A Clockwork Orange

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Komposition und Film


Hochschule der Medien
Sommersemester 2010

Lena Rothfuß | Marcus Mangeot

 
 

A CLOCKWORK ORANGE

Der Film A Clockwork Orange, basierend auf dem im Jahre 1962 erschienenen, gleichnamigen Roman von Anthony Burgess.
Sowohl der Film, als auch das Buch thematisieren die Entscheidungsfreiheit des Individuums. Beide schaffen "eine pessimistische
Zukunftsvision um einen gewalttätigen Jugendlichen voller intellektueller Überheblichkeit".
(Klassiker der Filmmusik, Hrsg.: Moormann, Peter, ISBN: 978-3-15-018621-3, Verlag: Reclam)

Burgess und Kubrick stellen die Freiheit mit ihrer Wahl zur Böswilligkeit der durch Gehirnwäsche konditionierten Güte der Menschen
gegenüber. Dies erinnert stark an die Debatte um die Erbsünde, stammend aus der christlichen Theologie, ob der Mensch die freie
Wahl hat zwischen gut oder böse oder von Geburt an eine vorbelastete Freiheitsgeschichte hat.

„Der Mensch ist ein Mikrokosmos, er ist ein Gewächs, organisch wie eine Frucht, er hat Farbe, Zerbrechlichkeit und Süße. Ihn zu
manipulieren, zu konditionieren, bedeutet ihn in ein mechanisches Objekt zu verwandeln – eine Uhrwerk-Orange.“ (Anthony
Burgess, Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Uhrwerk_Orange(Film) )

DER FILM

Produziert in Englang, erschien A Clockwork Orange im Jahre 1971 unter der Regie von Stanley Kubrick. A Clockwork Orange ist ein sehr
umstrittener Film, wirkt er durch die vielen Gewaltszenen sehr schockierend und irritierend. A Clockwork Orange wurde kritisiert,
zensiert, indiziert und von Kubrick selbst vom Markt genommen. Die zahlreiche Kritik titelte: "Glorifizierung sadistischer Gewalt"
und die Science Fiction Times schrieb: „Lasst uns töten, Kameraden, bevor eine zukünftige Gesellschaft uns gut und harmlos macht: Das
ist die Botschaft des Films.“ - http://de.wikipedia.org/wiki/Uhrwerk_Orange(Film).
Die Altersfreigabe wurde auf 16, bzw. 18 festgesetzt. In Großbritannien wurde A Clockwork Orange bis nach Kubricks Tod
weitestgehend unter Verschluss gehalten und erst nach 27 Jahren gezeigt.

 
 

HANDLUNG

Akt 1 (A)
A Clockwork Orange spielt in einem England der Zukunft, genau genommen in einem verfremdeten, trostlosen Vorort Londons. Gewalt
und Drogen gehören zum täglichen Leben der Jugend. Auch das Leben von Beethoven-Liebhaber Alex und seiner Jugend-Bande, den
Droogs, wird von allabendlichen Streifzügen mit Gewalt an Wehrlosen, Schlägereien, Vergewaltigungen und Raubüberfallen
dominiert. Im Laufe der Zeit wird die Stimmung innerhalb der Gruppe zunehmend angespannter und gipfelt in einem Machtkampf
zwischen Alex und seinen Droogs, den Alex vorerst für sich entscheiden kann. Eines Tages wird Alex jedoch bei einem Einbruch
festgenommen, da ihn seine Droogs niederschlagen und liegen lassen.
Akt 2 (B)
Wegen Mordes wird Alex daraufhin zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Um diese zu verkürzen meldet er sich freiwillig für eine
neue Therapieform, die „Ludovico-Technik“, deren Ziel eine dauerhafte Aversion gegen Gewalt ist. Am Ende der Therapie wird
Alex als scheinbar geheilt entlassen, doch sind die Auswirkungen der Therapie verheerend. Beim geringsten Gedanken an Gewalt oder
sexuelle Handlungen erlebt Alex intensive körperliche Schmerzen. Er wird zum wehrlosen Opfer.
Akt 3 (A’)
Seine Eltern wollen nichts von ihm wissen und nehmen ihn nicht wieder in der elterlichen Wohnung auf. Er ist alleine, sein Zimmer
untervermietet. Entlassen in die Freiheit kreuzen nun seine früheren Opfer erneut seinen Weg und nehmen Rache. Umher treibend,
nicht wissend wohin er nun soll trifft er den alten Obdachlosen den er einst zusammengeschlagen hatte und nun von ihm und seinen
obdachlosen Gefährten zur Rechenschaft gezogen wird. Zwei heran eilende Polizisten erretten ihn aus der prekären, hilflosen Lage,
doch sind die vermeintlichen Retter zwei von Alex alten Droogs, die sich ebenfalls an ihm rächen wollen. Sie verschleppen Alex in ein
abgelegenes Waldstück und verprügeln ihn brutal. Halbtot irrt Alex weiter durch die Nacht und schleppt sich zu einer Villa die ihm
seltsam vertraut erscheint ohne zu ahnen, dass er einst hier einen Überfall ausübte der ihn nun wieder einholen soll. Ein Schriftsteller,
der durch Alex Brutalität zum Krüppel wurde nimmt ihn bei sich auf und erkennt alsbald Alex wahre Identität. So will auch er Rache
an Alex nehmen und quält ihn so sehr, dass Alex nur noch einen Ausweg sieht und die Situation in einem Suizidversuch gipfelt. Doch
Alex überlebt und wird im Krankenhaus gepflegt. Die Regierung, kurz vor den Wahlen stehend, nutzt ihrerseits die Situation aus, um
mit der Heilung von Alex auf Stimmenfang zu gehen. A Clockwork Orange endet mit den Alex Worten „Ich war geheilt, alright“.

 
 

AUFBAU

Der Handlungsverlauf des Films entspricht der klassischen Einteilung in drei Akte. Eine Besonderheit ist jedoch, dass der letzte Akt,
wenn Alex wieder geheilt in die Freiheit entlassen wird, eine Spiegelung des ersten Aktes ist. Daher wird in der vorliegenden Arbeit
von einen A, B, A’ Form des Films gesprochen. Dies ist in unter den Aspekten der musikalischen Komposition des Film von besonderer
Bedeutung und wird im Verlauf dieser Arbeit zunehmend verdeutlicht.

KOMPONIST

Die musikalische Leitung von A Clockwork Orange unterlag Wendy Carlos (zu Zeiten der Dreharbeiten noch Walter Carlos. Sie unterzog
sich 1972 einer Geschlechtsumwandlung). Wendy Carlos ist eine US-amerikanische Elektronikmusikerin und Komponistin.
Sie produzierte eines der ersten Alben, die den Synthesizer als Alternative zum Orchester einzusetzen versuchte:
Switched-On Bach. Ferner trieb sie die Technologie von Synthesizern voran, indem sie mit Robert Moog an der Entwicklung des ersten
kommerziell erhältlichen Synthesizer arbeitete.

Kubrick sagte selbst: „I think that I've heard most of the electronic and musique concrète LPs there are sale in Britain, Germany,
France, Italy, and the United States; not because I particularly like this kind of music, but out of my researches for 2001 and Clockwork
Orange. I think Walter Carlos is the only electronic composer and realizer who has managed to create a sound which is not an attempt
at copying the instruments of the orchestra and yet which, at the same time, achieves a beauty of its own employing electronic
tonalities.“ - Die Semantisierung von Musik im filmischen Werk Stanley Kubricks, Stephan Sperl,

 
 

SOUNDTRACK

Quelle: eigene Darstellung

Betrachtet man die Auswahl der Tracks auf dem Soundtrack fällt auf, dass nur wenige Stücke ausgewählt wurden um den gesamten
Film zu untermalen. Es handelt sich nur um 15 Lieder, wobei Dreiviertel hiervon aus der klassischen Musik stammen. Durch die
geringe Zahl an verschiedenen Musikstücken - es fällt auch auf, dass Komponisten oft mehrere Stücke beigesteuert haben, das heißt,
dass die wenigen verwendeten Musiktitel auch inhaltlich zusammen passen - erhält A Clockwork Orange verstärkt latente musikalische
Leitmotive. Bei der Auswahl der klassischen Werke, handelt es sich teilweise um die populärsten Werke der Klassik, beispielsweise
Beethovens 9. Symphonie, bekannt als Europahymne.

 
 

Quelle: eigene Darstellung

Sechs Titel sind von Wendy Carlos, teilweise auf klassischen Werken basierend. Alle Titel des Soundtracks waren also schon vorher
existent, wurden teilweise dann von Wendy Carlos synthetisiert.
Die kalten synthetischen Klangfarben spiegeln die künstliche, futuristische Welt wieder, in der die Figuren agieren.

 
 

ANALYSE DER FILMMUSIK

Quelle: eigene Darstellung – vgl. Die Semantisierung von Musik im filmischen Werk Stanley Kubricks, Stephan Sperl

Übersicht zur Verteilung und Wiederkehr der verwendeten Musik, beinhaltet auch die einzelnen Sätze der Symphonien.
In der Liedwahl und Verteilung über den Film hinweg, wird eine A B A' -Form ersichtlich, analog zur Handlung.

 
 

HENRY PURCELL

Funeral Music of Queen Mary

1. Anfangssequenz – Korova Milchbar


2. Rückkehr in die Milchbar nach Gewaltorgie – Züchtigung Dims
3. Begegnung mit der nackten Frau im Erfolgstest
4. Misshandlung durch die Polizei – Weg zum „Home“

Anfangssequenz:
Die unheimliche Atmosphäre des Films wird mittels der Mood Technik unterstützt. Der erste Klang von A Clockwork Orange ist ein
verzerrter Synthesizerklang, der dem Zuschauer direkt und persuasiv die verzerrte Welt von Alex präsentiert.

Funeral Music of Queen Mary ist ein Marsch mit präzisem Takt und Bewegungsrhythmus. Im eigentlichen Sinne also Musik zum
Marschieren, die deswegen die Kamerafahrt durch den Raum heroisch wirken lässt, da es sich bei Funeral Music of Queen Mary
um einen feierlichen königlicher Trauermarsch handelt. Somit wird die Assoziation von Alex als Herrscher generiert und seine Macht
als Anführer der Droogs demonstriert.

Rückkehr:
Selbes geschieht bei der Rückkehr in die Milchbar. Alex Machtposition wird erneut mit Funeral Music of Queen Mary unterstützend
dargestellt. Alex erhält diese Machtposition durch die Züchtigung Dims, der sich unverschämt verhält. Macht zeigt sich, wie so oft in A
Clockwork Orange durch Gewalt und Unterdrückung.
Im Film wird in dieser Szene eine Wende markiert. Mit der Züchtigung Dims, wird Alex Läuterung eingeläutet. Seine Macht
schwindet, die Droogs lehnen sich gegen ihren Anführer auf und verraten ihn letztendlich.

 
 

Erfolgstest:
In der Szene, in welcher der Erfolg des Ludovico-Experiments der Öffentlichkeit präsentiert wird ertönt erneut Purcells Funeral Music of
Queen Mary. Eine nackte Frau kniet vor Alex und er müsste nur noch seine Hand nach ihr ausstrecken um sie zu berühren. Auf Grund
des Experiments ist dies jedoch nicht mehr möglich. Alex wird schlecht, sobald er von Sex oder Gewalt umgeben ist – der bloße
Gedanke in ihm aufkeimt. Seine Machtlosigkeit wird hier auch visuell umgesetzt: Alex wird sehr aufsichtig gezeigt, während die Frau
aus der Froschperspektive zu sehen ist. Die Machtlosigkeit steigert sich bis hin zu der

Misshandlung durch die Polizei:


Wieder ertönt der Trauermarsch, diesmal aber in einer synthetisierten Fassung. Schläge werden mittels Underscoring dargstellt, man
kann schon von Mickymousing sprechen.

Der Trauermarsch dient auch als Symbol für den Tod, unterstützt durch das Motiv der Dies Irae aus der Totenmesse, welches von
Carlos eingefügt wurde. Es zeigt auf der auditiven Ebene die Präsenz vom nahenden Tod, als Steigerung der Machtlosigkeit und der
Gewalt im Bild.

 
 

GIOACHINO ROSSINI

La gazza ladra – die diebische Elster


1. Prügelei mit Billy Boy – Fahrt im Durango
2. Schlägerei unter den Droogs – Planung und Ausführung des Einbruchs – Verrat – Eintreffen der Polizei

Prügelei:
La gazza ladra ist eine Oper des italienischen Komponisten Gioachino Rossini aus dem Jahre 1817. Sie untermalt unter Anderem die
Schlägerei der rivalisierenden Gruppen um Billy Boy und Alex, in einem alten Theater. Bevor Alex und seine Droogs das Theater
betreten, versucht Billy Boy mit seiner Bande eine Frau zu vergewaltigen. Diese Aktion findet auf der Bühne des Theaters statt und
Rossinis Oper fungiert als Bühnenmusik. Die Musik wirkt sehr verspielt und tänzerisch, was auf den dreiviertel Takt, den Walzer
zurückzuführen ist. Die Musik bricht also mit der rohen Gewalt, die in den Bildern dargestellt wird und ist deswegen
kontrapunktierend.

Entgegen der Partitur erklingen nach den Takten 169 bis 219 die Takte 195 bis 219. Kubrick wollte den Auftritt von Alex demnach
akzentuieren. Wenn Alex erscheint setzten zu den Streicher und Holzbläsern Blechbläser ein. Die Hörner spielen die
Tonfolge d – d – d – d – g – h – g, eine sehr fanafarenartig klingende Melodie. Dadurch wird Alex musikalisch hervorgehoben und als
mächtige Person dargestellt. (vgl. Die Semantisierung von Musik im filmischen Werk Stanley Kubricks, Stephan Sperl)
Mit ansteigender Härte der Provokationen, nimmt auch die Musik zu, ein Crescendo beginnt. Die Lautstärke steigert sich bis
Trommel und Bläser einsetzen, die Dynamik der Musik verhält sich also analog zur Intensität der Schlägerei.
Im Takt der Musik lassen die Droogs ihre Fäuste fliegen und die Schnitte sind auf die Taktwechsel angelegt, das bedeutet
underscoring durch den Takt der Musik. Mit dem Ende der Prügelei und den langsameren Schlägen der Droogs auf ihre Opfer, setzt
das Orchester aus. Nur noch Bratschen und Violinen spielen im Pianissimo.
Mit Alex Satz: “die Bullen, los haut ab“, setzen die restlichen Streicher wieder ein, die Musik wird wieder tänzerisch, passend zur
Flucht der Droogs. Der funktionale Einsatz der Musik ist hier strukturell: Musik ist verbindendes Element zwischen zwei Szenen und
kaschiert die Montage.

 
 

Schlägerei unter den Droogs:


Die Ouverture der gazza ladra wird während der Schlägerei um die Rangordnung der Droogs nicht original wiedergegeben, sondern in
ihrem Ablauf verändert. Nur so kann Wendy Carlos die audiovisuelle Gesamtkomposition aus A Clockwork Orange erreichen.

Visuell wird der Kampf zwischen den rebellierenden Droogs und Alex in Zeitlupe umgesetzt. Auditiv beginnt die Szene mit Streichern
und Holzbläsern. Mit Einsetzen der Blechbläser erscheint Alex in Untersicht. Erneut wird er auf der auditiven Ebene majestätisch und
mächtig präsentiert. Tremolo der Streicher bauen Spannung auf, als Alex sein Messer zückt. Alex schneidet Dim in die Hand und
sofort löst sich visuell und auch in der Musik die Spannung auf, die Hierarchie in der Gruppe ist wiederhergestellt.

Planung und Ausführung des Einbruchs:


Alex Auftritt im Haus wird erneut von den fanfarenartigen Hörnern aus der Theaterszene hervorgehoben und wieder wurde dafür die
Partitur von Rossini verändert. Als die Katzenfrau Alex an der Türe abwimmelt und die Gefahr gebannt scheint, ertönt eine ruhige
Passage mit Streichern und Holzbläsern im pianissimo. Sowohl die Musik, als auch die Katzenfrau in der Geschichte atmen auf.
Während Alex die Wand hochklettert und die Katzenfrau mit der Polizei telefoniert, springt Carlos erneut in der Partitur zu einer
schnelleren Stelle und erzeugt somit mehr Spannung.

Alex erscheint im Zimmer der Katzenfrau und auf das Gespräch der beiden folgen Handgreiflichkeiten, die mit den selben Takten aus
la gazza ladra unterlegt sind, wie der Kampf mit Billy Boy. So kann die Dynamik der Musik wieder für den Kampf genutzt werden. Wie
schon beim Kampf mit Billy Boy ist die Musik den Bildern so angepasst, dass der Höhepunkt der Musik zeitgleich mit dem Höhepunkt
des Kampfes ertönt. Schläge und Bildwechsel sind wieder auf Takt geschnitten.
Beim Eintreffen der Polizei befinden wir uns in der Musik bei einer leiseren ruhigeren Stelle, die beim Beginn der Flucht mit erneutem
Tempoaufbau Spannung erzeugt.

 
 

William Tell Ouvertüre erster Akt


1. Inhaftierung
2. Verlassen der elterlichen Wohnung

William Tell Ouvertüre Finale


1. Orgie

Inhaftierung:
Hier kommt der Musik erstmals emotionalisierende Wirkung zu. Die Musik paraphrasiert durch ein trauriges langsames einsames
Cello und drückt so die Gefühle aus, die Alex in diesem Moment überkommen. Mit der Inhaftierung beginnt die Umkehr der
bekannten Welt, der zweite Akt (Teil B) der Geschichte beginnt. Ab sofort ist Alex Opfer und kein Täter mehr, sein Leben ist geprägt
von Traurigkeit und Schmerz im Gefängnis.

Wohnung:
Selber Einsatz wie bei der Inhaftierung: emotionalisierende Wirkung, paraphrasierend.

Orgie:
Dem melancholischen Beginn der Ouvertüre folgt ein temporeiches Finale. Eingesetzt wird dieses in einer synthetisierten Version, in
der das ohnehin schon schnelle Finale der Ouvertüre noch beschleunigt wird.
Underscoring durch die Musik erfahren die Bewegungen der Personen, die ausschließlich in Zeitraffer dargestellt werden. Die auditive
Beschleunigung ist also ebenfalls in den Bildern zu finden.
Musik und Bild schaffen eine Karikatur einer Orgie, denn die Ouvertüre heißt im Original „Landschaft mit Pferden im siegreichen
Galopp“.

 
 

SIR EDWARD ELGAR UND NIKOLAJ RIMSKY_KORSAKOFF

Pomp and Circumstances Marsch Nr. 1 & 4


1. Gefängnis – Auftritt des Innenministers
2. Überführen in die Ludoviko-Klinik

Innenminister:
Mit dem Auftritt des Innenministers ertönt der 1. Marsch von Sir Edward Elgars Pomp and Circumstances. Der erste Marsch, den sich
Edward der VII. für seine Krönungsfeierlichkeiten wünschte, wurde mit den Worten „Land of Hope and Glory“ unterlegt und ist in
England fast so beliebt wie die offizielle Nationalhymne des Innenministers. Also passender Weise englische Folkloremusik zum
traditionellen Regierungsvertreter. Die Verbindung des Werkes zum Königshaus verdeutlicht die Macht des Innenministers in
A Clockwork Orange.

Überführung:
Die feierliche Musik verleiht der Szene einen zeremoniellen Charakter. Der Wärter, der Alex in der Klinik aufnimmt, hält das
Protokoll strikt ein. Dies erinnert an höfisches Benehmen, passend zur feierlichen Musik.

Sheherazade
1. Gefängnis – Alex Gedanken zu biblischen Geschichten

Gefängnis:
Während Alex in der Bibel liest sieht er vor seinem inneren Auge parodierende Bilder, in denen Alex beispielsweise Jesus auspeitscht.
Die Musik ertönt hier unisono und im Fortissimo, also sehr stark, laut und einfach. Der Hintergedanke hierbei war möglicherweise,
dass der 1. Satz der Sheherazade einen grausamen Sultan zum Thema hat. Alex Synonym für den prügelnder Herrscher.

 
 

ZEITGENÖSSISCHE KOMPONISTEN

Wendy Carlos – Timesteps


Erste Ludoviko-Sitzung

Terry Tucker - Ouverture to the Sun


Erfolgstest

Erika Eigens – I want to marry a lighthouse keeper


Alex Ankunft zuhause

Timesteps:
Bei der ersten Ludovico-Sitzung erklingen atmosphärische, experimentelle Sounds, durch den Synthesizer erzeugt. Timesteps
paraphrasiert die gewaltsamen Bilder und versetzt den Zuschauer in Alex Gefühlswelt.

Ouverture to the Sun:


Während Alex auf der Bühne gedemütigt wird, erklingt kontrapunktierend die höfisch angehauchte Musik. Somit setzt Carlos die
Kultiviertheit der Anwesenden Politiker der Barbarei ihrer Taten an Alex entgegen und intensiviert die Perversität des Schauspiels.

Lighthouse:
Erika Eigens I want to marry a lighthouse keeper klingt in Clockwork Orange wie banale Unterhaltungsmusik. Es ertönt bei Alex Ankunft
zunächst als On-Musik aus dem Radio und zeigt die „Idylle“ bei ihm zu hause. Erst paraphrasierend eingesetzt, wechselt die
Stimmung im Elternhaus von der glücklichen Wiederkehr zur Ablehnung durch die Eltern. Die Musik wirkt kontrapunktierend zu
Alex Gemütszustand.

 
 

LUDWIG VAN BEETHOVEN

5. Symphonie c-Moll op. 67


Türklingel

9. Symphonie d-Moll op. 125


1. Gesungen in Milchbar (4. Satz)
2. Alex Zimmer (2. Satz)
3. Schallplattenladen, Synthesizer (4. Satz)
4. Ludovico-Experiment, Synthesizer (4. Satz)
5. Mr. Alexander (2. Satz)
6. Verbrüderung Innenminister und Alex (4. Satz)

5. Symphonie in c-Moll op. 67:


Beethovens 5. Symphonie wird auch Schicksalssymphonie genannt. Über die vier berühmten Anfangstöne soll Beethoven gesagt
haben: „So pocht das Schicksal an die Pforte“, allerdings wurde dies inzwischen als spätere legendarische Zuschreibung belegt. In
Clockwork Orange trifft dieser Satz jedoch vollständig zu. Die Türklingel von Mr. Alexander besteht nämlich aus diesen 4 Tönen der 5.
Symphonie. Sie ertönt drei Mal im Film. Beim ersten Mal ist Alex Unglücksbringer für Mr. und Misses Alexander, denn sie werden
von den Droogs überfallen und gequält. Ab diesem schicksalhaften Treffen wendet sich ihr Leben. Beim 2. Klingeln ist Alex selbst in
einer unglücklichen Position. Er wurde von seinen früheren Freunden und jetzt Polizisten zusammengeschlagen und kann sich auf
Grund des Ludovico-Experimentes nicht wehren. Er erhofft sich Hilfe im Hause von Mr. Alexander. Beim 3. Klingeln nimmt
Alexanders weiteres Schicksal seinen Lauf, denn die Freunde von Mr. Alexander klingeln an der Türe, Alex stürzt sich aus dem
Fenster, das Experiment gelangt an die Öffentlichkeit und wird daraufhin rückgängig gemacht.
Die 5. Symphonie handelt von Leid und Schicksal, vom Weg durch Nacht zum Licht, von C-Moll nach C-Dur, also einem ähnlichen
Grundgedanken wie Clockwork Orange.

 
 

9. Symphonie in d-Moll op. 125:


Beethoven vollendete seine 9. Symphonie1824. Vor allem der letzte Satz mit dem Chorfinale zu Schillers Ode An die Freude hat dieses
Werk zu einem der populärsten klassischen Werke gemacht. Die Musik beschreibt das Ringen eines Menschenherzens, welches sich
aus Mühen und Leiden nach dem Tag reiner Freude sehnt. (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/9._Sinfonie_(Beethoven))

Milchbar:
Der „liebe Ludwig van“ wird von Alex in der Milchbar zum ersten mal erwähnt, während eine Anwesende das Freundenthema des 4.
Satzes singt. Alex gerät ins Schwärmen, zugleich lästert Dim über die Musik. Auf Grund der Respektlosigkeit seines großen Meisters
„Ludwig van“ gegenüber, wird Alex zornig und weist Dim zu recht. Gleich hier wird dem Zuschauer deutlich, dass Ludwig van
Beethoven eine sehr wichtige Rolle in Clockwork Orange übernimmt.

Verbrüderung Innenminister:
Der Sologesang aus der Milchbar wird am Ende des Filmes wieder aufgenommen. Das furiose Ende der 9. Symphonie begleitet den
Schluss des Filmes musikalisch. Alex, der Beethoven nach dem rückgängig machen des Ludovico-Experiments wieder genießen kann,
verbrüdert sich mit dem Innenminister, der das Experiment erst möglich gemacht hat. Mit dem erneuten Konditionieren ist Alex
wieder gewaltbereit, erneut geheilt. Der Minister will dennoch mit ihm zusammenarbeiten und legitimiert so Alex böse Seite.
Der Text von Schiller lautet:
„Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder, überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen.
Tochter aus Elysium,
Freude, schöner Götterfunken, Götterfunken.“
Es wird also deutlich, dass die Musik erneut kontrapunktierend eingesetzt wird. „Diesen Kuß der ganzen Welt“ steht Alex
Gewaltbereitschaft und Boshaftigkeit entgegen.

 
 

Alex Zimmer:
Der 2. Satz der 9. Symphonie führt bei Alex zu einem rauschartigen Zustand. Die Musik wird von ihm selbst in den Kassettenrekorder
gelegt und ist somit On-Musik. Bemerkenswert ist hierbei die Tanzeinlage der Statuen, die so im Takt geschnitten sind, dass es wirkt,
als würden sie sich zur Musik bewegen. Pünktlich zur Synkope klopft Alex Mutter an die Türe und die Musik endet.

Mr. Alexander:
Bei Mr. Alexander wird der selbe Satz verwendet. Hier dient die Musik, im Gegensatz zum vorherigen Einsatz als Folterinstrument.

Schallplattenladen:
Alex marschiert in herrschaftlicher Pose durch den Verkaufsraum, Carlos wiederholt einen Teil entgegen der Partitur und
synchronisiert so den Text:
„Froh, wie seine Sonnen fliegen durch des Himmels prächt'gen Plan, Laufet, Brüder, eure Bahn, Freudig, wie ein Held zum Siegen“
zu Alex Annäherungsversuchen mit den zwei hübschen Mädchen, die ebenso siegreich enden. Wieder wird Alex mit Hilfe der Musik
als mächtig und siegreich dargestellt.

Ludovico:
Alex wird erneut mit dem Marsch des 4. Satzes konfrontiert, diesmal in der Synthesizerversion. Sie fungiert hier als Index für Alex
Entfremdung und Veränderung seines Wesens. Sie untermalt den marschierenden Hitler, bildet dessen Bewegungen mittels
underscoring ab. Parallel zu Alex Gefühlsausbruch schwillt auch die Musik an.

 
 

BEETHOVENS SYMPHONIE NR. 9

Quelle: eigene Darstellung

Wie bereits erwähnt kommt Beethovens 9. Symphonie eine besondere Bedeutung zu. Sie ist nicht nur wiederkehrendes Element,
sondern auch handlungsgenerierend. Ihr kommt eine inhaltliche Rolle zu, nämlich die auditive Bestätigung über Alex mentalen
Zustand. Als Alex zu Beginn des Films gewalttätig war, untermalte Beethovens Musik seine groben Aktionen. Sie berauschte ihn und
brachte ihm Genugtuung. Im Ludovico-Experiment wird Beethovens 9. Symphonie als Untermalung der grausamen Bilder benutzt
und für Alex Empfinden geschändet. Als Nebenwirkung des Experiments, ist er im weiteren Verlauf des Filmes nicht mehr fähig
Beethoven zu hören, Beethoven wird zu ihm für eine Qual, eine Folter. Erst als er Entkonditioniert wird ist Alex wieder gewalttätig
und Böse, Beethoven für ihn aber wieder genießbar.

Anhand der oberen Grafik ist zu sehen, dass die 9. Symphonie in A Clockwork Orange symmetrisch eingesetzt wird. Spiegelachse ist das
Ludovico-Experiment.
Die Form A – B – A‘, die inhaltlich besteht, kommt hier wieder zum Vorschein.

 
 

Die Erzählstruktur der Symphonie stimmt außerdem mit der des Filmes überein:
1. Satz – energetisch und stark – wie Alex, bis zum Mord der Katzenlady
2. Satz – ein schneller Scherzo, diabolisch und humorvoll – Alex im Gefängnis
3. Satz – langsames Adagio, schwierige Zeit in der Ludovico-Therapie
4. Satz – Film und Musik erreichen gemeinsam einen Höhepunkt, Heilung und Befreiung

 
 

GESANG

Singing in the Rain

Überfall:
Singing in the Rain wird während des Überfalls auf Mr. und Mrs. Alexander kontrapunktierend eingesetzt, während Alex als singende
Gene-Kelly-Parodie seine Opfer umtanzt. Er malträtiert seine Opfer im Takt der Musik. Der Einsatz dieses unschuldigen Songs in
dieser sadistischen Szene ergibt viel Ironie und lässt die Szene mehr als grotesk wirken. So wird die Gewalt zur Aktionskunst stilisiert.
Auch hier passt der Text des Songs wieder auf ironische Weise zur Szene. “I am ready for love” läutet die anstehende Vergewaltigung
deutlich ein und wird weiterhin gesteigert wenn Alex singt “there’s a smile on my face, for the whole human race”. Das
Zusammenwirken der Melodie, des Liedtextes und der Ausübung von Gewalt während Alex zufrieden grinst, wirkt durchaus ironisch
pervers. Die Musik übernimmt auch hier intensiv handlungsgenerierende Funktion.

Badewanne:
Während Alex erneut im Hause Mr. Alexanders ist und sich in der Badewanne erholt schöpft er neue Kraft und fühlt sich zunehmend
besser. Er beginnt wieder Singing in the Rain zu singen. Sein Gesang wird zunehmend kräftiger und lauter, der Gesang dröhnt durch
das gesamte Haus bis hin zu Mr. Alexander und wird zunehmend stärker elektronisch verzerrt. Besonders in dem Moment wenn Mr.
Alexander den Gesang wahrnimmt wird auf Bild und Tonebene das Wiedererkennen symbolisiert: Mr. Alexanders wird untersichtig
gezeigt und wirkt entstellt während der Refrain verzerrt wird. Es wird sehr deutlich dass Mr. Alexander die brutale Nacht, in der er
zum Krüppel und seine Frau vor seinen Augen geschändet wurde noch einmal durchlebt, während Alex vergnügt in Badewanne sitzt
und lauthals singt. Singing in the Rain ist somit zuerst als On-Musik vernehmbar und paraphrasiert Alex Gemütszustand und wandelt
sich dann zur Off-Musik und paraphrasiert hingegen Mr. Alexanders Gemütszustand.

End Credits:
Singing in the Rain erscheint ein weiteres Mal im Verlauf des Films wenn die End Credits laufen. Der Einsatz des Liedes in der
Originalversion rundet den Film einerseits mit einem Augenzwinkern ab, andererseits entlässt er den Zuschauer mit einem Lächeln,
einem guten Gefühl aus dem Kino. Der Einsatz entspricht demnach der Moodtechnik.

 
 

Sweet Molly Malone


Oh dear Land

Unter der Brücke:


Die erste Gesangseinlage des Films erinnert an bessere Zeiten, wenn der obdachlose Stadtstreicher zu Beginn von A Clockwork Orange
einsam und schutzlos unter der Brücke liegt und sein Lied trällert. Alex steht als Gegenpol dem Stadtstreicher gegenüber. Während
der Stadtstreicher äußert sowieso nicht mehr in einer „{...}so stinkenden Welt{...}“ leben zu wollen entgegnet Alex „Was stinkt Dir
denn in dieser Welt so?“. Dieser Moment wird durch den Song Sweet Molly Malone intensiviert und bildet auf tonaler Ebene den
Gegenpol zu Alex Vorstellungen von Ästhetik, unter denen der Stadtstreicher nicht bestehen kann. Alex ist förmlich angewidert und
steigert sich in Rage und lässt diese in brutaler Gewalt an dem Stadtstreicher aus. Hier ist der Gesang durch den Stadtstreicher klar
On-Musik und steht im Zusammenhang mit Alex Gewaltausbruch.

I was a wandering Sheep

Gefängnismesse:
Der Einsatz von I was a wandering Sheep beim Gottesdienst in Gefängnis warnt ironischer Weise vor dem Abkommen vom rechten
Weg – der rechte Weg ist in A Clockwork Orange jedoch kongruent mit der absoluten Kontrolle durch den Uhrwerkstaat und nicht etwa
ein von der Religion oder der Moral vorgegebener rechter Weg. Auch hier ist der Gesang der Gefängnisinsassen klar On-Musik.

Ode an die Freude

Milchbar:
Wie o.g. singt eine Anwesende das Freundenthema des 4. Satzes der Sinfonie Nr. 9. Die Musik ist wieder On-Musik und steht auch
diesemal wieder im Zusammenhang mit einem Gewaltausbruch des Protagonisten. Da in dieser Szene der Grundstein für den
späteren Streit und den daraus resultierenden Verrat ist, erfüllt der Gesang eine handlungsgenerierende Funktion.

 
 

ERZÄHLINSTANZ

Ein wichtiges Element der auditiven Ebene ist der Erzähler, der voice-over durch die Geschichte und die Gedankenwelt des
Protagonisten leitet. Er stellt sich und seine Freunde in der Gegenwart vor, doch sieht der Zuschauer wiederum den Erzähler als Figur
in der Vergangen, da es sich um die Erzählung von Vergangenem handelt. Weiterhin ist sich die Figur im Klaren um die visuelle
Instanz. Das Bild wiederum ist für den Rezipienten wiederum Gegenwart, doch macht der Erzähler die zeitliche Abweichung
deutlich. Dieser selbstreferenzielle Hinweis auf den Erzählvorgang lässt im Unklaren, wie sich der Erzähler selbst betrachten kann und
wie sich die divergenten Zeitpunkte zueinander verhalten.

Quelle: eigene Darstellung

Strukturell gesehen gibt es in A Clockwork Orange 35 narrative Segmente die jeweils etwa 30 Sekunden anhalten. Auch hier ist zu
erkennen, dass in der Erzählstruktur von einer Spiegelung ausgegangen werden kann, wie das o.g. Schaubild verdeutlich. Anfangs ist
der Erzähler eher erklärend und detailreich während Alex den Zuschauer in seine Welt einführt, später sind die Erzählungen eher
zusammenfassende Beschreibungen.

 
 

ÄSTHETISIERUNG

A Clockwork Orange ist einer der größten Skandalfilme der Filmgeschichte und wurde, vor allem wegen einer „verherrlichenden“
Inszenierung der Gewalt, kritisiert. Doch ist dies u.E. nach nicht der Fall. Gewalt wird in diesem Film grundsätzlich als tänzerischer
Akt stilisiert und re-kontextualisiert durch Kontrapunktierung. Weiterhin wirkt durch die Synthetisierung klassischer Musiktitel die
dargestellte Szenerie äußerst surreal. Zwar ist es durchaus verständlich, dass aufgrund der Härte der gezeigten Gewalt von
Verherrlichung gesprochen werden kann, doch wird durch die Gesamtwirkung des Films schnell klar, dass es ein unverzichtbares
Stilmittel ist und erst durch das kompositorische Zusammenspiel zwischen Gewalt und Musik diese außerordentliche Wirkung erzielt
wurde.

ENDE

Musik ist in A Clockwork Orange keine untergeordnete Geräuschkulisse, sondern wird planmäßig eingesetzt. Oft trägt die Musik im Film
handlungsgenerierende Funktion.
A Clockwork Orange wurde diskutiert, kritisiert, zensiert, analysiert und letztendlich ein Kultfilm. Unzählige Filme wurden durch diesen
inspiriert und werden noch inspiriert.
Im Gesamtschluss ist Kubricks Aussage eindeutig, sodass sich die Frage nach der moralischen Vertretbarkeit vollkommen erübrigt.

QUELLEN

Klassiker der Filmmusik, Moormann, Peter, ISBN: 978-3-15-018621-3, Verlag: Reclam


Die Semantisierung von Musik im filmischen Werk Stanley Kubricks, Stephan Sperl, ISBN-10:3-8260-3408-2, Verlag: Königshausen und
Neumann

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