Friede!
Es zieht im weiten deutschen Lande —
Vom Dollart bis zum Bodensee,
Vom Rheingeländ’ bis zur Persante —
Durch jede Brust ein tiefes Weh.
Wird es zum Murren bald empor,
Und als ein Schrei des Jammers gellen
Zuletzt ans taubste Fürstenohr.
Wie war so schön es erst gelungen,
Wie brauste hell von tausend Zungen
Der Kriegsgesang, „die Wacht am Rhein!“
Der Taumelkelch, gefüllt zum Rande,
Ward ihm kredenzt ohn’ Unterlaß —
Berauschte sich das Volk in Haß.
Verräther wurden Die gescholten,
Die nüchterne Besonnenheit
Und Ruhe sich erhalten wollten
Die, unberückt vom Glanz der Siege
Und unbeirrt vom blöden Wahn,
In diesem „großen heil’gen“ Kriege
Nur eine Fürstenfehde sahn.
Als seine schönste Blüthe pries,
Wenn man das deutsche auserlesen
Vor allen andern Völkern hieß —
Daß brüderlich wir gegen Alle
Er ward vom trüben Wogenschwalle
Der wüsten Rauflust fortgespült.
Das war ein Jubeln und Frohlocken
Und Fahnenweh’n bei jeder Schlacht!
Die bunten Flammen durch die Nacht,
Wenn wieder Tausende im Sande
Verscharrt nach heißem Kampfestag,
Wenn eine Stadt nach wildem Brande
So feig und dumm war keine Lüge,
Daß sie nicht willig Glauben fand;
Verbrechen hieß das Wort der Rüge
Dem tollgewordnen Unverstand,
Man stets bewundert und gelobt,
Dawider ward in blindem Grimme
Beim Feind geeifert und getobt.
Hat mit der rohen Kraft Entfalten
Und ward das weise Maaß gehalten,
Das edler Völker Siege krönt?
Frankreichs Gloire ertrank im Blute —
Doch hat es Dich mein Volk, verletzt,
Dem Gegner auf den Nacken setzt?
Hat nicht ein Wink Dich des Despoten
Zu dem brutalen Wunsch entflammt,
Daß zu dem Schicksal der Heloten
Schriest Du nicht Krieg! obgleich der Friede
Dir Recht und Sicherheit verhieß,
Weil sich von ihrem Grenzgebiete
Die Republik nichts nehmen ließ? —
Sich dennoch auf sich selbst besann,
Wenn es allmählich sich entwunden
Des Fanatismus finstrem Bann,
Wenn auf sein Wollen, auf sein Streben
Wenn vor dem Kampf auf Tod und Leben
In tiefster Seele es erschrickt —
So ist es, weil der Opfer Größe
Mit Thränen jedes Auge füllt,
Der Krieg den Schaudernden enthüllt,
So ist es, weil, gemäht vom Schwerte
Die Blüthe seiner Jugend sank,
Weil Ströme Blut die fremde Erde
Und wälzt Kolonne auf Kolonne
Mit Sang und Klang sich zur Armee —
Sie schmilzt, wie vor dem Strahl der Sonne
Im Frühling ein Koloß von Schnee.
Doch siech ist oder todesmatt,
Wem nicht die jungen kräft’gen Glieder
Die Kugelsaat zerschmettert hat!
Es ließ die Noth, der strenge Richter,
Durch den die Denker und die Dichter
Den unerhörten Kampf gesehn;
Schon ist der Fieberrausch verflogen,
Der überreizte Haß verschwand
Verebben mehr und mehr im Sand.
Ihr seht und fühlt des Volks Erkalten —
Darum verspritzt in Wort und Schrift
Und in der feilen Presse Spalten
Verlorne Müh! Es naht die Stunde,
Wo man auf Frieden stürmisch dringt,
Wo Euch aus jedem, jedem Munde
Ein „Nein!“ „Genug!“ entgegenklingt!
Vom Dollart bis zum Bodensee,
Vom Rheingeländ’ bis zur Persante —
Durch jede Brust ein tiefes Weh.
Noch ists ein Seufzen, aber schwellen
Und als ein Schrei des Jammers gellen
Zuletzt ans taubste Fürstenohr.
Leipzig, 10. Janr. 1871. Richard C.
Anmerkungen (Wikisource)
Ebenfalls abgedruckt in:
- Das lyrische Feuilleton des „Volksstaat“ Gedichte der Eisenacher Partei. Hrsg. von Reinhard Weisbach. Akademie-Verlag Berlin 1979. S. 100-103. Text auf Seite 145, Richard C.: Das ist Richard Cramer, bekannt unter dem Pseudonym Rudolf Lavant.