beethoven. Die Petite Messe solennelle (französisch „kleine feierliche Messe“) von Gioachino Rossini ist in einigen Elementen dem Vorbild der Beethovenschen Missa solemnis verpflichtet. Weitere Beispiele sind die Messe solennelle en l’honneur de Sainte-Cécile von Charles Gounod und die Messe solennelle von Hector Berlioz.
Literatur
- Peter Ackermann: Messe – V. Mehrstimmige Messvertonungen 17. bis 20. Jahrhunderts. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Neuausgabe. Sachteil Band 6. Bärenreiter/Metzler, Kassel/Stuttgart 1997, ISBN 3-7618-1107-1, Sp. 204–219.
- Joseph Dyer: Roman Catholic church music. In: Grove Music Online (englisch; Abonnement erforderlich).
- Wolfgang Hochstein: Die Messe. In: Wolfgang Hochstein, Christoph Krummacher (Hrsg.): Geschichte der Kirchenmusik. Band 2: Das 17. und 18. Jahrhundert (= Enzyklopädie der Kirchenmusik Band I/2). Laaber-Verlag, Laaber 2012, ISBN 978-3-89007-752-9, S. 216–232.
- Horst Leuchtmann, Siegfried Mauser: Messe und Motette. Laaber-Verlag, Laaber 1998, ISBN 3-89007-132-5, S. 233–248.
- Hans Musch: Entwicklung und Entfaltung der christlichen Kultmusik des Abendlandes. In: ders. (Hrsg.): Musik im Gottesdienst. Band 1: Historische Grundlagen, Liturgik, Liturgiegesang. 5. Auflage. ConBrio, Regensburg 1994, ISBN 3-930079-21-6, S. 9–97.
- Hubert Unverricht: Die orchesterbegleitete Kirchenmusik von den Neapolitanern bis Schubert. In: Karl Gustav Fellerer (Hrsg.): Geschichte der katholischen Kirchenmusik. Band 2. Bärenreiter, Kassel 1976, ISBN 3-7618-0225-0, S. 157–172.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Josef Andreas Jungmann: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe. Band I, 5. Aufl., Herder, Wien-Freiburg-Basel 1962, S. 232 Anm. 40.; S. 265f.