Robert Green
Robert Green
Robert Green
Robert Greene
Die 24 Gesetze der Verführung
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ROBERT GREENE
DIE 24 GESETZE DER
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Kompaktausgabe
Ein Joost Elffers Buch
Aus dem Amerikanischen von Hartmut Schickert
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Titel der Originalausgabe:
The Art of Seduction. Concise Edition.
London, Profile Books Ltd 2003
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INHALT
Erster Teil
Verführerische Charaktere Seite 17
Zweiter Teil
Die Gesetze der Verführung Seite 77
Inhalt | 5
Gesetz 5 Seite 101
Schaffen Sie ein Bedürfnis – Schüren Sie
Angst und Unzufriedenheit
6 | Inhalt
Gesetz 17 Seite 170
Bewirken Sie eine Regression
Inhalt | 7
8 | Inhalt
In Erinnerung an meinen Vater
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10 | Vorwort
VORWORT
Vorwort | 11
Die Liebe ist führen – was die ursprüngliche Bedeutung des Verbs
vielleicht der höchste
Versuch, den die
»verführen« ist. Das körperliche Begehren ist schwerer
Natur macht, um das zu kontrollieren, und der oder die Betreffende kann
Individuum aus sich sich leicht wieder abwenden, wenn die Lust befriedigt
heraus und zu dem
anderen hinzuführen.
ist. Verführer lassen sich Zeit, sie berücken und be-
Im Wunsch suche ich, zaubern und bedienen sich der Bande der Liebe, so
den Gegenstand zu dass der sexuelle Akt, wenn er daraufhin erfolgt, das
mir zu ziehen, in
der Liebe werde ich Opfer nur weiter versklavt. Für Verliebtheit und Ver-
zu ihm hingezogen. zauberung zu sorgen, das ist das Modell für alle Ar-
José Ortega y ten von Verführungen – erotische, soziale, politische.
Gasset: Ein verliebter Mensch kapituliert.
»Über die Liebe«
Es macht keinen Sinn, gegen diese Art von Macht
ausübung zu argumentieren, sich einreden zu wollen,
dass man daran nicht interessiert oder dass sie un-
moralisch oder garstig sei. Je stärker man versucht,
den Verlockungen der Verführung zu widerstehen –
als Methode, als Form der Macht –, umso faszinier-
ter wird man davon sein. Der Grund dafür ist ein-
fach: Die meisten von uns haben schon einmal erlebt,
wie viel Macht man über einen Menschen hat, der
sich in einen verliebt hat. Unsere Taten, Gesten, Ar-
gumente und Ausdrucksweisen: All das wirkt auf diese
andere Person positiv. Wir wissen vielleicht gar nicht
genau, was wir richtig gemacht haben, aber dieses Ge
fühl der Macht ist ein schleichendes Gift. Es gibt uns
Selbstvertrauen, und das lässt uns nur noch verfüh-
rerischer erscheinen. Vielleicht haben wir Ähnliches
auch schon im sozialen Umfeld, am Arbeitsplatz et-
wa, erlebt: Wenn wir zufällig in gehobener Stimmung
sind, gehen die anderen eher auf uns zu, sie fühlen
sich zu uns hingezogen. Solche Momente der Macht
sind flüchtig, doch sie graben sich sehr intensiv im Ge-
dächtnis ein. Wir wollen sie wieder erleben. Der Si-
12 | Vorwort
renengesang der Verführung ist unwiderstehlich, weil
Macht unwiderstehlich ist, und in der modernen Welt
bringt einem nichts mehr Macht als die Fähigkeit,
verführen zu können.
Um sich der Macht der Verführung zu bedienen, Was ist gut? –
Alles, was das
müssen Sie weder Ihren Charakter noch Ihr körper- Gefühl der Macht,
liches Erscheinungsbild von Grund auf erneuern. den Willen zur
Verführer spielen mit Psychologie, nicht mit Schön- Macht, die Macht
selbst im Menschen
heit, und jeder kann sich die Fähigkeiten aneignen, erhöht.
es darin zum Meister zu bringen. Man muss einzig Was ist schlecht? –
und allein nur die Welt mit anderen Augen sehen – Alles, was aus
der Schwäche
mit denen des Verführers. stammt.
Verführer gehen nie in sich selbst auf. Ihr Blick ist Was ist Glück? –
nach außen gerichtet, nicht nach innen. Wenn sie Das Gefühl
davon, dass
eine andere Person treffen, besteht ihr erster Schach- die Macht
zug darin, jener Person unter die Haut zu gehen, die wächst, dass
ein Widerstand
Welt mit ihren Augen zu betrachten. Die Versenkung
überwunden wird.
in sich selbst ist ein Zeichen von Unsicherheit: Es ist
Friedrich
das Gegenteil von Verführung. Jeder von uns fühlt Nietzsche:
sich hier und da mal unsicher, doch Verführer schaf- »Der Antichrist«
fen es, das zu ignorieren; und ihre Therapie gegen
die Momente des Selbstzweifels besteht darin, in der
Welt aufzugehen. Das verleiht ihnen die heitere Ge-
lassenheit, derentwegen wir uns in ihrer Gesellschaft
so wohl fühlen. Sich in eine andere Person hineinzu-
versetzen hilft dem Verführer, wertvolle Informatio-
nen zu sammeln – herauszufinden, wie diese andere
Person funktioniert, was sie dazu bringen könnte, ihre
Fähigkeit zum logischen Denken zu verlieren und in
die Falle zu gehen.
Verführer verstehen sich als Freudenbringer. Als
Kinder verbrachten wir den größten Teil unserer Zeit
mit Spiel und Spaß. Erwachsene fühlen sich oft von
Vorwort | 13
diesem Paradies ausgeschlossen und durch ihre Pflich
ten und Verantwortlichkeiten festgenagelt. Der Ver-
führer weiß, dass die Menschen nur darauf warten,
Freude zu empfinden: Ihre Freunde und Geliebten
können ihnen nicht genug davon bereiten, und sie
selbst können sich schon gar nicht genug davon ver-
schaffen. Einer Person, die in ihr Leben tritt und
ihnen Abenteuer und Romantik in Aussicht stellt,
können sie einfach nicht widerstehen.
Der Verführer betrachtet das gesamte Leben als
Theater – und jeden Menschen als Schauspieler. Die
meisten von uns haben das Gefühl, dass die ihnen
zugewiesene Rolle sie einengt, und das lässt sie un-
glücklich sein. Verführer hingegen können vielerlei
Gestalt annehmen und zahllose Rollen spielen. Ver-
führer haben Freude am Schauspielern. Diese Frei-
heit, diese Geschmeidigkeit des Körpers wie des Geis
tes – das macht sie so attraktiv.
Dieses Buch ist dafür gedacht, Sie mit den Waffen
des Charmes und der Überredungskunst auszurüsten,
so dass die Menschen in Ihrer Umgebung nach und
nach die Fähigkeit zum Widerstand verlieren, ohne
zu wissen, wie oder warum das passiert ist.
Zu jedem Verführungsprozess gehören zwei Ele-
mente, die Sie zuallererst analysieren und verstehen
müssen: erstens sich selbst und was an Ihnen verfüh-
rerisch ist, und zweitens Ihr Opfer und die Maßnah-
men, mit denen Sie seine Verteidigung überwinden
und die Kapitulation herbeiführen können. Beiden
Elementen kommt gleich viel Bedeutung zu. Wenn
Sie eine Strategie entwickeln, ohne darauf zu achten,
welche Seiten Ihres Charakters andere Menschen für
Sie gewinnen sollen, wird man Sie als mechanischen
14 | Vorwort
Verführer entlarven, als schleimig und manipulativ. Was aus Liebe
gethan wird,
Wenn Sie sich einzig und allein auf Ihre verführerische geschieht immer
Persönlichkeit verlassen, ohne der anderen Person ge jenseits von Gut
nügend Achtung zu schenken, begehen Sie schreck und Böse.
liche Fehler und schränken Ihr Potential ein. Friedrich
Nietzsche:
Folglich gliedert sich dieses Buch in zwei Teile. Der »Jenseits von
erste, »Verführerische Charaktere«, beschreibt die Gut und Böse«
neun Grundtypen des Verführers. Diese Typen zu
studieren wird Ihr Bewusstsein dafür schärfen, was
an Verführerischem Ihrem eigenen Charakter inhä-
rent ist, und das ist der Grundbaustein jeder Verfüh-
rung. Der zweite Teil des Buches, »Die Gesetze der
Kennt einer in
Verführung«, stellt 24 Manöver und Strategien vor,
diesem Volk die
Gesetze, anhand derer Sie lernen können, wie man Liebeskunst nicht,
andere Menschen in seinen Bann bringt, ihren Wi- so lese er dieses
Gedicht und sei
derstand bricht, den eigenen Aktionen Schwung und danach ein Meister
Durchschlagskraft verleiht und das Opfer zur Kapi- in der Liebe!
tulation treibt. Kunst steuert Schiffe,
die mit Segel und
Wenn Sie mit der Lektüre der folgenden Seiten be- Ruder angetrieben
ginnen: Lassen Sie sich von Ideen verführen, öffnen werden, Kunst lenkt
Sie Ihren Geist, und lassen Sie die Gedanken fließen. leicht Wagen, Kunst
muß auch Amor
Nach und nach werden Sie das Gift durch die Haut lenken.
absorbieren, und Sie werden alles als Verführung zu P. Ovidius Naso:
sehen beginnen, einschließlich Ihrer Art zu denken »Liebeskunst«
und die Welt zu betrachten.
Vorwort | 15
16 |
Erster Teil
Verführerische
Charaktere
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Wir alle verfügen über die Macht der Attraktivität –
die Fähigkeit, Menschen zu uns hinzuziehen und sie
in unseren Bann zu schlagen. Die meisten von uns
sind sich jedoch dieses inneren Potentials nicht be-
wusst, und wir stellen uns Attraktivität stattdessen als
eine fast mystische Eigenschaft vor, mit der nur we
nige geboren werden, während der Rest niemals über
sie gebieten wird. Doch um dieses Potential auszu
schöpfen, müssen wir nichts weiter tun als herauszu-
finden, was am Charakter eines Menschen auf na-
türliche Weise Menschen anzieht, und diese latenten
Qualitäten müssen wir dann in uns entwickeln.
Erfolgreiche Verführungen beginnen selten mit
einem offensichtlichen Manöver oder strategischen
Schachzug. Das würde mit Sicherheit Verdacht erre-
gen. Erfolgreiche Verführungen nehmen ihren Anfang
in Ihrem Charakter, in Ihrer Fähigkeit, eine bestimmte
Qualität auszustrahlen, die die Menschen anzieht und
ihre Emotionen auf eine Weise anregt, die außerhalb
ihrer Kontrolle ist. Hypnotisiert von Ihrem verführe-
rischen Charakter, werden Ihre Opfer Ihr weiteres
manipulatives Vorgehen nicht bemerken. Sie irrezu-
leiten und zu verführen wird dann ein Kinderspiel.
Neun Verführertypen gibt es auf dieser Welt. Jeder
hat einen spezifischen Charakterzug, der tief aus dem
Inneren kommt und von verführerischer Kraft ist.
Sirenen verfügen über jede Menge sexueller Energie
und wissen, wie man sie einsetzt. Weiberhelden haben
ein unstillbares Verlangen nach dem entgegengesetz-
ten Geschlecht, und das wirkt ansteckend. Traumfrauen
& Traummänner verfügen über viel ästhetische Sensi-
bilität, mit der sie ihre Romanzen ausgestalten. Dandys
spielen gern mit ihrem Image und umgeben sich mit
Verführerische Charaktere | 19
20 | Verführerische Charaktere
Die Sirene
Alles
unter Kontrolle
haben, immer die Verant-
wortung übernehmen, immer
rational handeln – oft wird ein
Mann von der Rolle, die er spielen
soll, insgeheim unterdrückt. Die Sirene
ist die ultimative Phantasiefigur für so ei-
nen Mann, weil sie ihm die totale Befreiung
von den Grenzen des Alltagslebens bietet. In
ihrer Gegenwart, die immer als überlebensgroß
und sexuell aufgeladen empfunden wird, fühlt
sich der Mann in ein Reich purer Lust ver-
setzt. Sie ist gefährlich, und wenn er ihr mit al-
ler Energie nachjagt, kann er die Kontrolle über
sich verlieren – was er sich sehnlichst wünscht.
Die Sirene ist illusorisch; sie verführt Männer,
weil sie ein bestimmtes Erscheinungsbild und
spezifische Verhaltensweisen kultiviert. In
einer Welt, deren Frauen oft zu schüch-
tern sind, um solch ein Image auszu-
strahlen, können Sie lernen, die
Kontrolle über die Libido des
Mannes zu erlangen, indem
Sie seine Phantasien
verkörpern.
Die Sirene | 21
Schlüsselelemente
Der Umgang mit Die Sirene ist die älteste Verführerin von allen. Ihr
[Kleopatra hatte]
etwas unentfliehbar
Prototyp ist die Göttin Aphrodite – deren ureigene
Fesselndes, und ihre Natur die mythische Qualität ist –, doch glauben Sie
Gestalt, verbunden nicht, dass sie ausschließlich in der Vergangenheit, in
mit der Anmut ihrer
Unterhaltung und Legenden oder in der Geschichte eine Rolle spielt:
dem eigenthümlich Die Sirene ist die fleischgewordene, machtvolle männ
Charakteristischen, liche Phantasie von der sehr sexuellen, überaus selbst
das zugleich durch
ihr ganzes Benehmen bewussten, verführerischen Frau, die unendliche Ver
hindurchlief, machte gnügen und ein bisschen Gefahr zu bieten hat. In der
immer einen tiefen Welt von heute kann diese Phantasie die männliche
Eindruck. Redete sie,
so lag schon in dem Psyche noch stärker in ihren Bann ziehen, denn mehr
Klang ihrer Stimme als je zuvor lebt der Mann in einer Welt, die seine
etwas Bezauberndes;
aggressiven Instinkte in die Schranken weist, indem sie
ihre Zunge glich
einem Instrument mit überall für Sicherheit und Stabilität sorgt, eine Welt,
vielen Saiten, welche die weniger Aussicht auf Abenteuer und Risiko zu
sie ohne Schwierigkeit
und ganz nach
bieten hat als je zuvor. In der Vergangenheit brauchte
ihrem Belieben für ein Mann Ventile für diese Triebe – Kriege, Aben-
jede Sprache zu teuer zur See, politische Intrigen. Auf dem Gebiet der
verwenden wußte.
Sexualität waren Kurtisanen und Mätressen prak-
Plutarch:
»Marcus Antonius«
tisch eine gesellschaftliche Institution, und sie boten
die Abwechslung, nach der der Mann sich verzehrte.
Ohne solche Ventile wenden sich diese Triebe nach
innen und nagen an ihm, denn sie machen sich umso
Die Sirene | 23
sehr verführerisch. Einen Mann dazu zu bringen, hin
ter Ihnen her zu sein, dürfte relativ einfach sein: Eine
starke sexuelle Präsenz bewerkstelligt dies ziemlich
leicht. Doch Sie dürfen dabei nicht der Kurtisane oder
Hure gleichen, hinter der der Mann nur her ist, um
im Erfolgsfall rasch das Interesse an ihnen zu ver
lieren. Sie müssen vielmehr ein wenig auf Abstand
gehen und den Eindruck erwecken, dass Sie schwer
zu fassen sind – eine ins Leben getretene Phantasie.
Solche Qualitäten bringen einen Mann dazu, mit al-
ler Macht Sie zu jagen, und je eifriger er jagt, desto
deutlicher wird er den Eindruck bekommen, dass er
aus eigenem Impuls handelt.
Zu den Sirenen wirst Ein Element der Gefahr lässt sich leicht andeuten,
du zuerst gelangen,
die all die Menschen
und es wird andere Eigenschaften der Sirene nur noch
berückend bezaubern verstärken. Sirenen sind oft unglaublich irrational,
… mit hellem Gesang was ausgesprochen attraktiv auf Männer wirkt, die
bezaubern ihn
die Sirenen, sitzend von ihrer eigenen Rationalität unterdrückt werden.
auf einer Wiese; Auch ein bisschen Angst kann wichtig sein: Einen
ringsum ein Haufen Mann auf angemessener Distanz zu halten erzeugt
von Knochen von
vermodernden Respekt, und er kommt dann nicht nah genug heran,
Männern, und um um Sie zu durchschauen. Sorgen Sie für diese Angst,
sie schrumpfen die indem Sie überraschend Ihre Stimmungen wechseln
Häute.
und den Mann durch Ihr kapriziöses Verhalten aus
Homer: »Odyssee«,
12. Gesang der Fassung bringen und einschüchtern.
Das bedeutendste Schlüsselelement für die ange-
hende Sirene ist jedoch stets ihre Physis, ihr wichtigs-
tes Machtmittel. Die körperlichen Qualitäten – Duft,
betonte Weiblichkeit mittels Make-up oder durch
trickreiche, verführerische Kleidung – üben umso
größere Macht auf den Mann aus, je mehr sie Selbst-
zweck sind. In ihrer Unmittelbarkeit umgehen sie das
rationale Denken und zeigen dieselbe Wirkung wie
Die Sirene | 25
in Bann zu schlagen und abzulenken. Die Sirene kann
die Kleidung nutzen, um sexuelle Botschaften auszu-
senden, die manchmal offen sein dürfen, doch öfter
das Gemeinte nur andeuten anstatt hinausschreien
sollten – sonst würde die Manipulation zu eindeutig.
Ganz viel damit zu tun hat die Technik des selektiven
Enthüllens, bei der nur ein Teil des Körpers offenge-
legt wird – jedoch einer, der erregt und die Phantasie
anstachelt.
Symbol: Wasser.
Der Gesang der Sirene ist
fließend und verführerisch, genau
wie sie selbst geschmeidig und ungreifbar
ist. Wie die See lockt die Sirene mit dem Ver-
sprechen grenzenloser Abenteuer und Lustbarkeiten.
Ihre Vergangenheit wie ihre Zukunft vergessend fol-
gen die Männer ihr aufs Meer hinaus, wo sie ertrinken.