Der Vater spricht: Aus dem Meer der familiären Freuden
Von Robert Neubert, Sylvia Zeller und Sarah Pakosch
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Über dieses E-Book
Robert Neubert
Robert wurde in Neubrandenburg geboren und lebt inzwischen seit über 20 Jahren in Leipzig. Nach einigen Semestern Germanistik an der lokalen Universität, brachte ihn die Radioarbeit zum Studium der Sprechwissenschaft in Halle. Nach seinem Abschluss dort arbeitete er viele Jahre als Sprechtrainer im Rundfunk, als auch als Leiter einer Musikschule für DJing und elektronische Musikproduktion. Da er die Arbeit mit den Menschen vertiefen wollte, begann er gestalttherapeutische und systemische Ausbildungen und arbeitet seit 2018 als Coach und psychologischer Berater. 2024 schloss er seine Ausbildung im US-Paartherapie-Modell Relation Life Therapy ab. Er lebt mit seiner Frau Claudia Neubert und ihren zufälligerweise 5 Kindern in Leipzig.
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Der Vater spricht - Robert Neubert
Robert Neubert
Der Vater spricht
Aus dem Meer der familiären Freuden
www.dervaterspricht.de
© 2024 Robert Neubert
Umschlag, Illustration: Sarah Pakosch
Lektorat: Sylvia Zeller
Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
ISBN
Paperback
978-3-384-36636-8
Hardcover
978-3-384-36637-5
e-Book
978-3-384-36638-2
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Ver-wertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Robert Neubert, Sebastian-Bach-Str. 4-6, 04209 Leipzig, Deutschland.
Für meine liebe Frau – ohne Dich wäre all das nicht passiert.
Wie es in deutschen Redaktionen heißt: Tiere und Kinder gehen immer.
Da habt ihr’s.
Image 23:39 Uhr
Die Nacht des amtierenden Vaters hat zwei Funktionen. Erstens endlich Zeit für sich allein haben. Kein Kind am Schotten-rockzipfel, keine Bedürfnisse zu befriedigen als nur die eigenen.
Vielleicht ein Buch lesen, das den Titel Literatur verdient, „Der kleine Waschbär verdient ihn nicht, auch wenn die Bilder wirklich schön sind. Diese Phase der Nacht ist großartig und währt zwischen zwei Minuten und zwei Stunden, je nach Erschöp-fungsgrad vom Tage, in manchen unverantwortlichen Ausnah-mefällen, die auf der aufbegehrenden Illusion beruhen: „Ich habe doch noch ein eigenes Leben!
, auch länger. Das rächt sich jedoch zuverlässig, sind es doch just diese Nächte, in denen das Kind, was eigentlich schon seit mehreren Wochen durchschläft, etwas haben wird und ganz sicher geht das dann nicht leise. Und es tor-pediert scharf die zweite Funktion der Nacht: endlich schlafen.
Das tat der Vater. Und zwar nachdem er tatsächlich noch einen über den Durst gelesen hatte. Dieser naive Mann. Liebevoll war sein Blick immer mal hinüber gegangen zum Woltzinger, seinem Zweitgeborenen, fast zweijährig und seit um Weihnachten herum nicht mehr der Letztgeborene, da diese Position an die Pepamsel übergegangen war. Der genießt das Privileg, weil Säugetier, an der Mutterbrust saugend zu schlafen. Dies jedoch eine Etage tiefer in einem anderen Zimmer, da die Schreie des Einen unweigerlich den Anderen wecken würden. So teilt sich der Vater sein holzschweres 2x2m Bett völlig unangemessen nicht mit der schönsten Frau von allen, sondern mit eben jenem Zweitgeborenen, der auch sehr schön ist, jedoch anders schön. Vor dem väterlichen Einschlafen streichelte er ihm nochmal verliebt über die windelweiche Wange. Das war gerade möglich, denn der Sohn befand sich noch in Reichweite. Aktivität war schon immer seins, bereits im Mutterleib rotierte er heftig und setzt das auch postnatal fort und so nutzt er die Nächte für ausgedehnte Expe-ditionen durch die vier Quadratmeter Deutschland. Er landet in
Image 3der Regel irgendwo zwischen Passau und Frankfurt, auf dem Bauch liegend, die Beine angezogen, die Knie unter der Brust, den bewindelten Arsch in die Luft gereckt in seinem geringelten Schlafanzug – wem da das Herz nicht aufgeht?! Des Vaters war streichelnd aufgegangen und die Augen bald darauf zu und das wohlige Nichts des Schlafes gekommen und hatte ihn in einen Garten der Stille, der Träume entführt, wo die Zeit aufhörte, wo er wandelte unter Kirschbäumen und neben Himbeersträuchern, dort die Laube, da das Erdbeerbeet…
Ein Schrei an seinem Ohr, etwas wallt neben ihm, Extremitä-ten in seinem Gesicht. Nachtfunktion Zwei ist harsch unterbrochen. Der Junge. Er hat etwas. Warum? Was soll das? Ach, nur nicht drüber nachdenken! Der Vater packt seinen Spross mit einem weit ausgelegten Schwingen seines Arms, harkt ihn von dem Platz, an den er sich vorgewühlt hat, ein Vorort von Hamburg aktuell, und klemmt ihn sich vor den Bauch, Körperkontakt, Decke drüber, Ruhe, Augen zu, zurück ins Gartenglück.
So funktioniert es oftmals und dann sehr gut. Und es gibt die Momente, in denen es eben nicht nur ein muttermilchloser Traum ist oder ein Aufwachen wegen Pipi machen müssen und dafür ja noch die Windel haben und das dann eben machen und daraufhin wieder einschlafen oder warum auch immer ein Sohn zu irgendeiner Zeit in der Nacht erwachen muss. Die Hintergründe sind dem Vater schlichtweg egal, der Harkhaken löst sie in den meisten Fällen.
Doch nicht dieses Mal, denn der Bub regt sich fort.
Er setzt sich auf.
Merke: Ein im Bett sitzendes Kind ist falsch.
Auf jeden Fall um 3:39 Uhr. Das ist die aktuelle Uhrzeit, ein schneller Blick aufs Telefon zur eigenen inneren Verortung der Weltlage hat das für den Vater ergeben, es hätte ja auch schon ganz regulär 7:52 Uhr sein können und damit Morgen und damit das bettene Aufsitzen des Kindes, wenn zwar immer noch falsch, jedoch zumindest nachvollziehbar, aber der Grad der väterlichen Müdigkeit diktiert etwas anderes, ja, 3:39 Uhr, das deckt sich mit
Image 4seiner inneren Weltzeituhr, einer gebückt am Stock gehenden, die kein Auge öffnen mag.
Ein Gedanke an die Liebste streift ihm durchs Geäst. Die Gattin meinte vor einiger Zeit, sie würde vermehrt zu diesen 1:11
Uhr, 15:15 Uhr oder 6:66 Uhrzeiten auf ihr Handy schauen, das sei gerade so und ganz besonders und verweise wohl auch auf etwas, auf was, weiß er jetzt nicht mehr zu erinnern und hier ist auch gerade nichts besonders, außer eben der Sohn besonders wach.
Doch vielleicht ist er einfach nur kurz wach. Der Vater harkt nochmal nach, ran an den Bauch, manchmal braucht es einen zweiten Anlauf, hoffentlich war das Handylicht nicht schon zu grell, beim Harken erwischt er die Frucht seiner Lenden eben-dort, im Lendenbereich, und attestiert überrascht eine Feuchtigkeit, die da nicht sein dürfte, weil doch Windel. Nun den Grad der Feuchtigkeit bemessen. Ist es so viel, dass Handlungsbedarf besteht? Die schöne Frau erscheint wieder beim Kirschbaum, jedoch in Mutterfunktion, was sie verändert und laut dieser anderen Frau führt jeglicher Grad von Feuchtigkeit zum Auswechseln der gesamten Garderobe des Kindes, immer. Der Vater sieht die Feuchtigkeitsfrage differenzierter. Für ihn gibt es graduelle Ab-stufungen. Ist beispielsweise nur jener Teil der Kleidung benetzt, der über der Windel aufliegt und damit keinen direkten Körperkontakt hat, weil die Windel ja zwischen Haut und feuchtem Tuch harrt, dann besteht nicht zwangsläufig Handlungsbedarf.
Dieser Fall kommt jedoch nur vor, wenn zuerst keine Windel getragen wurde, dann Pipi kommt, dann ein kleiner Teil der Kleidung im Urogenitalbereich leicht benässt ist und dann die Windel drauf kommt, weil man beispielsweise gehen muss, ganz schnell natürlich mal wieder und dann die Windel ran und das Beinkleid darüber schließen… ach, geschenkt all das, denn sie wollen ja gar nicht gehen, im Gegenteil, sehr im Gegenteil sogar, im gegenteiligsten Gegenteil. Der Junge trägt ja eine Windel! Wie kann er nass sein, das geht doch so alles nicht? Ist aber so. Kogni-tive
Dissonanz,
dazu
das
Aufflackern
eines
Image 5Müdigkeitskopfschmerzes, es bedarf tieferer Recherchen gefolgt von weitgreifenden Entscheidungen.
Der Schlafanzug muss weg. Der Vater wechselt also die Harke gegen die Gartenkralle – hakt sich in die Reihe der winzigen Druckknöpfe ein, die das Schlafkleid am Unterteil des Sohns halten, reißt beherzt, zerrt unbeholfen, aber natürlich väterlich souverän, entnimmt Arme und Beine des großartigen Sohnes und darf feststellen, dass erstens der Verschluss der Windel an der einen Seite unverständlicherweise geöffnet ist und zweitens die Saugfähigkeit der Einrichtung bereits ihr Limit überschritten hat und diese zu einem Viertelpfünder angeschwollen ist. Also die Kralle nochmals angesetzt, den Jungen von der Windel getrennt und das Ding in die grobe Richtung des bettnahen Endlagers ge-pfeffert. Und nun hat er den nackten Sohn vor seinem einen offenen Auge, welches wiederum Zeuge dieses eklatanten Fehlver-haltens wird, denn das Kind setzt sich auf. Irgendwo bei Hanno-ver, um 3:42 Uhr, dem Vater schwant Schlimmes.
Merke: Überschreitet das Erwachen des Kindes die kritische Zeitmarke, ist Ende im Schlafgelände.
Es stellt sich eine belebte, woltzingertypische, sowohl den Tag als auch den Vater grüßende Offenheit zur Welt ein, was zu einer verträglichen Zeit, also zwischen 8 und 21:30 Uhr eines beliebigen Tages, eine von der väterlichen Figur sehr begrüßte Haltung ist, jedoch jetzt, nein, dieses Hochfahren gehört unbedingt unter-drückt, zieht es doch Größeres nach sich, Großes, nichts Geringe-res als den Versuch, die Weltherrschaft zu erringen!
Doch braucht es noch eine neue Windel! Denn es ist damit zu rechnen, dass es im weiteren Verlauf der Nacht weiterhin aus dem Woltzinger herausfließen wird, auch wenn da eigentlich nix mehr drin sein kann, denn die Windel Größe Vier ist ja bereits voll. Nun war die am vergangenen Leseabend angezogene Windel – Jahrhunderte scheint das her zu sein – die letzte sich im väterlichen Basislager befindliche. Eine neue müsste vom Großhan-del beschafft werden, die Treppe hinab, Kommode, zweite Schublade links. Das bedeutete Aufstehen. Das wiederum wäre
Image 6der größte Fehler, den der Vater begehen könnte, denn Aufstehen entspräche nicht nur Putschversuch und Weltherrschaft, sondern signalisiere das potentielle Einschlagen des Weges zur Mutter, was Anklammern des Sohnes an den Vater zur Folge hätte und die lautstarke Forderung, sofort zu eben jener Frau verbracht werden zu müssen, aus deren Leib er entstieg, zum Zwecke der Säugung, was wiederum die Involvierung jener Leibeigenen zur Folge hätte.
Und merke: Das Involvieren der Mutter ist unter ALLEN Umständen zu vermeiden!
Sollte sich im Aufstehensvorgang herausstellen, dass es eben nicht zur Mutter ginge, sondern nur darum, eine profane Windel zu holen, wäre die daraus resultierende Enttäuschung unbedingt in baustellenlautem Wüten kundzutun, lange und anhaltend, was ebenso eine Involvierung der Mutter bedeutete, also nein, Aufstehen auf keinen Fall!
Da liegen doch auch noch andere Windeln, Größe Zwei, für den Letztgeborenen – Ach, was! Das wird schon passen, fährt es durch den Vater, und so viel kann ja nicht mehr drin sein im Jungen, also her den Lappen, den Arsch gehoben und ihm das Ding untergeschoben und erleichtert feststellen, dass die Klettver-schlüsse der Größe Zwei geradeso um das aktuell vorliegende Größe-Vier-Becken passen. Der feuchte Schlafanzug fliegt in Richtung Bodensee und der Vater hält immer noch krampfend an der Hoffnung fest, dass die kritische Zeitmarke noch nicht überschritten sein möge, also den Jungen wieder eingeharkt, aufs Kissen gedrückt, der Vater hinterdrein, Decke drüber, aus die Maus.
Nun ist es ein Kuriosum, dass die Mutter selbst schlafend in ihren Gemächern ruhen kann und gleichzeitig ein Teil von ihr den Vater immer begleitet, ein ätherischer Leib in seiner Gedan-kengartenwelt, kommt sie jetzt vom Kirschbaum hinüber und merkt an, dass der Junge doch einen Schlafanzug brauche, damit ihm die nächtliche Bettkälte nicht zu arg zusetze, denn Merke: Eine Erkältung des Kindes ist unter allen Umständen zu vermeiden! Zieht diese doch immer eine Einberufung der
Image 7Mutter nach sich, was – bekanntermaßen – zuvorderst zu vermeiden ist.
Aber noch könnte der Junge schnell wieder einschlafen. Der Vater harkt also die ätherische Mutter ebenfalls ein, in der Laube gibt es eine Kellerklappe, schnell am Ring aufgezogen, die Mutter hinabgewiesen, Klappe zu, Augen zu, Ruhe im Zwischendeck.
Der Vater lauscht hoffend, dass die Atemzüge des Sohnes sich wieder in ruhige Regelmäßigkeit fügen.
Dann ein sehr freundliches: „Habbenbabben?"
Vor dem inneren Auge des Vaters vollzieht sich die Spren-gung der vielstöckigen Gartenlaube. Jegliche Hoffnung hüllt sich in Staub. Es ist verloren. Er ist verloren.
Habbenbabben ist die aktuelle sprachliche Verdichtung des Woltzingers, kann je nach Tageszeit und Temperatur alles bedeuten, darf aber weitläufig mit: „Kann ich das da mal haben?" über-setzt werden.
Der Junge sitzt.
Und er möchte haben.
Es ist 3:44 Uhr. Und es wird noch lange 3:44 Uhr sein. Der Vater hadert mit seinem Schicksal und gedenkt eines am Tag ge-führten Gespräches mit einer Gästin des Hauses, die meinte, dass es im Leben Zeiten gebe, in denen man kein richtiges Yoga machen müsse, sondern eher ein Karma-Yoga, welches sich im Inneren vollziehe und das sei dann schon mehr als ausreichend. Der Vater nimmt die Yogahaltung „Sibirischer Stein ein und de-monstriert so dem Sohn durch Nicht-Ansprechbarkeit und geschlossene Augen, welche Stunde geschlagen hat, nämlich die des Niederlegens, des Ausruhens und Aufladens, des Erfrischens und Erneuerns, des Ausgleichs der Polaritäten von Schlafen und Wachen, nun eben im Pol des Schlafes. Das wird von der Soh-nesseite mit einem sehr freundlich-interessierten „Habbenbabben?!
kommentiert.
Der Vater harkt nochmals und deckt zu. Missfallensäußerun-gen. Er denkt an den kürzlich leider verstorbenen Kinder-Eben-Nicht-Erziehungs-Papst, dessen Name ihm zu dieser dunklen
Image 8Stunde partout nicht einfallen will und wie dieser die schöne Dif-ferenzierung zwischen Bedürfnis und Wunsch des Kindes auf-macht. Bedürfnisse sind auf jeden Fall zu erfüllen, Wünsche müssen nicht erfüllt werden. Was liegt hier vor? Der Sohn bewegt sich habbenbabbend in Richtung Nachttisch. Dort lagern die Getränke. Er will also trinken. Verdammt. Ein Bedürfnis. Ja, Durst hat der Vater auch. Wasser und Apfelsaft stehen bereit. Er würde am liebsten Apfelsaft trinken, deshalb steht der auch da, weil er in den entbehrungsreichen Nächten manchmal einfach etwas mit Gartengeschmack braucht. Der Sohn darf natürlich keinen Saft.
Die Zähne. Die Mutter. Die Todesstrafe. Die Kellerluke rappelt, es poltert von unten dagegen. Also Wasser. Klar. Der Vater greift nach der Flasche, nur schnell-schnell erledigen und dann das Kind wieder hinlegen, doch zeitgleich folgt der Sohn noch seinem Impuls Richtung Nachttisch und natürlich kollidieren die Wasserflasche und der Kopf des Sohnes. Es ist zum Schreien! Und das tut er natürlich auch. Der Vater atmet. Tröstet. Flößt Wasser ein.
Hier läuft gern mal was daneben, aber wäre ja nicht schlimm, denn der Bub hat ja nichts an, was nass werden kann! Ein Sieg der Vaterlogik! Aber natürlich fließt jetzt nix daneben. Nach Abschluss der Tränkung die Flasche an die Wand geschleudert, den Jungen wieder unter die Decke, Augen zu, Sibirien.
Der Vater gebietet über eine spezielle Technik, den Sohn auf seinen Arm zu legen und den anderen über ihn zu betten, den Arm, nicht Sohn, dadurch eine leichte Enge erschaffend, in der Bewegung zwar möglich ist, jedoch keine großen Ausflüge, schon gar nicht das irrige Aufsetzen. Struktur. Richtung. Halt. Väterliche Qualitäten, ganz klar spürbar und verkörpert. Kommt gelegentlich auch an beim Kind. So eine Gelegenheit ist jetzt aber nicht. Gerne ist nochmal aufgesetzt. Das eine oder andere erzählt, von früher noch, was hatten sie damals Spaß und ob er noch wisse, der Sommer 83, überhaupt sei jetzt eine gute Zeit noch ein Buch anzuschauen, auch die Decke störe ungemein und muss weggestrampelt werden, was das Kind der dachgeschossigen Ju-nikälte aussetzt – wieder Lärm von der Kellerluke, der Vater
Image 9schiebt noch einen Stein obendrauf und harkt wiederholt und der Sohn sitzt wiederholt und der Vater erinnert sich, wie aufregend das vor dreizehn Monaten war, als der Junge endlich sitzen konnte – TOLL! Kann er auch gerne weiter üben, nur eben nicht jetzt.
Er gedenkt wieder der Mutter, die erzählt, dass der Pepsohn des Nachts erwacht und dann so daliegen würde und so brabbeln und gucken und der Vater denkt sich, dass sie dabei doch eigentlich gut weiterschlafen können müsste, passiert ja nix weiter, ist ja so ein tolles Baby, das kaum schreit in der Nacht, Hauptge-winn, Broadway, Oscarverleihung!
Aber nun versteht er sie besser.
Der Sohn hier neben ihm legt sich nach einer geraumen Weile tatsächlich dann auch wieder hin. Das liegt auch daran, dass die neue Karma-Yogahaltung des Vaters den Titel „Joseph Stalin"
trägt. Das kommuniziert sich dann doch. Aber es rutschelt und raschelt noch. Man kann dem Vater auch prima mit den Füßen am Bauch rumspielen und da katzenkindartig dagegen trampeln, klingt romantisch, aber wer Haare am Bauch hat, die diesen Namen auch verdienen, also keinen weiblichen Flaum von 1mm, kaum mit dem bloßen Auge zu erkennen, sondern Haare, Brust-haare, Beinhaare, lang und bärig, drahtig wie Hochspannungslei-tungen, der weiß, dass solche Trampeleien zum langziehenden Fastausreißen eben dieser Haare führen und das bringt Schmerz mit sich, was die stalinistische Yogahaltung noch authentischer wirken lässt. Dann dem Vater noch ein paar Finger wo reinste-cken – so viel ist möglich, die Nacht ist doch noch frisch! Wann kommen wir so jung schon wieder zusammen? Hoch die Tassen!
Ein Prosit der Gemütlichkeit!
Und dann irgendwann wirklich: Sein Atem wird ruhiger, regelmäßig. Der Vater wagt kaum auf die Uhr zu schauen. 4:44 Uhr.
Der Junge schläft wieder. Gut für ihn.
Der Vater ist jetzt wach. Da ist etwas von dieser Offenheit und Lebendigkeit seines Kindes auf ihn übergegangen. Erstmal
Image 10aufstehen jetzt. Apfelsaft. Toilette. Und überhaupt könnte er das ja jetzt hier alles auch noch fix tippen, denn Merke: Ein Text ist wie die Frau, frisch am besten.
Tolle Sache so ein Sohn. Nun liegt er wieder da, ganz im Norden des Bettes, so Höhe Fehmarn. Gut zugedeckt. Weich und ruhig atmend. Und der Vater möchte es nicht anders haben.
Image 11Chronisches
Der Mensch muss essen, auf dass es in ihm stoffwechsele und die