Jules Ferry
Jules François Ferry (* 5. April 1832 in Saint-Dié-des-Vosges; † 17. März 1893 in Paris) war ein französischer Politiker der Dritten Republik. Er war 1880–81 und 1883–85 Ministerpräsident sowie mehrmals Minister (u. a. für Bildung und Künste sowie für Auswärtiges). Er gehörte zur Fraktion der „Gemäßigten Republikaner“.[1] In der Hochphase des Imperialismus war Ferry ein Hauptverfechter der französischen Kolonialexpansion, die er mit einer angeblichen Zivilisierungsmission („Mission civilisatrice“) gegenüber den „minderwertigen Rassen“ rechtfertigte.[2][3] Durch das nach ihm benannte Gesetz Lois Jules Ferry ist er heute vor allem als Bildungspolitiker bekannt.
Leben und Karriere
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jules Ferry war von Beruf Jurist und gehörte dem linken republikanischen Lager an. Er tat sich als Gegner des Zweiten Kaiserreiches hervor und war ab 1869 Parlamentsmitglied. In dieser Zeit befasste er sich vor allem mit der französischen Innenpolitik. Nach Ausrufung der Dritten Republik war er als Nachfolger Étienne Aragos von November 1870 bis Juni 1871 Bürgermeister von Paris. In diese Zeit fiel der Aufstand der Pariser Kommune, den Ferry ablehnte und niederschlagen ließ.
Im Februar 1879 trat er als Minister für Unterricht und Kunst in das Kabinett von William Henry Waddington ein. Zu seinen Leistungen zählte 1880 die Einführung des unentgeltlichen und verpflichtenden Grundschulbesuchs. Darüber hinaus drängte er den Einfluss der Jesuiten auf das Schulsystem zurück, organisierte die Lehrerausbildung neu und ließ die erste staatliche Mädchenschule einrichten. Schon kurz nachdem er am 23. September 1880 sein erstes Kabinett als Ministerpräsident bildete, wandte er sich jedoch vor allem der Kolonialpolitik zu. Bereits auf dem Berliner Kongress von 1878 hatten die europäischen Mächte Frankreich die Übernahme Tunesiens aus den Resten des zerfallenden Osmanischen Reiches in Aussicht gestellt. Ferry ging unmittelbar nach seinem Regierungsantritt an die Verwirklichung dieses Anspruchs, bei der Frankreich sich in Konkurrenz mit Italien befand, und schuf 1881 das französische Protektorat Tunesien.
Am 2. April 1880 nahm er am Pädagogischen Kongress teil und sprach sich gegen die häufige Verwendung des Diktats[4] im Französischunterricht aus. Die knappe Unterrichtszeit solle auf einen auf das Verstehen ausgerichteten Unterricht verwendet werden. Er gelang ihm jedoch nicht, damit bei der Lehrerschaft durchzudringen.
Auf Druck dortiger Wirtschaftsvertreter gab er im Frühjahr 1881 den Befehl zum Einmarsch und zur Besetzung Tunesiens,[5] der im Bardo-Vertrag zur Schaffung des französischen Protektorats über das nordafrikanische Land führte. Im November 1881 gab Ferry den Vorsitz des Kabinetts vorübergehend an Léon Gambetta ab. Im Februar 1883 wurde Ferry erneut zum Premierminister gewählt. Während seiner zweiten Amtszeit als Regierungschef war er zugleich Außenminister. In dieser Zeit konzentrierte er sich auf die Eroberung Tonkins (im Norden des heutigen Vietnam). In Afrika weitete derweil Pierre Savorgnan de Brazza weitgehend unabhängig von der Regierung das französische Territorium im Kongo aus. Auch im Senegal vergrößerten französische Truppen die Kolonie.
Mitte der 1880er Jahre stand Ferry zunehmend unter politischem Druck. Während die monarchistischen Konservativen die Republik ablehnten, verringerte die expansive Kolonialpolitik Ferrys Rückhalt in der Linken, wo Georges Clemenceau sein wichtigster Gegenspieler wurde. Dass die Kolonialpolitik mit Bismarck abgestimmt war, verringerte allgemein Ferrys Popularität. Als 1884 ein Kolonialkrieg mit China ausbrach, war der Rückhalt der Regierung vollkommen zerrüttet. Am 30. März 1885 stürzte das Parlament die Regierung Ferrys.
Jules Ferry wurde 1889 Vorsitzender der Association nationale républicaine, der Vereinigung der gemäßigten oder „opportunistischen“ Republikaner. Er wurde 1891 in den französischen Senat und am 24. Februar 1893 zu dessen Präsidenten gewählt. Drei Wochen später starb er an einem Herzinfarkt.[1]
Ehrungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wegen seiner Verdienste für die öffentliche Bildung und die Demokratisierung der Schule wurden zahlreiche Straßen, Plätze und öffentliche Einrichtungen nach ihm benannt, darunter 642 Grundschulen, Collèges und Gymnasien, z. B. seit 1962 das Lycée Jules-Ferry in der Stadt Saint-Dié-des-Vosges. Damit ist Jules Ferry mit Abstand der häufigste Namengeber bei den öffentlichen Schulen Frankreichs.
Andere Namensgebungen sind verschwunden, so benannte Tunesien die Avenue Jules-Ferry[6] in Tunis weniger als drei Monate nach der Unabhängigkeit nach dem Unabhängigkeitspolitiker in Avenue Habib Bourguiba um. Auch der tunesische Ort Ferryville verschwand von der Landkarte und erhielt 1957 den Namen Menzel Bourguiba.[7]
Schriften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Discours et opinions, A. Colin & cie, Paris 1893–98
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Jean-Michel Gaillard: Jules Ferry. Fayard, Paris 1989, ISBN 2-213-02276-3 (persee.fr).
- Jean El Gammal, François Roth und Jean-Claude Delbreil: Dictionnaire des Parlementaires lorrains de la Troisième République. Serpenoise, Metz 2006, ISBN 978-2-87692-620-2, S. 356–358 (worldcat.org).
- Max Nordau: Französische Staatsmänner (Illustrierte Biographien). Musaicum Books, ISBN 978-80-272-6309-7, S. 92–102.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Zeitungsartikel über Jules Ferry in den Historischen Pressearchiven der ZBW
- 28 juillet 1885: Jules Ferry: « Les races supérieures ont un droit sur les races inférieures » (France)
- Jules, François, Camille Ferry. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 5. März 2023 (französisch).
- Ferry, Jules (1832–1893). In: Persée. Abgerufen am 5. März 2023 (französisch).
- Angaben zu Jules Ferry in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France, abgerufen am 5. März 2023.
- Literatur von und über Jules Ferry im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b FERRY Jules. In: Senat.fr. Abgerufen am 5. März 2023 (französisch).
- ↑ Boris Barth, Rolf Hobson: Civilizing Missions in the Twentieth Century. Brill, Leiden 2020, S. 211.
- ↑ Gabriele Metzler: "Wir" und die "Anderen": europäische Selbstverständigungen. In: Informationen zur politischen Bildung (IzpB), 20. November 2018.
- ↑ Collectif de linguistes: Les linguistes atterrées : Le Français va très bien, merci. Hrsg.: Antoine Gallimard, Alban Cerisier (= Collection Tracts Gallimard. Nr. 49). Éditions Gallimard, Paris 2023, ISBN 978-2-07-303669-8, S. 33.
- ↑ Walter Schicho: Handbuch Afrika – Nord- und Ostafrika. Band 3/3. Brandes & Apsel Verlag / Südwind, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-86099-122-1, S. 107.
- ↑ Gabriele Montalbano: Les Italiens de Tunisie : La construction d’une communauté entre migrations, colonisations et colonialismes (1896–1918) (= Collection de l’École française de Rome). École française de Rome, Roma 2023, ISBN 978-2-7283-1585-7, S. 123.
- ↑ Karima Dirèche, Nessim Znaien, Aurélia Dusserre: Histoire du Maghreb depuis les indépendances: États, sociétés, cultures. Éditions Armand Colin, Malakoff 2023, ISBN 978-2-200-63179-6, S. 109.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Charles de Freycinet Armand Fallières | Premierminister von Frankreich 23.09. 1880 – 10.11. 1881 21.02. 1883 – 30.03. 1885 | Léon Gambetta Henri Brisson |
Regierungssekretär 04.09. 1870 – 19.02. 1871 | ||
Agénor Bardoux selbst selbst Paul Bert Jules Duvaux | Bildungsminister 04.02. 1879 – 21.12. 1879 28.12. 1879 – 23.09. 1880 23.09. 1881 – 10.11. 1881 30.01. 1882 – 07.08. 1882 21.02. 1883 – 20.11. 1883 | selbst selbst Paul Bert Jules Duvaux Armand Fallières |
Paul Challemel-Lacour | Außenminister 20.11. 1883 – 30.03. 1885 | Charles de Freycinet |
Philippe Le Royer | Französischer Senatspräsident 24.02. 1893 – 17.03. 1893 | Paul Challemel-Lacour |
Étienne Arago | Bürgermeister von Paris 15.11. 1870 – 05.06. 1871 | Joseph Vautrain |
Personendaten | |
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NAME | Ferry, Jules |
ALTERNATIVNAMEN | Ferry, Jules François (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Politiker |
GEBURTSDATUM | 5. April 1832 |
GEBURTSORT | Saint-Dié-des-Vosges |
STERBEDATUM | 17. März 1893 |
STERBEORT | Paris |