Schattogri: Verspätete Reise im Frühen Mittelalter
Von Ronald Kaduk
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Über dieses E-Book
Ronald Kaduk
Ronald Kaduk geboren 1971 in Ostberlin, lernte beim Fernsehen der DDR, studierte Geschichte und Anglistik, forschte über Fürst Pückler sowie Berliner Dandys, ist ein leuchtender Zacken beim Roten Stern Pankow und engagiert sich seit vielen Jahren für die deutsch-arabische Völkerverständigung.
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Buchvorschau
Schattogri - Ronald Kaduk
1
Wie froh bin ich, bald wieder daheim zu sein! Habe ich mir das doch alles ganz anders vorgestellt und weigere mich noch immer, dies als Niederlage zu begreifen. Wie ein Feldherr rede ich mir ein, dass die missliche Lage sicher etwas Gutes habe, dies noch nicht das Ende und die letzte Schlacht noch nicht geschlagen sei. Und kehre ich denn wirklich mit leeren Händen zurück? Bei dieser Frage gerate ich unweigerlich ins Philosophieren. Danach bin ich zumeist noch verwirrter, und dennoch begehe ich diesen Fehler immer wieder. Anton mag diese großen Fragen nicht. Er meint, das führe zu nichts und lenke vom Wesentlichen ab. Während ich neben Anton stehe und auf die im Mondlicht nur schemenhaft erkennbaren schneebedeckten Berge blicke, muss ich ihm Recht geben.
Erstaunlicherweise hat er fast immer recht. Ich weiß auch nicht, wie er das macht. Dabei hat er weniger von der Welt gesehen als ich und kann weder lesen noch schreiben. Dafür scheint er die richtigen Instinkte zu haben. Er hatte hier oben jedenfalls genug Zeit zum Nachdenken. Zudem ist er ein guter Zuhörer. Deshalb erzähle ich ihm gern meine Geschichte und versuche dabei, mich an das zu halten, was ich wirklich gesehen, gehört und gedacht habe. Zugleich weiß ich inzwischen besser als früher, dass man sich nicht immer auf seine Sinne verlassen kann und der Übergang zwischen der Wirklichkeit und dem Reich der Einbildung selbst ausgeruht und mit vollem Magen nicht immer ganz klar ist, so wie sich hier oben morgens und abends oftmals die Berge kaum von den Wolken unterscheiden lassen. Dabei hat Anton meine Geschichte bereits mehr als einmal gehört. Er ist eine so schlichte und gute Seele und ich wünschte, ich könnte sein wie er. Wie einfach wäre das Leben!
Anderen würde es in meiner Erzählung womöglich an dramatischen Wendungen fehlen, habe ich doch, so sehr ich dazu bereit war, weder mit Drachen und Löwen gekämpft noch mich mit dem Schwert in der Hand Schurken und Rittern entgegengestellt. Anspruchsvollere Zuhörer würden sich womöglich beschweren, dass nicht genug passiert. Denen erwidere ich: Ich bin zwar kein Odysseus, aber das ist die Geschichte meiner Suche und diese folgt nicht bestimmten Regeln. Wie langweilig wäre die Welt, wenn wir brav alle Regeln befolgen würden!
Dafür biete ich etwas anderes: Einblicke in mein Seelenleben. Nicht alles davon versteht Anton, und wenn ich redlich Rechenschaft vor mir ablege, erzähle ich diese Geschichte nicht nur ihm, sondern auch mir.
Und während ich noch einmal den Pfaden meiner bisherigen Reise folge, ahne ich, dass ich, ohne es zu wissen, vom ersten Tag an mehr als nur meine Mutter gesucht habe.
*
Es ist gar nicht so lange her, doch wenn ich nun daran zurückdenke, scheint es mir wie eine andere, längst untergegangene Welt, damals, als ich mich auf den Weg machte und diese Reise begann. Und obwohl alles nun schon so weit zurückliegt, kann ich mich noch gut an meine Empfindungen erinnern, selbst an meine Aufregung kurz vor der Abreise.
Bereits am Vorabend hatte ich alles gepackt und die wenigen Reisesachen lagen in meiner Schlafkammer gleich neben dem Bett, wollte ich doch mit möglichst wenig Gepäck reisen, um freier und beweglicher zu sein. Daher war es mir auch recht, dass Berta nicht mit mir kam. Es war kein Bauchgefühl, sondern eine kühle Verstandesentscheidung, die Suche ohne meine Schwester zu wagen. Vater hätte es ohnehin nicht gestattet. Ich hatte ihm versprochen, Mutter wiederzufinden, aber sein Blick verriet mir, dass er nicht daran glaubte. Ohne dass er es aussprach, wusste ich, dass mein Vater mir das nicht zutraute. Er war vielmehr davon überzeugt, dass weder Mutter noch ich zurückkehren würden und ihm dann nur noch Berta und seine Vögel blieben. Daher wollte er sie keinesfalls mit mir gehen lassen und ich konnte es ihm kaum verdenken.
Noch einmal war ich am Tag vor meiner Abreise gemeinsam mit Berta am See. Während wir von der Burg über die bereits abgeernteten Felder liefen, kam ein kühler Wind auf. Das nahe Birkenwäldchen war zwar noch grün und frisch wie im Sommer, aber der dunkle, feuchte Boden roch bereits nach Herbst. Während wir uns auf unserem Lieblingsfelsen am See auszogen, bat Berta mich erneut, mit der Suche bis zum Frühjahr zu warten. Niemand, sagte sie, beginne eine solche Reise im Herbst.
Uns war schon kalt, bevor wir uns auszogen. Frierend standen wir nackt auf dem kühlen Stein und blickten in das dunkelblaue, fast schwarze Wasser. Wie immer zählten wir gemeinsam bis drei und sprangen dann zusammen von dem Felsvorsprung. Ich öffnete die Augen erst unter Wasser und suchte meine Schwester. Endlich sah ich sie vor mir und bewunderte ihre eleganten Schwimmbewegungen. Sonst liebte ich dieses Gefühl, wenn die Kälte des Wassers scharf in den Kopf zog, sodass es beinahe schmerzte. Doch damals empfand ich es als unangenehm. Ich war noch nicht bereit für den Herbst. Rascher als sonst kletterten wir wieder auf den Felsen und kleideten uns zitternd an. Mir war kalt und ich wollte zurück zur Burg. Berta bat mich jedoch, noch ein wenig mit ihr auf dem Felsen zu verweilen. Sie nahm meine Hand und wir blickten zusammen über das dunkle Wasser auf das gegenüberliegende Ufer. Gelegentlich flatterte ein farbiges Herbstblatt wie ein kleiner Vogel auf das Wasser. Ein Blatt schwamm direkt unter unseren Füßen vorbei. Berta rieb sich die frierenden Arme und fragte mich, ob ich lieber ein Fisch oder ein Vogel wäre. Da wir beide, wie unser Vater, Vögel besonders liebten, nahm ich die Frage nicht ernst und antwortete, dass ich am liebsten ein Vogel wäre, der auch schwimmen und tauchen kann wie ein Fisch. Sie umarmte mich und erwiderte lachend: „Dann wärst du wohl am liebsten eine Ente, Baldur."
Auf dem Heimweg sprachen wir wenig. Ich hatte Hunger und dachte an Mutters Apfelbrötchen. Wie gern hätte ich eines davon gegessen. Jörg mühte sich redlich, ähnliche Brötchen zu backen. Aber sie schmeckten einfach anders. Niemand kannte ihr Rezept. Wir wussten nicht einmal, woher sie das Rezept hatte.
Als wir an der Burg ankamen, verschwand die Sonne bereits hinter dem Wald. Dabei war es noch gar nicht spät. Ohne Berta davon wissen zu lassen, zweifelte ich nun selbst, ob es eine gute Idee sei, meine Suche so kurz vor dem Winter zu beginnen.
*
Das Abendessen war zugleich mein Abschiedsessen und Jörg hatte sich besondere Mühe gegeben. Ohnehin ein vorzüglicher Koch, zeigte er noch einmal seine ganze Kunst. Wie immer saßen wir gemeinsam im Speisesaal der Burg: mein Vater an der Stirnseite, rechts von ihm meine Schwester und Ubu der Stallknecht, links Jörg und ich. Die meinem Vater gegenüberliegende Seite des Tischs blieb leer. Dort war der Platz meiner Mutter.
Jörgs Rehbraten in Pilzsoße war makellos. Die Pilze hatten Berta und ich im nahen Wald gesammelt. Dazu gab es gebratene Forellen, frisch gebackenes Roggenbrot und kleine Eierkuchen mit Pflaumenmus. Vater hatte einen besseren Wein als gewöhnlich auf den Tisch stellen lassen. Als ich mir mehr von dem köstlichen Rehbraten nahm, merkte ich, dass mir der Wein rascher als gewohnt zu Kopf stieg und ich mich kaum noch darauf konzentrieren konnte, was mein Vater erzählte. Er nutzte unser letztes gemeinsames Mahl, mir noch einmal Ratschläge für die bevorstehende Reise zu erteilen:
Statt eines Schwertes sollte ich nur einen Jagddolch mit mir führen, der sei leichter und vielseitiger. Obst und rohes Gemüse sollte ich nur selbstgepflückt oder eigenhändig abgewaschen verzehren, denn ein verdorbener Magen sei auf Reisen verheerend. Die Goldmünzen sollte ich an mindestens drei verschiedenen Orten verstauen und Räubern bei einem Überfall nur den kleinsten Sack aushändigen. Sich mir anschließende Reisegefährten sollte ich mir sehr genau ansehen und überhaupt am besten möglichst meiden, denn Räuber und Diebe erkenne man nicht immer an ihrem Aussehen. Wenn ich nach einem Nachtlager fragte, solle ich nicht unbedingt das größte Haus im Dorf auswählen, da Reichtum oft geizig mache. Großzügige Menschen hätten keine Hofhunde oder wenn, dann seien diese friedlich. Nur Geizhälse wollten sich mit einem Kläffer ungebetene Gäste vom Leibe halten. Seine Ratschläge vermischte er immer wieder mit uns längst bekannten Reiseanekdoten.
Ich nickte, ohne ihm genau zuzuhören und nahm mir noch mehr von dem Wein.
Berta und Ubu interessierten sich ebenfalls wenig für die Ratschläge und Erinnerungen meines Vaters und unterhielten sich stattdessen über das Pferd meiner Schwester, welches seit einigen Tagen einen entzündeten Vorderhuf hatte.
Jörg hingegen widmete sich ganz dem Essen. Er bevorzugte es ohnehin, dass seine aufwendigen Kochkreationen schweigend und konzentriert genossen wurden. Es war ihm ein Gräuel, wenn wir kaum darauf achteten, was wir uns gerade in den Mund schoben.
Ohne dabei auf seine Worte zu achten, betrachtete ich meinen Vater. Er war noch immer eine eindrucksvolle Erscheinung, doch seine Schultern und Arme wirkten weniger kräftig als früher und mir schien, als ob sein Bart nach dem Verschwinden meiner Mutter noch grauer schimmerte.
Während mein Vater von einem Jugendabenteuer in einem fernen Gebirgszug tief im Osten des Reiches erzählte, bei dem er sich dank seines Pferdes vor dem Erfrieren retten konnte, dachte ich an meinen Besuch in der nahen Stadt. Ich hatte dort vor einigen Tagen gemeinsam mit Berta die letzten Bestellungen für meine Reise abgeholt: Einen leichten, aber warmen Wollmantel in einem dunklen Grünton, den ich sowohl ob seines guten Schnitts als auch wegen seiner Unempfindlichkeit gegen Schmutz und seiner Unauffälligkeit ausgewählt hatte. Meine Schwester hatte die Gelegenheit genutzt, für sich ein neues Kleid zu bestellen, welches noch vom Schneider angepasst werden musste. Während der Schneider die letzten Änderungen vornahm, ging ich meine neuen Reisehandschuhe abholen.
Das Geschäft des Handschuhmachers befand sich in einer schmalen und unauffälligen Gasse der Stadt. Niemand kam hier zufällig vorbei. So unscheinbar Laden und Werkstatt von außen aussahen, so überraschend groß und eindrucksvoll waren beide von innen. Der Meister saß an seinem Tisch und nähte an einem feinen Damenhandschuh. Auf dem Tisch saß eine Katze und schaute mich an. Ich war nicht sicher, ob ihr Blick Neugier oder Langeweile ausstrahlte. Gab es so etwas wie gelangweilte Neugierde? Es roch nach Leder. Ich mochte den Geruch und er schien etwas in mir auszulösen. Er machte mich weicher und empfindsamer.
Ich kannte den Handschuhmacher nur von den wenigen Besuchen in seinem Laden. So selten, wie meine Familie seine Dienste in Anspruch nahm, wäre es übertrieben von einer Vertrautheit zu reden, und doch fühlte ich eine Nähe und Verbundenheit. Er war noch älter als mein Vater und sein Kopf war vollkommen kahl. Seine Augen waren in dem faltigen Gesicht, unter den buschigen, vollkommen weißen Augenbrauen kaum zu sehen und schienen doch zu leuchten. Ich war bereits vor drei Wochen bei ihm, um die Bestellung aufzugeben, Maß nehmen zu lassen und ein passendes Leder auszusuchen. Die Katze hatte ich damals nicht bemerkt.
Meine neuen Handschuhe aus dem Regal holend, erkundigte er sich nach meinem Vater und meiner bevorstehenden Reise. Er kannte meine Mutter und wusste bereits von ihrem Verschwinden. Erneut lobte er die Schönheit ihrer Hände und wünschte mir viel Glück bei der Suche nach ihr. Die neuen Handschuhe passten hervorragend. Das Hirschleder war so weich und angenehm, dass ich sie gar nicht mehr ausziehen wollte und immer wieder an ihnen roch. Ich zahlte und wollte bereits wieder gehen, als er mich fragte, ob ich noch kurz Zeit hätte. Er wolle mir gern etwas zeigen. Und weil ich mir sicher war, dass Berta noch länger beim Schneider zubringen würde, stimmte ich zu.
Fast feierlich präsentierte er mir zwei Paar Handschuhe. Das eine Paar waren fein gearbeitete Fingerhandschuhe aus Ziegenleder mit farbig gestickten Verzierungen auf dem Handschuhrücken, das andere ein Paar grobe Fäustlinge aus Lammfell, wie Kutscher sie im Winter trugen. Der Meister ermutigte mich, beide anzuprobieren, und fragte mich dann nach meinem Urteil, welches das Bessere sei. Fragend blickte ich ihn an: ein edler Handschuh, der die Hand eines Königs schmücken könnte, und ein plumper Bauernhandschuh? Ungeduldig zeigte ich auf die Feinen und fragte ihn, was seine Frage bezwecke, die Antwort sei doch wohl klar. Der Meister lächelte und nahm mir beide Paare wieder ab. Fast zärtlich strich er über das Leder der Fingerhandschuhe:
„Ja, natürlich, dieser feine Ziegenlederhandschuh mit den Verzierungen und den fünf sauber gearbeiteten Fingern kostet mich mindestens drei Mal so viel Arbeitszeit wie dieser einfache Fäustling. Das Leder ist ebenfalls deutlich teurer. Und so verkaufe ich ihn auch für einen vielfachen Preis. Doch nun sag mir, welchen Handschuh du lieber hättest, wenn du im Winter den ganzen Tag draußen bist und dir Schnee und Wind um die Ohren pfeifen?" Ich nickte verständig und dachte zugleich, dass ich schon daheim genug Ratschläge bekäme und nicht noch mehr davon brauchte. Doch der Meister ließ mich immer noch nicht gehen. Er blickte mich prüfend an und fragte, ob ich schon mal darüber nachgedacht hätte, warum Urin gelb sei; selbst wenn man den ganzen Tag klares Wasser trinke. Ich schüttelte den Kopf und wollte nun wirklich lieber gehen. Ich hatte die Klinke bereits in der Hand, als er mich noch fragte, ob ich schon einmal probiert hätte, einen Kopfstand zu machen und dabei ein Glas Wasser zu trinken. Ich solle es mal versuchen, auf meiner Reise hätte ich ja genug Zeit darüber nachzudenken. Vielleicht auch darüber, warum man selbst auf dem Rücken liegend pinkeln könne. Das sei doch wohl eigentlich nicht möglich, da alle Flüssigkeiten immer von oben nach unten flössen. Als ich ihn fragend anblickte, lächelte er kaum merklich und es schien mir, als ob mich auch seine Katze nun spöttisch musterte. Ihr Blick verunsicherte mich. Rasch verabschiedete ich mich und versprach, über seine Fragen nachzudenken.
*
Erneut bemühte ich mich, meinem Vater für einen Moment zuzuhören. Er erklärte mir gerade, dass es wichtig sei, nicht in Gräben zu übernachten, da sich die Feuchtigkeit dort sammle und dies schlecht für die Gelenke sei. Nur bei Sturm könne man von dieser Regel abweichen, da dann die Vorteile überwögen.
Ich schenkte mir vom Wein nach und dachte über die Fragen des Handschuhmachers nach. Vermutlich würde ich bei Aristoteles Antworten dazu finden. Ich erinnerte mich, wie erschrocken ich war, als ich einst als Kind nach einer Rote-Beete-Suppe draußen vor der Burg in den Schnee gepinkelt hatte. Der rote Urin hatte mich zum Weinen gebracht, denn ich dachte, ich würde innerlich verbluten. Ich nahm mir vor, morgen früh darauf zu achten, ob sich die Farbe des Urins auch veränderte, nachdem man große Mengen Rotwein getrunken hatte. Der Wein war kräftig und seine Farbe dunkler als Blut. Ich wurde immer betrunkener und verlor endgültig meine Geduld für weitere gute Ratschläge und seltsame Fragen.
Endlich bemerkte dies auch mein Vater. Er räusperte sich und meinte, es sei nun wohl an der Zeit, schlafen zu gehen. Morgen früh würde er sich von mir verabschieden. Damit stand er auf und ging in sein Zimmer. Sein Gang schien mir schwerer als gewöhnlich. Bevor er zu Bett ging, schrieb er oftmals noch an seinem Vogelbuch, allerdings nie lange, da er es für Verschwendung hielt, dafür zu viele Kerzen zu verbrauchen. Er hatte sich vorgenommen, den ersten vollständigen Überblick über alle Vogelarten im Reich zu verfassen, und arbeitete an diesem Vorhaben bereits mehrere Jahre. Berta und ich waren von seinen Studien weniger überzeugt, da er dazu immer wieder Vögel einfing und gelegentlich auch tötete. Achselzuckend meinte er dann, schließlich sei es ihm nur so möglich, im Dienste der Wissenschaft die besonderen Merkmale jeder Art genau zu beschreiben. Es erschien uns als ein seltsamer Widerspruch, Vögel zu lieben und doch nicht davor zurückzuschrecken, seltene Exemplare gelegentlich zu töten.
Nachdem Ubu und Jörg das restliche Essen abgeräumt und sich anschließend ebenfalls in ihre Kammern zurückgezogen hatten, blieben nur Berta und ich allein an der Tafel zurück. Scheinbar unbeteiligt saß sie mir gegenüber. Ich wusste, dass sie es mir übelnahm, mich nicht bei der Suche begleiten zu dürfen. Wir hatten in letzter Zeit oft darüber gestritten. Unseren letzten gemeinsamen Abend wollte ich gern versöhnlich mit ihr ausklingen lassen, auch wenn mir der Wein bereits schwer zu schaffen machte.
Berta war zwei Jahre jünger als ich; in den letzten Jahren war sie jedoch in Vielem eher wie eine große Schwester. Zum einen war sie für eine Frau erstaunlich groß gewachsen, zum anderen liebte sie es, über Dinge zu bestimmen und Verantwortung zu übernehmen. Seit dem Verschwinden unserer Mutter war dies noch ausgeprägter. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie an diesem Abend keine Haube trug und ihre dunkelblonden, leicht lockigen Haare frei auf ihr grünes Hauskleid fielen. Unser Vater sah das nicht gern. Sie kam allmählich in das Alter, in dem sie sich einen Bräutigam suchen sollte. Auf den wenigen umliegenden Burgen gab es allerdings kaum Männer im heiratsfähigen Alter, und die Söhne der Kaufleute in der Stadt kamen für sie nicht infrage. Sie meinte, die meisten von ihnen könnten nicht mal vernünftig reiten oder einen Bären erlegen. Und nur weil jemand ein wenig Latein könne, sei er noch lange nicht gebildet oder gar interessant.
Wir saßen uns schweigend gegenüber. Gern hätte ich an unserem letzten Abend etwas Feierliches und Bedeutendes gesagt, aber ich wusste nicht, wie ich beginnen sollte, und so blickten wir einander nur über den Tisch hinweg an. Wir hatten beide dieselbe grau-grüne Augenfarbe. Manchmal, wenn ich in Bertas Augen schaute, bekam