Die größten philosophischen Werke des Anarchismus: Die Anarchisten; Anarchismus und revolutionäre Taktik; Memoiren eines Revolutionärs; Der Freiheitsucher
Von Erich Mühsam, Michael Bakuninm, Peter Kropotkin und
()
Über dieses E-Book
Mehr von Erich Mühsam lesen
Das seid ihr Hunde wert!: Ein Lesebuch Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSechs Tage im April: Erich Mühsams Räterepublik Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenNamen und Menschen: Unpolitische Erinnerungen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRevolution: Kampf-, Marsch- und Spottlieder Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Befreiung der Gesellschaft vom Staat: Was ist kommunistischer Anarchismus? Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMeisterwerke der Satire: Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk, Drei Mann in einem Boot, Die toten Seelen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWüste, Krater, Wolken Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWir geben nicht auf!: Texte und Gedichte Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie größten Meister der deutschen Dichtkunst Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAlarm: Manifeste aus 20 Jahren Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSammlung 1898-1928 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenVon Eisner bis Leviné: Die Entstehung der bayerischen Räterepublik Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenErich Mühsam: Verse eines Kämpfers (151 Gedichte in einem Band) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Psychologie der Erbtante Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenErich Mühsam: Gesammelte Gedichte Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenJudas Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPolitische Schriften: Parlamentarischer Kretenismus, Die Anarchisten, Tagebuch aus dem Gefängnis, Appell an den Geist, Anarchie, Kulturfaschismus und mehr Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenStaatsräson: Ein Denkmal für Sacco und Vanzetti Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Psychologie der Erbtante: Satire an 25 konkreten Fallbeispielen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Psychologie der Erbtante: Eine Tanthologie aus 25 Einzeldarstellungen zur Lösung der Unsterblichkeits-Frage Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Befreiung der Gesellschaft vom Staat - Was ist kommunistischer Anarchismus?: Mühsams letzte Veröffentlichung vor seiner Ermordung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPolitische Theorie: Grundwerke der Philosophie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Psychologie der Erbtante: Eine Tanthologie aus 25 Einzeldarstellungen als Beitrag zur Lösung der Unsterblichkeits-Frage Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEnthüllung der dunklen Wahrheit mit Humor: Meisterwerke der deutschen Satire Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Ähnlich wie Die größten philosophischen Werke des Anarchismus
Ähnliche E-Books
Michael Bakunin und die Anarchie: Eine Biographie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Geschichte von Michael Bakunin Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMichael Bakunin und die Anarchie: Der Weg eines Revolutionärs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMichael Bakunin und die Anarchie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Kultur der Renaissance in Italien Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWallenstein: Eine Charakterstudie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDeutsche Charaktere und Begebenheiten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRasputin (Übersetzt): Das ende eines regimes Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHelden aus dem schottischen Hochland: Ivanhoe + Waverley + Rob Roy (Robin der Rote): Historische Romane Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Kultur der Renaissance in Italien (Alle 6 Bände) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKatharina die Große - oder Zarin Katharina II von Russland Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFranzösische Staatsmänner (Illustrierte Biographien): Georges Clemenceau; Léon Gambetta; Adolphe Thiers; Mac Mahon; Jules Simon; Jules Grévy; Jules Ferry Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFahnenflucht in die Freiheit: Wie der Staat sich seine Feinde schuf – Skizzen zur Globalgeschichte der Demokratie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKatharina die Große Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMaria Theresia Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIvanhoe: Historischer Roman Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Das schwarze Weib Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen"Fahren Sie sofort los!": Alexandra Kollontai: Ein Frauenleben zwischen Auflehnung und Macht Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Kaiser Hadrian Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenCaligula und andere Werke Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWodka Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Geschichte und Kunst der Renaissance: Die Kultur der Renaissance in Italien, Künstler der Renaissance, Savonarola, Geschichte von Florenz Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPerry Rhodan 2039: Traumzeit: Perry Rhodan-Zyklus "Die Solare Residenz" Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchottische Helden: Ivanhoe + Waverley + Robin der Rote: Historische Romane Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDracula Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIn Mexiko Band I + II Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIvanhoe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas schwarze Weib (Historischer Roman aus dem Bauernkriege): Basiert auf wahren Begebenheiten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Allgemeine Belletristik für Sie
Der Zauberberg Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDienstanweisung für einen Unterteufel Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Das Schloss Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Die 35 häufigsten Fehler im Deutschen: Wie man sie vermeidet Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHeinrich Heine: Gesammelte Werke: Anhofs große Literaturbibliothek Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Harry Potter und der Stein der Weisen von J K. Rowling (Lektürehilfe): Detaillierte Zusammenfassung, Personenanalyse und Interpretation Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKinder- und Hausmärchen Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Der Struwwelpeter - ungekürzte Fassung: Der Kinderbuch Klassiker zum Lesen und Vorlesen Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5James Bond 01 - Casino Royale Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Denke (nach) und werde reich: Die 13 Erfolgsgesetze - Vollständige Ebook-Ausgabe Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Hans Fallada: Gesamtausgabe (32 Werke und Illustrationen) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenJames Bond 06 - Dr. No Bewertung: 4 von 5 Sternen4/51984 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIm Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque (Lektürehilfe): Detaillierte Zusammenfassung, Personenanalyse und Interpretation Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenJoseph Roth: Gesammelte Werke Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWalter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke: Neue überarbeitete Auflage Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMetamorphosen: Bücher der Verwandlungen: Mythologie: Entstehung und Geschichte der Welt von Publius Ovidius Naso Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Mephisto: Roman einer Karriere: neue überarbeitete Auflage Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGesammelte Werke: Romane, Memoiren, Essays, Novellen und Erzählungen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Frau ohne Schatten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchöne neue Welt von Aldous Huxley (Lektürehilfe): Detaillierte Zusammenfassung, Personenanalyse und Interpretation Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGesammelte Weihnachtsgedichte: Eine Sammlung der Weihnachtsgedichte von den berühmtesten deutschen Autoren Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGesammelte Werke Stefan Zweigs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen9 Novellen: Michael Kohlhaas + Die Marquise von O... + Das Erdbeben in Chili + Geistererscheinung und mehr: Michael Kohlhaas + Die Marquise von O... + Das Erdbeben in Chili + Die Verlobung in St. Domingo + Das Bettelweib von Locarno + Der Findling + Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik (Eine Legende) + Geistererscheinung + Der Zweikampf Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Tod in Venedig Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKurt Tucholsky - Gesammelte Werke: Romane, Aufsätze & Artikel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Parfum von Patrick Süskind (Lektürehilfe): Detaillierte Zusammenfassung, Personenanalyse und Interpretation Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Rezensionen für Die größten philosophischen Werke des Anarchismus
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Die größten philosophischen Werke des Anarchismus - Erich Mühsam
Erich Mühsam, Michael Bakuninm, Peter Kropotkin
Die größten philosophischen Werke des Anarchismus
Die Anarchisten; Anarchismus und revolutionäre Taktik; Memoiren eines Revolutionärs; Der Freiheitsucher
Sharp Ink Publishing
2024
Contact: [email protected]
ISBN 9788028369552
Inhaltsverzeichnis
Michael Bakunin und die Anarchie (Ricarda Huch)
Gott und der Staat (Michael Bakunin)
Gesammelte Schriften (Erich Mühsam)
Proudhon: Eigentum ist Diebstahl (Fritz Mauthner)
Anarchismus, Sozialdemokratie und revolutionäre Taktik (Wilhelm Liebknecht)
Die Anarchisten (John Henry Mackay)
Der Freiheitsucher (John Henry Mackay)
Memoiren eines Revolutionärs (Peter Kropotkin)
Die Große Französische Revolution 1789-1793 (Peter Kropotkin)
Die freie Gesellschaft (Johann Most)
Die Anarchie (Johann Most)
Die Gottespest (Johann Most)
Die Eigentumsbestie (Johann Most)
Der kommunistische Anarchismus (Johann Most)
An Deutschlands Jugend (Walther Rathenau)
Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte (Karl Marx)
Ricarda Huch
Michael Bakunin und die Anarchie
Inhaltsverzeichnis
1. Rußlands Beziehungen zur europäischen Geschichte
2. Michael Bakunins Vaterhaus und Jugend
3. Der Einfluß deutscher Romantik auf Bakunin
4. Russische Einflüsse auf Bakunin
5. Deutschland um 1840
6. Freundschaftliche Beziehungen und erste Berührung mit dem Kommunismus
7. Paris und Bekanntschaft mit Proudhon und Marx
8. Bakunins Anteil an der deutschen Revolution
9. Die Gefangenschaft
10. 1850-1860
11. Wiedereintritt ins Leben
12. Bakunins Ideen
13. Bakunin in Italien
14. Bakunin und Marx
15. Netschajew
16. Bakunin und Herzen
17. Der Deutsch-französische Krieg und die Kommune
18. Auseinandersetzung mit Mazzini
19. Die Tragödie der Baronata
20. Das Ende des Kampfes
21. Der Tod
.Mikhail Bakunin (1814 - 1876)
1.
Rußlands Beziehungen zur europäischen Geschichte
Inhaltsverzeichnis
Die Flammen, in denen Moskau sich verzehrte, geboten dem Erobererschritt Napoleons halt; aber unangetastet von der Glut stand die Muse unter den knisternden Mauern und sah ihrem Liebling nach, der mit düsterer Stirn sich rückwärts wandte, dem Untergang entgegen. Umgeschlagen das singende Element wie einen flatternden Mantel, schrieb sie mit Geisterfingern in den Schutt, über den sie hinschritt, dann verschwand sie in der herbstlichen Steppe. Sie wanderte an der Wolga und am brausenden Don entlang, sie glitt mit der klingenden Troika über unabsehbare Heiden ohne Dorf, ohne weidendes Vieh, und ihre goldene Sohle berührte die fruchtbare Erde des Südens. Niemand sah sie; aber ihr Atem mischte die Luft zu einem Zaubertranke, der viele Seelen berauschte. Auf manche Schwelle, über die sie gedankenvoll wandelte, grub sie magische Zeichen: Sollte der Fuß eines jungen Helden über sie stürmen? sollten kriegerische Horden über sie eindringen? war sie durch Aufruhr dem Verderben geweiht? Die alten Lieder, die sie vorübersausend sang, vernahm niemand; aber sie blieben an Bäumen und Strömen hangen, die sie fortan verkündeten. Es gab Kinder, die mit ihnen aufwuchsen und sie in sich trugen wie Fanfaren, die zu Taten drängten. Während Eltern, Geschwister und Diener ihrem Vergnügen und ihren Geschäften nachgingen, dumpf in die alltägliche Langeweile versunken, horchten sie auf den lockenden Ton, der von der Harfe der Klio sprühte.
Rußland, mächtig durch sein Gebiet, seine Völker, durch Schätze der Erde, war dennoch bisher ein geschichtsloses, nicht ereignisloses Land; es erlebte, aber ohne allgemeine Teilnahme, Sinn und Entwicklung auf ein höheres Ziel zu. Wenn Keime eines organischen Lebens im russischen Volke lagen, so wurde ihr Wachstum durch besondere Verhältnisse zurückgehalten. Diese bestanden zum Teil vielleicht in dem geographischen Charakter des eintönigen, ungegliederten, massigen Reiches, sodann jedenfalls in einem durchgreifenden Zwiespalt, der Rußland zerriß und lähmte, indem die adlige Bürokratie und die leibeigene Bauernschaft sich fremder als zwei fremde Völker gegenüberstanden. Die Idee des Kaisers als des Statthalters Gottes, in welchem das Ganze des Volkes beschlossen ist, so daß er die Unterdrückung einiger oder vieler durch den Übermut einzelner nicht leidet, ist dem Menschen, und besonders dem russischen Menschen, so eingeboren, daß die russischen Bauern inmitten des Elends ihrer Hörigkeit nie aufhörten zu glauben, der Zar halte es mit ihnen gegen den Adel, der sich seine Übermacht im Widerspruch gegen ihn angeeignet habe. Tatsächlich hatten die Zaren, ähnlich wie die Fürsten des Abendlandes, die Bauern dem Adel preisgegeben, um sich die Unterwerfung des Adels zu erkaufen, und hatten sich dadurch in eine zweideutige Stellung gebracht, aus der sie je länger je weniger einen Ausweg wußten. Trotz der Unfreiheit des Adels, der nichts war als die Beamtenschaft und das Werkzeug des Zaren, hingen sie selbst doch wieder vom Adel ab, der zwischen ihnen und dem größten Teil des eigentlichen Volkes stand; nur ein kleiner Teil der Bauern gehörte dem Staat.
Es ist bekannt, daß Peter der Große die westliche Zivilisation nach Rußland zu verpflanzen suchte, dabei natürlich das herausgreifend, was sich am ehesten durch einen Einzelwillen übertragen ließ und was seiner herrischen Natur zusagte: Das war der Despotismus der in der Person des Fürsten mündenden Adels- und Beamtenherrschaft. Der orientalische Despotismus, der im russischen Wesen zu liegen scheint, vereinigte sich mit dem abendländischen Absolutismus, um das Leben der russischen Gesellschaft zu unterdrücken. Den Hauptunterschied zwischen der Struktur Rußlands und der des übrigen Abendlandes machte der Umstand aus, daß das Bürgertum in Rußland schwach und bedeutungslos war; vergebens hatte sich Katharina bemüht, die Einrichtungen des deutschen Städtewesens in ihr Reich zu übertragen, da sich organisches Leben nicht auf Befehl einführen läßt. Das Fehlen der vermittelnden Klasse machte die Gegensätzlichkeit und Spannung desto heißer und gefährlicher.
Die russischen Zaren hatten von jeher Ursache, vor Verschwörung und Mord auf der Hut zu sein; und zwar waren diejenigen, die ihnen nachstellten, nicht unter den gequälten Bauern, sondern unter dem hohen Adel und der zarischen Familie zu suchen. Paul, der Sohn Katharinas und Vater der beiden Kaiser Alexander I. und Nikolaus I., war durch eine sogenannte Palastrevolution gefallen, der sein Sohn Alexander nahegestanden hatte. Durch den despotischen Willen eines russischen Kaisers fühlten sich zu allermeist die Nächststehenden bedroht, die Familie und der hohe Adel, welcher die eigentliche unmittelbare Dienerschaft des Zaren bildete. Dadurch aber, daß ein Glied des Adels den jeweiligen Zaren bis aufs Blut hassen, ja morden konnte, wurde das autokratische System nicht angetastet, da ja der Reichtum des Adels auf der rechtlosen Abhängigkeit der Bauern beruhte, die der Zar ihm verbürgte; so seltsam waren Herrschaft und Knechtschaft von Zar und Adel verflochten.
Man sollte meinen, die Befreiung der Bauern hätte im Interesse der Zaren gelegen; indessen unmittelbare Gefahr und Mühe wirkt stärker als in der Ferne winkender Vorteil. Katharina hatte mit dem Gedanken der Bauernbefreiung gespielt; von Alexander I. heißt es, er habe ihn aufgegeben, als man ihn vor dem Gifte des Adels gewarnt hatte, der durch eine solche Umwälzung in seinem Besitz und Wohlsein bedroht gewesen wäre. Je länger der Stein dalag, desto mehr Furcht verbreitete sich vor dem Augenblick, wo man ihn aufhöbe und grauenhaftes Gewürm frei hervorkröche. So wenig aber Alexander tat, um den inneren Zustand Rußlands zu heben, beförderte er doch die Kritik und die Sehnsucht nach Besserung, indem er selbst, alles Russische verachtend, auf westeuropäische Bildung stolz war. Auch Katharina hatte junge Leute auf deutschen Universitäten studieren lassen; unter Alexander aber führte der Krieg unzählige junge Offiziere ins Ausland, welche, heimgekehrt, das freiere und edlere Leben, an das sie sich gewöhnt hatten, schmerzlich vermißten. Überhaupt war seit langer Zeit das Französische die Umgangssprache der guten Gesellschaft und französische Sitte und französische Anschauungsweise verbreitet; dem Adel waren die freiheitlichen Ideen der Französischen Revolution vielfach geläufig, während er tatsächlich von der Sklaverei des Volkes lebte.
Die jungen Revolutionäre, welche zur Zeit Alexanders zum ersten Male den Plan einer systematischen Umwälzung in Rußland faßten, gingen alle aus den höchsten Kreisen der Gesellschaft hervor; man nannte diese Erscheinung später den bereuenden Adel. Die Gesellschaft war auf einer Spitze angelangt, wo sie sich selbst beurteilte, sich selbst verdammte und auflöste; sie begriff, wie weit sie sich von der Natur und den in ihr wirksamen sittlichen Gesetzen entfernt hatte und daß sie so nicht weiter fortbestehen konnte, weil sie es nicht durfte. In der Mehrheit war natürlich eine solche selbstvernichtende Erkenntnis nicht lebendig, und viele gab es, die sie wohl hatten, aber keine Schlüsse daraus zogen. Daß die Revolutionäre die herrschende Schicht gegen sich hatten, war selbstverständlich; zu ihrem Unheil konnten sie sich aber auch nicht auf das Volk stützen, das sie nicht verstand.
Überall erhält sich ein mehr oder weniger dunkles Bewußtsein von naturgemäßen Zuständen, wie sie sein sollten, die die Gebildeten, je mehr die Entwicklung sie davon entfernt hat, geringschätzig als phantastisch abzutun pflegen; in Rußland war dies besonders der Fall, da sich einerseits die primitive Freiheit der Dorfgemeinde inmitten der Leibeigenschaft unverändert erhalten hatte, anderseits die Zivilisation gewalttätig eingeführt war und in das Volk nie hatte eindringen können. Um die Ereignisse richtig zu beurteilen, muß man einsehen, daß seit Peter dem Großen ein dauernder Kriegszustand in Rußland herrschte, meist im verborgenen glimmend, zuweilen in hellen Flammen auflodernd. Das Eigentümliche des Dekabristenaufstandes war, daß er aus dem Schoße der westlichen Zivilisation selbst erwuchs und ohne jede Anknüpfung an das leidende Volk war, dem er Erlösung bringen sollte. Die Bauern haßten den Adel und die Bürokratie, aber sie trennten davon den Zaren, der in ihrer Einbildung ein Volkszar war, und was sie anstrebten, Land und Freiheit, hatte nichts zu schaffen mit den Verfassungsplänen der Dekabristen; das Rüstzeug, dessen diese sich bedienten, bestand in westlichen Ideen, die sich allmählich gegen die Schäden der Zivilisation auf dem Boden derselben entwickelt hatten.
Man kann von einem romanischen und einem germanischen Protest gegen die herrschenden Zustände sprechen. Beide gründen sich auf die Idee der Volksherrschaft, die aber auf verschiedene Art von beiden aufgefaßt wird. Die germanische Volksherrschaft beruht auf der Gesamtheit der wehrkräftigen Freien und wird von Männern ausgeübt, die aus ihrer Mitte hervorgegangen und von ihnen gewählt sind; nach der romanischen Idee wird die Herrschaft von der Gesamtheit des Volkes abgelöst, wodurch aus dieser Regierte oder Staatsbürger werden, die mit den öffentlichen Angelegenheiten nichts zu tun haben. Es mag sein, daß es richtiger wäre, die Lebensformen junger und alternder Völker zu unterscheiden; jedenfalls übernahmen die romanischen Völker die Neigung zu den römischen Gesetzen und Regierungen, kurz, die Zentralisation, während die germanischen Barbaren auflösend auf jene Welt wirkten. Die romanische Revolution und Demokratie bedeutet die Teilnahme einer neuen, bisher ausgeschlossenen Schicht an der Regierung und Vertretung im Parlament, die germanische verlangt, daß das, was alle angeht, auch von allen beschlossen und ausgeübt werde, Selbstverwaltung im weitesten Sinne. Im wesentlichen stehen sich Zentralisation und Föderation oder Vergesellschaftung, Gemeindebildung, gegenüber; denn es leuchtet von selbst ein, daß das Besorgen der öffentlichen Geschäfte durch alle die Bildung von Gruppen erfordert, die sich, von unten nach oben zusammenwachsend, untereinander verständigen müssen. Ebensowohl kann man fließendes und erstarrendes Leben unterscheiden: Mit der Zentralisation beginnt das, was man Staat zu nennen pflegt, dessen Wesen Stabilität ist, wohingegen man den fließenden Zustand das Reich der privaten Beziehungen nennen könnte. Denn im Grunde ist es doch so: Das Leben bleibt im Flusse, solange es auf Personen und Gewohnheiten abgestellt ist, es erstarrt, wenn es auf Erblichkeit, auf Gesetzen, Verträgen und Verfassungen beruht.
Der hervorragendste unter den russischen Revolutionären, Pestel, Sohn einer deutschen Mutter und Adjutant des Fürsten Wittgenstein, hatte föderalistische und sozialistische Ideen zu einer Zeit, wo das Wort und der Begriff Sozialismus noch unbekannt waren. Er übte auf seine Genossen einen fast unwiderstehlichen Einfluß aus; doch wichen viele in verschiedener Hinsicht von ihm ab. Er wollte die Republik, andere wollten eine konstitutionelle Monarchie. Die Befreiung der Bauern wollten alle, über die Art ihrer Ausstattung mit Land war man nicht einig. Pestel hielt die Umwandlung des Adelszaren, Vertreters einer Klasse, in einen Volkszaren, Vertreter des Ganzen, für unmöglich und deshalb die Ermordung des Zaren und seiner ganzen Familie für notwendig. Dazu wollten sich verschiedene andere nicht verstehen, doch gaben sie endlich, von Pestel überzeugt, wenigstens in bezug auf die Person des Zaren nach. Einer, ein entschlossener, erbitterter Mann, wollte gelegentlich die Tat ausführen; indessen, die anderen schraken davor zurück, und es gelang ihnen, ihn zurückzuhalten. Alle waren von hoher Uneigennützigkeit und begeistert im Reden; aber die rücksichtslose Kraft des Handelns besaßen sie nicht, wie sie denen eigen ist, die am eigenen Leibe unter Despotismus und Ungerechtigkeit leiden. Pestel hatte Augenblicke tiefer Niedergeschlagenheit, wo er daran dachte, mit Gefahr seines Lebens dem Zaren alles zu gestehen und ihn anzuflehen, die Geheimbünde aufzulösen und die Reformen, die sie anstrebten, selbst durchzuführen.
Der plötzliche Tod Alexanders veränderte die Lage und drängte zum Handeln; namentlich wegen eines besonderen Umstandes, der mit dem Thronwechsel verbunden war. Schon Jahre zuvor hatte der Thronfolger, Alexanders Bruder Konstantin, abgedankt, was aber im allgemeinen unbekannt war, so daß ihm der Treueid geleistet wurde. Wenn nun Nikolaus, der jüngere Bruder, auf die Nachfolge Anspruch erhob, so konnte man die Soldaten glauben machen, es handle sich nicht um Rebellion, sondern um pflichtmäßiges Eintreten für den verdrängten Erben. Die Dekabristen, wie man diese Verschwörer später nannte nach dem Monat Dezember, in welchen der Tod Alexanders und die Revolution fielen, entschlossen sich zu diesem Wege eigentlich, weil sie sich bewußt waren, es widerstrebend zu tun; nachdem sie so lange geredet hatten, hielten sie es für ein Erfordernis der Ehre, zu handeln. Einige fielen ab; andere stürzten sich mit zusammengebissenen Zähnen, hoffnungslos, in den Kampf. Diejenigen, die mit unerschütterlichem Heroismus vom Anfang bis zum Ende standhielten, starben am Galgen oder in Sibirien; nur wenige erlebten die Begnadigung nach dem Tode des Kaisers Nikolaus.
Die seltsame Erscheinung Nikolaus' des Ersten kann man nur begreifen, wenn man ihn als krankhaft ansieht, und das taten auch manche, die ihm nähertraten, besonders gegen das Ende seines Lebens. Man konnte das Urteil hören, die ganze Familie Romanow leide an erblicher Geisteskrankheit; ist sie aber nicht der Fluch, der alle trifft, die keinen Widerstand dulden und keinen finden? Die Eigenart Nikolaus', der charaktervoller, aber beschränkter war als sein Bruder Alexander, kam der Ausbreitung des Giftes besonders entgegen. Seine oft beleidigende Gefühlsroheit, die Leere, die er durch hochtrabende Gesten und Worte zu verdecken suchte, der Stolz, der Eigensinn, das Aufblitzen von Größe, die aber immer im Herrischen, nicht in Großmut lag, alles das deutet auf einen Menschen, der den Zusammenhang mit dem Ganzen verloren hat und, von Königsbewußtsein verblendet, dem Abgrund des Königswahnsinns sich nähert. Er liebte es, bei Paraden, Begräbnissen, Einweihungen seine schöne Person zur Schau zu stellen, als spiele er eine Rolle; er spielte sie bis zum letzten Augenblick seines Lebens mit so viel Glanz und Würde, daß er, wäre er ein Schauspieler gewesen, uneingeschränkte Bewunderung genießen würde. Die Anziehungskraft, die er ausübte, verdankte er vielleicht dem russischen Wesen, das nicht selten eine bezaubernde Wirkung ausstrahlen soll; aber auch die seelische Überspannung verleiht zuweilen einen großen Reiz. Es kam oft vor, daß Menschen, die dem Kaiser ein starkes Vorurteil entgegenbrachten, ja, die ihn fortdauernd mißbilligten und beinah haßten, von seiner Persönlichkeit wider ihren Willen hingerissen wurden.
Es gibt eine Einigung, die gut ist, weil ohne sie das Chaos wäre, die gerade durch ihr Dasein reiches Leben in unzähligen Erscheinungen verbürgt; eine andere, böse dagegen, die daraus besteht, daß ein einziger Mittelpunkt alles Leben an sich zieht und in sich verschlingt, um allein alles zu sein. Eine solche Einheit strebte Kaiser Nikolaus an, das Ideal, das ihm vorschwebte, durch das Motto seiner Regierung bezeichnend: Ein Volk, Ein Gesetz, Ein Glaube. Dies war gerade in Rußland zu verwirklichen unmöglich, einem Riesenreiche, das aus den verschiedenartigsten, durch Zufall und Willkür zusammengeworfenen Teilen bestand, deren Berührung wohl segensreich sein konnte, deren Verschmelzung aber nur gewaltsam und auch durch Gewalt nicht zu erreichen war. Das alte, breite, träge, geheimnisvoll mächtige, lebenbrütende Großrußland, die frische, kriegerische, sagenreiche Ukraine, die deutschen Ostseeprovinzen mit ihrer vornehmen, erstarrten Kultur, die Tüchtigkeit und Unbeugsamkeit Finnlands, eine einsame Welt für sich bildend, die unbändigen kaukasischen Bergvölker, herrlich durch Schönheit und Freiheit, die wilden Kosaken, die hochmütigen, ritterlichen, unlenkbaren und zum Lenken unfähigen Polen, die in Staub getretenen, klugen, wachsamen und geduldigen Juden – wie hätten alle diese Völker unter ein gleiches Gesetz, einen Glauben und eine Sprache gezwungen werden können! Anderseits liegt doch etwas im russischen Lande und im russischen Menschen, das dem Ideal der Uniformität entgegenkommt. Einförmig ist die Natur, und einförmig sind nach Anlage, Bauart und ganzem Charakter die Dörfer und Städte; es heißt, mit einer habe man so ziemlich alle gesehen. Wunderbar steht dem gegenüber die phantastische Herrlichkeit der alten Kirchen und Heiligtümer. Die Einförmigkeit schließt schroffe Gegensätze nicht aus, die nur freiwilliges, allgemeines Leben vermitteln könnte.
Nikolaus, so groß gewachsen, so stark, so herrisch, war im Grunde zu schwach, um es mit freien Lebensäußerungen aufzunehmen. Arm an Ideen, hielt er sich an sein dürftiges System und erschien standhaft und folgerichtig, weil er nie an sich und seinen Ansichten zweifelte. Es kam ihm nicht in den Sinn, sich in die Menschen, die er bearbeitete, hineinzuvertiefen; so hielt man ihn oft für grausam, während ihm nur die Vorstellung der Außenwelt fehlte. Der Despot ist ein Mechaniker: Er zieht den geregelten Gang des Automaten der widerspruchsvollen Mannigfaltigkeit des Lebens vor und möchte aus den Ländern und Völkern, die er als sein Eigentum betrachtet, ein schnurrendes Räderwerk machen, das abläuft, je nachdem er es aufzieht. In dem Bestreben, alles Eigenleben in Rußland zu unterdrücken, blieb er siegreich, solange er lebte. Die Hinrichtung der fünf Dekabristen, die Nikolaus als die Schuldigsten ansah, die Verbannung der übrigen nach Sibirien erregte zwar Schmerz und Entrüstung unter jenem Teil der Aristokratie, welcher ähnlich dachte; aber er verstummte. Jeder einzelne fühlte das Schweigenmüssen wie ein lähmendes Gift durch seine Adern schleichen. Der Druck lagerte atemraubend und beängstigend auf Rußland; wo kein Kampf zwischen dem starren Vergangenen und dem Künftigen ist, da ist kein geschichtliches Leben. Vier Jahre nach dem Regierungsantritt Nikolaus' des Ersten verfaßte ein sonderbarer, einsiedlerisch lebender Mann, Peter Tschaadajew, ein Schreiben, welches klang wie ein Schmerzensschrei über das Schicksal Rußlands, ausgeschlossen vom Abendlande und seiner Kultur geschichtslos zu veröden. Dies abendländische, von einer gleichartigen Kultur durchdrungene und zusammengehaltene europäische Reich sah er als Reich Gottes an, die Krone der Erde. Nur innerhalb dieses Reiches, meinte er, gebe es eine sinnvolle Entwicklung. Schon sein Ausgangspunkt, das Heldenzeitalter, habe einen Schatz von Erinnerungen überliefert, an welchen wie an einen Brückenpfeiler die Geschichte anknüpfe und der Rußland fehle. »Die Epoche unseres sozialen Lebens, die diesem Alter entspricht, war mit einem düsteren und dunklen Dasein angefüllt, welches der Kraft und Energie entbehrte, von nichts anderem außer von Gewalttaten belebt, nur durch die Knechtschaft gemildert wurde. Weder lockende Erinnerungen und anmutige Bilder leben im Gedächtnis des Volkes noch gewaltige Lehren in seiner Überlieferung. Werfen Sie einen Blick auf alle von uns durchlebten Jahrhunderte, auf den ganzen von uns eingenommenen Raum – Sie werden keine anziehende Erinnerung, kein würdiges Denkmal finden, das Ihnen deutlich von der Vergangenheit spräche, das sie vor Ihnen plastisch und bildhaft wiederschüfe. Wir leben der Gegenwart allein in ihren engsten Grenzen, ohne Vergangenheit und Zukunft, inmitten eines toten Stillstandes.« Dieser Brief, die verzweifelte Klage eines im finsteren Kerker Angeschmiedeten, der das Leben der Freien draußen im goldenen Lichte vorüberrauschen sieht, wurde schon im Manuskript viel gelesen und im Jahre 1836 in einer Zeitschrift abgedruckt. Kaiser Nikolaus, darauf aufmerksam gemacht, las ihn und fand ihn, da er ihn nicht verstand, frech und unsinnig; er handelte vermutlich aus Überzeugung, als er den Verfasser für irrsinnig erklären ließ. Tschaadajew, der als Offizier die Kriege gegen Napoleon mitgemacht hatte, der Freund Puschkins, der schöne, bewunderte Stern aller Salons, die für geistvoll galten, wurde von Staats wegen für irrsinnig erklärt und mußte sich von Zeit zu Zeit den Besuch eines Polizeiarztes gefallen lassen, der ihn zu beobachten hatte. Die Zeitschrift, in welcher der Brief abgedruckt war, wurde verboten. Tschaadajew lebte noch zurückgezogener als sonst; als einsamer Spaziergänger, den Hut tief in die Stirn gedrückt, ging er an den Menschen vorüber, selten sich äußernd und stets bereit, das Gesagte zurückzunehmen, wenn es die Grenze des amtlichen Irrsinns streifte. Der Stillstand des Lebens lastete auf den Menschen als Langeweile, ein furchtbares und verhängnisvolles Übel. Sie quälte am meisten diejenigen jungen Männer, die sich nicht entschließen konnten, in den Staatsdienst zu treten, und dadurch beschäftigungslos waren. Vielleicht kann man sagen, daß die Galgen, an welchen die Revolutionäre aufgehängt wurden, die gleichförmige Ebene des ungeheuren, ungegliederten Reiches vorteilhaft belebten. Das Bedürfnis, fremde Völker, fremde Länder kennenzulernen, ist überall vorhanden; in Rußland herrschte in allen Schichten ein außergewöhnlicher Hang, zu wandern und zu reisen, eine Sucht, den Geist durch den Anblick ungebundenen Lebens zu erfrischen, die die damit verbundenen Schwierigkeiten und Gefahren nur verstärkten. Überall, wo Despotismus besteht und die spontanen Kräfte der Individuen unterbunden sind, stellt sich Langeweile als bedenkliches Symptom ein; sie läßt sich durch Mode und Liebesverhältnisse, durch Theater und Spiele beschwichtigen, wo ein Abglanz bunten und wilden Geschehens den Müßigen vorgeführt wird; aber Leben will Blut, und wo noch Leben ist, kann der Funke leicht von den täuschenden Flammen der Bühne auf den Markt überspringen und zünden.
Niemand sprach in der Gesellschaft mehr von den Dekabristen außer mit Entrüstung und Verachtung; die Macht des Bestehenden hatte so durchaus gesiegt, daß die öffentliche Meinung sich ihr völlig unterordnete: Es gab keine Opposition mehr. Die unnatürlichen Zustände indessen hörten nicht auf, Hilfe zu fordern, und durch alle Wolken leuchtete das Sternbild der verklärten Toten. Wie der Knabe Mazzini in Genua beim Anblick der Flüchtlinge, die nach der gescheiterten Revolution Italien verließen, sich schwur, ihnen nachzueifern und sie zu rächen, so nährten sich die Herzen junger Russen mit der Leidensgeschichte ihrer ersten Märtyrer der Freiheit. Die Erstlinge einer großen Revolution erscheinen gewöhnlich ungeschickt in der Wahl ihrer Mittel, unfolgerichtig, fast einfältig im Handeln, und doch geht von ihnen die größte Kraft aus; sie fallen, den Weg bahnend, indem sie die feindlichen Speere auf ihre Brust lenken. Das Geschlecht, das geboren wurde zur Zeit, als Napoleon, der Träger und Beendiger der Revolution, stürzte, war berufen, die Reaktion zu erschüttern, die das aufgelöste Europa versteinern wollte, um es zu erhalten.
2.
Michael Bakunins Vaterhaus und Jugend
Inhaltsverzeichnis
Das weiße Haus ruhte breit und niedrig, mit einer Säulenvorhalle und gastlichen Flügeln zum Eintritt ladend, inmitten von Bäumen und Wiesen. Es war da nichts Gestutztes und Geschnörkeltes, die Pflege hatte sich der Natur bescheiden angeschmiegt: Sie wuchs und blühte überschwenglich aus ihrer eigenen Fülle hervor. An Gebüschen und Baumgruppen vorüber wand sich ein ruhiger Fluß und entschwand dem Blick in dichtere Haine; man sah ringsum keine Grenzen wie in einem Garten oder Park. Dies war das Gut der adligen Familie Bakunin, anschließend an das Dorf Prjamuchino, das ihre Leibeigenen, etwa tausend Seelen, bewohnten. Der Ursprung dieses alten Adels verliert sich im Dunkel; eine Überlieferung führt ihn auf die siebenbürgische Familie Báthory zurück, andere erwähnen die Stadt Baku, die einst den Persern gehörte und wo noch Sonnentempel von ihrem Glauben zeugen. Der Vater des Besitzers war Minister unter Katharina gewesen und hatte seinen Sohn achtjährig nach Florenz geschickt, wo er in Obhut von hochgestellten Verwandten aufwuchs. In Italien hatte Alexander seine Jugend verlebt und Philosophie studiert, um gleichsam als Fremdling in die Heimat zurückzukehren. Eine Zeitlang widmete er sich, wie es Vorschrift war, dem Staatsdienst, zog sich aber, davon unbefriedigt, auf sein Gut in das Privatleben zurück. Erst mit vierzig Jahren wurde Alexander Bakunin von einer entscheidenden Liebesleidenschaft ergriffen zu einem noch ganz jungen Mädchen aus dem Geschlecht der Murawjew. In dieser Familie scheint sich das gegensätzlich gespannte russische Wesen zu spiegeln: sieben Murawjew hatten zu den Dekabristen gehört, einen anderen, der sich zu grausamer Unterdrückung der Polen verwenden ließ, brandmarkte der Beiname »der Henker«. Der Zweifel, ob die so viel jüngere seine Neigung erwidern und ihm die Hand reichen würde, trieb den sonst so gesammelten und beherrschten Bakunin an die Grenze der Verzweiflung und des Selbstmordes, bis das Jawort der Geliebten alles in Glück löste. Dieser Ehe entsprangen elf Kinder: nach vier Töchtern: Ljubow, Warwara, Tatjana, Alexandra, kamen fünf Söhne, von denen der älteste den Namen Michael erhielt. Die Eltern, vom Hofe und vom öffentlichen Leben abgetrennt, widmeten sich ganz der Bewirtschaftung ihres Gutes und der Erziehung ihrer Kinder. Alexander Bakunin hatte selbst unter einer despotischen Mutter gelitten und sich gelobt, seine Kinder einem solchen Druck nicht auszusetzen: Sie wuchsen, liebevoll geleitet, aber nicht gehemmt, zwischen den Blumen und Bäumen von Prjamuchino auf. Den Winter brachte die Familie in Twer zu, der nächsten größeren Stadt. Es wurde französische Sprache, etwas Geschichte und Geographie gelernt und viel Musik getrieben; die Töchter spielten Harfe und Gitarre, und oft tönte vielstimmiger Gesang aus dem weißen Hause in die Sommernächte. Was wirksamer noch ist als guter Unterricht oder gute Schule: Es durchdrang dies Haus ein Hauch geistigen Lebens, der das alltägliche Geschehen veredelte. Was hier gedacht und gesprochen, gescherzt, gelacht und getan wurde, alles schwamm in einem verklärenden Äther des Gefühls, so wie das gewöhnlichste Wort zum Wunder werden kann, wenn Musik es begleitet. Die Kinder wurden inne, sie wußten nicht wie, daß die täglichen Ereignisse, die nahen, gegebenen Zwecke nicht die höchsten sind; daß über allen sichtbaren unsichtbare Güter schweben, denen die besten Kräfte und Kämpfe der Menschen zu gelten haben. In diesem Sinne wuchsen die Kinder im Hause Bakunin religiös auf noch neben der religiösen Erziehung, welche in den üblichen Formen, aber ohne Druck und Zwang vor sich ging. Eine Kapelle in phantastischem Stil befand sich im Park, und der Vater las der versammelten Familie aus der Bibel vor.
Es gibt Familien, in denen ein besonderer Charakter, besondere Vorzüge, lange schon ausgesondert und durcheinanderschießend, endlich die Erscheinung einer vollendeten Blüte bedingen. Hier tritt, was ein Geschlecht unbewußt dem andern überlieferte, ein persönliches Ideal ans Licht, das sich als solches erkennt, seiner Schönheit bewußt wird und somit an die letzten Augenblicke seines Daseins stößt. Gemäß den Gaben der Familie kommt nun zu Worte, was in ihr verborgen war. Gewöhnlich sind die Glieder einer solchen durch ungewöhnlich starkes Gefühl aufeinander bezogen; nicht selten geschieht es, daß die Liebe zwischen Bruder und Schwester sich der Grenze des von der Natur Verwehrten nähert. Dies ist eine schöne und gefahrvolle Stufe. Daß das Schöne sich dem Spiegel gegenüber in sich selbst vergaffen kann, ist augenscheinlich; aber auch der begabte, von Lebenskräften überquellende Mensch neigt dazu, seine Liebesglut auf sich zurückzuwenden und sich damit zu zerstören. Wir ahnen hier das furchtbare Mysterium der Verbindung zwischen Gott und Satan. Die Liebe, die höchste schöpferische Kraft, kann Selbstliebe und damit unfruchtbare Kraftlosigkeit werden; der Mensch, der Gott nah zu sein glaubt, kann abgrundweit von ihm zurückgeschleudert werden. Solange die Familien noch im Dunkel verbreitet dahinleben, trachtet ein jeder irgendeinem mehr oder weniger leicht erreichbaren irdischen Ziele nach und schließt sich Menschen seiner Umgebung oder Gott und seinen Geboten an, wie die Kirche sie ihn gelehrt hat. In diesen Familien aber, die sich enden und vollenden, soll ein bestimmtes, einzigartiges Ideal sich verkörpern, das allzu leicht mit dem absoluten Ideal, mit Gott selbst, sich verwechselt. Während die göttliche Liebe sich beständig ergießt, um die schmachtende Welt zu ernähren, besteht in genialischen Familien die Neigung, sich von der Welt abzusondern, um sich untereinander zu vergöttern und sich mit hohen Worten vom Ideal und Zweck der Menschheit über die selbstgenügsame Leere zu täuschen. Ein solches Schwanken und Überschwanken an verhängnisvoller Grenze gab es in der Familie Bakunin. Die Töchter besaßen, ohne schön zu sein, den Zauber sanfter Grazie, und ein poetischer Duft ging von ihnen aus, der wirksamer berückte als Schönheit oder Gefallsucht. Sie hingen mit solcher Zärtlichkeit aneinander, daß sie wie ein einziges Wesen waren; man mußte alle lieben, wenn man eine liebte, und empfing auch fast die gleiche Wärme von allen. Alle aber liebten mit gleicher Ehrfurcht den Vater und ordneten sich auch in geziemender Weise der Mutter unter, obwohl diese von allen Kindern weniger geliebt wurde. Das Glück schien die Menschen in Prjamuchino mit einem unzerreißbaren Kranze zu umschließen. Tränen flossen nur, wenn im Spätherbst zur Stadt aufgebrochen wurde und alle zusammen die traurigen Abschiedschöre sangen, die die Schwestern selbst komponiert hatten.
Den ersten Mißlaut brachte in dies harmonische Dasein eine seelische Entwicklungskrankheit Warwaras, die man eine Anwandlung von religiösem Wahnsinn nennen könnte. Sie peinigte sich mit Vorwürfen, daß sie den Forderungen der Religion nicht genüge, und litt dabei Qualen, die sie anderen, namentlich dem maßvollen Vater, nicht begreiflich machen konnte. Wie liebevoll er auch auf die Kinder einzugehen pflegte, lehnte er doch diese Übertreibungen, die den heiteren Horizont des gemeinsamen Lebens trübten, erstaunt und verstimmt ab. Er hätte wohl auch nicht helfen können; da ergriff sie das Rettungsmittel, das das Geschick ihr bot, indem sie sich verheiratete. Zwar hörte sie bald auf, ihren Mann zu lieben, wenn sie es überhaupt je getan hatte, aber mit desto heißerer Zärtlichkeit umfaßte sie ihr Söhnchen und schuf sich dadurch einen Lebenszweck, dem sie sich mit ganzer Seele hingeben konnte. Die zweite Störung entstand durch die Besorgnis der Eltern, die älteste Tochter, Ljubow, die zarteste, süßeste von allen, liebe einen Verwandten, einen Onkel von mütterlicher Seite. Die Verwandtenehe ist in Rußland verboten, vielleicht zum Glück für das ungemischte russische Volk, dem Inzucht doppelt gefährlich werden würde; zwar wurde das Verbot vielfach umgangen, aber die ältere Generation hatte eine große Scheu davor. Die Geschwister bestritten, daß die verbotene Neigung Ljubows überhaupt bestehe; jedenfalls sahen sie mit Befremden und beinah mit Entrüstung, wie der sonst so rücksichtsvolle Vater nicht nur einem Gefühl Ljubows entgegentrat, sondern sie zur Verlobung mit einem nicht geliebten Bewerber veranlassen wollte. Vollends aber schlug aus dem Schoße der gesegneten Familie selbst eine zerstörende Flamme auf, als der älteste Sohn, Michael, aus dem Kinde zum selbständigen Manne wurde.
Wie die Mädchen wuchs Michael in der Freiheit des Gutes auf. Er erlebte den ersten tiefen Schmerz, als er dem Kindheitsparadiese entrissen und auf die Artillerieschule geschickt wurde; denn Alexander Bakunin hielt es für notwendig, seinen Sohn die dem Adel vorgeschriebene Laufbahn ergreifen zu lassen. Die Lichtblicke seines dortigen Lebens waren die Sonntage, wo er eine Tante besuchte und sich in eine kleine Cousine verliebte; als im Sommer die Familie aufs Land fuhr, lief er lange abschiednehmend neben dem Wagen her, der die Geliebte entführte. Etwas Bemerkenswertes begegnete ihm sonst weder auf der Schule noch im Dienst; er lernte allerlei ohne Teilnahme und Schwung, und in sein schweres Brüten fiel kein Strahl, der das Chaos geschieden hätte. Die Empfindlichkeit des jungen Aristokraten, der niemals hart angefaßt, vom eigenen Vater stets mit Rücksicht behandelt war, zeigte sich, als ein Vorgesetzter ihn einmal wegen eines dienstlichen Vergehens rauh anfuhr. Er erwiderte ungebührlich und wurde deswegen bestraft. Eine Natur verriet sich, der der Druck der Disziplin und die starren Schranken des Militärdienstes unleidlich waren. In der kleinen Garnison, wohin er versetzt wurde, verfiel er in eine träge Melancholie, verbrachte die Tage lesend oder nichtstuend auf einem Sofa und vernachlässigte den Dienst so, daß er darauf aufmerksam gemacht wurde, er müsse entweder seine Pflicht tun oder denn, wenn sein Beruf ihm nicht zusage, davon zurücktreten. Diese Mahnung war ihm wie eine Offenbarung, die ihm zum Bewußtsein brachte, was er wollte oder wenigstens, was er nicht wollte, und er erklärte seinen Austritt aus dem Militär. Eine so entscheidende selbständige Handlung des zwanzigjährigen Sohnes erschreckte den Vater; sie enthüllte einen Zwiespalt, der sich allmählich vorbereitet und zuweilen schon drohend angekündigt hatte. Michael Alexandrowitsch liebte und verehrte seinen Vater mit Zärtlichkeit und unbedingt, fast wie einen Gott; dazu war ihm angeboren eine anschmiegende, hinreißende Liebenswürdigkeit, die ihm, solange er lebte, die Herzen gewonnen hat; es mußte unglaublich scheinen, daß von diesem Sohne plötzlich ein so einschneidender, weittragender Widerstand ausging. Der hochgewachsene, schöne, durch Körperkraft und unerschütterliche Gesundheit begünstigte junge Mann, dem seine Abkunft schnelle Beförderung sicherte, schien zum Offizier geschaffen zu sein; sein Verwerfen eines so annehmbaren Lebensplanes kam den Eltern wie tolle Laune vor. Gab man dieser Raum, so blieb nach der herrschenden Anschauung und den herrschenden Verhältnissen nichts übrig als Staatsdienst in der Verwaltung, worauf der Vater auch seinen Sohn hinwies. Michael indessen wollte nicht aus dem Regen unter die Traufe kommen; von der Beamtenlaufbahn wollte er noch weniger wissen als vom Militär, er wollte frei sein, die Welt auf sich wirken lassen und sich eine Anschauung von der Welt bilden. Wie in den Schwestern, so war auch in ihm, und noch stärker, der religiöse Trieb lebendig; nicht in der Form, daß er dem natürlich Höheren sich unterworfen hätte, sondern er wollte die allerletzte, allerhöchste Bestimmung des Menschen kennenlernen und dieser sich hingeben. Daß das im allgemeinen die nächste ist, ging ihm nicht ein. Er wies gleichsam alle die Vermittelungen zurück, die die Natur der Gottheit an die Seite stellt, um sich vor Gott hinzuwerfen und den Auftrag aus seinem Munde zu empfangen; das dunkle Gefühl einer besonderen Berufung erfüllte ihn so ganz, daß er ohne Zaudern und Furcht beiseiteschob, was ihn auf den landläufigen Weg geführt und seine Kräfte auf alltägliche Art in Anspruch genommen hätte. Es ist begreiflich, daß die Eltern in diesem Verhalten nur Anmaßung und Torheit sahen. Wie die meisten russischen Aristokraten war Alexander Bakunin, obwohl Besitzer eines großen Gutes und vieler Seelen, nicht reich an Geld und konnte seinem Sohn ein unabhängiges Leben in Moskau oder Petersburg nicht gewähren. Michael ließ sich dadurch nicht abschrecken und erklärte, sich selbst den Lebensunterhalt verdienen zu wollen durch Erteilen von Mathematikstunden. Dazu lächelte der Vater und zuckte die Achseln; er konnte den Ausflug des Sohnes ruhig mit ansehen und seine Rückkehr ins heimische Nest erwarten.
So war Michael frei und ging nach Moskau, versehen mit Visitenkarten, auf denen zu lesen war: Michael Alexandrowitsch Bakunin, Mathematiklehrer. Das war kindliche Prahlerei und doch auch ein Programm und ein Motto: Er schätzte die Kraft, die sich durch eigene Arbeit erhält, höher ein als ererbten Besitz und ererbtes Vorrecht.
In Moskau lebten Freunde der Familie Bakunin, mit denen Michael verkehrte: Frau Beer, eine Witwe mit zwei Töchtern. Die jungen Mädchen waren nicht schön, aber lebhaft und anregend, anziehend genug, daß sich begabte junge Leute gern in dem geselligen Hause einfanden. Dort lernte Michael jenen Stankjewitsch kennen, von dem er noch im Alter mit Liebe und Bewunderung sprach, den er seinen geistigen Vater nannte. Er erinnert an die Betrachtung, die David Strauß, von Jesus Christus sprechend, über gewisse Genies der Menschenliebe anstellt, die, ohne eigentlich Taten zu tun oder Werke zu schaffen, durch den persönlichen Einfluß, den sie auf alle ausüben, unendlich und schöpferisch fortwirken. Zu diesen Genies zählt Bakunin, wenn auch in großem Abstande von Christus, seinen frühverstorbenen Freund Stankjewitsch. Er schildert ihn als frei von jeder Eitelkeit oder Anmaßung, Wärme und Geist ausstrahlend, wie er denn auch von allen Freunden ohne Einschränkung, ohne Neid und Eifersucht geliebt wurde. Durch Stankjewitsch wurde Michael zur deutschen Philosophie geführt, und zwar war das erste Buch, das er studierte, in welchem er zugleich die deutsche Sprache und das Denken lernte, wie er selbst sagt, Fichtes »Anweisung zum seligen Leben«. Es machte einen überwältigenden Eindruck. Wie Fichte noch jener Generation angehörte, die auf Grund der Bibel erzogen wurde, so ist auch dies Buch vom Geist der Bibel durchdrungen, aufgebaut auf dem Grundgedanken des Kampfes zwischen dem Gottesreich und der Welt. Verstand Luther unter Welt die Summe alles dessen, was der Mensch bewußt aus sich hervorbringt, so dürfen wir wohl Welt und Zivilisation gleichsetzen; da in diesen Rahmen vieles fällt, was mehr nach außen schimmert als einem inneren Gehalt entspräche, so unterscheidet man oft gleichbedeutend Äußeres und Inneres, obwohl die Begriffe Äußeres und Inneres, Welt und Gottesreich sich nicht ganz decken. Michael hatte eine Eigenschaft, die für den Dichter wesentlich ist: eine unbegrenzte Empfänglichkeit. Seine Seele war ein lockeres, jungfräuliches Erdreich, durstig nach Keimen, kräftig, sie zu nähren und zu entwickeln. Von dem Samen, der die Luft der Zeit erfüllte, entging ihm nichts; er sog ihn auf, bewußt und unbewußt, und er wurde sein eigen. Charakteristisch aber war für ihn, daß er das neuerfaßte Ideal sofort zu verwirklichen suchte, und zwar innerhalb einer Gemeinschaft. Als nächste Jünger boten sich ihm die Schwestern Beer und seine eigenen Schwestern. Leicht wurde es ihm, jene zu gewinnen, bedeutend schwerer diese, die ihn als den jüngeren Bruder, das Kind, neben sich hatten aufwachsen sehen. Es galt, das mütterliche Gefühl, das sie für ihn gehegt hatten, so umzuwandeln, daß sie den brüderlichen Führer in ihm sahen. Die überschwengliche Bewunderung der Schwestern Beer machte sie anfangs mißtrauisch, trotzdem gelang es der Ehrlichkeit seiner Überzeugung, seinem flammenden Wesen, seiner Gabe zu sprechen, sie den Eltern zum Trotz zu sich hinüberzuziehen. Er brachte ihnen die Ideen Fichtes als neue Religion, in der sie nach Überwindung des anfänglichen Widerstrebens mit Entzücken diejenige erkannten, die sie unter der Hülle der kirchlichen stets gesucht hatten. Es ist nicht leicht, den Inhalt dieser Religion genau anzugeben, denn was ist ein Aufschwung zu höheren Idealen, die nicht näher bezeichnet werden und mit nichts Irdischem in bestimmte Beziehung gebracht werden? Greifbar war zunächst nur der Kampf gegen das Weltliche, wie es das Leben einer Familie in der Stellung der Bakunin durchdrang, die Ablehnung der üblichen Geselligkeit, der geselligen Vorurteile, des gesellschaftlichen Ehrgeizes, des Strebens nach Geltung in der Welt. Es läßt sich denken, wie störend die Eltern Bakunins den Einzug der neuen Religion in die Familie empfanden. Michael, wenn er im Dorf war, wie man kurzerhand Prjamuchino zu benennen pflegte, weigerte sich, an der Gesellschaft teilzunehmen, wenn etwa Besuch kam, blieb auf seinem Zimmer, um zu lesen und zu schreiben, und verargte es den Schwestern, wenn sie Bälle mitmachten und sich den Hof machen ließen. Er wurde hierin bestärkt durch eine despotische Eifersucht, die seine Liebe zu den Schwestern eigentümlich färbte und ihn jeden Mann hassen ließ, der sich ihnen näherte. Ich möchte glauben, er habe nie eine Frau so heiß, so rückhaltlos geliebt wie seine Schwestern, vorzüglich Tatjana. Es erweckt eine hohe Meinung von ihr, wie sie diese Liebe mit ebensolcher Inbrunst erwidert und dennoch mit dem edelsten Zartgefühl die Maßlosigkeit des Bruders abzuschwächen weiß, indem sie das auf sie Gewendete als allen Schwestern geltend auffaßt und auch der den Eltern gebührenden Ehrfurcht, ja auch einer Schonung ihrer etwaigen Schwächen nichts nehmen läßt. Sie empfand die Religion als das Verbindende, Michael erfaßte sie von Anfang an als das Element des unerbittlichen Kampfes.
Eine starke Natur entfaltet eher ihr Temperament, die Stimmung und das Gefühl, womit sie einst im Leben stehen wird, als daß sie Absicht und Richtung erkennen läßt, die ihr selbst erst später zum Bewußtsein kommen. Als Michael etwa vierundzwanzigjährig war, fühlten alle seine Freunde seine Kraft, seine Eigenart, den Zauber, der von ihm ausging, ohne weissagen zu können, wohinaus es damit wollte.
Neben Stankjewitsch war es Wissarion Bjelinski, mit dem Bakunin in enger freundschaftlicher Gemeinschaft lebte. Bjelinski hatte ganz andere Hintergründe als Bakunin: Er war arm, alleinstehend, gedrückt, sehnsüchtig nach Schönheit und doch stolz in seinem Schatten. Wie ein Wunder erschien ihm der glückliche, vollständig unbekümmerte Michael Bakunin. Es ist etwas Schönes, wenn das Äußere eines Menschen sein Wesentliches so deutlich ausprägt, daß er bei seinem Erscheinen sofort als Ganzes wirkt. Das war bei Michael oder Michel, wie man ihn in Rußland in französischer Aussprache nannte, der Fall. Das Gigantische seiner Gestalt, das an Peter den Großen erinnerte, versinnbildlichte das Übermaß seines Wollens, seiner Träume und künftigen Taten. Sein großes, offenes Gesicht mit dem kühnen Blick der hellen Augen, die das Feuer der Seele leicht verdunkelte, ließ die verschiedensten Menschen an ein Löwenhaupt denken und damit an eine wilde, unzähmbare, großmütige Natur. Sein Jugendbild erinnert an Beethoven, nicht nur durch das reiche, dunkellockige Haar und durch das Ekstatische, das sein Blick zuweilen annahm, sondern auch durch die Gesichtsbildung. Bjelinski gab sich diesem neuen Menschen, der anders war als alle anderen, die er kannte, ganz hin, mehr vielleicht durch seine Persönlichkeit bezaubert, als an den Ideen interessiert, die Michel ihm mitteilte. Was als intellektuelle Begabung zunächst an ihm auffiel, war ein scharfer, biegsamer Verstand, der es ihm ermöglichte, die verschiedenen Systeme der deutschen Philosophie zu durchdringen, ihre Grundgedanken herauszuheben und anderen zu übermitteln. Dadurch brachte er Bjelinski, der mehr in der Anschauung lebte und sich bis dahin um Ideen nicht gekümmert hatte, viel Neues; aber es war nicht das Philosophieren, das Bjelinski eigentlich anzog, denn das wurde ihm vielmehr oft zu viel und stieß ihn ab. Natalie Beer schrieb an ihre Schwester, nachdem sie Michel kennengelernt hatte: »Dies ist einer von denjenigen Menschen, deren Charakterstärke und Seelenbegeisterung Großes vermögen. Seine Anwesenheit hat eine Wirkung auf mich ausgeübt, von welcher ich Dir niemals einen vollständigen Begriff werde geben können. Es war ein Chaos, ein Abgrund von Gefühlen und Ideen, die mich vollständig erschütterten; tausendmal machte ich mich daran, diese Dinge zu überdenken, zu vertiefen, und jedesmal verlor ich mich in dem Labyrinth. O das kommt daher, weil das Herz und der Kopf Michaels ein Labyrinth sind, in welchem Du nicht bald einen wegweisenden Faden findest, und die Funken, die dann und wann aufflammen (denn sein Herz und sein Kopf sind aus Feuer), entzünden auch Dir unvermerkt Herz und Kopf.«
Ähnlich erging es seinen Schwestern; die schwungvolle Kraft seines Gefühls, die ihm fast immer gegenwärtig war, trug sie wie auf Flügeln und machte ihn unentbehrlich. War er da, so erschien das Leben wichtig, die Zukunft reich und unerschöpflich; wie hätte man den Besitzer eines solchen Zauberstabes nicht herbeiwünschen oder vermissen sollen? Er fühlte dunkel eine schöpferische Kraft in sich; wie die Welt gestaltet war, die er in sich trug und die er außer sich sehen wollte, wußte er noch nicht, aber das Gefühl von ihr sprang auf seine Bekannten über. Auch Bjelinski urteilte: »In meinen Augen bist Du jetzt nichts anderes als ein Ausdruck chaotischen Gärens der Elemente. Dein Ich strebt, sich herauszuarbeiten, und zwar in riesenhaften Formen.« Das »Kochen des Lebens, der unruhige Geist, das lebendige Streben zur Wahrheit«, so schreibt er, habe ihn eingenommen. Von einem Manne ist es verständlich, daß er sich gelegentlich wieder auflehnt, wenn er sich von einem Freunde hat unterjochen lassen; das Verhältnis zwischen Bakunin und Bjelinski hat eine wechselvolle, stürmische Geschichte, bezeichnet durch Bjelinskis Versuche, sich von dem Freunde loszureißen, und die erneute Rückkehr an das magnetische Herz. Sicherlich hatte Bjelinski recht, wenn er Bakunin Herrschsucht vorwarf: Er war ein geborener Diktator. Er verlangt von seinen Freunden, so hieß es von ihm, daß sie dieselbe Ansicht über das Wetter und denselben Geschmack an Buchweizengrütze haben müssen wie er. Dabei war er so naiv, so kindlich, so gutmütig und so ohne Ahnung von seiner Herrschsucht und ohne Absicht, zu herrschen, daß die Entrüsteten bald ihre Vorwürfe zu bereuen und zurückzunehmen pflegten. Noch etwas anderes war Bjelinski an Michel unverständlich und abstoßend, nämlich sein eigentümliches Verhalten in Geldangelegenheiten. Es zeigte sich bald, daß Alexander Bakunin recht hatte, wenn er kein Vertrauen in die Mathematiklehrerlaufbahn seines Sohnes setzte. Zwar bekam er einen oder einige Schüler, aber er fand immer Gründe, die Stunden ausfallen zu lassen, und ebenso ging es meist mit dem Übersetzen von Büchern, wodurch er Gelegenheit gehabt hätte, zu verdienen. Er schrieb wohl einiges und übersetzte auch aus dem Deutschen, zum Beispiel Bettinas Briefwechsel mit Goethe; allein zu einer regelmäßigen Arbeit kam es nicht, und er verfiel auf die Idee, die Aufgabe unter seine Freunde zu verteilen, so daß auf jeden ein Kapitel zu übersetzen kam und für ihn gar nichts übrigblieb. Zu einem Beruf, der Stunde für Stunde und Tag für Tag ausgeübt werden muß, war er untauglich. Da seine gelegentlichen Einnahmen zum Leben nicht ausreichten, half er sich dadurch, daß er Schulden machte, die er fast nie zurückerstattete. Bjelinski, von Haus aus arm und immer genötigt, sich gegen die Herablassung oder Nichtachtung der Reichen zu wehren, auf seine eigene Arbeit von jeher angewiesen, begriff Michels Unbekümmertheit dem Gelde gegenüber nicht. Unabhängig zu sein, aus sich selbst zu leben, erschien ihm als die erste selbstverständliche Grundbedingung anständigen Lebens, und er warf dem Freunde seine Liederlichkeit heftig vor und machte ihn auf das rücksichtsloseste herunter.
Plötzlich aber, wenn er sich Michael vorstellte, wie er achtlos und fröhlich, wenn er gerade Geld eingenommen hatte, alles hergab, um etwa ihm, Bjelinski, aus einer Klemme zu helfen, wie er sofort vergaß, daß er es getan hatte, so wendete sich ihm das Herz, und es erschien ihm auf einmal, als könne das Überlegenheit sein, was er zunächst als klägliche Schwäche und beinahe verachtungswürdig angesehen hatte. Es gehört viel dazu, sich dauernd mit Geld helfen zu lassen und sich doch niemals abhängig zu fühlen. Zu einem Teil erklärt es sich wohl durch die sorglose Gewohnheit des Aristokraten, aus einem vorhandenen Überfluß zu schöpfen; noch mehr aber durch eine Michel angeborene Geringschätzung des Geldes und ein angeborenes Gemeinschaftsgefühl. Er war frei von dem engherzigen Eigentumsbewußtsein, das für den modernen Menschen charakteristisch ist. So wie er niemals daran gedacht hätte, sein Eigentumsrecht auf Gedanken geltend zu machen, war er auch stets bereit, von anderen zu lernen, und ebenso gab und nahm er auch materielle Werte. Es bleibt höchst wunderbar, daß diese Besonderheit seines Wesens zwar zuweilen das Urteil der anderen über ihn beeinträchtigte und Beziehungen trübte, dennoch aber im ganzen den Eindruck, den seine gewaltige, überraschende Erscheinung überall machte, nicht verkleinert hat. Es ehrt die Menschheit, die doch am Gelde klebt, daß einer, der es von ihr annahm und mit Füßen trat, weitaus mehr Freunde als Feinde fand und weitaus mehr Liebe erregte als Wut, Haß und Verachtung.
Bjelinski war so wenig kleinlich, daß er in dem Verhalten seines Freundes, während er es mißbilligte, doch etwas Neues, Wunderbares, mit gemeinem Maße nicht zu Messendes fühlte.
In die Freundesbeziehungen mischten sich teils belebend, teils störend verschiedene Liebeswirren. Natalie Beer hatte sich zuerst in Stankjewitsch verliebt, und als sie bemerkte, daß ihre Neigung unerwidert blieb, in einem Aufschwung der Seele ihn mit ihrer Freundin Ljubow Bakunin bekannt gemacht, in der er, nach ihrer Meinung, das gesuchte Ideal finden würde. Nach der Bekanntschaft mit Michael lud dieser die Freunde ein, und Stankjewitsch und Bjelinski verlebten glückliche Monate auf dem Gute. Stankjewitsch verlobte sich wirklich mit Ljubow, Bjelinski entbrannte leidenschaftlich für Alexandra, die jüngste Schwester. Beide empfingen einen unauslöschlichen Eindruck von dieser Familie in dieser Umgebung. Bjelinski sah zum ersten Male die Harmonie und Schönheit des Lebens, die er ersehnt hatte, in reifer Wirklichkeit vor sich. Vielleicht gab es viele große Güter in Rußland mit Wäldern und Strömen, gastlichen Herrenhäusern und weiten Blicken in eine unergründliche Natur; hier aber begegnete man dem alles krönenden menschlichen Geist als der Blüte und Frucht, in den die aromatischen Säfte aus unzähligen Quellen münden. In dem Benehmen und den Gesprächen des Vaters und der Kinder war jene Kultur zu spüren, die darin besteht, daß alles Unwesentliche, so angenehm, nützlich und bequem es sein mag, nur um des Ewigen willen geschätzt wird, mit dem es verbunden ist. Der alte Bakunin, durch Erblindung, die ihn traf, als er etwa sechzigjährig war, noch würdevoller und gleichsam geheiligt, hatte als junger Mann dem Kreise der Dekabristen nahegestanden, ohne daß es ihn je zu Taten gedrängt hätte. Einst hatte er seinen Leibeigenen eine Verfassung geben wollen, da sie selbst sie aber als Neuerung ablehnten, jeden Versuch zu Veränderungen aufgegeben. Älter werdend, neigte er ausgesprochen zum Bestehenden, worin ihn seine Frau bestärkte. Mit der Urbanität eines großen Herrn übte er Duldung gegenüber freier Meinungsäußerung in seinem Hause, vorausgesetzt, daß der Gast seinerseits sich im selben Geiste bewege. Bjelinski jedoch, der Arme, Leidende, den die Liebe noch linkischer machte und den das Glück und die Harmonie des Hauses ebenso verletzte, wie sie ihn entzückte, sprach ketzerische Ansichten zuweilen mit einem rohen Nachdruck und einer Absichtlichkeit aus, die den alten Herrn empörten. So handelte es sich einmal bei Tische um die Französische Revolution, die eine Art Maßstab für die Gesinnungen bildete. Der alte Bakunin zürnte seinem Sohne, daß er und mit ihm seine Freunde den Frieden seines Hauses trübten. Es kam so weit, daß die Kinder den Eltern als ein feindlicher Haufe gegenüberstanden, angeführt von Michael unter der Fahne der neuen Religion. Sein Evangelium wurde auch von den jüngeren Brüdern angenommen, welche in Twer auf die Schule gingen und sich dort unaussprechlich langweilten, von Heimweh nach dem geliebten Dorf erfüllt. Sie beschlossen, von Michaels Ideen begeistert, den verhaßten Zwang abzuwerfen und zu ihm nach Moskau zu entfliehen, wo sie dem vorauszusehenden Zorn des Vaters Trotz bieten würden. Als die Großmutter, welche in Twer wohnte und eine Art Aufsicht führte, von ihren Plänen unterrichtet, ihnen ihr Betragen strafend vorhielt, kündigten sie ihr förmlich den Gehorsam auf. Nicht mit Unrecht sahen die erschrockenen Eltern in Michael die eigentliche Ursache dieser Schülerempörung. Michel schrieb denn auch den Brüdern einen Brief, in dem er ihnen klarmachte, sie hätten ihn mißverstanden, in ihrem Alter müsse man noch gehorchen; allein der Brief war unleugbar viel kürzer und weniger eindringlich als die, in denen er Freiheit und Liebe predigte.
Man könnte meinen, Michel hätte eine Verbindung zwischen seinem Freunde Bjelinski und einer seiner Schwestern begünstigen müssen, gerade im Gegensatz zu seinen Eltern; das war aber nicht der Fall. In Märchen erscheinen zuweilen gewalttätige königliche Väter, die ihre Töchter so frevelhaft lieben, daß sie sie keinem Manne geben wollen. Etwas von diesem herrischen Gefühl war in Bakunins Liebe zu seinen Schwestern. Warwara hatte zu einer Zeit, als Michael noch jünger und sein Einfluß weniger entscheidend war, geheiratet, aber sie hörte bald auf, ihren Mann zu lieben. Obwohl er seiner Frau treu anhänglich war, deren Selbstquälerei und religiöse Skrupel ihm gewiß das Leben mit ihr nicht leicht machten, war es für Michel ausgemacht, daß seine Schwester von diesem tieferstehenden Menschen befreit werden müsse. Die lichte Atmosphäre von Kultur, die das Bakuninsche Haus durchdrang, erfüllte augenscheinlich Warwaras Mann, der nicht in einem solchen aufgewachsen sein mochte, mit Bewunderung; er betrachtete sie wohl als ein übergeordnetes Wesen, das an sich zu fesseln er schon allerlei Opfer bringen müsse. Warwara konnte sich im täglichen Umgange mit einem Manne, der ihr nichts zuleide getan hatte und der durch sie litt, nicht dem Mitgefühl für ihn entziehen und auch wohl nicht dem Bewußtsein, ihm gegenüber im Unrecht zu sein; Michael kam dergleichen nicht in den Sinn. Eine Verpflichtung seiner Schwester, in der einmal eingegangenen Ehe auszuharren und sie so gut wie möglich zu gestalten, anerkannte er nicht; ihm galt als höhere Pflicht, sich dem erniedrigenden Einfluß eines gewöhnlichen Mannes zu entziehen. Ihm genügte als Grund schon, daß sie ihn nicht liebe; aber hätte sie ihn geliebt, würde er noch mehr darauf gedrungen haben, daß sie ihn verließe. Warwara ging nicht so weit, machte nur das eine zur Bedingung, daß ihr Mann ihre Religion nicht antaste, von der er offenbar nichts verstand und nichts verstehen wollte; man kann sich dem Eindruck nicht entziehen, daß in diesem Zwist der nachgiebige und versöhnliche Mann religiöser war als die auf diesem Punkte so heikle Warwara. Michel anderseits war nichts so verhaßt als das übliche Versumpfen im gedankenlosen Wohlleben; er erregte jene Stürme, damit lieber etwas zerbreche, als daß Stagnation eintrete; warf er doch sogar Bjelinski gelegentlich vor, er laufe Gefahr, ein Bonvivant ohne Ideale zu werden. Dazu kam nun aber seine brüderliche Eifersucht. Kaum bildete sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den Schwestern und Bjelinski, als sein Benehmen ungleich, unerklärlich beleidigend gegen den Freund wurde, der in seinem Vaterhause zu Gaste war; erst als Tatjana, der er besonders nahestand, ihm erwiderte, daß sie weder zu Bjelinski noch zu einem anderen Manne eine Neigung habe, beruhigte er sich wieder. Übrigens erwiderte Alexandra die Liebe Bjelinskis nicht, und dieser heiratete später eine andere, ohne daß er je den Zauber hätte vergessen können, den die Schwestern in Prjamuchino ausübten. Als Bjelinski später Michel sein kränkendes Betragen vorhielt, gestand dieser alles zu und erklärte es durch seine Eifersucht mit so viel Freimut und Herzlichkeit, daß er den Zürnenden vollständig entwaffnete.
Einzig gegen die Verlobung der ältesten Schwester Ljubow mit Stankjewitsch hatte er nichts einzuwenden; vielleicht weil er Stankjewitsch so überaus hochstellte, vielleicht weil Ljubow ihm weniger nah verbunden war als die anderen, vielleicht aber auch, weil Stankjewitsch bald erkannte, daß sein Gefühl nicht stark genug war, um eine Heirat darauf zu gründen. Die Süße und Lieblichkeit der armen Ljubow hatte auf die Dauer nichts Anregendes für ihn; es mag sein, daß sie ihm zu ähnlich war: Sie war es ja jedenfalls darin, daß sie beide zu frühem Tode an der Schwindsucht bestimmt waren. Er brachte den Mut nicht auf, das Herz des zarten Mädchens zu zerreißen, und half sich dadurch, daß er ins Ausland reiste und durch Briefe mit ihr verbunden blieb, es der Zukunft und dem Zufall überlassend, die Verwickelung zu lösen. Es geschah durch ihren Tod; sie starb, ohne erfahren zu haben, daß der Geliebte sich längst von ihr gelöst hatte.
Die Flucht des Freundes Stankjewitsch ins Ausland wurde für Michel ein lockendes Vorbild; er hätte sich ihm am liebsten sofort angeschlossen, wenn er die Mittel dazu aufgebracht hätte, die sein Vater ihm nicht geben zu können erklärte. Mit Mühe wurde Warwara die Reise ermöglicht, während welcher sie sich besinnen sollte, ob sie die Ehe wieder aufnehmen oder endgültig lösen wollte. In Italien traf sie mit Stankjewitsch zusammen, der inzwischen erkrankt war, und pflegte ihn bis zu seinem Tode. Zwischen dem Sterbenden und ihr flammte eine Liebe auf, von der es ungewiß bleibt, ob sie sich schon früher vorbereitet und das Verhältnis mit Ljubow gestört hatte.
Für jeden Menschen gibt es viele Möglichkeiten, aber nur einen Weg, der zu dem ihm bestimmten Ziele führt. Bei Michel ist es auffallend, mit welcher Gewalt es ihn ins Ausland drängte, obwohl sein Ziel ihm noch ganz undeutlich war. Schon als Kind hatte er von Abenteuern in fernen Ländern geträumt, worin die Reisebeschreibungen, die der Vater den Kindern vorzulesen pflegte, ihn bestärkten. Wenn er sich Zukunftsbilder ausmalte, so spielten sie weit, weit von Rußland in unbekannter Fremde. Der nomadische Zug im Wesen der Russen mochte dabei mitwirken; aber außerdem noch ein anderes: Seine hochgezüchtete aristokratische Eigenart bedurfte der Begegnung mit einer fremden Welt. Trotz des Verschmolzenseins mit seinen Schwestern, trotz des innigen Zusammenhanges mit seinem Vater, trotz aller Widerstände hielt er unentwegt an dem Plane fest, nach Deutschland zu reisen. Anfänglich glaubte er, die Mittel dazu sich durch journalistische Tätigkeit verdienen zu können; aber er mußte bald einsehen, daß er bei seiner Unfähigkeit zu regelmäßiger, einträglicher Arbeit auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen war. Obwohl er sich mit seinem Vater wieder gut stand, mißtraute derselbe doch seinen Zukunftsplänen. Er glaubte fordern zu können, nachdem Michel sowohl die Soldaten- wie die Beamtenlaufbahn ausgeschlagen hatte, daß er, seinem Beispiel folgend, sich der Bewirtschaftung des Gutes widme, was um so wünschenswerter war, als er selbst durch seine Blindheit und sein Alter gehemmt war. Aber auch davon wollte Michel nichts wissen: Professor in Moskau zu werden, erklärte er für seinen Wunsch und seine Bestimmung. In langen, dringenden Briefen schilderte er dem Vater, wie die Leidenschaft nach Erkenntnis ihn ganz erfülle und beherrsche, wie es ihm unmöglich sei, mit diesem Drang in der Brust sich einer anderen Aufgabe hinzugeben. Den Gedanken, Professor zu werden, hatte zweifelsohne Fichtes Schrift über die Bestimmung des Gelehrten in ihm geweckt oder genährt; an einen zunftgerechten Professor dachte er nicht, ihm schwebte es vor, Führer einer strebenden Jugend zu werden und sie für den Dienst der Wahrheit zu begeistern, die er sie lehren würde. Zu dem Zweck müsse er sich selbst noch ausbilden, so sagte er, und dies konnte nach dem Gange seiner bisherigen Studien natürlich nur in Berlin geschehen. Dem zärtlich bittenden Ungestüm des Sohnes war nicht zu widerstehen: Grundsätzlich wenigstens gaben die Eltern nach, nur daß sie die zum Aufenthalt im Ausland erforderliche Summe nicht bereit zu haben erklärten und den Ungeduldigen zunächst auf die Zukunft vertrösteten. Vielleicht war dies nur ein Ausweg, nicht nein zu sagen und doch die Reise unmöglich zu machen; allein der Zufall fügte es, daß Michel einen neuen Freund gewann, der ihm für den Fall, daß die väterliche Unterstützung ausbliebe, seine Hilfe in Aussicht stellte.
3.
Der Einfluß deutscher Romantik auf Bakunin
Inhaltsverzeichnis
Dieser Freund, der eine Rolle in Michels Leben spielen sollte, hieß Alexander Herzen. Der reiche Fabrikbesitzer Jakowlew hatte auf seinen Reisen in Deutschland eine junge Schwäbin, Luise Haag, kennengelernt und nach Rußland entführt, wo sie ihm einen Sohn schenkte, den der Vater, weil es ein Kind seines Herzens sei, Alexander Herzen nannte. Jakowlew, der seine Abkunft auf den sagenhaften slawischen Fürsten Weidewut zurückführte, wies viele Züge auf, die für den russischen Adel charakteristisch sind, der einerseits durch die unbedingte Herrschaft über die leibeigenen Bauern zu maßloser Selbstüberhebung und Herrschsucht neigte, anderseits, dem Zaren gegenüber Sklave und zu einer freien, würdigen Tätigkeit nicht befugt, entweder kriechend und ängstlich am Hofe lebte oder sich in einer barbarischen Einsamkeit vergrub. Zu den letzteren gehörte Jakowlew. Er hatte sich dem deutschen Bürgermädchen gegenüber von seinem Gefühl hinreißen lassen, doch aber nicht so weit, daß er sie zu seiner rechtmäßigen Frau gemacht hätte. Schon dieser Umstand und die Kälte und Menschenverachtung des Mannes machten ein geselliges Leben im Hause unmöglich. Die Frau lebte ziemlich abseits in ihrer zweideutigen Stellung und litt oft unter der ungebändigten Heftigkeit und Launenhaftigkeit Jakowlews. Neben Alexander wuchs noch der Sohn einer anderen Frau auf, vermutlich einer Untergebenen, da er eine weit geringere Rolle spielte. Allerdings zog Alexander frühzeitig durch sein sympathisches Äußeres wie durch seinen Verstand und Witz die Aufmerksamkeit auf sich. Der Vater war stolz auf ihn und verhältnismäßig schwach gegen ihn. Seine Mutter war eine sanfte, liebe Frau, doch besaß sie offenbar weder die Bildung noch die Persönlichkeit, ihrer Umgebung zu imponieren; die Dienerschaft war ihr ergeben.
Die Welt, in der ein Kind aufwächst, die Familie und das Haus, bilden unvermerkt seine erste, unwillkürliche Weltanschauung. Dem jungen Alexander Herzen drängten sich früh Widersprüche, Unwahrhaftigkeit, Ungerechtigkeit auf; weder seinem Vater noch seiner Mutter brachte er unbedingte Wahrhaftigkeit entgegen. Er litt unsäglich durch die trübselige Öde, die in seinem Vaterhause herrschte, und die einzig unendliches Bücherlesen erträglich machte. Das erste schöne, wärmende Licht ging ihm durch die Freundschaft auf. Nikolaus Ogarjew war es, der Sohn eines entfernten Verwandten des Jakowlew, der, schwärmerisch und weich veranlagt, den stolzen, ehrgeizigen Alexander ergänzte. Sie entdeckten mit wachsendem Glücksgefühl die Ähnlichkeit ihrer Neigungen und wie sie sich von den anderen Knaben ihres Alters unterschieden. Sie lasen zusammen Schiller und berauschten sich an seinem edlen Pathos; sein ganzes Leben hindurch bewahrte Herzen diese Vorliebe und wußte viele Verse des deutschen Dichters auswendig. Ogarjew selbst machte weiche, angenehm fließende Gedichte von wehmütigem Charakter. Gesellig und versöhnlich, war er das verbindende Element zwischen verschiedengearteten Menschen, in allen Verhältnissen der Nachgiebige und der Leidende. Früh sich seines Willens bewußt, lehnte Alexander es von vornherein ab, die militärische Laufbahn einzuschlagen, auf der er es trotz seiner illegalen Geburt durch die Verbindungen des Vaters zu Ehren gebracht hätte, und setzte es durch, an der Universität studieren zu dürfen. Der Zwang, der auf den Universitäten lastete, brachte die Studenten in einen selbstverständlichen Gegensatz zur Regierung. In Herzen bestand dieser ohnehin; er war dreizehn Jahre alt, als die Dekabristen fielen, und hatte sich mit Ogarjew gelobt, ihnen nachzueifern und sie zu rächen. Durch Ogarjew wurde er mit den Schriften des Saint-Simon bekannt, des ersten Verkünders sozialistischer Ideale, und dieser neuen Lehre schloß er sich an. Der Polizei wurde es bald bekannt, daß eine Gruppe von jungen Leuten diese Schriften las, die für höchst verwerflich und gefährlich galten; da es aber nicht anging, ihnen wegen des Lesens von Büchern den Prozeß zu machen, wurde eine andere Gelegenheit ergriffen. Bei Ogarjew pflegten sich die Freunde zu fröhlichen Gelagen zu versammeln; bei einem solchen wurde ein Spottlied auf Kaiser Nikolaus gesungen, das den erwünschten Anlaß zum Einschreiten gab. Das Urteil lautete für Herzen und einige andere auf Todesstrafe und wurde in Verbannung und Beamtendienst unter behördlicher Überwachung gemildert. Er wurde zuerst nach Perm und dann nach Wjatka verschickt.
So bekam Herzen Gelegenheit, die russische Bürokratie gründlich kennenzulernen, die der Initiative des einzelnen keinen Spielraum ließ und aus jungen, dem Leben geöffneten Menschen bald schläfrige Pedanten, bald Betrüger machte. Die dumpfe Jämmerlichkeit des öffentlichen Lebens in einer kleinen Provinzstadt, der erzwungene Umgang mit Menschen, die er verabscheute, peinigten ihn so, daß er anfing zu trinken und ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau einging, dessen Geschichte er später in dem überaus witzigen, scharfsinnigen Roman »Wer ist schuld?« geschrieben hat. Trotzdem stand er bereits in herzlicher Beziehung zu seiner Cousine Natalie, die er nach Auflösung jener Liebschaft heiratete, die die große Liebe seines Lebens blieb, wie Ogarjew der Freund seines Herzens.
Auch diese junge Jakowlew war ein illegitimes Kind; viel schlechter gestellt als Alexander, mußte sie froh sein, von einer alten fürstlichen Verwandten ins Haus genommen zu werden, wo sie ein eingeengtes, freudlos eintöniges Leben führte. Ihrer durch die Einsamkeit gesteigerten Einbildungskraft erschien der geistvolle Vetter mit den blitzenden Augen, den Gefängnis und Verbannung mit der Glorie des Märtyrers umgab, wie ein Held, ja sein Bild verschmolz ihr mit Christus selbst, und ihre Liebe wurde eins mit Religion. Zwar wies er die Vergötterung, die das weltfremde Mädchen ihm weihte, zurück als etwas, das