„Wachs – Apollo – Milli – Unschlitt“ – Versionsunterschied
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Das 31,5 × 24,5 cm<ref>{{Internetquelle |url=https://forschung.tmw.at/archive/content/titleinfo/2762 |titel=Wachskerzen |werk=forschung.tmw.at |abruf=2024-03-05}}</ref> große Blatt zeigt vier personifizierte [[Kerze]]n namens ''Wachs'', ''Apollo'', ''Milli'' und ''Unschlitt''. Die körperliche Nähe und die räumliche Distanz zu den beiden Gesellen links und rechts definieren ''Apollo'' und ''Milli'' eindeutig als zusammengehörig. Das Paar tritt selbstbewusst auf, ist modisch und adrett gekleidet, kunstvoll frisiert und von einer kultivierten Aura umgeben. Er schreitet stolz erhobenen Hauptes und wirkt dadurch siegesgewiss, aber auch recht [[Affektiertheit|affektiert]]. Sie hat sich bei ihm untergehakt, ihre Mimik entlarvt sie als [[Einfalt|einfältiges]] [[Kreatur|Geschöpf]]. Hinter den beiden Personen ragen zwei reinweiße, hochglanzpolierte, sauber und gleichmäßig abbrennende Kerzen hervor. |
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Die beiden anderen Figuren stehen dazu im krassen Gegensatz. ''Wachs'' trägt zwar ebenfalls höfische Kleidung, diese ist jedoch in schlechtem Zustand, die Hose verbeult, die Strümpfe grau, das Jackett abgetragen und mit Wachs bekleckert. Die aus der linken Jackentasche herausschauende Flasche und die rote Nase unterstreichen die Verwahrlosung. Der [[Kastellan]] trägt in seiner Rechten ein qualmendes [[Kerzenlöscher|Löschhütchen]], seine Haltung ist gekrümmt, seine Kerze tropft und flackert. Noch unergiebiger ist der Abbrand bei ''Unschlitts'' Kerze. Statt Licht entströmen ihr nur [[Rauch|Qualm]] und [[Ruß]]. Herunterlaufende dicke Schlieren lassen den Mann fast ersticken. Arbeitskleidung und Bart verweisen auf eine einfache Herkunft, Schusterhammer, [[Schuh]] und [[Leim]]topf auf einen [[Schuhmacher]]. |
Die beiden anderen Figuren stehen dazu im krassen Gegensatz. ''Wachs'' trägt zwar ebenfalls höfische Kleidung, diese ist jedoch in schlechtem Zustand, die Hose verbeult, die Strümpfe grau, das Jackett abgetragen und mit Wachs bekleckert. Die aus der linken Jackentasche herausschauende Flasche und die rote Nase unterstreichen die Verwahrlosung. Der [[Kastellan]] trägt in seiner Rechten ein qualmendes [[Kerzenlöscher|Löschhütchen]], seine Haltung ist gekrümmt, seine Kerze tropft und flackert. Noch unergiebiger ist der Abbrand bei ''Unschlitts'' Kerze. Statt Licht entströmen ihr nur [[Rauch|Qualm]] und [[Ruß]]. Herunterlaufende dicke Schlieren lassen den Mann fast ersticken. Arbeitskleidung und Bart verweisen auf eine einfache Herkunft, Schusterhammer, [[Schuh]] und [[Leim]]topf auf einen [[Schuhmacher]]. |
Version vom 5. März 2024, 11:12 Uhr
Wachs – Apollo – Milli – Unschlitt ist eine durch den Kupferstecher Andreas Geiger d. J. vervielfältigte Karikatur des österreichischen Zeichners Anton Elfinger, genannt Cajetan. Das Blatt entstand 1847 als „Satyrisches Bild No. 94“ für die Wiener Theaterzeitung und zeigt vier personifizierte Kerzen aus drei Kerzenrohstoffen: Bienenwachs, Stearin und Talg. Die beiden makellosen Kerzen im Zentrum sind flankiert von tropfenden, rußenden, qualmenden Pendants. Ihre Namen „Apollo“ und „Milli“ beziehen sich auf zwei, 1839 und 1837 in Wien gegründete Stearinkerzenfabriken gleichen Namens. Die Grafik ist einerseits ein Loblied auf die Entwicklung der Stearinkerze. Andererseits karikiert sie die Arroganz einer neureichen Oberschicht.
Beschreibung der Karikatur
Das 31,5 × 24,5 cm[1] große Blatt zeigt vier personifizierte Kerzen namens Wachs, Apollo, Milli und Unschlitt. Die körperliche Nähe und die räumliche Distanz zu den beiden Gesellen links und rechts definieren Apollo und Milli eindeutig als zusammengehörig. Das Paar tritt selbstbewusst auf, ist modisch und adrett gekleidet, kunstvoll frisiert und von einer kultivierten Aura umgeben. Er schreitet stolz erhobenen Hauptes und wirkt dadurch siegesgewiss, aber auch recht affektiert. Sie hat sich bei ihm untergehakt, ihre Mimik entlarvt sie als einfältiges Geschöpf. Hinter den beiden Personen ragen zwei reinweiße, hochglanzpolierte, sauber und gleichmäßig abbrennende Kerzen hervor.
Die beiden anderen Figuren stehen dazu im krassen Gegensatz. Wachs trägt zwar ebenfalls höfische Kleidung, diese ist jedoch in schlechtem Zustand, die Hose verbeult, die Strümpfe grau, das Jackett abgetragen und mit Wachs bekleckert. Die aus der linken Jackentasche herausschauende Flasche und die rote Nase unterstreichen die Verwahrlosung. Der Kastellan trägt in seiner Rechten ein qualmendes Löschhütchen, seine Haltung ist gekrümmt, seine Kerze tropft und flackert. Noch unergiebiger ist der Abbrand bei Unschlitts Kerze. Statt Licht entströmen ihr nur Qualm und Ruß. Herunterlaufende dicke Schlieren lassen den Mann fast ersticken. Arbeitskleidung und Bart verweisen auf eine einfache Herkunft, Schusterhammer, Schuh und Leimtopf auf einen Schuhmacher.
Übertitelt ist der kolorierte Kupferstich mit „Satyrisches Bild No. 94“, als Verlag wird am unteren Plattenrand „Wien im Bureau der Theaterzeitung, Rauhensteingasse No. 926“ genannt. Die Namen der Urheber sind direkt unter dem Bild aufgeführt: „Cajetan del. – Andr. Geiger sc.“
Künstler und Kunstwerk
Cajetan war das Pseudonym des Wiener Arztes Anton Elfinger, der Christian Schöller 1842 als Zeichner für die Wiener Theaterzeitung ablöste. Die anschließend von Andreas Geiger, gen. der Jüngere, gestochenen, handkolorierten Karikaturen wurden den Abonnements in unregelmäßigen Abständen beigelegt sowie im angegebenen Verlagshaus verkauft. Besonders beliebt – und auflagesteigernd – waren Cajetans „Rebus“-Bilderrätsel und die „Satyrischen Bilder“. Thematisiert wurden vor allem Modetrends und Eigenheiten der Wiener, hin und wieder auch die sozialen Missstände. Nach der Aufhebung der Pressezensur während der Revolution von 1848/1849 im Kaisertum Österreich, konzentriert sich Cajetan auf politische Inhalte.[2] Ein Beispiel ist die Beilage Der letzte Haslinger zur Theaterzeitung vom 20. Mai 1848. Sie zeigt den Jubel um die Abschaffung der „Züchtigung mit Stock- oder Ruthenstreichen“ per Dekret vom 12. Mai 1848.[3] Das Wiener Theatermuseum führt auf seiner Website 28 Digitalisate der gemeinsamen Arbeit von Elfinger und Geiger für das Journal auf.[4]
Das „Satyrische Bild No. 94“ war die Beilage zur Ausgabe vom 27. November 1847, in der sich auch der zugehörige, mit rund 900 Wörtern recht umfangreiche Artikel findet. Nach seinem Plädoyer für „Weniger Beleuchtung!“ leitet ein gewisser Mahler von den bedauernswerten Entwicklungen der Neuzeit zum Thema Kerzen über. Unschlittkerzen („Schusterkerzen“) würden nur noch vom Volk benutzt und Wachskerzen fast gar nicht mehr gebraucht. Stattdessen erhellten Apollo- und Milli-Kerzen die Nacht und machten sie zum Tag. Es folgt eine wenig stringente Stellungnahme zur Darstellung, wobei offenbleibt, ob sie das Ansinnen des Zeichners, die Meinung des Verfassers oder einfach nur die Gedanken Millis wiedergibt.[5] Der Leser erfährt weder etwas über die beiden Künstler noch über die namensgebenden Fabriken und ist bei der Deutung auf sich selbst gestellt.
Kerzenproduktion um 1850
Die Stearinkerze revolutionierte im 19. Jahrhundert den Kerzenmarkt. Die 1825 patentierte Erfindung der Pariser Chemiker Eugène Chevreul und Joseph Louis Gay-Lussac erübrigte – in Verbindung mit dem angepassten Kerzendocht von Cambacérès – das lästige „Lichtputzen“. Darüber hinaus flackerten, rauchten und rußten die neuen Lichter wenig bis gar nicht und sie konnten gegossen, also mit viel weniger Aufwand hergestellt werden. Die erste nennenswerte Produktionsstätte gründeten die beiden Ärzte Louis-Adolphe de Milly und Adolphe Motard 1831 unweit der Place de l’Étoile, was den Erzeugnissen im deutschen Sprachraum die Namen „Sternkerzen“ und „Millykerzen“ einbrachte. Erst danach setzte sich die Bezeichnung „Stearinkerze“ durch.[6][7]
Die traditionellen Kerzen hatten damit auf einen Schlag ausgedient. Aus Bienenwachs hergestellte Produkte waren ohnehin sehr teuer und daher immer schon dem Adel und der Kirche vorbehalten gewesen. Dem Volk blieb als Kerzenrohstoff nur der beim Schlachten von Rindern und Schafen als Abfall anfallende, auch als Unschlitt oder Inselt bezeichnete Talg.[8] Schusterkerzen nannte man „eine Gattung ordinärer Unschlittkerzen“.[9] Durch den neuen Rohstoff konnte sich auch die weniger betuchte Bevölkerung sauber abbrennende Kerzen leisten. Er ermöglichte das Kerzengießen und damit eine viel schnellere Produktion als das traditionelle Ziehen. Eine 1856 auf den Markt gebrachte Apparatur des Pariser Mechanikers François-Paul Morane war darauf ausgelegt, stündlich 14.400 Kerzen zu produzieren.[10]
Fabriken als Namensgeber für Milli und Apollo
Die Entwicklung der Stearinkerze machte ständig Fortschritte und die Erfindung verbreitete sich rasant. Um 1835 erreichte sie auch Wien, wo ein gewisser De Milly die erste erfolgreiche Stearinkerzenfabrik Österreichs gründete. Ganz exakt ist diese Person wohl nicht zu identifizieren. Eine auf der Weltausstellung in Wien 1873 dem „Begründer“ gewidmete Büste ist beschriftet mit A. de Milly.[11] Laut einer Festschrift für Kaiser Franz Joseph I. von 1898 ging das Vorhaben von dem Vorreiter Louis-Adolphe de Milly selbst, hier „A.“ genannt, aus. Nach dem 1837 erlangten Privileg zur Kerzenerzeugung habe dieser zuerst eine eigene Fabrik in der Vorstadt Wieden errichtet, dann im Dezember 1839 gemeinsam mit seinem Bruder G. die k.k. Milly-Kerzen-Fabriksgesellschaft G. de Milly, ebenfalls in Wieden.[12] Zumindest erfolgte der Verkauf der Fabrik 1858 an den kurz zuvor nach Wien übergesiedelten Friedrich Albert Sarg durch „Gustav de Milly“.[13]
Die Gründungsgeschichte der Apollo-Kerzenfabrik ist dagegen besser dokumentiert. Angeregt durch den Erfolg des Pariser Unternehmens, rief Wenzel Franz Mareda mit sieben weiteren Wiener Seifensiedern vor 1837 die Erste österreichische Seifensieder-Gewerks-Gesellschaft ins Leben. Für die Kerzenherstellung sahen sie eine alte Unschlittschmelze im Wiener Vorort Penzing vor. Trotz bereits existierender Produktionsstätten zum Zeitpunkt der Konzessionserteilung im Januar 1839 blieb die ursprüngliche Firmierung bestehen. Der Produktname „Apollo“ ist auf die Einrichtung der neuen Fabrik im Apollosaal in der Wiener Vorstadt Schottenfeld zurückzuführen. Die große Nachfrage führte 1846 zur Eröffnung eines Filialbetriebs in Penzing. Der Schottenfelder Komplex brannte 1876 ab und wurde nie wieder aufgebaut.[14][15]
Literatur
- Wolfgang Krug: Deckname „Cajetan“. Das Doppelleben des Dr. med. Anton Elfinger (1821–1864). In: Armin Laussegger, Sam Sandra (Hrsg.): Im Bestand. Sammlungswissenschaftliche Einblicke. Tätigkeitsbericht 2022 der Landessammlungen Niederösterreich und des Zentrums für Museale Sammlungswissenschaften. Landessammlungen Niederösterreich, St. Pölten 2023, S. 86–91. Digitalisat
- Mahler: Satyrisches Bild Nr. 94 zur Theaterzeitung. In: Allgemeine Theaterzeitung: Originalblatt für Kunst, Literatur, Musik, Mode und geselliges Leben. 27. November 1847, S. 1136.
- Reinhard Büll: Das große Buch vom Wachs. Geschichte, Kultur, Technik. 2 Bände. Georg D.W. Callwey, München 1977, ISBN 3-7667-0386-2.
- Brockhaus Konversations-Lexikon. 16 Bände. 14., vollständig neubearbeitete Auflage. F. A. Brockhaus, Leipzig / Berlin / Wien 1894 (–1896).
- Die Gross-Industrie Oesterreichs: Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I: dargebracht von den Industriellen Oesterreichs 1898 unter dem hohen Protectorate seiner K. und K. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Franz Ferdinand. Band 6. Leopold Weiss, Wien 1898. Digitalisat
Einzelnachweise
- ↑ Wachskerzen. In: forschung.tmw.at. Abgerufen am 5. März 2024.
- ↑ Wolfgang Krug: Deckname „Cajetan“. In: Im Bestand. Sammlungswissenschaftliche Einblicke. 2023, S. 87 f.
- ↑ Cajetan und der Vormärz. Abgerufen am 1. März 2024.
- ↑ Online-Sammlung. In: theatermuseum.at. Abgerufen am 29. Februar 2024.
- ↑ Mahler: Satyrisches Bild Nr. 94 zur Theaterzeitung. 27. November 1847, S. 1136.
- ↑ Kerze. In: Brockhaus Konversations-Lexikon. 14. Auflage. Band 10, 1894, S. 308 f., hier S. 309.
- ↑ Reinhard Büll: Das große Buch vom Wachs. Band 2, 1977, S. 662–665.
- ↑ Talg. In: Brockhaus Konversations-Lexikon. 14. Auflage. Band 15, 1896, S. 594.
- ↑ Jahresbericht des Kais. Kön. Obergymnasiums zu den Schotten in Wien. Wien 1865, S. 37. Digitalisat
- ↑ Jean-Baptiste Fressoz: Une histoire matérielle de la lumière. In: Face à la puissance. Une histoire des énergies alternatives à l'âge industriel. La Découverte, Paris 2020, ISBN 978-2-348-05752-6, S. 84–99, hier S. 88 (französisch).
- ↑ Weltausstellung 1873: Büste des A. de Milly. Abgerufen am 29. Februar 2024. danach Reinhard Büll: Das große Buch vom Wachs. Band 2, 1977, S. 665.
- ↑ F.A. Sarg’s Sohn & Co. In: Die Gross-Industrie Oesterreichs: Festgabe […] dargebracht von den Industriellen Oesterreichs 1898. Band 6, S. 41–43, hier S. 41.
- ↑ Johann Heinrich Karl Sarg. In: Wien Geschichte Wiki. Abgerufen am 29. Februar 2024.
- ↑ Erste österreichische Seifensieder-Gewerks-Gesellschaft „Apollo“. In: Die Gross-Industrie Oesterreichs: Festgabe […] dargebracht von den Industriellen Oesterreichs 1898. Band 6, S. 37 f., hier S. 37.
- ↑ Apollo-Kerzenfabrik (7). In: Wien Geschichte Wiki. Abgerufen am 29. Februar 2024. Apollo-Kerzenfabrik (14). In: Wien Geschichte Wiki. Abgerufen am 29. Februar 2024.