Christie, Agatha - Ein Gefaehrlicher Gegner
Christie, Agatha - Ein Gefaehrlicher Gegner
Christie, Agatha - Ein Gefaehrlicher Gegner
Agatha Christie
Ein gefhrlicher
Gegner
Scherz
Bern
3
Mnchen
Wien
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Tommy, alter Bursche!
Tuppence, alte Nu!
Der junge Mann und das Mdchen begrten einander
herzlich und versperrten fr einen Augenblick den
Ausgang der Untergrundbahn in der Dover Street. Die
Bezeichnung alt war einigermaen irrefhrend. Ihre
Jahre htten, zusammengerechnet, kaum fnfundvierzig
ausgemacht.
Habe dich ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen,
fuhr der junge Mann fort. Wohin willst du denn?
Komm, geh mit mir eine Kleinigkeit essen. Wenn wir
hier noch lange im Weg herumstehen, machen wir uns
nur unbeliebt.
Das Mdchen war einverstanden, und sie gingen die
Dover Street hinunter auf Piccadilly zu.
Wo gehen wir denn hin? meinte Tommy. Die
Unruhe, die in seiner Stimme mitschwang, war Miss
Prudence Cowley, im Freundeskreis aus unerfindlichen
Grnden Tuppence genannt, nicht entgangen. Sofort
hakte sie ein: Tommy, du bist pleite!
Aber gar nicht, erklrte Tommy. Ich schwimme im
Geld.
Du warst schon immer ein schamloser Lgner,
erwiderte Tuppence, schon damals, als du Schwester
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der alte Knabe konnte sie nicht leiden und wollte mich
ihr wegschnappen. Nur so aus Bosheit.
Und deine Mutter ist jetzt tot? fragte Tuppence leise.
Tommy nickte.
Tuppences groe graue Augen blickten ihn mitfhlend
an. Du bist ein guter Kerl, Tommy!
Ach, Unsinn! erwiderte Tommy hastig. So sieht es
also bei mir aus. Und ich bin ziemlich verzweifelt.
Genau wie ich! Ich habe berall herumgesucht, alles
nur Erdenkliche versucht. Aber es ntzt alles nichts. Ich
werde wohl nach Hause fahren mssen!
Willst du das denn nicht?
Natrlich nicht! Was sollen wir uns da viel vormachen. Vater ist ja so gut ich liebe ihn wirklich
sehr , aber du hast keine Ahnung, was fr Sorgen er
sich um mich macht! Schlielich sind wir sieben zu
Hause ... Furchtbar. Na ja, und die viele Hausarbeit und
dazu die Krnzchen meiner Mutter ... Ich bin die
Jngste. Gern gehe ich also nicht nach Hause. Aber was
bleibt mir brig, Tommy?
Tommy schttelte traurig den Kopf. Es folgte ein
Schweigen, und dann brach es aus Tuppence hervor:
Geld, Geld, Geld! Morgens, mittags und abends denke
ich an nichts anderes mehr!
Bei mir ist es genau dasselbe.
Ich habe mir jede nur denkbare Mglichkeit berlegt,
um zu Geld zu kommen, fuhr Tuppence fort. Es gibt
nur drei! Man erbt es, man heiratet es, oder man macht
es. Ersteres fllt aus. Ich habe keine reichen, betagten
Verwandten. Natrlich wre eine Heirat fr mich die
beste Lsung. Schon als ganz kleines Mdchen hatte
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Tuppence wandte sich heftig um, aber die Worte, die
ihr auf der Zunge lagen, blieben ungesagt, denn die
Erscheinung des Mannes entsprach nicht ihrem ersten
Verdacht. So zgerte sie.
Als htte er ihre Gedanken erraten, sagte er schnell:
Ich kann Ihnen versichern, da mir jede Unehrerbietigkeit fernliegt.
Obwohl Tuppence ihn instinktiv nicht mochte und ihm
auch nicht traute, sprach sie ihn in Gedanken von dem
Motiv, das sie ihm noch soeben unterstellt hatte, frei.
Sie betrachtete ihn aufmerksam. Er war gro, glatt
rasiert und hatte einen schweren Unterkiefer. Seine
Augen waren klein und listig und wichen ihrem Blick
aus.
Was wollen Sie? fragte sie.
Der Mann lchelte. Ich habe zufllig Teile Ihres
Gesprchs mit dem jungen Herrn mitangehrt.
Und ?
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halten.
Whittington streifte sie mit einem gehssigen Blick.
Erpessung, wie?
Aber nein! Nur eine Vorauszahlung!
Jedenfalls sind Sie so ziemlich das Schlimmste, was
mir jemals begegnet ist, sagte Whittington in einer Art
unwilliger Bewunderung. Sie haben mich ganz schn
reingelegt. Ich dachte, Sie wren eine vllig harmlose,
kleine Person, gerade intelligent genug fr meinen
Zweck ...
Das Leben, meinte Tuppence philosophisch, ist
voller berraschungen.
berraschend ist unter anderem, fuhr Whittington
fort, da jemand nicht dicht gehalten hat. Sie sagen,
Rita sei es nicht. War es dann ...? Ja, herein!
Der Broangestellte war nach einem leisen Klopfen
eingetreten und legte seinem Chef ein Blatt Papier hin.
Das wurde eben telefonisch durchgegeben, Sir.
Whittington ergriff das Papier und las. Es ist gut,
Brown. Sie knnen gehen.
Der Angestellte zog sich zurck, und Whittington
wandte sich wieder Tuppence zu. Kommen Sie
morgen um die gleiche Zeit wieder. Ich habe jetzt zu
tun. Da sind zunchst einmal fnfzig Pfund.
Er holte rasch einige Scheine hervor, schob sie
Tuppence zu und erhob sich ungeduldig.
Tuppence zhlte die Scheine, steckte sie in die
Handtasche und erhob sich.
Leben Sie wohl, Mr. Whittington, sagte sie hflich.
Oder ich sollte doch wohl eher au revoir sagen?
Ganz richtig. Whittington sah fast heiter aus. Diese
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Was in aller Welt hat denn dich dazu getrieben, ein
Taxi zu nehmen? fragte Mr. Beresford.
Ich hatte Angst, zu spt zu kommen!
Angst, zu spt zu kommen? Ach, lieber Gott, ich gebe
auf! erklrte Mr. Beresford.
Komm, gehen wir essen. Wie wre es mit dem
Savoy? Tommy grinste. Oder mit dem Ritz?
Wenn ich es mir noch mal berlege, ziehe ich
eigentlich das Piccadilly vor. Es liegt nher.
Sag mal, ist das eine neue Art Galgenhumor bei dir?
Oder ist in deinem Kopf vielleicht etwas ausgehakt?
fragte Tommy.
Die zweite Annahme knnte zutreffen. Ich bin zu
Geld gekommen, und es war wohl mehr, als ich
ertragen kann. Fr diese Form geistiger Verwirrung hat
der Arzt hors d'oeuvres, Hummer l'americaine und
Pfirsich Melba verordnet. Und das werden wir uns jetzt
zu Gemte fhren!
Nun sag schon, Tuppence, was ist denn in dich
gefahren?
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niemand bemerken.
Du machst jetzt schon zum zweitenmal eine solche
Bemerkung! Ich verzeihe dir. Jedenfalls wird es eine
ganz lustige Sache. Was machst du brigens heute
nachmittag?
Tuppence wurde wieder nachdenklich.
Ich hatte an Hte gedacht! Oder Strmpfe! Oder ...
Vorsicht! warnte Tommy. Auch fnfzig Pfund
gehen einmal zu Ende. Wie wre es, wenn wir heute
abend zusammen en und dann in ein Kino gingen?
Das wre nett.
Langsam schlenderte Tommy bis zum Ende der Strae
und wieder zurck. Als er gerade wieder vor das
Gebude kam, strzte Tuppence ber die Strae auf ihn
zu.
Tommy!
Ja? Was ist los?
Das Bro ist geschlossen! Niemand rhrt sich!
Das ist doch seltsam.
Nicht wahr? Komm mit!
Tommy folgte ihr. Als sie auf der Treppe ins dritte
Stockwerk gelangten, trat ein junger Mann aus seinem
Bro. Er zgerte einen Augenblick und sprach dann
Tuppence an: Wollten Sie zu den Estnischen
Glaswaren?
Ja, bitte.
Die haben geschlossen. Seit gestern nachmittag. Wie
sie sagten, wird das Unternehmen aufgelst falls es
berhaupt je bestanden hat. Aber jedenfalls ist das Bro
zu vermieten.
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Der nchste Tag verlief recht trge. Es erwies sich als
notwendig, die Ausgaben etwas einzuschrnken.
Glcklicherweise war gutes Wetter.
Spazierengehen ist billig, verkndete Tuppence. Ein
Vorstadtkino sorgte fr ihre Zerstreuung. Der Tag der
groen Enttuschung war ein Mittwoch gewesen. Am
Donnerstag war die Anzeige erschienen. Am Freitag
konnte man damit rechnen, da Briefe in Tommys Club
eintreffen wrden.
Er hatte sich durch heilige Eide verpflichtet, keinen der
Briefe zu ffnen, sondern sich zur Nationalgalerie zu
begeben, wo Tuppence ihn um zehn Uhr erwarten
wollte. Tuppence traf zuerst ein. Sie lie sich auf einem
roten Plschsessel nieder und betrachtete, ohne sie
wirklich zu sehen, Turners Bilder, bis endlich die
vertraute Gestalt auftauchte.
Nun?
Tommy schttelte in bertriebener Melancholie den
Kopf. Schade. Das gute Geld ist vertan. Er seufzte.
Ganze zwei Antworten!
Tommy, du ekelhafter Kerl! Tuppence hatte es fast
geschrien. Gib sie her! Auf der Stelle!
Aber Tuppence, was fr Worte! Vergi nicht, worauf
ich dich schon frher hingewiesen habe, da die
Tochter eines Geistlichen ...
Tuppence entri ihm die beiden Umschlge und
betrachtete sie aufmerksam.
Dickes Papier, der eine. Sieht ziemlich wohlhabend
aus. Den lesen wir zuletzt und ffnen erst den
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anderen.
Tuppence ri mit ihrem Daumen den Umschlag auf und
holte den Brief hervor.
Sehr geehrte Herren, unter Bezugnahme auf Ihre
Anzeige in der heutigen Morgenzeitung teile ich Ihnen
mit, da ich Ihnen von gewissem Nutzen sein knnte.
Vielleicht knnten Sie mich morgen vormittag um elf
Uhr aufsuchen.
Ihr ergebener A. Carter.
Die Adresse ist Carshalton Terrace 27, sagte
Tuppence. Zeit genug, mit der U-Bahn hinzukommen.
Das wre unser neuer Feldzugsplan, erklrte Tommy.
Jetzt bin ich an der Reihe. Wenn wir also Mr. Carter
gegenberstehen, werden er und ich einander wie
blich guten Morgen wnschen. Dann sagt er: Nehmen
Sie doch bitte Platz, Mr. ? Worauf ich
bedeutungsvoll erwidere: Edward Whittington!
Daraufhin wird Mr. Carter rot anlaufen und keuchend
hervorstoen: Wieviel? Nachdem ich dann das
bliche Honorar von fnfzig Pfund eingesteckt habe,
komme ich wieder zu dir auf die Strae, wir begeben
uns zur nchsten Adresse und wiederholen das Ganze.
Sei nicht so albern, Tommy. Jetzt der andere Brief!
Oh, der kommt sogar aus dem Ritz!
Also hundert Pfund anstatt fnfzig! Ich lese ihn dir
vor.
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sich mit der Hand ber den Mund, als wollte er ein
Lcheln verbergen. Als sie geendet hatte, nickte er
ernst.
Nicht allzuviel. Aber aufschlureich! Ich weit nicht...
Sie knnten mglicherweise Erfolg haben, wo andere
versagten. Ich glaube an das Glck. Ich habe immer an
das Glck geglaubt. Er hielt einen Augenblick inne
und fuhr dann fort: Sie suchen das Abenteuer. Wollen
Sie nicht fr mich arbeiten? Ganz inoffiziell, verstehen
Sie? Spesen werden bezahlt und ein bescheidenes
Honorar.
Tuppence starrte ihn an, und ihre Augen wurden immer
grer. Was htten wir denn zu tun?
Mr. Carter lchelte. Nichts anderes, als was Sie bereits
angefangen haben. Jane Finn suchen.
Ja, sehr schn aber wer ist sie eigentlich?
Ja, das mssen Sie nun wohl wissen. Carter lehnte
sich zurck, schlug ein Bein ber das andere und
begann mit leiser Stimme zu erzhlen:
Die Geheimdiplomatie (die brigens fast immer
schlechte Politik ist) bringt es mit sich, da ich Ihnen
nicht alles sagen kann. Aber es wird Ihnen sicher
gengen, wenn ich Ihnen mitteile, da zu Anfang des
Jahres 1915 ein gewisses Dokument verfat wurde: der
Entwurf eines Geheimabkommens oder eines Vertrages nennen Sie es, wie Sie wollen. Es wurde von
verschiedenen Regierungsvertretern aufgesetzt, und es
fehlten nur noch die Unterschriften. Das geschah in
Amerika, das damals noch neutral war. Der Vertrag
wurde durch einen Sonderkurier, einen jungen Mann
namens Danvers, nach England geschickt. Man hoffte,
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Ja, das sieht fast nach Mr. Brown aus! Mr. Carter
machte eine Pause. Sie sehen also, in was Sie sich da
einlassen wollen! Wahrscheinlich ist er die grte
Verbrecherintelligenz unserer Zeit. Und deshalb gefllt
mir die Sache nicht ganz. Es tte mir leid, wenn Sie in
Gefahr gerieten.
Mir passiert
nichts! behauptete Tuppence
zuversichtlich.
Ich werde schon auf sie aufpassen, Sir! rief Tommy.
Dafr passe ich dann auf dich auf, erwiderte
Tuppence, der diese mnnliche berheblichkeit
mifiel.
Passen Sie nur gegenseitig aufeinander auf, sagte Mr.
Carter und lchelte. Aber nun zurck zu unserer
Aufgabe. Um diesen Vertragsentwurf hat es immer
Rtsel gegeben die wir bisher nicht lsen konnten.
Man hat uns ganz unmiverstndlich damit gedroht.
Von Seiten unserer Gegner ist behauptet worden, er
befnde sich in ihrer Hand und sie wrden ihn zum
gegebenen Augenblick verffentlichen. Andererseits
sind sie sich offensichtlich ber manche seiner Punkte
keineswegs im klaren. Die Regierung betrachtet das
Ganze als Bluff und hat einfach alles abgestritten ob
mit Recht oder nicht, dessen bin ich nicht sicher. Es hat
immer wieder Andeutungen und Hinweise gegeben,
da hier eine Gefahr bestehe. Das ist so, als ob jemand
ein belastendes Dokument in Hnden hat, das er aber
nicht lesen kann, weil es in Geheimschrift abgefat ist.
Aber der Entwurf ist durchaus nicht in Geheimschrift
abgefat! Das war nach Lage der Dinge gar nicht
mglich. Hier ist also vieles unklar. Und noch etwas
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Es scheint wirklich, sagte Tuppence, nachdem sie
sich wieder gesammelt hatte, als sollte alles so sein.
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Wir haben eine Anzeige losgelassen, um Informationen einzuholen und nicht, um sie zu geben!
Ich kann lesen. Aber ich dachte, Sie interessierten sich
vielleicht fr ihre Vergangenheit und wten, wo sie
sich heute befindet.
Wir htten ja gar nichts dagegen, etwas ber ihre
Vergangenheit zu erfahren, sagte Tuppence vorsichtig.
Mr. Hersheimer schien jedoch pltzlich Verdacht zu
schpfen.
Wir sind hier nicht in Sizilien! Hier gibt es kein
Lsegeld und keine Drohung, ihr etwa die Ohren
abzuschneiden, falls ich mich weigere zu zahlen. Hier
sind wir auf den britischen Inseln, und Sie hren jetzt
besser mit diesem Unsinn auf, oder ich pfeife dem
Polizisten dort unten ein kleines Lied.
Tommy mischte sich sogleich ein und erklrte: Wir
haben Ihre Kusine ja nicht entfhrt. Im Gegenteil, wir
versuchen, sie zu finden. Man hat uns den Auftrag dazu
erteilt.
Hersheimer lehnte sich in seinem Sessel zurck. Will
ich genauer wissen, antwortete er kurz.
Tommy folgte seiner Aufforderung und schilderte ihm
mit vorsichtigen Worten das Verschwinden von Jane
Finn. Er deutete auch die Mglichkeit an, da sie, ohne
es zu wollen, in irgendwelche politische Dinge
verwickelt sein knnte. Von sich selber und Tuppence
sprach er als Privatdetektive, die den Auftrag htten,
sie zu finden. Er fgte hinzu, sie wren froh ber jede
Einzelheit, die Mr. Hersheimer ihnen nennen knnte.
Hersheimer nickte zustimmend. Das ist nicht mehr als
recht und billig. Ich war vorhin ein bichen hitzig. Aber
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London geht mir auf die Nerven. Also schieen Sie los
mit Ihren Fragen!
Wann haben Sie Ihre Kusine das letztemal
gesehen? begann Tuppence.
Habe sie niemals gesehen, antwortete Hersheimer.
Bitte? fragte Tommy berrascht.
Ja. Wie ich vorhin schon sagte, waren mein Vater und
ihre Mutter Geschwister, sie kamen nicht immer gut
miteinander aus. Als meine Tante sich entschlo, Arnos
Finn zu heiraten, einen armen Lehrer drben im
Westen, war mein Vater wtend! Er sagte ihr, wenn er
ein Vermgen machen sollte und das war keineswegs
ausgeschlossen , wrde sie niemals auch nur einen
Cent davon zu sehen bekommen. Das Ende war, da
Tante Jane nach Westen zog und wir niemals mehr von
ihr hrten.
Mein Alter machte inzwischen tatschlich ein Vermgen. Er strzte sich ins lgeschft, warf sich auf
Stahl, spielte ein wenig mit Eisenbahnen. Nun ist er
gestorben letzten Herbst -, und ich habe seine Dollars.
Mein Gewissen regte sich! Es lie mich nicht mehr in
Ruhe, und am Ende beauftragte ich jemanden, festzustellen, was aus meiner Tante geworden war. Ergebnis:
sie sei tot, ebenso Arnos Finn. Aber sie htten eine
Tochter hinterlassen Jane , die auf ihrem Weg nach
Paris in die Katastrophe der Lusitania hineingeraten sei.
Sie sei gerettet worden aber von da an habe man
nichts mehr ber sie erfahren knnen. Ich dachte, die
wren ganz einfach zu lahm, und wollte nun selber mal
rberkommen und etwas Dampf dahinter machen.
Zunchst telefonierte ich mit Scotland Yard und der
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Es gengte, festzustellen, da bei Scotland Yard kein
Inspektor Brown existierte. Die Fotografie von Jane
Finn, die fr die Polizei von grter Bedeutung
gewesen wre, war verloren. Wieder einmal hatte Mr.
Brown triumphiert.
Das unmittelbare Ergebnis dieses Rckschlags war eine
weitere Annherung zwischen Julius Hersheimer und
den Jungen Abenteurern. Tommy und Tuppence hatten
bald das Gefhl, den Amerikaner ihr Leben lang zu
kennen, und erzhlten ihm ihre Geschichte. Er fand die
ganze Sache zum Totlachen. Zu den Folgen dieser
vertraulichen Beziehungen gehrte es, da Tommy und
Tuppence von nun ab ihr Hauptquartier im Ritz
aufschlugen, um, wie Tuppence sich ausdrckte, in
stndigem Kontakt mit Jane Finns einzigem lebenden
Verwandten zu stehen.
Und nun, sagte Tuppence am Morgen nach ihrem
Einzug, an die Arbeit!
Mr. Beresford lie die Daily Mail sinken. Zum Teufel,
Tommy, wir mssen doch etwas fr unser Geld tun!
Tommy seufzte.
Du hast etwas von der Schlichtheit der wahrhaft
groen Geister an dir, Tuppence. Also los, ich hre zu.
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Wieso?
Sieh her! Sie beugten sich beide ber die Liste. Bei
den meisten steht nur Mrs. oder Miss vor dem Namen.
Tommy nickte. Das kompliziert natrlich die
Angelegenheit!
Uns bleibt nichts anderes brig, als uns an die Arbeit
zu machen. Wir fangen mit dem Londoner Gebiet an.
Fnf Minuten spter traten die beiden jungen Leute auf
die Strae, und nach einigen Sekunden fuhren sie in
einem Taxi zu The Laurels, Glendower Road 7, der
Wohnung von Mrs. Edgar Keith, deren Name an erster
Stelle von den sieben in Tommys Notizbuch stand.
The Laurels war ein verkommenes Haus, das ein wenig
abseits von der Strae lag; ein paar sprliche Bsche
bemhten sich, den Eindruck eines Vorgartens zu
erwecken. Tommy bezahlte das Taxi und begleitete
Tuppence zum Haupteingang. Als sie gerade klingeln
wollte, hielt er ihre Hand zurck.
Was willst du eigentlich sagen?
Was ich sagen will? Ich ... Das ist ja zu dumm!
Das habe ich mir gedacht, erklrte Tommy voller
Genugtuung. Das ist recht weiblich! Nun halte dich im
Hintergrund, und hr dir an, wie ein Mann mit so etwas
fertig wird. Er drckte auf die Klingel.
Ein schlampig aussehendes, schielendes Mdchen
ffnete die Tr. Tommy hatte sein Notizbuch hervorgeholt und den Bleistift gezckt.
Guten Morgen, sagte er frisch und munter. Ich
komme von der Bezirksverwaltung Hampstead. Es
handelt sich um die neue Whlerkartei. Wohnt hier
nicht Mrs. Edgar Keith?
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Frage.
Dann wre also die Dame in Mayfair die nchste.
Tommy, ich werde langsam mutlos.
Kopf hoch! Wir fangen ja erst an! Ziehen wir in
London nur Nieten, steht uns eine schne Reise quer
durch England, Irland und Schottland bevor.
Richtig, rief Tuppence und war sogleich wieder
belebt. Aber dieser Vormittag war das Langweiligste
vom Langweiligen.
Du mut die Sehnsucht nach vulgren Sensationen ein
wenig unterdrcken, Tuppence. Es ist doch eigentlich
fast ein Wunder, da uns Mr. Brown nicht schon lngst
umgebracht hat. Vielleicht meint er, es sei nicht der
Mhe wert, sich mit uns zu befassen.
Tuppence nahm diese Bemerkung hchst ungndig auf.
Wie dumm von ihm, sagte sie.
Vermutlich hat er keine Ahnung, was wir tun ...
South Audley Mansions war ein gewaltiger Wohnblock,
nicht weit von Park Lane. Die Wohnung Nr. 20 lag im
zweiten Stock.
Tommy hatte sich inzwischen die lssige Gewandtheit
des alten Routiniers zugelegt. Er leierte vor einer
lteren Frau, die eher einer Hausdame als einem
Dienstmdchen glich, sein Sprchlein herunter.
Vorname?
Margaret.
Tommy buchstabierte, aber die Frau unterbrach ihn.
Nein, mit gue.
Oh, Marguerite; die franzsische Schreibweise, wie
ich sehe.
Er hielt inne und machte dann einen khnen Vorsto.
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Angenommen, Hersheimer kme nicht mehr rechtzeitig... Tommy packte die Verzweiflung. Da legte sich
eine Hand auf seine Schulter.
Da bin ich, mein Sohn. Dieser britische Verkehr
spottet jeder Beschreibung! Zeigen Sie mir schnell die
Kerle!
Der da ist Whittington der jetzt einsteigt, der groe
Dunkle. Der andere, mit dem er spricht, ist der
Auslnder.
Verstanden. Und welcher von beiden ist nun mein
Wild?
Haben Sie Geld bei sich?
Hersheimer schttelte den Kopf, und Tommy machte
ein mutloses Gesicht.
Ich habe nicht mehr als drei- oder vierhundert Dollar
bei mir, erklrte der Amerikaner.
Tommy stie einen Seufzer der Erleichterung aus.
Mein Gott, ihr Millionre! Da ist Ihre Fahrkarte.
Whittington ist Ihr Mann!
Der Zug fuhr gerade ab, als Hersheimer hineinsprang.
Bis bald, Tommy! Dann glitt der Zug aus der Halle.
Von Waterloo nahm Boris die U-Bahn bis Piccadilly
Circus. Dann ging er die Shaftesbury Avenue entlang
und bog schlielich in ein Gewirr kleiner Gassen in
Soho ein. Tommy folgte ihm vorsichtig.
Sie gelangten auf einen kleinen, unansehnlichen Platz.
Boris blickte um sich, und Tommy zog sich in einen
Hauseingang zurck. Im Schutz des Eingangs sah er
ihn die Stufen zu einem besonders bel aussehenden
Haus hinaufsteigen und hrte ihn in einem bestimmten
Rhythmus gegen die Tr schlagen. Sie wurde sogleich
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So berrascht Tommy auch war, er zauderte keinen
Augenblick. Leise stieg er die baufllige Treppe hinauf.
Das Haus war unvorstellbar schmutzig. Die schmierige
Tapete hing in losen Fetzen von den Wnden.
Als er schlielich am nchsten Treppenabsatz anlangte,
hrte er unten den Mann in einem Hinterzimmer
verschwinden. Offensichtlich hatte er keinen Argwohn
geweckt. Es schien etwas vllig Natrliches und
Selbstverstndliches zu sein, in diesem Haus nach Mr.
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Brown zu fragen.
Oben blieb Tommy stehen und berlegte. Vor sich sah
er einen engen Flur, von dem nach beiden Seiten Tren
abgingen. Hinter der einen war ein leises Gemurmel
vernehmbar. Es war die Tr, die der Mann ihm
gewiesen hatte. Aber weit mehr interessierte ihn eine
kleine Nische rechts, die von einem zerrissenen
Samtvorhang halb verdeckt war. Sie lag der Tr zur
Linken genau gegenber, und man konnte von dort aus
auch den oberen Teil der Treppe gut im Auge behalten.
Als Versteck fr einen Mann, zur Not fr zwei, war
diese Nische auerordentlich geeignet.
An der Haustr war wieder das charakteristische
Klopfen zu vernehmen, und Tommy schlpfte kurz
entschlossen in die Nische und zog behutsam den
Vorhang ganz vor. In dem zerschlissenen Stoff waren
Risse und Lcher, so da er beobachten und erst einmal
die weiteren Ereignisse abwarten konnte. Der Mann,
der leichtfig die Treppe heraufkam, war ihm
unbekannt. Er gehrte offensichtlich dem untersten
Bodensatz der Gesellschaft an. Die Brutalitt, die in
seiner ganzen Haltung zum Ausdruck kam, deutete auf
die Sorte, die Scotland Yard auf den ersten Blick
erkennt.
Der Mann blieb an der Tr gegenber stehen und
wiederholte das Klopfzeichen. Eine Stimme rief etwas,
und der Mann ffnete die Tr und trat ein, wobei
Tommy einen flchtigen Blick hineinwerfen konnte. Es
saen vier oder fnf Mnner um einen langen Tisch.
Am meisten fiel ihm ein groer Mann mit kurzgeschnittenem Haar und einem kleinen Spitzbart auf. Er
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unbekannt.
Nach seinem Eintreffen mute Tommy lange warten.
Er glaubte schon, die Versammlung sei vollstndig, als
ein neues Klopfen ertnte.
Der letzte Ankmmling war ein kleiner, sehr blasser
Mann, mit geschmeidigen, fast femininen Bewegungen.
Seine etwas hochliegenden Backenknochen lieen auf
slawische Abstammung schlieen. Als er an der Nische
vorbeiging, wandte er langsam den Kopf. Die seltsam
hellen Augen schienen durch den Vorhang hindurchzublicken. Tommy konnte kaum glauben, da der
Mann ihn nicht entdeckt hatte. Er erinnerte an eine
Giftschlange.
Einen Augenblick spter erwies sich sein Eindruck als
richtig. Der Neue klopfte ebenso wie alle anderen, aber
es wurde ihm ein ganz anderer Empfang zuteil. Der
brtige Mann erhob sich, und alle anderen folgten ihm.
Es ist uns eine groe Ehre, sagte er. Ich frchtete
schon, es sei unmglich.
Es hat Schwierigkeiten gegeben. Noch einmal wird es
nicht mglich sein, frchte ich. Aber die Versammlung
ist unbedingt notwendig; ich mu meine weiteren Plne
darlegen. Ich kann ohne Mr. Brown nichts unternehmen. Ist er hier?
Es ist ihm nicht mglich, persnlich anwesend zu
sein.
Langsam glitt ein Lcheln ber das Gesicht des
anderen. Ich verstehe schon. Ich habe von seinen
Methoden gehrt. Er arbeitet im Dunkeln und traut
niemandem. Dennoch ist es mglieh, da er sich auch
in diesem Augenblick unter uns befindet ...
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Wieso?
Aber Tommy hrte nichts mehr. Ein betubender
Schlag traf seinen Kopf, und alles um ihn her versank
in Dunkelheit.
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Als Tommy den beiden Mnnern folgte, brauchte
Tuppence ihre ganze Selbstbeherrschung, um ihn nicht
zu begleiten. Die beiden Mnner waren zweifellos aus
der Wohnung im zweiten Stock gekommen, und der
Name Rita hatte die Jungen Abenteurer auf die Spur
gesetzt, die vermutlich zu Jane Finn fhrte. Freilich war
es ein sehr dnner Faden, an dem die ganze Sache hing.
Nun erhob sich die Frage, was als nchstes zu tun sei.
Tuppence ertrug es nicht, lange unttig zu bleiben, und
so kehrte sie zunchst einmal in die Eingangshalle des
Hauses zurck, in dem Rita Vandemeyer wohnte.
Inzwischen war dort ein kleiner Fahrstuhlfhrer
aufgetaucht, fast noch ein Kind. Er putzte die
Messingverzierungen blank und pfiff den letzten
Schlager.
Na, William, bemerkte sie aufmunternd diese Art
der Menschenbehandlung hatte sie im Lazarett zur
Genge gelernt -, bringst du alles auf Hochglanz?
Der Junge grinste. Albert, Miss, verbesserte er.
Also gut, Albert, sagte Tuppence. Sie sah sich ein
wenig auffllig in der Halle um. Sie lie sich dabei
Zeit, damit Albert es auch bemerkte. Ich mchte dich
gern mal etwas fragen, Albert.
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aufbewahrung. Daraufhin zog sie sich mit ihrer Handtasche in die Damentoilette zurck. Zehn Minuten spter
trat eine verwandelte Tuppence, ein bescheidenes
junges Mdchen, aus dem Bahnhof und bestieg einen
Bus.
Einige Minuten nach elf gelangte Tuppence wieder in
die Vorhalle der South Audley Mansions. Albert hielt
bereits nach ihr Ausschau und kam dabei seinen
Pflichten nur recht oberflchlich nach. Er erkannte
Tuppence nicht sofort, aber dann war seine Bewunderung ohne Grenzen.
Ich freue mich, da ich dir gefalle, Albert, meinte
Tuppence. brigens bin ich ja nun deine Kusine
oder nicht?
Ihre Stimme auch! rief er begeistert. Sie ist so
englisch, wie sie es berhaupt nur sein knnte! Nein,
ich habe gesagt, da ein Freund von mir ein junges
Mdchen kennt. Annie war gar nicht sehr begeistert.
Sie ist bis heute geblieben aus Geflligkeit wie sie
sagt, aber in Wirklichkeit nur, um Sie gegen die
Gndige aufzuhetzen.
Nettes Mdchen, sagte Tuppence.
Albert bemerkte nicht die Ironie. Annie ist nicht bel,
aber wenn sie erst einmal bse ist, lt sich mit ihr
nichts anfangen. Wollen Sie jetzt hinauffahren, Miss?
Als Tuppence an der Nummer 20 klingelte, sah sie
noch, wie Albert langsam in der Tiefe des Aufzugschachtes verschwand. Ein recht elegant wirkendes
junges Mdchen ffnete.
Ich komme wegen der Stellung, sagte Tuppence.
So? Da mu ich Sie warnen, antwortete das Mdchen
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Tuppence fielen ihre neuen Aufgaben nicht allzu
schwer. Die Tchter des Pfarrers hatten zu Hause alle
Hausarbeiten grndlich gelernt. Sie brauchte also nicht
zu befrchten, der Arbeit nicht gewachsen zu sein.
Aber die Kchin war ihr ein Rtsel. Offensichtlich lebte
sie in entsetzlicher Angst vor ihrer Gndigen, und
Tuppence hielt es fr durchaus mglich, da Mrs.
Vandemeyer sie auf irgendeine Weise in der Hand
hatte. Im brigen das konnte Tuppence noch an
diesem Abend feststellen kochte sie wie ein groer
Kchenchef. Mrs. Vandemeyer erwartete zum Essen
einen Gast, und Tuppence hatte fr zwei Personen
gedeckt.
Einige Minuten nach acht klingelte es, und Tuppence
ging, etwas aufgeregt, zur Tr. Sie fhlte sich
erleichtert, als sie sah, da der Besucher der eine der
beiden Mnner war, denen Tommy gefolgt war.
Er nannte sich Graf Stepanow. Tuppence meldete ihn,
und Mrs. Vandemeyer erhob sich mit einem leisen
Ausruf der Freude von der niedrigen Couch, auf der sie
gesessen hatte.
Wie schn, Sie wiederzusehen, Boris Iwanowitsch!
Gndige Frau! Er beugte sich tief ber ihre Hand.
Tuppence kehrte in die Kche zurck. Graf Stepanow
oder so hnlich, erklrte sie und zeigte nun eine in
ihrer Rolle ganz natrliche Neugier: Wer ist denn
das?
Wohl ein Russe.
Kommt er oft her?
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lngst geweckt?
Sie knnen ganz sicher sein, mein lieber Boris, er
argwhnt berhaupt nichts. Sie scheinen, obwohl Sie
doch sonst ein Kavalier sind, vllig zu vergessen, da
man mich im allgemeinen fr eine schne Frau hlt.
Boris schttelte zweifelnd den Kopf. Er hat sich wie
kaum ein anderer Mensch in England mit Verbrechen
befat. Bilden Sie sich ein, Sie knnten ihn tuschen?
Wenn er wirklich das ist, wofr Sie ihn halten, wrde
es mir geradezu Spa machen, es zu versuchen!
Um Gottes willen, Rita ...
Im brigen ist er auerordentlich reich. Ich gehre
nicht zu den Leuten, die Geld verachten.
Geld Geld! Das ist die Gefahr bei Ihnen, Rita. Ich
glaube, fr Geld wrden Sie Ihre Seele verkaufen. Er
fuhr dann mit leiser, rauher Stimme fort: Manchmal
glaube ich fast, Sie wrden auch uns verkaufen!
Mrs. Vandemeyer zuckte mit den Schultern. Da mte
der Preis sehr hoch sein. Nur ein Millionr wre in der
Lage
Sehen Sie!
Mein lieber Boris, verstehen Sie keine Scherze
mehr?
Meine liebe Rita, Ihre Scherze sind etwas sonderbar.
Mrs. Vandemeyer lchelte. Streiten wir uns doch
nicht, Boris! Klingeln Sie lieber. Wir wollen uns etwas
zu trinken bringen lassen.
In aller Eile erschien Tuppence im Salon und spielte
wieder die Rolle des Stubenmdchens.
Aus der Unterhaltung, die sie mit angehrt hatte, ging
also hervor, da es zwischen Rita und Boris eine
85
11
Tuppence trat ihren freien Nachmittag an. Albert war
gerade nicht da; so begab sie sich selber in das
Schreibwarengeschft, wo sie erfuhr, da immer noch
nichts fr sie da war. Danach fuhr sie zum Ritz; dort
hrte sie, da Tommy noch nicht zurckgekehrt sei. Da
beschlo sie, sich an Mr. Carter zu wenden und ihm zu
berichten, wann und wo Tommy seine Verfolgung
aufgenommen hatte. Der Gedanke an seine Hilfe strkte
ihre Zuversicht. Als sie sich nach Hersheimer
erkundigte, hie es, er sei vor etwa einer halben Stunde
gekommen, jedoch gleich wieder gegangen. Sie htte
ihn gern gesehen. Vielleicht hatte er einen Gedanken,
wie man Tommy wiederfinden konnte. Sie hatte gerade
ihren Brief an Mr. Carter in Hersheimers Wohnzimmer
geschrieben und in einen Umschlag gesteckt, als die
Tr aufgerissen wurde.
Hol's doch der Teufel! stie Julius hervor,
Verzeihung, Miss Tuppence, aber diese Idioten unten
beim Empfang behaupten, Beresford wre seit
Mittwoch nicht mehr erschienen. Stimmt das?
Tuppence nickte. Sie wissen nicht zufllig, wo er ist?
Ich? Wie soll ich denn das wissen? Ich habe ja nicht
ein Wort mehr von ihm gehrt, obwohl ich ihm gestern
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12
Freitag und Samstag verstrichen ohne weiteres
Ereignis. Tuppence hatte auf ihr Schreiben an Mr.
Carter eine kurze Antwort erhalten. Er habe sie auf das
Risiko deutlich hingewiesen. Wenn Tommy etwas
zugestoen sei, so bedauere er dies zutiefst er knne
jedoch nichts unternehmen.
Das war nicht gerade ein Trost. Ohne Tommy machte
ihr die ganze Sache keinen rechten Spa mehr, und zum
97
Ich glaube, sie wird reden. Ich verfge ber ein paar
recht wirkungsvolle Hebel, die ich ansetzen kann. Aber
sollte dennoch dieser Fall eintreten, was hchst
unwahrscheinlich wre, bliebe noch immer die
Mglichkeit der Bestechung.
Ausgezeichnet! rief Hersheimer. Und da komme ich
ins Spiel! Falls ntig, knnen Sie bei mir mit Summen
bis zu einer Million Dollar rechnen. Jawohl!
Sir James musterte Hersheimer eine ganze Weile. Mr.
Hersheimer, erklrte er schlielich, das ist ein sehr
hoher Betrag.
Gewi. Aber diesen Leuten kann man kein Trinkgeld
anbieten. Ich kann den Betrag sogleich zur Verfgung
stellen, wobei auch noch ein entsprechendes Honorar
fr Sie herausspringt.
Sir James errtete ein wenig. Von einem Honorar
kann nicht die Rede sein. Ich bin kein Privatdetektiv.
Entschuldigen Sie. Ich war wohl wieder ein wenig
bereilt. Ich hatte die Absicht, eine hohe Belohnung fr
etwaige Nachforschungen ber Jane auszusetzen, aber
bei Scotland Yard hat man mir dringend davon
abgeraten. Aber diese Burschen sind ja verkalkt!
Wahrscheinlich hatten sie recht, entgegnete Sir
James.
Auf Mr. Hersheimer knnen Sie sich in dieser
Hinsicht verlassen, warf Tuppence ein. Er macht
Ihnen da nichts vor. Geld hat er haufenweise.
Mein Alter hat es groartig verstanden, Geld zu
machen, erklrte Hersheimer. Wie denken Sie sich
die Sache?
Sir James berlegte eine Weile. Es ist keine Zeit mehr
104
13
Sir James strzte an Hersheimer vorbei und beugte sich
hastig ber die am Boden liegende Frau. Das Herz!
Der Schrecken, uns so pltzlich zu sehen, mu einen
Herzanfall herbeigefhrt haben. Schnell etwas Kognak,
oder sie stirbt uns unter den Hnden!
Hier ist keiner, rief Tuppence ber ihre Schulter
Hersheimer zu. In der Karaffe im Ezimmer. Zweite
Tr rechts.
Sir James und Tuppence hoben Mrs. Vandemeyer auf
und legten sie aufs Bett. Sie betupften ihr Gesicht mit
Wasser, aber es blieb ohne Erfolg. Der Anwalt fhlte
ihren Puls.
115
auf der Jagd nach dem Original, da kann mir das Bild
schlielich gleichgltig sein. Was glauben Sie, Sir
James, wo sie sein knnte?
Dafr gibt es keinen Anhaltspunkt. Aber ich knnte
mir sehr gut vorstellen, wo sie gewesen ist.
Wirklich? Wo?
Am Schauplatz Ihrer nchtlichen Abenteuer, im
Privatsanatorium in Bournemouth.
Dort? Unmglich. Ich habe doch gefragt.
Nein, mein Lieber, Sie haben gefragt, ob jemand mit
dem Namen Jane Finn dort gewesen sei. Hatte man das
Mdchen dort untergebracht, so doch hchstwahrscheinlich unter einem falschen Namen.
Daran habe ich nie gedacht!
Dabei lag es ziemlich auf der Hand.
Vielleicht gehrt auch der Arzt zu diesem Ring,
meinte Tuppence.
Hersheimer schttelte den Kopf. Das glaube ich nicht.
Hall hat mir gleich von Anfang an gefallen.
Sagten Sie Hall? fragte Sir James. Das ist seltsam
wirklich sehr seltsam.
Wieso? fragte Tuppence.
Weil ich ihm heute morgen begegnet bin! Ich kenne
ihn seit Jahren, wenn auch flchtig, und heute morgen
habe, ich ihn zufllig auf der Strae getroffen. Er
wohnt, wie er mir sagte, im Metropole. Er wandte sich
an Hersheimer. Hatte er Ihnen nicht erzhlt, da er in
die Stadt kommen wollte?
Hersheimer schttelte den Kopf.
Seltsam, murmelte Sir James nochmals. Sie haben
heute nachmittag seinen Namen nicht erwhnt, sonst
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14
Nichts verblffte Tuppence mehr als die Selbstverstndlichkeit und Einfachheit, mit denen dank Sir
James' energischen Manahmen alles geregelt wurde.
Der Arzt gab sich ohne weiteres mit der Theorie
zufrieden, Mrs. Vandemeyer htte eine berdosis des
Schlafmittels genommen. Eine Obduktion durch den
Gerichtssachverstndigen hielt er nicht fr ntig. Er
htte doch recht verstanden? Mrs. Vandemeyer htte im
Begriff gestanden, eine Reise ins Ausland anzutreten,
und Sir James und seine jungen Freunde htten sie
besucht, als sie pltzlich zusammengebrochen wre.
Daraufhin htten sie die Nacht in der Wohnung
verbracht, da sie sie nicht allein lassen wollten. So sei
es doch gewesen? Und wie stehe es mit den
Verwandten der Verstorbenen? Niemand wute etwas
darber, und Sir James verwies ihn an ihren Anwalt.
127
Mit Absicht?
Es wird ein Versehen angenommen. Jedenfalls wurde
sie heute frh tot aufgefunden.
Das sind traurige Nachrichten... Aber ich sehe nicht
ganz ein, was dies mit Ihren Nachforschungen zu tun
haben kann.
Ist es nicht so, da Mrs. Vandemeyer eine junge
Verwandte zu Ihnen ins Sanatorium gebracht hat?
Hersheimer beugte sich jh vor.
Stimmt, antwortete der Arzt ruhig.
Und unter welchem Namen?
Janet Vandemeyer. Soviel ich verstand, ist sie ihre
Nichte.
Und wann kam sie zu Ihnen?
Soweit ich mich entsinne, im Juni oder Juli 1915.
Ist sie in irgendeiner Weise geistesgestrt?
Nein, sie ist eigentlich vllig normal. Ich erfuhr von
Mrs. Vandemeyer, da das Mdchen mit ihr zusammen
an Bord der Lusitania gewesen war, als das Schiff
torpediert wurde. Sie hatte einen schweren Nervenschock erlitten.
Ich denke, wir befinden uns auf der richtigen Spur,
meinte Sir James und blickte um sich.
Das ist doch...! rief Hersheimer aus.
Der Arzt betrachtete sie alle verwundert.
Sie sprachen vorhin davon, da sie von ihr eine
Erklrung wollen, sagte er. Nun, es fragt sich, ob sie
in der Lage ist, eine solche Erklrung abzugeben.
Aber Sie sagten doch, sie sei vllig normal?
Das ist sie auch. Wenn Sie jedoch eine Erklrung von
ihr haben wollen, die sich auf Ereignisse vor dem 7.
130
Mai 1915 bezieht, wird sie nicht in der Lage sein, sie
Ihnen zu geben.
Verblfft sahen sie den Arzt an. Aber warum denn
nicht?
Der Arzt wandte sich dem erregten Amerikaner zu.
Weil Janet Vandemeyer ihr Gedchtnis verloren hat!
Was?
Ja, ein sehr interessanter Fall. Im brigen nicht so
selten, wie Sie vielleicht meinen.
Und sie erinnert sich an gar nichts? fragte Sir James.
An nichts, was vor dem 7. Mai 1915 liegt. Nach
diesem Datum ist ihr Gedchtnis so normal wie Ihres
oder meines.
Was ist denn das erste, dessen sie sich entsinnt?
Die Landung, zusammen mit den anderen berlebenden. Alles, was davorliegt, ist wie ausgelscht. Sie
wute nicht einmal ihren Namen. Sie konnte nicht
einmal mehr ihre eigene Sprache.
Aber das ist doch ungewhnlich! rief Hersheimer.
Nein, das ist unter den Umstnden durchaus
erklrlich. Ich schlug vor, einen Spezialisten zu Rate zu
ziehen. Es gibt in Paris einen sehr guten Mann, der sich
mit solchen Fllen befat. Aber Mrs. Vandemeyer war
dagegen. Sie befrchtete, der Fall knnte dadurch
allzusehr an die ffentlichkeit dringen.
Das kann ich mir vorstellen!
Das Mdchen war sehr jung neunzehn, glaube ich.
Man htte ihr damit sehr schaden knnen. Im brigen
gibt es fr diese Flle keine gesicherte Behandlungsmethode. Es kommt weitgehend darauf an, zu warten.
Zu warten?
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Hersheimer sprang auf. Wie bitte?
Ich dachte, das wten Sie.
Wann ist sie denn abgereist?
Warten Sie mal. Es war am letzten Mittwoch ja ,
als Sie von meinem Baum fielen.
Vorher oder nachher?
Augenblick mal nachher! Es traf ein Telegramm von
Mrs. Vandemeyer ein. Sie fuhren noch mit dem
Nachtzug.
Hersheimer lie sich in seinen Sessel zurcksinken.
Schwester Edith reiste mit einer Patientin ab, dessen
entsinne ich mich, murmelte er. Mein Gott, so nah
war ich!
Dr. Hall sah ihn verwundert an. Befindet sich die
junge Dame denn nicht bei ihrer Tante?
Tuppence schttelte den Kopf. Sie wollte gerade etwas
sagen, als ein warnender Blick von Sir James sie
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sehen.
Er entfernte sich. Tuppence blickte ihm nach. Allmhlich begann sie, Sir James' Methoden zu begreifen.
Schon einmal hatte er ihr, ebenso beilufig, einen
Fingerzeig gegeben. War auch dies einer?
Hersheimer unterbrach ihre Gedanken. Wollen wir ein
wenig im Park spazierenfahren?
Ja, warum nicht.
Eine Weile fuhren sie schweigend unter den Bumen
dahin. Es war ein prchtiger Tag. Der Fahrtwind
munterte Tuppence auf.
Was glauben Sie werde ich Jane je wiederfinden?
Hersheimers Stimme klang sehr mutlos. Tuppence sah
ihn erstaunt an. Ja, die Sache setzt mir sehr zu. Sir
James war so ganz ohne Hoffnung Ich mag ihn ja
nicht besonders, irgendwie passen wir nicht zueinander,
aber er ist wohl sehr tchtig.
Er hat doch vorgeschlagen, der Schwester wegen eine
Anzeige aufzugeben, erinnerte sie ihn.
Ja. Aber es klang nicht zuversichtlich. Vielleicht ist es
das beste, nach Amerika zurckzureisen.
Aber nein! Wir mssen doch Tommy finden!
Den habe ich tatschlich im Augenblick vergessen,
erklrte Hersheimer zerknirscht. Aber seit ich diese
Reise angetreten habe, ist soviel Unwahrscheinliches
geschehen. Man bewegt sich wie in einem Traum.
Hren Sie, Miss Tuppence, ich htte Sie gern etwas
gefragt.
Und das wre?
Sie und Beresford... Wie steht es da?
Ich verstehe Sie nicht, antwortete Tuppence khl und
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16
Aus einer Finsternis, die von jhen Blitzen durchzuckt
war, fanden Tommys Sinne allmhlich wieder ins
Leben zurck. Mhsam ffnete er die Augen. Das war
doch nicht sein Schlafzimmer im Ritz? Und was war
mit seinem Kopf?
Er kommt zu sich, bemerkte eine Stimme. Tommy
erkannte sie sogleich als die des brtigen Mannes mit
dem deutschen Akzent und blieb regungslos liegen.
Mhsam versuchte er, sich klarzuwerden, was
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Ire. Nach auen hin ein Verfechter des Unionsgedankens. Natrlich alles Tarnung. Auch das
vermuteten wir, hatten aber keine Beweise. Ja, das
haben Sie ausgezeichnet gemacht, junger Mann. Sie
sagen, der neunundzwanzigste sei das Datum? Na gut,
damit bleibt uns noch etwas Zeit wenn auch nicht
sehr viel...
Aber... Tommy zgerte.
Mr. Carter erriet seine Gedanken. Wenn der Vertragsentwurf auftauchen sollte, sieht es bel aus. Ja, bitte?
Der Wagen? Kommen Sie, Beresford, jetzt sehen wir
uns mal das Haus an.
Zwei Polizisten standen vor dem Haus in Soho Wache.
Ein Inspektor berichtete Mr. Carter mit leiser Stimme.
Der wandte sich an Tommy. Die Vgel sind ausgeflogen wie zu erwarten war. Nun, sehen wir einmal
nach.
Tommy kamen seine Erlebnisse wie ein Traum vor.
Alles war noch so, wie er es gesehen hatte. Die
Gefngniskammer mit den seltsamen Bildern, der
zerbrochene Krug in der Dachstube und der
Versammlungsraum mit dem langen Tisch. Nirgends
waren Papiere zu finden. Von Annette fehlte jede Spur.
Was Sie mir von diesem Mdchen erzhlten, erscheint
mir hchst rtselhaft, sagte Mr. Carter. Sie meinen,
da sie aus freien Stcken zurckging?
Ich kann nicht glauben, da sie wirklich eine von
ihnen ist, Sir, sie... sie schien mir anders zu sein.
Sah wohl gut aus? meinte Mr. Carter mit einem
Lcheln. Tommy gestand Annettes Schnheit verlegen
ein. Sind Sie eigentlich bereits mit Miss Tuppence in
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Tommy war dabei, einen besonders delikaten Bissen
zum Munde zu fhren, als er Hersheimer entdeckte, der
gerade eintrat. Tommy winkte ihm frhlich mit der
Speisekarte zu. Als Hersheimer Tommy erblickte, sah
er hchst verblfft aus. Er kam auf Tommy zu und
schttelte seine Hand mit groer Begeisterung.
Na, so was! rief er. Wir hatten Sie fast schon
abgeschrieben! Noch ein paar Tage, und wir htten fr
Sie ein feierliches Requiem abgehalten.
Sie dachten, ich sei tot? Glaubte das Tuppence auch?
Ja, das glaubte sie.
Wo ist sie eigentlich? Am Empfang sagte man mir, sie
sei gerade weggefahren.
Wahrscheinlich macht sie Besorgungen. Ich habe sie
vor etwa einer Stunde hier vorm Ritz abgesetzt. Aber
sagen Sie, was haben Sie die ganze Zeit ber
angestellt?
Wollen Sie mit mir essen? fragte Tommy. Es wird
eine lange Geschichte.
Hersheimer zog einen Stuhl heran und winkte einem
Kellner, dem er seine Wnsche herunterrasselte. Dann
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Mein Zug ist vor einer halben Stunde eingetroffen,
erklrte Hersheimer, als er mit Tommy den Bahnhof
verlie. Ich hatte, bevor ich aus London abreiste,
damit gerechnet, da Sie mit diesem Zug kommen
wrden, und Sir James entsprechend telegrafiert. Er hat
Zimmer fr uns bestellt und wird um acht Uhr mit uns
essen.
Sie hatten wirklich angenommen, da er sich fr den
Fall nicht mehr interessiert?
Nach dem, was er sagte, mute man das annehmen.
Aber er wollte sich wohl nur nicht festlegen.
Vielleicht, meinte Tommy nachdenklich. Pnktlich
um acht Uhr erschien Sir James. Hersheimer stellte
Tommy vor. Sir James drckte ihm herzlich die Hand.
Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr.
Beresford. Ich habe von Miss Tuppence schon viel ber
Sie gehrt.
Hersheimer berfiel Sir James mit einem Schwall
neugieriger Fragen.
Sir James strich sich das Kinn und lchelte. Schlielich
sagte er: Nun, sie ist jedenfalls gefunden. Und das ist
die Hauptsache, nicht wahr?
Gewi. Aber wie sind Sie ihr auf die Spur gekommen?
Miss Tuppence und ich glaubten, Sie wollten die Sache
ganz aufgeben.
Ach! Das haben Sie also geglaubt? Was Sie nicht
sagen!
Aber wo ist sie denn? fragte Hersheimer. Ich
dachte, Sie brchten sie mit.
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Auf der Strae hielten sie kurz Kriegsrat. Sir James
hatte seine Uhr aus der Tasche gezogen.
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Sie waren wie vor den Kopf geschlagen. Tommy nahm
die Niederlage mit Fassung hin. Aber nicht Hersheimer.
Wie in aller Welt hat er denn das angestellt? Das
mchte ich wissen!
Tommy schttelte den Kopf: Daher sahen die Nhte
auch so neu aus. Wir htten es uns denken knnen ...
Ach, zum Teufel mit den Nhten! Wie hat er es
berhaupt erfahren? Meinen Sie, es knnte in Janes
Zimmer ein Mikrophon eingebaut sein? So etwas mu
es doch sein!
Aber Tommy war zu nchtern, um sich mit einer
solchen Erklrung anfreunden zu knnen. Niemand
hat im voraus wissen knnen, da sie in dieses Haus
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Der Premierminister trommelte nervs auf die
Schreibtischplatte. Sein Gesicht war abgespannt und
voller Sorge. Ich verstehe nicht ganz, sagte er.
Wollen Sie wirklich damit sagen, da die Lage doch
nicht ganz so schlimm ist?
Unser junger Mann scheint dieser Ansicht zu sein.
Zeigen Sie den Brief noch mal! Dann las er:
Sehr geehrter Mr. Carter,
es ist etwas geschehen, was mir wieder Auftrieb
gegeben hat. Natrlich ist es mglich, da ich mich
blamiere, aber ich glaube es nicht. Wenn meine
Vermutungen richtig sind, war die Sache mit dem
Mdchen in Manchester Schwindel. Die Geschichte
war inszeniert, um bei uns den Eindruck hervorzurufen,
das Spiel sei verloren und daher glaube ich auch, da
wir unserem Ziel sehr nah waren.
Ich glaube heute zu wissen, wer die wirkliche Jane Finn
ist, und ich habe sogar eine Ahnung, wo sich die
Papiere befinden. Letzteres ist natrlich nur eine
Vermutung. Aber ich habe das Gefhl, da sie sich
bewahrheiten wird. Auf jeden Fall habe ich meine
Vermutung zu Papier gebracht, das ich Ihnen in dem
versiegelten Umschlag bergebe; ich bitte Sie, ihn erst
im allerletzten Augenblick, also um Mitternacht des
Achtundzwanzigsten, zu ffnen. Sie werden gleich
verstehen, warum. Ich bin zu der Ansicht gekommen,
da Tuppences aufgefundene Sachen ebenfalls nur
einen Zug in diesem falschen Spiel darstellen; sie ist
194
holen.
Na und?
Ich bekam nicht viel zusammen. Ein junger Mensch
von etwa fnfunddreiig Jahren rmlich gekleidet ,
das Gesicht bel zugerichtet. Er wurde niemals
identifiziert.
Und Sie glauben, da die beiden Angelegenheiten
miteinander zusammenhngen?
Ich glaube schon. Natrlich kann ich mich irren. Es
folgte eine Pause, nach der Mr. Carter fortfuhr: Ich
habe ihn gebeten, herzukommen. Selbstverstndlich
werden wir nichts aus ihm herausholen, was er uns
nicht zu sagen wnscht. Aber zweifellos knnte er den
einen oder anderen Punkt in Beresfords Brief ein wenig
erhellen. Ach, da ist er ja schon!
Die beiden Mnner erhoben sich, um den Ankmmling
zu begren.
Wir haben einen Brief vom jungen Beresford
erhalten, erklrte Mr. Carter und ging damit gleich auf
den Kern der Sache los. Ich nehme an, da Sie
Beresford gesehen haben?
Er hat mich angerufen, erwiderte der Anwalt.
Drfen wir wissen, was zwischen Ihnen besprochen
wurde?
Natrlich! Er dankte mir fr einen gewissen Brief, den
ich ihm geschrieben hatte ich hatte ihm darin eine
Stellung angeboten. Dann erinnerte er mich an etwas,
das ich ihm damals in Manchester ber das falsche
Telegramm gesagt hatte, wodurch Miss Cowley
weggelockt wurde. Ich fragte ihn darauf, ob irgend
etwas Ungewhnliches geschehen sei. Und da teilte er
197
200
22
Nachdem Tommy Sir James angerufen hatte, begab er
sich zunchst zu den South Audley Mansions. Er traf
Albert an, der sich seinen beruflichen Pflichten
widmete. Als er sich als Freund von Tuppence
vorstellte, war Albert sofort zugnglich.
Hier ist es in letzter Zeit sehr still gewesen, erzhlte
er. Ich hoffe, da es dem Frulein gut geht.
Das ist es ja gerade, Albert. Sie ist verschwunden.
Sie wollen damit doch nicht sagen, da sie den
Verbrechern in die Hnde gefallen ist?
Genau das.
Und Sie glauben, Sir, da die sie umgebracht haben?
Ich hoffe nicht. Aber sag mal, hast du nicht zufllig
eine Tante, Gromutter oder irgendeine andere
Verwandte, die zufllig schwer erkrankt ist ?
Langsam breitete sich ein Grinsen ber Alberts Gesicht.
Klar, Sir. Meiner armen Tante auf dem Land geht es
schon lange schlecht, sie fragt immer nach mir.
Tommy nickte. Kannst du dies an zustndiger Stelle
ebenfalls behaupten und in etwa einer Stunde am
Charing-Cross-Bahnhof mit mir zusammentreffen?
Ich werde da sein, Sir.
Wie Tommy gedacht hatte, erwies sich der getreue
Albert als ein wertvoller Verbndeter. Beide stiegen im
Gasthaus von Gatehouse ab. Albert fiel die Aufgabe zu,
Informationen einzuholen. Das war nicht allzu
schwierig.
Astley Priors war der Besitz eines gewissen Dr. Adams.
Der Arzt, so erklrte der Wirt, be seine Praxis nicht
201
ihn die Auffahrt entlang und bis vor das Tor. Es war ein
gelungener Auftritt, an dem alles echt wirkte. Jeder
htte geschworen, der Diener sei ein echter Diener und
der Butler ein echter Butler. Aber der Diener war niemand anders als Whittington.
Tommy kehrte ins Gasthaus zurck und wartete auf
Albert. Schlielich erschien er.
Was ist? rief Tommy.
Alles in Ordnung. Whrend die beiden Sie hinausfhrten, wurde das Fenster geffnet und etwas
hinausgeworfen. Er reichte Tommy ein Stck Papier.
Es war um einen Briefbeschwerer gewickelt.
Auf dem Papier standen nur drei Worte: Morgen
gleiche Zeit.
Groartig! rief Tommy. Jetzt kommen wir in
Fahrt.
Ich schrieb auch eine Nachricht auf ein Stck Papier,
wickelte es um einen Stein und warf ihn zum Fenster
hinein, fuhr Albert fort.
Tommy sthnte. Das kann uns teuer zu stehen
kommen!
Ich schrieb, wir wohnten im Gasthaus. Wenn sie weg
knnte, sollte sie hinkommen und wie ein Frosch
quaken.
Auf jeden Fall wird sie wissen, da du es warst,
erklrte Tommy mit einem Seufzer der Erleichterung.
Deine Phantasie geht immer mit dir durch, Albert.
Wrdest du ein Froschquaken erkennen, wenn du es
hrtest? Albert sah ziemlich niedergeschlagen aus.
Kopf hoch! Es ist ja nichts Schlimmes geschehen.
Dieser Diener ist ein alter Bekannter ich wette, er
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206
Lieber Tommy,
ich wei, da Du es warst. Komm nicht morgen abend!
Sie werden Dir auflauern. Heute frh schafft man uns
weg. Ich hrte etwas von Wales Holyhead, glaube
ich. Wenn ich Gelegenheit dazu habe, lasse ich dies
unterwegs fallen. Annette hat mir erzhlt, wie Du
entkommen bist. Kopf hoch.
Twopence
Holyhead? Bedeutete dies, da vielleicht doch...
Tommy war verwirrt. Nochmals las er nun den Brief
Wort fr Wort. Pltzlich rief Tommy: Ich bin ein
Idiot! Nachdenklich strich er den Bogen glatt. Aber
das ist jemand anders auch! Und endlich wei ich, wer
es ist!
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In seiner Zimmerflucht im Claridge lehnte sich
Kramenin auf seiner Couch zurck und diktierte seinem
Sekretr. Pltzlich summte das Telefon; der Sekretr
nahm den Hrer ab, sagte ein paar Worte und wandte
sich dann an seinen Chef: Unten ist jemand, der Sie
sprechen mchte.
Wer ist es?
Julius P. Hersheimer.
Hersheimer, wiederholte Kramenin nachdenklich.
Den Namen habe ich schon mal gehrt.
Sein Vater war ein amerikanischer Stahlknig,
erklrte der Sekretr. Dieser junge Mann mu ein
207
vernnftig sind.
Was wollen Sie denn? Geld?
Nein Jane Finn!
Jane Finn? Ich habe nie von ihr gehrt.
Sie sind ein schamloser Lgner! Sie wissen ganz
genau, wen ich meine.
Ich sage Ihnen, ich habe nie von dem Mdchen
gehrt.
Und ich sage Ihnen, da mein kleiner Willi hier nur
darauf brennt, losgehen zu drfen!
Kramenin sprte die Entschlossenheit in dieser Stimme
und sagte leise: Nun, angenommen ich wte, wen Sie
meinen was weiter?
Sie werden mir sofort mitteilen, wo sie sich aufhlt.
Kramenin schttelte den Kopf. Das wage ich nicht.
Angst, was? Vor Mister Brown? So, das hren Sie
nicht gern? Es gibt ihn also. Ich zweifelte schon daran.
Sie erstarren vor Angst, wenn Sie nur seinen Namen
hren!
Ich habe ihn gesehen. Ich habe mit ihm gesprochen.
Ich habe es erst hinterher gewut. Er war mit anderen
zusammen. Und ich wrde ihn nicht wiedererkennen!
Wer ist er wirklich? Ich wei es nicht. Aber eines wei
ich er ist ein Mann, vor dem man sich frchten mu.
Er wird es nie erfahren, erwiderte Hersheimer.
Er wei alles und schlgt blitzschnell zu.
Sie wollen also nicht tun, was ich von Ihnen
verlange?
Unmglich.
Schade um Sie. Aber der Welt wird es wohl zum
Vorteil gereichen. Er hob die Pistole.
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Wieso raus?
Ja. Ein Stckchen weiter, die Strae entlang, liegt ein
Bahnhof. Der Zug kommt in drei Minuten. Ihr
bekommt ihn noch, wenn ihr euch beeilt.
Was, zum Teufel, haben Sie denn vor? fragte
Hersheimer. Glauben Sie denn, Sie knnen so die
Spur verwischen?
Sie und ich werden den Wagen auch nicht verlassen.
Nur die Mdchen!
Sie sind wohl vllig verrckt, Beresford. Sehen Sie
mich doch nicht so an! Sie knnen die Mdchen nicht
allein gehen lassen. Das wre ja das Ende!
Tommy wandte sich Tuppence zu. Sofort raus,
Tuppence! Nimm die andere mit, und tu genau, was ich
dir sage. Niemand kann dir etwas anhaben. Du bist in
Sicherheit. Nimm den Zug nach London. Geh gleich zu
Sir James Peel Edgerton. Mr. Carter lebt ja auerhalb
der Stadt. Aber bei Sir James bist du gut aufgehoben.
Verdammt! rief Hersheimer. Jane, du bleibst hier!
Mit einer jhen Bewegung entri Tommy Hersheimer
die Pistole und richtete sie auf ihn.
Glaubt ihr mir jetzt? Steigt aus und tut, was ich sage,
oder ich schiee!
Tuppence sprang hinaus und zog die widerstrebende
Jane mit sich. Komm nur mit, es ist schon gut. Wenn
Tommy einer Sache sicher ist, dann stimmt es. Schnell!
Sonst verpassen wir den Zug.
Hersheimer versuchte, seinem unterdrckten Zorn Luft
zu machen. Was, zum Teufel...
Tommy unterbrach ihn. Still! Jetzt habe ich Ihnen
einiges zu sagen, Mr. Hersheimer.
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24
Sie kamen gerade in dem Augenblick auf den
Bahnsteig gestrzt, als der Zug anhielt. Tuppence ri
die Tr eines Abteils Erster Klasse auf, und die beiden
Mdchen sanken atemlos auf die Polster nieder.
Ein Mann blickte hinein und ging dann zum nchsten
Wagen weiter. Nervs war Jane aufgefahren. Glaubst
du, da es einer von ihnen ist? stie sie hervor.
Tuppence schttelte den Kopf. Nein! Sie nahm Janes
Hand. Tommy htte nicht behauptet, wir seien in
Sicherheit, wenn er seiner Sache nicht vllig sicher
wre.
Aber er kennt sie nicht so wie ich! Das Mdchen
erschauerte. Fnf Jahre. Fnf lange Jahre! Manchmal
glaubte ich, ich wrde verrckt.
Vergi es. Es ist ja jetzt vorbei!
Wirklich?
Der Zug war angefahren und brauste mit immer hherer
Geschwindigkeit durch die Nacht. Pltzlich fuhr Jane
Finn auf. Was war das? Ich habe ein Gesicht gesehen
an unserem Fenster.
Aber nein, da ist doch nichts. Sieh mal. Tuppence
war ans Fenster getreten und lie es herab.
Jane schien das Gefhl zu haben, da eine Erklrung
notwendig sei. Ich benehme mich wohl wie ein
erschrecktes Kaninchen, aber ich kann nicht anders.
Wenn sie mich jetzt kriegen, wrden sie...
Lehn dich zurck und denk nicht mehr an sie, flehte
Tuppence. Du kannst dich darauf verlassen, da
Tommy uns auf den richtigen Weg geschickt hat.
220
ein Taxi.
Einen Augenblick spter verlieen sie den Bahnsteig,
bezahlten den Fahrpreis nach und stiegen in ein Taxi.
King's Cross, rief Tuppence. Dann fuhr sie
zusammen. Ein Mann blickte zum Fenster hinein,
gerade als der Wagen anfuhr. Sie war beinahe sicher,
da es der gleiche Mann war, der in den nchsten
Wagen hinter ihnen gestiegen war. Sie hatte das
entsetzliche Gefhl, von allen Seiten eingekreist zu
werden.
Verstehst du, erklrte sie Jane, wir locken sie so auf
eine falsche Fhrte. Nun werden sie annehmen, da wir
zu Mr. Carter fahren. Sein Landhaus liegt irgendwo
nrdlich von London.
Als sie durch Holborn fuhren, gerieten sie in eine
Verkehrsstockung. Darauf hatte Tuppence gewartet.
Schnell, flsterte sie. ffne die rechte Tr!
Die beiden Mdchen standen mitten im Verkehr. Zwei
Minuten spter saen sie in einem anderen Taxi und
fuhren in umgekehrter Richtung, dieses Mal direkt zur
Carlton House Terrace.
Damit sollten wir ihnen eins ausgewischt haben,
sagte Tuppence mit groer Befriedigung. Ich kann mir
nicht helfen, aber ich finde mich wirklich sehr tchtig.
Der andere Taxifahrer wird ja toben! Aber ich habe mir
seine Nummer aufgeschrieben, und morgen schicke ich
ihm das Geld durch die Post, um ihn nicht zu prellen.
Was schlingert denn der Wagen so oh!
Ein schepperndes Gerusch und ein dumpfer Schlag.
Ein anderes Taxi war mit ihnen zusammengestoen. Im
nchsten Augenblick stand Tuppence auf dem
222
Umschlgen gelang es mir, das Papier wieder anzukleben. Niemand htte annehmen knnen, da mit dem
Bild etwas geschehen sei. Ich hngte es wieder an die
Wand, steckte die Zeitschrift in meine Manteltasche
zurck und kroch ins Bett. Ich hoffte nur, da sie
annahmen, Danvers htte die ganze Zeit ber nur eine
Attrappe bei sich getragen, und da sie mich schlielich
gehen lieen. Tatschlich war es das, was sie anfangs
auch glaubten; und gerade das war fr mich gefhrlich.
Spter erfuhr ich, da sie mich dort und damals fast aus
dem Weg gerumt htten es hatte niemals ernsthaft
die Absicht bestanden, mich laufenzulassen, aber der
erste Mann, der Chef, zog es vor, mich am Leben zu
lassen, da immerhin noch die Mglichkeit bestand, da
ich die Papiere versteckt haben und mich, falls mein
Gedchtnis wiederkehrte, daran erinnern knnte.
Wochen hindurch beobachteten sie mich unausgesetzt.
Zuweilen stellten sie mir stundenlang Fragen es gab
wohl nichts, was sie nicht ber die Methoden von
Kreuzverhren und dergleichen wuten. Aber es war
eine Folter. Sie brachten mich nach Irland zurck. Ich
mute jede Phase der Reise von neuem erleben, fr den
Fall, da ich die Papiere irgendwo unterwegs versteckt
htte. Mrs. Vandemeyer und eine andere Frau lieen
mich nicht einen Augenblick allein. Sie sprachen von
mir als einer jungen Verwandten von Mrs.
Vandemeyer, die durch die Erlebnisse an Bord der
Lusitania einen schweren Schock erlitten htte. Es gab
niemanden, an den ich mich um Hilfe wenden konnte.
Und selbst wenn ich eine Flucht riskierte, und sie
gelang, wrde man der eleganten Mrs. Vandemeyer
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Sir James' Worte schlugen wie eine Bombe ein. Die
Mdchen sahen einander vllig entgeistert an. Der
Anwalt trat an seinen Arbeitstisch und kehrte mit einem
kleinen Zeitungsausschnitt wieder, den er Jane reichte.
Tuppence las ihn ber ihre Schulter hinweg. Mr. Carter
htte ihn wiedererkannt. Er bezog sich auf den
geheimnisvollen Mann, den man in New York tot
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aufgefunden hatte.
Der Ausgangspunkt meiner Ermittlungen, fuhr der
Anwalt fort, war die unbestreitbare Tatsache, da
Julius Hersheimer kein erfundener Name war. Als ich
darber etwas mehr wute, war mein Problem gelst.
Es war so: Der richtige Julius Hersheimer hatte es sich
in den Kopf gesetzt, festzustellen, was aus seiner
Kusine geworden war. So reiste er nach Westen, wo er
Nachrichten ber sie einholte und die Fotografie
bekam, die ihm bei seiner Suche helfen sollte. Am
Vorabend seiner Abreise aus New York wurde er
berfallen und ermordet. Sein Leichnam war mit einem
schbigen Anzug bekleidet und das Gesicht so entstellt,
da eine Identifizierung unmglich war.
An seine Stelle trat nun Mr. Brown. Von jetzt ab tat
sich Mr. Brown mit den Personen zusammen, die sich
verschworen hatten, ihn zur Strecke zu bringen. Jedes
ihrer Geheimnisse wurde ihm bekannt. Nur ein einziges
Mal war er einer Katastrophe nahe. Mrs. Vandemeyer
kannte sein Geheimnis. Es strte nicht seinen Plan, da
Miss Tuppence ihr die riesige Bestechungssumme
anbot. Wre Miss Tuppence nicht gewesen, htte sie
die Wohnung schon lngst verlassen, als wir dort
eintrafen. Und pltzlich war die Gefahr der Entlarvung
fr Mr. Brown so gro wie noch niemals zuvor. Er
unternahm einen verzweifelten Schritt, wobei er sich
tollkhn auf die Rolle verlie, die er uns vorspielte und
die ihn, wie er annahm, unverdchtig machte. Fast wre
ihm dies gelungen jedoch nicht ganz.
Ich kann es nicht glauben, murmelte Jane. Er schien
ein so groartiger Mensch.
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nicht anders.
Ja, gab Jane zu. Es ist dumm, aber ...
Wieder nickte Sir James. Sie spren wie wir alle
die Gegenwart von Mr. Brown. Ja, fuhr er fort, als
Tuppence eine Bewegung machte, es besteht kein
Zweifel Mr. Brown ist hier ...
In diesem Haus?
In diesem Zimmer... Verstehen Sie noch immer nicht?
Ich bin Mr. Brown!
Bestrzt starrten sie ihn an. Er lchelte, ein
genieerisches Lcheln.
Keine von Ihnen wird dieses Zimmer lebend
verlassen! Der Vertragsentwurf gehrt jetzt mir. Sein
Lcheln wurde noch breiter. Soll ich Ihnen erzhlen,
wie die Sache weitergeht? Frher oder spter wird die
Polizei drei Opfer von Mr. Brown finden drei und
nicht zwei, wohlverstanden, aber glcklicherweise wird
das dritte Opfer nicht tot sein, sondern nur verwundet,
und daher in der Lage, den berfall in allen Einzelheiten zu schildern. Der Vertrag? Er befindet sich in
Hnden von Mr. Brown. Es wird niemand auf den
Gedanken kommen, die Taschen von Sir James Peel
Edgerton zu durchsuchen!
Er wandte sich an Jane. Sie haben mich berlistet. Das
gebe ich zu. Aber Sie werden es nicht noch einmal
tun.
Hinter ihm war ein leises Gerusch zu hren, aber er
merkte es nicht. Er lie die rechte Hand in seine Tasche
gleiten. Noch whrend er diese Bewegung machte,
wurde er pltzlich von hinten mit eisernem Griff
umklammert. Die Pistole wurde seiner Hand
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Ein Festessen, das Mr. Hersheimer einigen Freunden
am Abend des Dreiigsten gab, blieb in Hotelkreisen
noch lange in Erinnerung. Es fand in einem der
Privatrume des Savoy statt, und Mr. Hersheimers
Anweisungen waren kurz und bndig. Er gab dem
Kchenchef eine Blankovollmacht und wenn ein
vielfacher Millionr eine Blankovollmacht gibt, dann
erhlt er auch etwas dafr!
Jede nur denkbare Delikatesse wurde herbeigeschafft.
Kellner trugen Flaschen erlesensten alten Weins herein.
Die Blumen der Dekorationen bertrafen jede
Vorstellung. Frchte aller Art und aller Jahreszeiten
huften sich. Die Schar der Gste war klein, aber
erlesen. Es waren der amerikanische Botschafter, Mr.
Carter, der, wie er sagte, sich die Freiheit genommen
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Katzen.
Stimmt. Ich bin eine furchtbare Wildkatze!
Das glaube ich Ihnen, antwortete der alte Herr und
lachte.
Dann kam der Geistliche, ein wenig verwirrt von der
Gesellschaft, in die er da geraten war. Er war zwar froh,
da sich seine Tochter so ausgezeichnet verhalten hatte,
blickte sie jedoch von Zeit zu Zeit ein wenig nervs an.
Als nchster kam Dr. Hall. Ihm folgte der amerikanische Botschafter.
Wollen wir uns nicht setzen? sagte Hersheimer, als
er seine Gste einander vorgestellt hatte. Tuppence,
wollen Sie bitte... Er deutete mit einer Handbewegung
auf den Ehrenplatz.
Aber Tuppence schttelte den Kopf. Nein, das ist
Janes Platz! Wenn man bedenkt, wie sie in all den
Jahren durchgehalten hat... Sie ist die Knigin dieses
Abends.
Jane nahm verlegen den Platz ein. So schn sie schon
frher ausgesehen hatte, ihre Erscheinung an diesem
Abend stellte alles in den Schatten. Tuppence hatte ihre
Aufgabe getreulich erfllt. Das Modellkleid war eine
Phantasie in Braun, Gold und Rot, wogegen sich das
Wei ihres schlanken Halses vorteilhaft abhob.
Bald war das Fest in vollem Gang, und alle baten nun
Tommy, einen vollstndigen Bericht ber die letzten
Ereignisse abzugeben.
Sie haben in dieser Angelegenheit berhaupt nie den
Mund aufgetan, beschuldigte ihn Hersheimer. Mir
haben Sie erzhlt, Sie reisten nach Argentinien.
Wahrscheinlich hatten Sie dafr Ihre besonderen
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ich Bescheid!
Aber wieso denn?
Tommy holte den Brief aus seiner Tasche und lie ihn
am Tisch herumgehen.
Es ist ihre Schrift aber die Unterschrift bewies mir,
da die Mitteilung nicht von ihr stammen konnte.
Niemals htte sie ihren Namen Twopence
geschrieben. Nur jemand, der noch kein Schreiben mit
ihrer Unterschrift erhalten hatte, konnte sich dieser
Schreibweise bedienen. Hersheimer hatte Schreiben
von ihr gesehen er zeigte mir einmal eine Mitteilung
von ihr an ihn. Aber an Sir James hatte sie nie
geschrieben. Danach war alles einfach. Ich schickte
Albert in aller Eile zu Mr. Carter. Ich tat so, als ginge
ich weg, kehrte jedoch zurck. Als Hersheimer mit
seinem Wagen angebraust kam, dachte ich mir gleich,
da dies nicht zu Mr. Browns Plan gehrte und da es
wahrscheinlich einiges Durcheinander geben wrde.
Ich wute nun aber: wenn Sir James nicht auf frischer
Tat ertappt wurde, wrde mir Mr. Carter auf meine
bloe Vermutung hin niemals glauben.
Das htte ich auch nicht, warf Mr. Carter ein.
Deswegen habe ich die Mdchen zu Sir James
geschickt. Ich war berzeugt, da sie frher oder spter
im Haus in Soho auftauchen wrden. Ich bedrohte
Hersheimer mit der Pistole, denn Tuppence sollte dies
Sir James berichten, damit er sich unseretwegen keine
Gedanken mehr machte. In dem Augenblick, in dem die
Mdchen verschwunden waren, bat ich Hersheimer,
wie der Teufel nach London zu jagen, und unterwegs
erzhlte ich ihm die ganze Geschichte. Wir gelangten
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hinein wie in eine neue Haut. Warf ich sie ab, war ich
wieder ich selber: still, unauffllig, ein Mann wie jeder
andere auch. Ich nannte mich Mr. Brown. Es gibt
Tausende dieses Namens, es gibt Tausende, die
genauso aussehen wie ich
In meinem offiziellen Beruf hatte ich Erfolg. Er konnte
gar nicht ausbleiben. Ich werde auch in dem anderen
Erfolg haben. Ein Mann wie ich kann ganz einfach
nicht versagen... Ich habe eine Biographie ber
Napoleon gelesen. Er und ich haben vieles
gemeinsam...
Ich spezialisiere mich darauf, Verbrecher zu verteidigen. Ein Mann sollte sich um seinesgleichen
kmmern... Ein- oder zweimal hatte ich Angst. Das
erstemal in Italien. Eine Einladung zum Abendessen.
Professor D., der berhmte Nervenarzt, war anwesend.
Das Gesprch wandte sich den Geisteskrankheiten zu.
Er sagte: Sehr viele groe Mnner sind irre, und
niemand wei es. Sie wissen es ja selber nicht.
Ich verstehe nicht, warum er mich dabei ansah. Es war
ein seltsamer Blick. Er gefiel mir nicht...
Es geht alles nach meinen Wnschen. Ein Mdchen ist
hereingeplatzt; ich glaube nicht, da es wirklich etwas
wei. Wir mssen jedoch die Estnische GlaswarenGesellschaft aufgeben. Jetzt darf man nichts aufs
Spiel setzen... Alles geht gut. Der Verlust des
Gedchtnisses ist strend. Es kann sich dabei nicht um
Simulieren handeln. Kein Mdchen knnte mich
tuschen!
Der Neunundzwanzigste ... Das ist sehr bald...
Mr. Carter hielt inne. Ich will nicht auf die
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gebhrt!
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Das war ein groartiger Trinkspruch, Jane, sagte Mr.
Hersheimer, als er und seine Kusine im Rolls-Royce
zum Ritz zurckfuhren.
Der auf die Jungen Abenteurer?
Nein, der auf dich. Es gibt kein anderes Mdchen auf
der Welt, das diese Gefahren so durchgestanden htte
wie du. Du warst einfach wundervoll!
Ich fhle mich ganz und gar nicht wundervoll. Ich bin
nur mde und einsam und sehne mich nach Hause.
Das erinnert mich an etwas, worber ich noch mit dir
reden wollte. Ich hrte, wie der Botschafter zu dir
sagte, seine Frau hoffe, du wrdest zu ihnen in die
Botschaft ziehen. Das ist ja alles schn und gut, aber
ich habe ganz andere Plne. Jane, ich mchte, da du
mich heiratest! Du kannst mich natrlich nicht ohne
weiteres lieben. Das sehe ich ein. Aber ich habe dich
von dem Augenblick an geliebt, an dem ich dein Bild
gesehen habe und nun, da ich dich kenne, bin ich
vllig hingerissen von dir! Du kannst dir mit deiner
Antwort Zeit lassen. Vielleicht wirst du mich niemals
lieben knnen und wenn das der Fall ist, werde ich
dich freigeben. Aber ich behalte mir auch dann das
Recht vor, auf dich zu achten und fr dich zu sorgen.
Das ist es ja gerade, was ich mchte, antwortete das
Mdchen. Ich suche einen Menschen, der gut zu mir
ist. Ach, du weit ja nicht, wie einsam ich mich fhle.
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Agatha Christie
Agatha Mary Clarissa Miller,
geboren am 15. September
1890 in Torquay, Devonshire,
sollte nach dem Wunsch der
Mutter Sngerin werden.
1914 heiratete sie Colonel
Archibald Christie und arbeitete whrend des Krieges als
Schwester in einem Lazarett.
Hier entstand ihr erster Kriminalroman Das fehlende
Glied in der Kette, Eine betrchtliche Menge Arsen war
aus dem Giftschrank verschwunden und die junge Agatha spann den Fall aus. Sie fand
das unverwechselbare Christie-Krimi-Ambiente.
Gleich in ihrem ersten Werk taucht auch der belgische Detektiv
mit den berhmten kleinen grauen Zellen auf: Hercule Poirot,
der ebenso unsterblich werden sollte wie sein weibliches Pendant, die reizend altjngferliche, jedoch scharf kombinierende
Miss Marple (Mord im Pfarrhaus).
Im Lauf ihres Lebens schrieb die Queen of Crime 67 Kriminalromane, unzhlige Kurzgeschichten, 7 Theaterstcke (darunter
Die Mausefalle) und ihre Autobiographie.
1956 wurde Agatha Christie mit dem Order of the British Empire ausgezeichnet und damit zur Dame Agatha. Sie starb am
12. Januar 1976 in Wallingford bei Oxford.
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