Bücherleben
Von Astrid Pfister
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Bücherleben - Astrid Pfister
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Heute hat mich jemand als Rarität bezeichnet. Eine Rarität, die aber noch sehr ansehnlich ist.
Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Was würden Sie denken, wenn das jemand über Sie sagen würde?
Irgendwie hat es etwas Abwertendes, und es bedeutet, dass man alt ist. Wobei die Person wenigstens hinzugefügt hat, dass ich noch recht ansehnlich bin, um dem Ganzen vermutlich ein wenig die Spitze zu nehmen.
Aber sehen wir der Tatsache doch mal ins Auge, ich bin wahrhaftig alt. Und dass ich das Wort wahrhaftig benutze, macht dies offensichtlich.
Ich stamme aus einer Zeit, in der die Menschen noch ganz anders miteinander gesprochen haben. Alles ging viel förmlicher und höflicher zu, und selbst Sätze des Alltags klangen poetisch. Früher … sehen Sie, auch das zeigt, wie alt ich bin. Nur dann fängt man seine Sätze immer mit: Früher war ja alles besser … Früher haben wir das aber so gemacht … an.
Aber andererseits bedeutet ein hohes Alter auch, dass man unglaublich viel erlebt hat. Ich selbst hatte das Privileg, so viele Dinge erleben zu dürfen und so viele Orte zu sehen, dass es praktisch für mehrere Leben reichen würde. Ich habe Dinge erlebt, von denen viele nur aus Geschichtsbüchern wissen, oder um es etwas moderner zu formulieren, von Google oder Wikipedia. Es ist nicht so, dass ich der Technik abgeneigt bin, ich finde das Internet eine ganz erstaunliche Erfindung, aber ich fand es schön, wenn Leute, die etwas wissen wollten, in die nächste Bibliothek geeilt sind und dort stundenlang ihre Nase in Bücher gesteckt haben. Meist ist man am Schluss mit wesentlich mehr Wissen hinausgegangen, als man ursprünglich gesucht hat.
Aber ich schweife ab, auch so ein Problem des Alters.
Es geht darum, dass ich das, was ich erlebt habe, gern teilen möchte, und deshalb danke ich Ihnen, dass Sie dieses Buch gekauft haben und für meine Schwafeleien sogar Geld bezahlen möchten. Aber ich verspreche Ihnen, Sie haben Ihr Geld gut angelegt. Ich nehme Sie nun mit auf eine Reise durch mein ganzes bisheriges Leben, und wenn Ihre Fantasie so groß ist, wie die der meisten Bücherleser, dann wird es Ihnen möglich sein, all die Orte und all die Begebenheiten vor sich sehen zu können, und hineinzutauchen.
Ich möchte Sie aber vorwarnen, vieles, was ich erlebt habe, war traumatisch und die Orte, die ich besucht habe, sorgen bisweilen sogar für Albträume bei mir. Aber auch, wenn ich viel Schreckliches in meinem Leben durchleiden musste, war doch da auch immer die Hoffnung, Licht und Liebe.
Es gibt ein Zitat aus einem berühmten Buch, das genau dies aussagt:
Aber glaubt mir, dass man Glück und Zuversicht selbst in Zeiten der Dunkelheit zu finden vermag. Man darf nur nicht vergessen, ein Licht leuchten zu lassen.
Dieses Zitat hat mir aus der Seele gesprochen, denn es ist wahr. Ich habe so viel Leid gesehen, in meinem langen Leben aber auch unfassbar viele wunderschöne Momente erlebt. Und rückblickend betrachtet möchte ich keinen davon missen, denn sie sind meine Geschichte … sie haben mich zu dem gemacht, der ich bin.
Mir fällt gerade auf, dass ich mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt habe, und das gehört ja wohl zum Mindestmaß an Anstand, wenn ich Ihnen in Kürze mein gesamtes Leben erzähle.
Fangen wir doch mit meinem gerade oben viel erwähnten hohen Alter an. Ich bin jetzt stolze 179 Jahre alt, aber wie die nette Lady, die mich gerade aus einem öffentlichen Bücherschrank gerettet hat, versichert hat, noch sehr ansehnlich. Mein Buchrücken ist nicht gebrochen, und auch, wenn mein Ledereinband ein wenig zerschrammt ist, so ist doch mein Titel noch perfekt lesbar. Meine Seiten sind ein wenig fadenscheiniger und verblichener geworden mit den Jahren, aber es fehlt noch keine einzige.
Gestatten, ich bin eine der ersten Ausgaben von A Christmas Carol und wurde von einem wunderbaren Mann namens Charles Dickens erdacht. Erblickt habe ich das Licht der Welt am 19. Dezember 1843 in einer Londoner Druckerei.
London, England, 19. Dezember 1843
Ich war so furchtbar aufgeregt, denn heute war ein ganz besonderer Tag. Heute war nicht nur Weihnachten, sondern ich würde auch meinen ersten offiziellen Besitzer kennenlernen.
Ich hoffte sehr, dass es jemand war, der Bücher wirklich liebte und eine Leidenschaft für sie besaß und mich nicht nur aufgrund des berühmten Namens auf meinem Buchrücken in Besitz nehmen wollte. Aber wegen dem, was ich bisher gehört hatte, war ich guter Hoffnung.
Ich war heute, am 19. Dezember veröffentlicht worden und hatte eigentlich damit gerechnet, ein paar Tage, wenn nicht sogar Wochen im Buchladen ausgestellt zu werden. Ich weiß, man soll immer bescheiden sein, aber der Buchhändler war so von meinem Aussehen angetan, dass er mich direkt in der Mitte des Schaufensters platzierte, und mehrere angezündete Lampen ließen mein weinrotes Leder und die goldenen Verzierungen weithin leuchten. Die anderen Bücher warfen mir neidische Blicke zu und tuschelten miteinander, weil ich so edel und wertvoll aussah. Durch die Glasscheibe konnte ich beobachten, dass sich vor dem Laden schon eine lange Schlange gebildet hatte, obwohl dieser erst in einer dreiviertel Stunde aufmachen würde. Der Buchhändler eilte geschäftig hin und her und rief irgendwann auch seine Tochter Eleanor zur Hilfe.
„Liebling, du musst herunterkommen und mir beim Auspacken der Kartons helfen. Heute ist der neue Roman von Charles Dickens geliefert worden, und es scheint so, als ob ihn ganz London kaufen möchte. So einen Andrang habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt."
Kurz darauf eilte ein blasses Mädchen, das augenscheinlich so um die zehn Jahre alt war, so schnell die knarrenden Stufen hinunter, dass ihre langen geflochtenen Zöpfe wild hin und her flogen. Ihr kupferrotes Haar leuchtete im Licht der Lampen genauso schön, wie mein weinrotes Leder.
„Hier bin ich, Vater. Ich fange sofort an." Sie ging zu einem der Kartons hinüber, die hinter der Ladentheke standen, und öffnete ihn neugierig. Ich sah auf den ersten Blick, dass sie einmal eine wunderbare Buchhändlerin werden würde, denn ihr Vater hatte ihr die Liebe zu Büchern offenbar von klein auf vermittelt. Ihre Augen leuchteten, als sie vorsichtig einen meiner Brüder aus dem Karton holte, und mit den Fingerspitzen strich sie sanft über den Einband des Buchs und fuhr über die Linien des Buchtitels. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter und vergewisserte sich, dass ihr Vater gerade beschäftigt war, dann hob sie das Buch zum Gesicht hoch, schloss die Augen und atmete tief ein. Wer sich nicht mit Büchern auskannte, der wusste es nicht, aber Bücher veränderten im Laufe der Zeit ihren Geruch. Ich, das gerade erst frisch aus der Druckerei kam, roch noch ganz neu. Wenn man die Augen schloss, so wie Eleanor, konnte man das frische Papier und die Druckerschwärze riechen und auch den Geruch des Leders wahrnehmen. Mit der Zeit wandelte sich dieser Geruch und veränderte sich immer wieder um feine Nuancen. Richtig alte Bücher verströmten einen ganz charakteristischen Geruch, der schöner roch als der teuerste Wein. Ich war gespannt, ob es mir vergönnt sein würde, dieses Privileg eines Tages zu bekommen, doch bis dahin würde noch eine lange Zeit vergehen. Denn ich war gerade erst gedruckt worden und damit in den Augen der anderen Bücher praktisch ein Baby.
Während Eleanor und ihr Vater die Bücher auf den Tischen aufstapelten und auf der Ladentheke ausstellten, beobachtete ich die Leute draußen. Ich konnte es gar nicht glauben, dass sie tatsächlich alle wegen mir und meiner Brüder hier waren, denn das Wetter war mehr als ungemütlich. Es war ein unglaublich kalter Dezember, und der Schnee lag so hoch, dass die Menschen bis zu den Knöcheln darin versanken. Außerdem wehte ein stürmischer Wind den Wartenden die ganze Zeit Schneeflocken und Eissplitter ins Gesicht. Um die vornehmen Herrschaften machte ich mir weniger Gedanken, die Männer trugen dicke Wollhosen und lange Gehröcke, deren Kragen sie hochgeschlagen hatten, um sich vor dem Wind zu schützen. Auch die ledernen Handschuhe, die Schals, die ihre Frauen ihnen gestrickt hatten und die schwarzen glänzenden Zylinder sorgten dafür, dass ihnen die Kälte nicht so sehr zusetzte. Die Frauen und die kleinen Mädchen an ihren Händen waren in dicke Pelzmäntel gehüllt, und ihre Hüte spendeten ebenfalls ein wenig Wärme, aber es gab auch einige nicht so gesegnete Geschöpfe in der Schlange, die meine Aufmerksamkeit erregten. Ein Mann trat unentwegt von einem Bein aufs andere und hatte die Arme um den Körper geschlungen, um ein wenig Wärme zu erzeugen. Seine Kleidung war abgetragen und viel zu dünn für diese eisigen Temperaturen, aber alle Löcher waren sorgfältig gestopft worden, und alles war sauber und gepflegt. Man sah sofort, dass es jemanden in seinem Leben gab, der sich liebevoll um ihn kümmerte, auch wenn nicht viel Geld da war. Der junge Mann trug weder einen Gehrock noch einen Schal, oder irgendetwas, das ihn vor der Kälte schützte, aber keiner der anderen Wartenden kam auf die Idee, ihm vielleicht einen Schal zu leihen oder ihm sonst wie zu helfen. Die Zeiten waren hart, und London war voller Obdachloser und Bettler, und die Menschen hatten gelernt, einfach wegzuschauen. Um Gegenden wie das East End machte man möglichst einen weiten Bogen, so als würde die Armut nicht existieren, wenn man sie ignorierte. Der Mann faszinierte mich, und ich fragte mich, was er an diesem frühen Wintermorgen vor einem Buchladen machte. Suchte er nach Arbeit, um seiner Familie ein schönes Weihnachtsfest bereiten zu können?
Die Schlange reichte nun schon die ganze Straße hinunter und bis zur Ecke. Ich hatte gewusst, dass der Mann, der mich erschaffen hatte, Charles Dickens, ein sehr beliebter Romancier war, aber dies hier übertraf doch meine kühnsten Erwartungen.
Der Buchhändler öffnete jetzt den Laden, und sofort strömten die Leute hinein, um der klirrenden Kälte zu entgehen. Tatsächlich stürmten sie alle sofort auf meine Brüder zu. So wie es aussah, waren sie wirklich alle ausnahmslos an diesem Morgen hierhergekommen, um ein Exemplar von A Christmas Carol zu ergattern. Es erfreute mein Herz, dass es so viele Menschen gab, die genug Fantasie besaßen, um sich in dieser schweren Zeit an einen anderen Ort befördern zu lassen. Ich beobachtete abwechselnd das aufgeregte Treiben im Laden und die Schlange, die langsam immer kürzer wurde. Es dauerte noch fast eine halbe Stunde, bis der ärmliche Mann, den ich zuvor beobachtet hatte, den Laden betrat. Er zitterte unfassbar, und ich sah, wie er zu einer der Kerzen hinüber ging und seine Hände über die winzige Flamme hielt, um sie zu wärmen. Sofort eilte der Buchhändler herbei. Ich freute mich, dass er jeden Kunden gleich behandelte, unabhängig von seiner Herkunft, aber ich sollte mich irren.
„Was treibt Ihr denn da? Hier gibt es nichts für Herumtreiber, verschwindet sofort aus meinem Laden. Ich habe keine Almosen abzugeben, dies ist ein Buchgeschäft", sagte der Inhaber unfreundlich und versuchte, den Mann zur Tür zu schieben.
Der Mann sah ihn an, und ich konnte sein dünnes Gesicht und die eingefallenen Wangen erkennen, die von regelmäßigem Hunger zeugten, doch sein Blick strahlte sowohl Wärme als auch Würde aus. „Ich bin nicht hier, um zu betteln, sondern um ein Buch zu erwerben. Da er nun schon fast an der Tür stand, war das Schaufenster am nächsten, sodass er kurzerhand hineingriff und mich herauszog. „Dieses hier hätte ich gern.
Der Buchhändler stieß ein schnaubendes Lachen aus und musterte ihn abfällig, auch die Menschen in seiner Nähe hörten jetzt neugierig zu und beobachteten das Spektakel. „Euch mangelt es ganz offensichtlich an dem Nötigsten, Bücher sind für Euch doch höchstens nützlich, um daraus ein Feuer zu entzünden. Dieser Satz wurde mit schallendem Gelächter der umstehenden Gentlemen quittiert. „Dieses Buch in Euren Händen ist gerade erst erschienen und kostet ganze fünf Schilling. Das ist wahrscheinlich mehr, als Ihr in Monaten verdient.
Der Mann umklammerte mich mit einer Hand, die immer noch eisig kalt war, während er die andere tief in seine Hosentasche schob.
Der Buchhändler stieß einen überraschten Laut aus, als der Mann die verlangten fünf Schillinge aus der Tasche zog und sie dem verdutzten Buchhändler in die Hand drückte, sich ohne ein Wort umdrehte und den Laden mit mir zusammen verließ.
Als wäre ich es, der vor der Kälte beschützt werden musste, schob mich der Mann unter seinen fadenscheinigen Pullover, damit der Schnee mich nicht durchweichte. Die Menschen, die an uns vorbeieilten, schienen sich um ihr gerade erworbenes Exemplar deutlich weniger zu sorgen. Ich war mir schon jetzt sicher, dass ich ein gutes Zuhause gefunden hatte. Als ich jedoch nicht in ein Regal gestellt wurde, sondern in ein Stück Stoff eingewickelt und tief unter eine alte Kommode geschoben wurde, wurde mir bewusst, dass dies noch nicht mein wahrer Besitzer sein sollte, und ich hatte recht.
Am 25. Dezember war es dann endlich so weit. Ich hatte in meinem dunklen Versteck nichts sehen können, aber ich hatte den Gesprächen lauschen können und so erfahren, dass A Christmas Carol seit heute Morgen komplett verkauft worden war. In nur knapp einer Woche hatten all meine Brüder, stolze 5.999, ein neues Zuhause gefunden. Gut, dass der Mann mich direkt am Erscheinungstag gekauft hatte.
Als er mich schließlich unter dem Schrank hervorholte und ich ausgepackt wurde, blickte ich in ein wunderschönes Frauengesicht. Das Kleid, das sie trug, war abgetragen und einfach, doch ihr Lächeln und das Funkeln ihrer Augen ließen den ganzen Raum erstrahlen. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, und die Augen in dem schmalen Gesicht wurden riesengroß. Sie hob mich in die Höhe, sodass die wenigen Flammen, die in dem Kamin brannten, meine goldenen Verzierungen und meinen ebenfalls goldenen Buchschnitt funkeln ließen.
„Freust du dich, mein Liebling?", fragte der Mann nun unsicher, weil die Frau außer dem Schrei noch keinen Laut von sich gegeben hatte.
Jetzt sah sie ihn an, und er stellte erschrocken fest, dass sie Tränen in den Augen hatte. Doch dann sprang sie auf und umarmte ihn so stürmisch, dass er fast das Gleichgewicht verlor. „Woher hast du gewusst, dass ich mir dieses Buch so sehnlichst gewünscht habe?", fragte sie atemlos.
„Die vielen Morgen, in denen wir im Dunkeln, in brütender Hitze oder in eisiger Kälte an einem stinkenden Hafen verbracht haben, nur damit du eine der Ersten in ganz London bist, die den neuen Fortsetzungsteil der gerade aktuellen Charles Dickens Erzählung in der Zeitung lesen kannst, und die Male, wo ich fast ins Wasser gefallen wäre, während du dich mit den anderen um das ankommende Schiff gescharrt hast, haben da so eine Vermutung in mir aufkommen lassen, dass du dich über ein gebundenes Exemplar freuen würdest", sagte er breit grinsend.
Die Frau strich beinahe ehrfurchtsvoll über meinen ledernen Einband. „Es sieht so unglaublich wertvoll aus. Mein Liebling, so etwas Wundervolles können wir uns doch nie im Leben leisten", sagte Eliza mit vor Rührung heiserer Stimme.
„Mach dir darüber keine Gedanken. Ich habe einen kleinen Weihnachtsbonus auf der Arbeit bekommen und das Buch außerdem günstig erstehen können." Das war gelogen, was man nicht tun sollte, aber es war eine liebevolle Lüge, was es vielleicht nicht so schlimm machte. In Wirklichkeit hatte er monatelang unzählige Überstunden gemacht, und wenn er von morgens bis abends gearbeitet hatte, hatte er danach einfach weitergearbeitet. Entweder hatte Eliza schon geschlafen, wenn er heimkam, oder er hatte ihr erzählt, dass er sich noch mit Freunden getroffen hatte. Aber auch dies hatte nicht ausgereicht, um die fünf Schillinge aufbringen zu können, und so hatte er schließlich die Taschenuhr seines Großvaters versetzt, denn sie war das einzig Wertvolle, das er besaß. Wobei, das stimmte nicht, denn das, was er besaß, war Eliza, was auch der Grund dafür war, dass er ihr dieses Buch so unbedingt hatte schenken wollen.
Eliza hatte jetzt die erste Seite aufgeschlagen und bewunderte die Illustration, die dort zu sehen war. „Am liebsten würde ich meinen Sessel jetzt ganz nah an den Ofen ziehen und sofort anfangen zu lesen, aber für diese Überraschung hast du erst einmal ein Festessen verdient." Sie legte mich vorsichtig auf den Sessel, damit ich ja nicht runterfiel, und hockte sich vor den Kamin, wo sie das Essen gekocht und gewärmt hatte. Die beiden lebten in einer winzigen Wohnung, die nur aus einem Raum bestand, der zugleich das Wohnzimmer, die Küche und das Schlafzimmer war, doch obwohl es kaum Möbel gab und alles nur ärmlich eingerichtet war, hatte Eliza es geschafft, ein Heim daraus zu machen. Überall, auf dem Kaminsims, dem Tisch oder den Schränken lagen Stechpalmen oder Mistelzweige und es gab selbst genähte Deckchen oder eine selbst gestrickte Decke.
Das Essen, was sie nun auf den Tisch stellte, sah aus, als würde es nicht einmal für eine Person reichen, geschweige denn für zwei, aber Elizas Mann George benahm sich so ausgelassen, als würde sich der gesamte Tisch wegen der Last der Speisen biegen. Als Eliza nach der Mahlzeit verschwand und als Überraschung einen Plumpudding holte, der nur ein bisschen größer als eine Orange war, freute sich George, als hätte er gerade einen Sack voll Gold geschenkt bekommen, und Eliza strahlte ihn mit vor Aufregung roten Wangen an, weil sie ihnen am Weihnachtstag so eine Delikatesse hatte ermöglichen können. Sie saßen nah beieinander und aßen den Plumpudding ganz langsam, um die wenigen Löffel voll und ganz auszukosten, und gaben sich zwischendurch einen zärtlichen Kuss.
Ich hätte mir kein schöneres erstes Zuhause vorstellen können, denn es war nicht Geld, das im Leben zählte, sondern die Liebe, und sie war in diesem winzigen Zimmer so im Überfluss vorhanden, dass es diese Familie reicher machte, als Queen Victoria.
Ich weiß nicht, ob Sie die Geschichte in mir kennen, aber sie handelte genau von diesem Thema, und Familie Cratchit war dieser hier gar nicht so unähnlich. Ich war mir sicher, dass Eliza meine Zeilen lieben würde, weil sie ihr Hoffnung schenken würden. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum sie