Nie wieder Friede: Eine bittere Komödie über Militarismus und Antipazifismus aus dem Jahr 1936
Von Peter Bürger und Ernst Toller
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Über dieses E-Book
Ernst Tollers bittere Komödie "Nie wieder Friede" (1934/36) klärt uns auf, wie so etwas möglich ist. Das falsche Friedensplakat trug auf seiner Rückseite immer schon die Parole für neue Kriegsabenteuer: "Man muß es nur umdrehen." Ob Kosmopolitismus oder nationale Weltgeltung, ob Freiheitspredigt oder autoritäre Staatspolitik, ob Krieg oder Frieden - das entscheidet sich stets an der jeweiligen Lageeinschätzung der Besitzenden und Herrschenden. Zu folgen ist den Einflüsterungen der Kriegsprofiteure.
Wer wird beim Experiment zur Kriegstauglichkeit der Erdenbewohner gewinnen: Soldatenkaiser Napoleon oder Franziskus aus Assisi? Der Verfasser des hochaktuellen Bühnenstücks war linker Pazifist mit jüdischer Herkunft. Damit passte er gleich dreimal ins Feindbildvisier der Nazis. 1933 setzte NS-Deutschland Toller auf die allererste Ausbürgerungsliste und warf seine Werke ins Feuer. Nach neun Jahrzehnten sollten wir die "verbrannten Bücher" wieder unter die Leute bringen, denn der Militarismus scheint unausrottbar zu sein.
Zu den Beigaben dieser friedensbewegten Edition gehören acht Kapitel aus Tollers Autobiographie "Eine Jugend in Deutschland" (1933), der Schluß des Dramas "Hinkemann" (1923) und die Warnung des Schriftstellers vor dem deutschen Faschismus in der "Weltbühne" vom Oktober 1930.
Ein Band der edition pace,
herausgegeben von Peter Bürger
Ernst Toller
Ernst Toller (1.12.1893-22.5.1939), geboren als jüngster Sohn des jüdischen Getreidegroßhändlers Mendel Toller und dessen Ehefrau Ida, geborene Cohn in der Provinz Posen. "Schriftsteller und Publizist, Politiker und Revolutionär; Anschluß an die Antikriegsbewegung noch während des ersten Weltkrieges, zu dem er sich freiwillig gemeldet hatte; während der Novemberrevolution enge Zusammenarbeit mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, nach dessen Ermordung Vorsitzender der Bayerischen USPD und führend an der Münchener Räterepublik beteiligt; deswegen zu Festungshaft verurteilt (1920-1924); während dieser Zeit entstanden seine expressionistischen Dramen 'Masse Mensch' (1921), 'Die Maschinenstürmer' (1922) und 'Der deutsche Hinkemann' 1923); Pazifist ohne organisatorische Bindung, allerdings formal Mitglied der 'Gruppe Revolutionärer Pazifisten' seit 1926); 1933 Emigration in die Schweiz, 1934 nach Großbritannien, 1937 in die USA; Freitod in New York" (Aus: R. Lütgemeier-Davin: Köpfe der Friedensbewegung. Essen 2016, S. 107).
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Nie wieder Friede - Peter Bürger
Inhalt
Eine bittere Komödie
Vorwort des Herausgebers zu dieser friedensbewegten Edition eines Bühnenstücks aus dem Jahr 1936
NIE WIEDER FRIEDEKomödie von Ernst Toller 1934 / 1936
Personen
Erstes Bild ǀ Salon im Olymp
Zweites Bild ǀ Saal in Dunkelstein
Drittes Bild ǀ Olympische Scene
Viertes Bild ǀ Gefängniszelle
Fünftes Bild ǀ Olympische Szene
Sechstes Bild ǀ Dunkelstein
Siebentes Bild ǀ Olympische Scene
ANHANG
Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland (Auszüge aus der Autobiographie, 1933)
Ernst Toller: Der deutsche Hinkemann (Aus den Schlußszenen der Heimkehrer-Tragödie, 1923)
Ernst Toller: Reichskanzler Hitler (Warnung vor dem Nationalsozialismus, 1930)
Über Ernst Toller ǀ Werke
Kleine Bibliographie
Ernst Toller ǀ 1893 – 1939
Porträtfoto in der ‚George Grantham Bain Collection‘
commons.wikimedia.org
Eine bittere Komödie
Zu dieser friedensbewegten Edition eines Bühnenstücks aus dem Jahr 1936
Peter Bürger
Über Nacht haben Militarismus und Kriegsertüchtigung wieder die Kontrolle über das öffentliche Leben übernommen. Noch gestern hatte man den Ewigen Frieden in der Verfassung beurkundet und sich stolz gebrüstet, bei den „Lehren aus der Geschichte" alle anderen zu überflügeln. Doch jetzt bläst dieselbe Fraktion zur Hetze gegen die Lumpenpazifisten, bringt Militainment zur besten Sendezeit und setzt eine gigantische Aufrüstung der Waffenarsenale ins Werk. Die angestrebte Weltmeisterschaft gilt nunmehr dem überaus einträglichen Sektor der Totmach-Industrien.
Ernst Tollers bittere Komödie ‚Nie wieder Friede‘ (1934/36) klärt uns auf, wie so etwas möglich ist. Das falsche Friedensplakat trug auf seiner Rückseite immer schon die Parole für neue Kriegsabenteuer: „Man muß es nur umdrehen." Ob Kosmopolitismus oder nationale Weltgeltung an der Spitze, ob Freiheitspredigt oder autoritäre Staatspolitik, ob Krieg oder Frieden – das entscheidet sich stets an der jeweiligen Lageeinschätzung der Besitzenden und Herrschenden. Zu folgen ist den Einflüsterungen der Kriegsprofiteure.
Wer wird beim Experiment zur Kriegstauglichkeit der Erdenbewohner ‚gewinnen‘: Soldatenkaiser Napoleon oder ein heiliger Franziskus? ‚Nie wieder Friede‘ spielt „in exemplarischen Szenen die irdische Probe auf einen ‚himmlischen‘ Prinzipienstreit durch. Im Olymp geraten Napoleon und Franziskus von Assisi in einen Streit über die Frage, ob die Menschen eher zum Krieg oder zum Frieden neigen. Wer von beiden recht hat, soll sich in dem irdischen Kleinstaat Dunkelstein erweisen, wo soeben eine große Feier des Friedens staatfindet. Auf die vom Olymp aus fingierte Nachricht, der Krieg sei ausgebrochen, erweist sich sehr schnell die Kriegsbereitschaft der soeben noch friedliebenden Gesellschaft. Der militaristische Umschwung […] bleibt nicht ohne Widerstand, scheint aber zunächst nicht aufzuhalten. Die erneute Wende zurück zum Frieden wird wiederum durch eine Manipulation aus dem Olymp veranlaßt und in Dunkelstein ebenso anstandslos nachvollzogen wie zuvor diejenige zum Krieg – ein Ausgang des Experiments, der den Bellizisten Napoleon ebenso wenig zufriedenstellt wie den Pazifisten Franziskus."¹ – „Die Frage, ob die Menschen eher zum Krieg oder zum Frieden neigen, bleibt offen. Am Ende zweifelt Franziskus, ob diese Frage überhaupt die richtige Frage war, und beginnt zu überlegen, ob es vielleicht an der Qualität des Friedens liegt, daß so viele Menschen ihn so leicht aufgeben"² und jener gnadenlosen Ideologie des ‚Gewinnens‘ folgen, die – fast – nur Verlierer produziert.
Der Verfasser des hochaktuellen Bühnenstücks war linker Pazifist mit jüdischer Herkunft. Damit passte er gleich dreimal ins Feinbildvisier der Nazis. 1933 setzte NS-Deutschland Ernst Toller (18931939) auf die allererste Ausbürgerungsliste und warf seine Werke ins Feuer. Nach neun Jahrzehnten sollten wir die „verbrannten Bücher" wieder unter die Leute bringen, denn der Militarismus scheint unausrottbar zu sein.
Christiane Schönfeld teilt zur Entstehung des am 11. Juni 1936 in London uraufgeführten – hernach auch in Nordamerika dargebotenen – Bühnenstücks mit: „Ernst Toller arbeitete an der deutschen Fassung von ‚Nie wieder Friede!‘ zwischen 1933 und 1936. Ein Typoskript, das als Grundlage für die englische Übersetzung diente, ist in der Tollersammlung der Yale-University-Library archiviert. Dieses Typoskript, das 1936 entstanden sein muss ([John M.] Spalek … datiert es dagegen auf die Zeit zwischen Ende 1934 und Frühjahr 1936), enthält bereits eine vollständige Fassung des Stücks, die aber noch vor der auf Englisch erfolgten Uraufführung durch weitere Liedstrophen und eine Szene in deutscher Sprache ergänzt wurde. Das Typoskript umfasst 62 nicht durchnummerierte Seiten mit zum Teil handschriftlichen Korrekturen Tollers. Es handelt sich bei dem Typoskript um die einzige bisher bekannt gewordene deutschsprachige Fassung des gesamten Textes."³
Toller lässt die Frage, ob Kriegsertüchtigung oder Friedensfeier in der menschlichen Geschichte den ‚Sieg‘ davontragen werden, offen. Noch scheint die Sache nicht entschieden zu sein. Wenn nun das Programm ‚Krieg‘ doch keine ewige, unausweichliche ‚Naturtatsache‘ ist, welche unsere Gattung am Ende zwangsläufig auf Fatalismus und kollektiven Selbstmord festlegen müsste? Dann läge alles daran, daß Widerstehen – nicht Ergebung – bei einer neuen Generation ‚Schule macht‘ und zum Fest wird.
Die Basis des kriegerischen Überbaus überdauert, als wäre sie in Zement gegossen. Sollten wir doch lieber ansetzen beim ‚Olymp‘ über den Wolken, wo das Ringen um die geistig-kulturellen Hegemonie und also um die vorherrschende Grundgesinnung einer Gesellschaft ausgetragen wird? Schon 1517 rief Erasmus von Rotterdam in seiner – durchaus auch satirischen – ‚Klage des Friedens‘ (Querela Pacis) aus: „Alle müssen sich gegen den Krieg verschwören und ihn gemeinsam verlästern. Den Frieden aber sollen sie im öffentlichen Leben und im privaten Kreise predigen, rühmen und einhämmern."⁴
Seit Jahrzehnten dominieren die massenkulturellen Produktionen von militärisch-unterhaltungsindustriellen Komplexen.⁵ Das dem entsprechende ‚Infotainment‘ – ein Zwitter – hat auch die seriösen Nachrichtenformate schon in beträchtlichem Ausmaß ersetzt. Gleichzeitig müssen Friedensvoten in den vorherrschenden Mediensortimenten mit der Lupe gesucht werden. ‚Blockbuster‘, welche die Schönheit und Kraft der Gewaltfreiheit ansichtig werden lassen, gibt es überhaupt nicht – aus gutem Grund, denn nichts fürchten die Herrschenden mehr als die Einsicht, daß Vernunft und Menschlichkeit übereinkommen. Allerwegen „den Frieden zu rühmen", wie Erasmus es fordert, das ist nun zweifelslos die anspruchsvollste künstlerische Vision. Daß hier gegenüber der bellizistischen Leidenschaft eine ungleich größere, ja überhaupt die größte Herausforderung an die Kunst wartet, haben Wim Wenders und Peter Handke im Drehbuch zu ‚Der Himmel über Berlin‘ (BRD / Frankreich 1986/87) bedacht: „Noch niemandem ist es gelungen, ein Epos des Friedens anzustimmen. Was ist denn am Frieden, daß er nicht auf die Dauer begeistert und daß sich von ihm kaum erzählen lässt?"
Naheliegender ist – angesichts des unüberbietbaren Irrationalismus der auf allen Kanälen verkündeten, doch nirgendwo ‚evaluierten‘ Heilslehre des Militärischen – zur Stunde vielleicht die erasmische „Verlästerung des Krieges".⁶ Wieso sollte diese der Liebe zum Leben gewidmete Unternehmung des Lästerns nicht lustvoll sondergleichen ihre Kreise ziehen, bis die Bitterkeit aus der Komödie entweichen kann? Die pathetische Moralpredigt des Franziskus in Tollers ‚Olymp‘ kann der großen Traurigkeit nicht wehren und wird die Welt gewiss nicht retten, leider! Auszurichten wäre „Das Fest der Narren: Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe" (Harvey Cox, 1970). Wie wäre es, die hier vorgelegte kleine Edition würde einen Kreis oder mehrere Gruppen von Friedensbewegten und sogenannten Kulturschaffenden animieren, eine radikale Neuinszenierung des komischen Dramas ‚Nie wieder Friede‘ aus den Vorjahren des letzten Weltkrieges für unsere Tage zu erproben? „Wer keine Kraft zum Traum hat", so heißt es in Ernst Tollers Heimkehrer-Stück ‚Der deutsche Hinkemann‘ (1923), „hat keine Kraft zum Leben".
Toller verfasste seine Texte gegen den Krieg nicht aus einer augenblicklichen Laune heraus. Seinen Weg als ‚Kriegserfahrener‘, dem die ‚Süßigkeit‘ des allgegenwärtigen Heldengelabers gründlich verging, hat er in der 1933 abgeschlossenen Autobiographie „Eine Jugend in Deutschland" beschrieben (womit nicht zuletzt aufgezeigt war, daß Pazifisten die mit der Kriegskloake so vertrauten Soldaten zu Wort kommen lassen müssen). Er wollte unbedingt mithelfen bei einem vollständigen Bruch mit jenen Herrschaften, die ihr Militärund Kriegsgeschäft zu allen Zeiten auf dem Rücken der Armen abwickeln. Doch in einem Land mit derart tiefsitzenden Macht-, Alltags- und Denkstrukturen des Militarismus wie Deutschland ist solches nicht möglich. – Im April 1919 beklagte der achte Deutsche Pazifistenkongreß, „daß seit der Revolution im Bürgerkrieg die Grundsätze des Pazifismus von der Heiligkeit des menschlichen Lebens nicht berücksichtigt sind. Wertvollste geistige Führer und hunderte namenlose Mitkämpfer sind auf diese Weise geopfert. Der Kongreß fordert, daß mit diesem Militarismus im Innern gänzlich gebrochen wird und kein Todesurteil, insbesondere nicht gegen den Pazifisten Toller, ausgesprochen und vollzogen wird …"⁷.
_____
Ein persönlicher Nachtrag sei an dieser Stelle noch angefügt: Im Jahre 1985 führten wir, Mitglieder einer ökumenischen Theatergruppe der evangelischen und der katholischen Studentengemeinde Tübingen, Tollers erst sehr spät und äußerst selten in deutschen Landen gespieltes Bühnenstück auf. Claudius Kurtz, Pfarrerssohn und evangelischer Theologiestudent mit absolviertem Wehrdienst, hatte damals die Rolle des Napoleon übernommen. Ich selbst – Sproß aus einer Heizungsbauerfamilie, Militärdienstverweigerer und katholischer Priesteramtskandidat – spielte den Friedensanwalt Franziskus: in der echten Kutte eines franziskanischen Kommilitonen. Eine der Szenen von damals ist auf dem Umschlag dieser Publikation zu sehen.
Während des Katholikentags 2018 in Münster diskutierte ich öffentlich mit Vertretern des Militärkirchenwesens über die neue ‚Einsatzbereitschaft‘ der Bundeswehr.⁸ Dort trafen wir beiden Tübinger Theater-Kontrahenten uns nach Jahrzehnten wieder. „Napoleon war kein Pazifist geworden und mich hatte die Militärreligion noch immer nicht bekehren können. In der letzten Zeit scheint „Napoleon
aber sehr nachdenklich geworden zu sein …
Düsseldorf ǀ März 2024
Theatergruppe der beiden Tübinger Studentengemeinden ǀ 1885 Probenabend zu Ernst Tollers „Nie wieder Friede"
(Bildarchiv des Herausgebers)
¹ Bernhard SPIES: Die Komödie in der deutschsprachigen Literatur des Exils. Ein Beitrag zur Geschichte und Theorie des komischen Dramas im 20. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann 1997, S. 44-53 (Tollers Stück) – hier S. 45.
² Ebenda, S. 46 (die gesamte Interpretation von B. Spies sei empfohlen).
³ „Nie wieder Friede! – Nachwort". In: Ernst TOLLER: Sämtliche Werke, Band 2. Herausgegeben von Kirsten Reimers, Christiane Schönfeld, Thorsten Unger u. a.. Göttingen: Wallstein 2015, S. 772-794 (hier zitiert nach dem Online-Auszug auf: https://dspace.mic.ul.ie/handle/10395/2176). Dieser Beitrag erschließt alle Hintergründe zur ‚Geschichte‘ des Bühnentextes.
⁴ In Kürze legt die Redaktion der ‚edition pace‘ die kostenfreie Internetveröffentlichung einer gemeinfreien Übersetzung der ‚Querela Pacis‘ (mit nachfolgender Buchausgabe) vor, nebst einem einleitenden Text von Eugen Drewermann.
⁵ Vgl. dazu z. B. meine drei Kriegsfilmstudien: Napalm am Morgen (2004), Kino der Angst (2005/2007) und Bildermaschine für den Krieg (2007).
⁶ Die großen Hoffnungen, die wir zeitweilig sogar in das ‚öffentlich-rechtliche Kabarett‘ setzten, sind freilich schon verflogen – der Weg bleibt nichtsdestotrotz (als eine von mehreren Optionen) richtig.
⁷ Die Friedens-Warte, Jg. 1919, S. 118. [https://www.jstor.org/stable/23795079].
⁸ https://www.katholische-militaerseelsorge.de/glaube-und-seelsorge/katholikentag-2018/responsibility-to-protect-aber-wie
Nie wieder Friede
Komödie von Ernst Toller
Musik von Hanns Eisler
(1934 / 1936)
Personen
FRANZISKUS VON ASSISI
NAPOLEON